Nachhaltiges Merchandising: Die Zukunft der Band-Shirts?

Wenn Taylor Swift-Fans bis zu zwölf Stunden für einen exklusiven Sweater der aktuellen Tour anstehen, Bands noch Stunden nach ihren Konzerten ihre Merchandising-Artikel vor Ort verkaufen und Onlineshops ausverkauft sind, wird klar: Band-Shirts sind begehrter denn je – aber oft nicht gerade nachhaltig. Wie kann nachhaltiges Merchandising für Fans und Künstler*innen funktionieren?

Nachhaltiges Merchandising, Eine Band performt in schwarz gekleidet auf einer Bühne.

Merchandising-Artikel wie T-Shirts, Kapuzenpullover, Sweater und Co. erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Kauften vor 15 Jahren noch etwa  zehn Prozent der Konzert- und Festivalbesucher*innen Fanartikel, so sind es heute bereits 20 Prozent, die nach einer Show ein Erinnerungsstück – einschließlich nichttextiler Produkte, vom Feuerzeug bis zum Trinkbecher – mit nach Hause nehmen. Angaben dazu, wie viel das Geschäft mit Musik-Merchandise einbringt, schwanken zwischen 3,3 Milliarden Euro und elf Milliarden Euro Umsatz im Jahr.

Dabei gibt es allerdings keine Daten zum Produktionsvolumen der gesamten Industrie, der Anzahl verkaufter Produkte sowie dem Anteil textiler Produkte. Somit sind auch deren ökologische und soziale Auswirkungen schwer quantifizierbar. 363 Millionen Euro verdiente laut Deutschlandfunk Kultur alleine die Firma Bravado im Jahr 2021. Bravado ist eine Tochtergesellschaft von Universal Music und zuständig für das Merchandise von unter anderem Billie Eilish, Scooter, Peter Fox und Bosse. Laut NY Post wuchs Bravados Umsatz allein zwischen April und Juni 2023 um zwölf Prozent auf 157 Millionen Euro – nicht unerheblich durch eine starke Performance von Taylor Swifts Merchandise. Klingt nach einem lukrativen Geschäft. Aber welche Rolle spielt darin nachhaltiges Merchandising?

Fakt ist: Mittlerweile ist dein Band T-Shirt eine nennenswerte Einnahmequelle für so manche*n Musiker*in. Allein für die Eras-Tour setzte Taylor Swift 2023 bereits fast 100 Millionen Euro durch Merchandise um. Der blaue Tour-Sweater aus einer Mischung aus Baumwolle und Polyester kostete auf Live-Konzerten in den USA umgerechnet etwa 60 Euro und war unter anderem so stark nachgefragt, da er nicht online erhältlich war. Taylors Sweater ist nur ein Beispiel für den großen Hype um Musik-Merchandise – und dafür, dass gerade bei Fan-Shirts und Co. Infos rund um Materialien, Zertifizierungen und Nachhaltigkeit kaum zu finden sind. Oft besitzen aber auch die Künstler*innen und Merchandising-Teams diese Informationen selbst nicht, da die Lieferketten wenig nachvollziehbar und transparent sind.

Zwischen Kunst und Kommerz

Besonders in der Corona-Pandemie galt Merchandise als Möglichkeit, Künstler*innen direkt zu unterstützen. Denn nicht nur Konzerte und die damit verbundenen Ticketeinnahmen blieben aus, sondern auch Merchandise-Verkäufe. Vor der Pandemie erfolgten sie zu 80 Prozent während Live-Shows. Auch im Sinne der kulturellen Nachhaltigkeit kann Merchandising also von Bedeutung sein: Wir alle profitieren gerne von einer vielfältigen Kultur- und Musiklandschaft. Einige unabhängige und unbekanntere Künstler*innen nehmen laut The Guardian sogar mehr Geld über Merchandise ein als über den Verkauf ihrer Alben selbst: Für manche Bands kann dies etwa ein Viertel ihrer Einnahmen ausmachen. Aber nicht nur die Musiker*innen verdienen am Merchandise, sondern auch Manager*innen, Veranstaltungsorte, Labels und Konzertbetreiber, wie etwa Eventim.

Für die Sängerin und Songwriterin Mogli sind Merchandising-Produkte Teil eines ästhetischen Gesamtkonzepts und tragen dazu bei, die Geschichte ihrer Songs zu erzählen. „Für mich war Merch nie eine besonders wichtige Einnahmequelle, ich habe das immer eher gemacht, weil sich die Fans gefreut haben.“ Das Besondere: Mogli designt ihre Merchandise-Linie selbst und lässt bei einem Familienunternehmen in Nepal, ganz ohne Zwischenhändler, produzieren. So habe sie Kontrolle über die Lieferkette. Doch nicht alle Künstler*innen haben die Zeit, das Wissen oder auch das Interesse, sich selbst mit all diesen Themen zu beschäftigen.

