„Die Häufigkeit von psychischen Krankheiten in der Modebranche ist auffällig“

Was haben Mental Health Gesundheit, die Modebranche und Nachhaltigkeit miteinander zu tun? So einiges, meint Florian Müller, der vor über einem Jahr die Kampagne „Mental Health in Fashion“ gestartet hat. Wir haben mit ihm über die Besonderheiten im Umgang mit psychischer Gesundheit/psychischen Krankheiten in der Modebranche gesprochen.

Nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Psychologie in Berlin und Paris sammelte Florian Müller Erfahrungen in der Mode-PR und schloss sich dem Team des Avantgarde-Designers Martin Margiela an. Später gründete er in Berlin seine Kreativagentur Müller Pr & Consulting, mit der er Öffentlichkeitsarbeit, Eventorganisation und Consulting anbietet. Er ist zum Beispiel zuständig für das Gästemanagement bei Fashion Week-Veranstaltungen in Berlin und Paris. Florian Müller lehrt außerdem zu Public Relations und Mental Health in der Modebranche an Universitäten, arbeitet psychotherapeutisch und engagiert sich im Berliner Krisennetzwerk und im Nachhaltigkeitsausschuss der Industrie- und Handelskammer Berlin.

Im Januar 2023 präsentierte er erstmals seine Arbeit zu psychischer Gesundheit in der Modebranche bei einer Veranstaltung zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Dies war der offizielle Start von Florian Müllers Kampagne „Mental Health in Fashion“, in deren Fokus das psychische Wohlbefinden von Menschen in der Modebranche steht. Wir wollten mehr über Mental Health in der Modebranche und zur Kampagne wissen.

Wie kamst du darauf, dich mit mentaler Gesundheit im Modebereich zu beschäftigen?

„Dabei kommen mein ursprüngliches Studium, persönliche und berufliche Erfahrungen zusammen. In den letzten 20 Jahren habe ich ein hohes Ausmaß an Leid in der Modebranche, insbesondere im Hinblick auf die psychische Gesundheit, beobachtet – ich empfand die Branche zum Teil als sehr ungesund. Ich hatte die Wahl: aussteigen oder mich damit auseinandersetzen, um Lösungsansätze zu erforschen. Parallel habe ich mich im Bereich der klinischen Psychologie weitergebildet, um mentale Krankheitsbilder besser zu verstehen. Die Verknüpfung der Felder Mode, Nachhaltigkeit und psychische Gesundheit lag damit also nahe. Ich habe dann die „Mental Health in Fashion“-Kampagne ins Leben gerufen, um die Entstigmatisierung von mentalen Erkrankungen in der Modebranche voranzutreiben.“

Kannst du uns deine Kampagne „Mental Health in Fashion“ genauer erklären?

„In der Kampagne betrachte ich verschiedene Krankheitsbilder bei Menschen entlang der gesamten Lieferketten. Durch gezielte Aufklärungsarbeit und Veranstaltungen sollen Vorurteile abgebaut und ein offenes Gespräch über die psychische Gesundheit in der Modebranche gefördert werden. Sie beinhaltet Ressourcen und Unterstützung für Menschen in der Modeindustrie, die mit psychischen Herausforderungen konfrontiert sind, einschließlich Beratung und Zugang zu Therapeut*innen.

Ein weiteres Ziel sind Kooperationen in der Mode- und Gesundheitsbranche, um gemeinsam nachhaltige Lösungen zu erarbeiten. Bisherige Maßnahmen beinhalten die Integration von mentaler Gesundheit in Ausbildungseinheiten, Vorträge und Teilnahme an bedeutenden Modeveranstaltungen. Mir ist an der langfristigen Integration von mentaler Gesundheit in der Modebranche gelegen. Dabei geht es auch um die gesundheitsschädlichen Signale, die die Branche in die Öffentlichkeit sendet.“

Welche besonderen Herausforderungen in Sachen Mental Health gibt es in der Modebranche?