Mogli ©Johanna Berghorn

Was ist eigentlich nachhaltiges Merchandising?

Wie in der konventionellen Modeindustrie gilt auch für Merchandise: Je mehr produziert wird, desto günstiger werden die Produktionskosten. Weltweit begegnen uns ohnehin aber bereits Überproduktion und Überkonsum von Mode. Gleichzeitig wird die Tragedauer immer kürzer. Laut British Fashion Council haben wir bereits genug Kleidung produziert, um die nächsten sechs Generationen an Menschen zu bekleiden. Ist es also überhaupt sinnvoll und vertretbar, mit Tourdaten bedruckte Shirts zu kaufen? Ist nachhaltiges Merchandise möglich? Besonders unabhängige und unbekanntere Künstler*innen ohne großes Team im Hintergrund stellt diese Frage vor ein Dilemma. Selbst mit den besten Ambitionen fällt die Orientierung zwischen Textilsiegeln und -zertifizierungen, künstlerischem Anspruch und dem Druck, ein bezahlbares Produkt für die Fans abzuliefern und dennoch selbst etwas daran zu verdienen, einfach schwer.

Mit nachhaltigen Merchandise-Artikeln sind hier solche gemeint, mit denen versucht wird, den verschiedenen Herausforderungen im Kontext von Mode, Fairness und Klimawandel zu begegnen – sei es auf sozialer oder ökologischer Ebene. Dies kann bedeuten, dass über die Produkte unser Konsum reflektiert wird oder auch, dass sie unter fairen Bedingungen für Mensch und Umwelt hergestellt wurden. Was die beste individuelle Nachhaltigkeitsstrategie ist und wo Greenwashing droht, ist dabei auch für Brancheninsider*innen manchmal schwer zu erkennen. Wie sollen also Musiker*innen ohne dieses Wissen fundierte und nachhaltigere Entscheidungen treffen?

Gehypte Materialien wie recyceltes Plastik aus den Meeren oder aus Plastikflaschen, können  nicht die Lösung sein: Denn diese Materialien enthalten oft Weichmacher und weitere für unsere Gesundheit schädliche Stoffe. Auch in Merchandising-Produkten wird das rezyklierte Plastik meist als Mischfaser verarbeitet und ist somit selbst nicht mehr rezyklierbar. Durch das Tragen und Waschen entsteht außerdem Abrieb in Form von Mikrofasern aus Plastik. In diesem Artikel könnt ihr nachlesen, welche Probleme dieses Mikroplastik und recyceltes Plastik in Kleidung verursachen können.

Künstler*innen übernehmen Verantwortung

Merchandise ist immer auch eine Möglichkeit für Künstler*innen, ihre eigenen Werte nach außen zu transportieren. Über ihre Strahlkraft können sie Bewusstsein für Themen und Wissen an ihr Publikum vermitteln, das sonst vielleicht kaum Berührungspunkte mit Nachhaltigkeitsthemen hat. Oft ist der erste Ansatzpunkt für nachhaltige Merchandising-Produkte die Materialwahl. Wie wir bereits erfahren haben, sind Fasermischungen mit recyceltem Plastik keine wirkliche Alternative. Was können Künstler*innen und Plattenlabels besser machen?

Die am häufigsten genutzte Faser für textiles Merchandise ist Baumwolle. Über die speziellen Nachhaltigkeitsherausforderungen dieser Faser erfahrt ihr in diesem Fashion-Changers-Artikel mehr. Ein erster Schritt für die eigene nachhaltige Merchandise-Linie kann eine Umstellung auf zertifizierte Bio-Baumwolle sein. Auch Mogli hat dies für ihre Produkte umgesetzt: „Bei klassischen Teilen wie T-Shirt und Hoodie habe ich in der letzten Kollektion Bio-Baumwolle verwendet, da ist aber auf jeden Fall noch Luft nach oben!“ Um die Tragedauer der Produkte zu erhöhen, hat die Künstlerin sie sehr zeitlos gestaltet. So ist das Artwork der Prints eher abstrakt gehalten und die Prints verzichten auf Tourdaten. Everybody.World aus den USA verwendet statt Biobaumwolle Reste aus der Baumwollproduktion und verarbeitet diese zu rezykliertem Baumwollgarn – auch dies schont wertvolle Ressourcen. In einer lokalen LA-basierten Lieferkette werden daraus schließlich Merchandising-Produkte, zum Beispiel für Lorde und André 3000.