„Diese Branche ist einzigartigem Stress und Belastungen ausgesetzt. Die hohe Prävalenz von psychischen Erkrankungen in der Modebranche ist auffällig. Zusätzlich erschwerend kommt die Inszenierung eines einwandfreien Images hinzu. Probleme werden oft übersehen oder ignoriert, da die Branche dem Motto ‚The show must go on‘ treu bleibt. Hoher Wettbewerbsdruck, kurze Produktionszyklen und die Fokussierung auf perfektes Aussehen können sich negativ auf die mentale Gesundheit auswirken. Die Anforderungen an Kreativität und Innovation können zu Stress und Belastung führen, während Erwartungen an Erscheinungsbild und beruflicher Erfolg oft unangemessen hoch sind.“

Was hat das alles mit Nachhaltigkeit zu tun?

„Das Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen ist entscheidend für eine stabile und langfristige Belegschaft. Unternehmen, die für gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen sorgen, etablieren damit auch eine nachhaltige Arbeitskultur. Die Unterstützung psychischer Gesundheit ist ein ethischer Akt der Verantwortung gegenüber den Menschen in der Branche. Eine gesunde mentale Verfassung kann sich wiederum positiv auf die Förderung von Kreativität und Innovation auswirken. Beides brauchen wir, um ökologischen und sozialen Herausforderungen zu begegnen. Indem Unternehmen sich aktiv für die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden einsetzen, tragen sie zum Aufbau gesünderer und stabilerer Gemeinschaften bei und leisten einen Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit.“

Kann die Beschäftigung mit Mental Health dazu beitragen, die Modebranche positiv zu verändern?

„Eine gezielte Beschäftigung mit der psychischen Gesundheit kann zweifellos die Modebranche positiv beeinflussen. Unternehmen und Beteiligte können durch aktive Maßnahmen zahlreiche Aspekte verbessern, indem sie eine gesunde Arbeitskultur fördern. Das kann durch die Einbindung von Mental-Health-Initiativen geschehen, welche ein positives Arbeitsumfeld mit Unterstützung, Offenheit und Empathie schaffen. Das Ziel ist, die Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen und die psychische Widerstandsfähigkeit der Gruppe zu stärken. Offene Kommunikation sowie Information über dieses Thema reduzieren Vorurteile und schaffen eine unterstützende Umgebung, in der Betroffene eher bereit sind, Hilfe anzunehmen.

Was braucht es dafür?

Indem Ressourcen und Unterstützungssysteme wie Beratungsstellen und Krisenintervention geschaffen werden, stärkt das Personal ihre Widerstandsfähigkeit und bietet wichtige Unterstützung in schwierigen Zeiten. Ein kontinuierlicher Einsatz für psychische Gesundheit kann dazu beitragen, dass die Modebranche unterstützender, mitfühlender und nachhaltiger wird und das Wohlbefinden der Menschen an erster Stelle steht.“

Welche Ziele hast du für den Umgang mit Mental Health in der Modebranche?

„Mein Ziel ist es, die seelische Gesundheit in der Branche zu stärken und nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Dafür wäre es toll, wenn sich die Branche und andere Interessierte aktiv an diesem Prozess beteiligen. Eine gemeinsame Zusammenarbeit könnte dazu beitragen, nachhaltige Veränderungen voranzutreiben. Meine Expertise und mein Netzwerk möchte ich nutzen, um nicht nur über diese Probleme zu sprechen, sondern auch konkrete Projekte zu initiieren und umzusetzen. Beispielsweise habe ich bereits eine neue Filmkategorie mit dem Titel ‚Mental Health in Fashion‘ beim Pariser ASVOFF Festival eingeführt und plane weitere Projekte innerhalb der Modeindustrie, aber auch außerhalb wie beispielsweise an Schulen für Kinder und Jugendliche.“

Titelbild © Florian Müller

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