Neben Materialwahl ist auch die Einschätzung des eigentlichen Bedarfs für viele Künstler*innen eine Herausforderung. Dazu sagt Mogli, dass es für sie immer wichtiger sei, nicht zu viel, sondern im Zweifel nachzuproduzieren und auch größeninklusiv zu denken. Beides mache die Produktion durch die kleineren Mengen jedoch weniger rentabel. In der konventionellen Produktion kostet ein Band-T-Shirt etwa fünf bis sechs Euro und landet im Verkauf bei etwa 20 bis 25 Euro. Nachhaltige Merchandise-Produkte, zum Beispiel aus teurerer Bio-Baumwolle, kosten daher im Verkauf den Fan meist mehr oder die Künstler*innen machen weniger Gewinn. Mogli merkt hierzu an: „Wenn man hier auf Nachhaltigkeit und Inklusion setzt, aber trotzdem faire Preise machen möchte, bleibt leider sehr wenig übrig. Denn obwohl ich erfolgreich bin, fallen bei einem Projekt in meiner Größe keine großen Mengen an.“

Nachhaltiges Merchandising durch White Label-Produkte und spezialisierte Dienstleister 

Die meisten Künstler*innen sind nicht so stark in die Produktion ihres Merchandise involviert wie Mogli – oft fehlen ihnen einfach das Wissen, die Zeit und die Kontakte. An dieser Stelle können White-Label-Anbieter oder spezialisierte Dienstleister helfen, die nachhaltige Praktiken bereits in ihr Geschäftsmodell integriert haben. White-Label-Produkte sind eine Art von „Rohlingen”, etwa T-Shirts oder Sweater ohne Aufdruck, auf die Unternehmen und Künstler*innen ihre Designs, zum Beispiel die Front-Aufdrucke bei T-Shirts, drucken können. Anschließend verkaufen sie die Produkte unter ihrem eigenen Branding. 

Stanley/Stella aus Belgien ist ein auf dem Markt sehr bekannter Lieferant für solche Merchandising-„Rohlinge“. Neben recycelter Baumwolle setzt Stanley/Stella auch Bio-Baumwolle ein und ist Mitglied der Fair Wear Foundation. Dennoch gab es in der Vergangenheit bei Stanley/Stella punktuell Kontroversen und Berichte von nicht oder verspätet gezahlten Löhnen. Merchandising-Dienstleister Sustainable Better Merch ist ein Anbieter aus Schweden, der auf Bio-Baumwolle und als Mitglied der Fair Wear Foundation auf faire Produktionsbedingungen achtet. SUSTAIN mit Sitz in Deutschland bietet nachhaltiges Full-Service-Merchandising samt Beratung an und wird zum Beispiel von Milky Chance genutzt. Die Band Bon Iver arbeitet für ihre Merchandising-Produkte mit der Firma Ambient Inks zusammen und verwendet unter anderem umweltfreundlichere Farben.

Konferenz “Mode&Verantwortung” I 20.10.2023 I Berlin

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Ein zweites Leben 

Für Fans haben Merchandising-Produkte oft einen besonderen emotionalen Stellenwert, sie sind Erinnerungen an ein tolles Konzert oder verkörpern eine Verbindung zu einem Song oder Album. Pioniere des Merchandising waren übrigens schon Elvis und die Beatles, die unter anderem sogar bedruckte Brotdosen anboten – es ist also keine neue Marketingidee. Durch den nostalgischen Wert von Merchandise-Artikeln sind diese oft auch auf dem Secondhand-Markt begehrt. Statt neue Kleidung zu produzieren, könnte es eine echte Alternative sein, gebrauchte Produkte neu aufleben zu lassen. Diesen Ansatz verfolgt der Onlineshop Second Bandshirt, der noch im Aufbau ist. Auf einigen Festivals sind die Bandshirts aus zweiter Hand aber bereits zu finden. 

Zu Festivals und Konzerten eigene Kleidung oder alte Fanshirts mitzubringen und vor Ort zu überdrucken ist eine weitere Chance, ein ganz einmaliges Erinnerungsstück mit nach Hause zu nehmen. Die Idee dahinter entstand im Spirit der Punk-Bewegung unter anderem durch die Band Bomb the Music Industry!: Auf Festivals und Konzerten können Fans mit Stencils und Badges einfach selbst ihr Merchandise gestalten. Die Band Milky Chance schreibt zum Thema auf ihrem Blog: „Eine Idee, mit der wir uns alle sofort anfreunden konnten, war die Verwendung bereits vorhandener Kleidungsstücke zur Herstellung unserer Produkte. Aber leichter gesagt als getan.“ Gemeinsam mit SUSTAIN, die nachhaltiges Full Service-Merchandising anbieten, ließen sie für ihre „Mind the Moon”-Tour auf von Fans mitgebrachten T-Shirts ihre neuen Motive drucken.

Die Band The 1975 überdruckte für ihr Album „Notes on a Conditional Form” kurzerhand ihre Altbestände an T-Shirts. Und auch der Rapper Kummer ließ seine durch die Coronapandemie verschobenen Daten auf den Tour-Shirts überdrucken – aus Nachhaltigkeitssicht natürlich sehr smart. Diese Lösungen im Kleinen sind wichtig und relevant, doch was für Möglichkeiten haben Künstler*innen und Veranstalter, die das Thema Nachhaltigkeit im Gesamtkontext für Konzerte und Festivals denken und ihren größeren Impact nutzen können? 

Ganzheitlich gedachte Veranstaltungen und Initiativen

Internationale Künstler*innen wie Coldplay und Massive Attack erheben in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten Daten zu den Auswirkungen ihrer Konzerte und Touren und nutzen diese als Plattformen, um ganzheitlich nachhaltigere Praktiken zu erproben. Auch in Deutschland gibt es Pilotprojekte, die versuchen, die Veranstaltungsbranche nachhaltig zu transformieren. Im Rahmen des Labor Tempelhof fanden 2022 in Berlin drei Konzerte der Bands Die Ärzte und Die Toten Hosen statt. Vor Ort gab es kompostierbare und kreislauffähige Merchandising-Produkte der Bands – ganz im Sinne der Cradle-to-Cradle-Idee. So gab es C2C-zertifizierte Shirts, deren Produktion nur etwa ein Drittel der sonst üblichen CO2-Emissionen verbraucht. Die verwendeten Materialien sind zudem unschädlich für Mensch und Umwelt, sodass sie nach Gebrauch zum Ausgangspunkt für neue Produkte werden können.

Auch inklusive Workshops und Konzerte, wie die bis April 2024 laufenden, von Handiclapped e.V., Fashion Revolution Berlin und Auf Augenhöhe organisierten, tragen zu mehr Verantwortung und einem Umdenken in der Branche bei. Soziale Nachhaltigkeit und Inklusion sind hier fester Teil des Konzepts. In Upcycling- und Wissensworkshops werden Ideen zur ökologischen Nachhaltigkeit an die Fans getragen.

Wechselimpulse zwischen Musik und Mode

Merchandising-Produkte sind Teil des Mode-Mainstreams geworden, auch mit Auswirkungen auf große Modelabels wie Balenciaga, Louis Vuitton und Acne, die Band-T-Shirts in ihre Kollektionen integrieren. Modehäuser selbst imitieren mit ihren Designs typischen Musik-Merchandise; ein großes Logo zu tragen, ist Teil der Popkultur geworden. Dieses Wechselspiel zwischen Mode und Musik könnten Künstler*innen nutzen, um auf Nachhaltigkeitsthemen aufmerksam zu machen und in ihren Produkten zu leben – in der Hoffnung, auch Fans, die sonst weniger Berührungspunkte mit Nachhaltigkeitsthemen haben, zu sensibilisieren. Doch natürlich sind nicht die Künster*innen alleinig in Verantwortung, sondern auch Labels und Veranstaltungsorte, Produktionsfirmen. Und wir, die Fans.

Titelbild: RDNE Stock project via Pexels

Über Sarah:

Sarah ist studierte Modedesignerin und setzt sich mit gesunden, kreislauffähigen und unkonventionellen Materialien und deren holistischer Bedeutung auseinander. Sie arbeitete in verschiedenen Bereichen der Modeindustrie und erkannte aus der Praxis heraus die dringende Notwendigkeit einer systemischen Transformation hin zu Nachhaltigkeit, Regeneration und Transparenz. Sarah hat einen Abschluss in Sustainability in Fashion (MA) von der Akademie Mode & Design Berlin, einen Doppelabschluss in Design/Modedesign (BA) von der Hochschule für Angewandte Kunst Schneeberg und einen Bachelor of Culture and Arts von der University of Applied Sciences HAMK in Finnland. Mit ihrem ausgeprägten Gespür für Strategien, Forschung und Materialien entwickelt Sarah Visionen für einen positiven systemischen Wandel und berät neben ihrer Bildungsarbeit und freien Projekten Firmen u.a. im Fashion Changers Collective zu Kreislauffähigkeit, Regeneration und Materialien. Sarah liebt es zu lernen und ihr Wissen über verschiedene Kanäle weiterzugeben.

Foto: © Caroline Wimmer

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