„Ich beende mit sofortiger Wirkung die Zusammenarbeit mit GOT BAG. Ich bin traurig und enttäuscht, weil ich bei der Marke immer dachte, dass sie etwas verändern können”, begründet Louisa Dellert auf ihrem Instagram-Account ihre Entscheidung.
Die Influencerin, Moderatorin, Podcasterin und Unternehmerin bezieht sich auf den rezenten Greenwashing-Skandal von GOT Bag, einem Rucksackhersteller, der damit warb, dass er die ersten Rucksäcke aus Meeresplastik produziert und damit die Ozeane sauberer macht. Die Recherche-Ergebnisse des Medien-Start-ups Flip dürften für viele ein Schock gewesen sein. Der Rucksack bestehe, so das Onlinemagazin, gar nicht zu 100 Prozent Meeresplastik, es handelt sich hier also ganz klar um Verbraucher*innentäuschung. Wissenschaftler*innen bezweifeln sogar, dass eine solche Recyclingaktion (zu wieviel Prozent auch immer) überhaupt einen Mehrwert für die Ozeane haben kann.
Kurz nach der Enthüllung beendet Louisa Dellert die Zusammenarbeit mit GOT Bag – doch, auch wenn ihre Reaktion in Anbetracht ihrer Mission als Sinnfluencerin verständlich ist, reagieren einige Menschen in den sozialen Medien irritiert. Warum wissen Influencer*innen scheinbar nicht genau, mit wem sie zusammenarbeiten? Die einen jubeln Louisa zu, weil sie GOT Bag „gecancelt” hat, die anderen fragen, warum nicht auch andere Influencer*innen diesen Schritt gehen und sich vom Unternehmen distanzieren. Wo fängt die Verantwortung von Influencer*innen in Sachen Nachhaltigkeit an und wo hört sie eigentlich auf?
Wir haben schon mehrmals über Influencer*innen-Marketing geschrieben und darüber, was passiert, wenn Influencer*innen Greenwashing promoten. Aber angesichts der rezentesten Greenwashing-Skandale kam die Verantwortung von Influencer*innen nun erneut auf.
Instagram-User*in @anna.jacques.39 meint, sie sei „erstaunt, dass Nachhaltigkeits-Influencer:innen nicht vorher ein paar tiefgreifende Infos einholen, bevor sie für ein Produkt werben.” Aber ist es wirklich so einfach? Nachdem Louisa Dellert die Zusammenarbeit mit GOT Bag beendet hatte, erzählte sie in ihrer Story, sie hätte damals mehr Informationen beim Unternehmen angefordert und gefragt, ob sie sich die Produktionsstätte anschauen dürfe. Dies wurde vom Unternehmen jedoch immer wieder vertagt.
Geschäfte machen nach bestem Wissen und Gewissen
Hätte Louisa warten sollen, bis sie alle Infos zusammen hat? Vielleicht, aber als Außenstehende, die bei den ganzen Verhandlungen und Gesprächen nicht dabei waren, ist es fast unmöglich, sich ein umfassendes Bild zu machen.
Sarah Gottschalk, selbst Content Creatorin und Co-Gründerin des Blogazine This is Jane Wayne, erzählt uns im Interview, dass es bei Partnerschaften vor allem darum geht, die richtige Balance zu finden. „Wir sehen es selbstverständlich als unsere Verantwortung an, unsere Partnerschaften mit bestem Wissen und Gewissen auszuwählen”, erklärt sie.
„Rückblickend betrachtet sind wir dabei sicherlich schon in die Greenwashingfalle getappt. Aber nicht, weil uns Fehlinformationen fehlten, sondern weil wir die ersten nachhaltigen Bestrebungen eines Unternehmens hervorheben wollten und das auch transparent kommuniziert haben. Uns ist wichtig, dass wir hier ehrlich sind und, wenn ich die Bemühungen lobenswert fand, dann habe ich das auch genauso kommuniziert. Wir wägen nach wie vor verschiedene Faktoren ab und waren lange Zeit davon überzeugt, dass es dem Thema ,Nachhaltigkeit’ gut tut, wenn die jeweilige (weniger oder nicht nachhaltige) Marke den Schritt in diese Richtung geht. Im Fall von GOT Bag wurden aber wissentlich Falschinformationen in Umlauf gebracht: Und das ist Betrug und viel mehr als Greenwashing.”
Sarah gibt zu, dass diese Aussage unbefriedigend klingen mag. „Natürlich dauert es manchmal ewig, bis Stellschrauben verändert werden, bis ein etabliertes Produkt komplett umgestellt wird. Da stecken wirtschaftliche Interessen hinter, genauso wie veraltete Innovationen. Aber wenn ein Unternehmen nach diesem ersten Schritt nicht nachlegt und weiter an zeitgemäßen und verantwortungsvollen Lösungen arbeitet – und sich stattdessen auf seinen Greenwashing-Lorbeeren ausruht -, dann wird eine Folgezusammenarbeit sicher nicht stattfinden.”
Der Status Quo sei Weiterentwicklung. Und dieser erfolgt auch dank den zahlreichen Leser*innen bei This is Jane Wayne. „Wenn ich irgendwas falsch gemacht habe, dann weiß ich sicher, dass ich es im Dialog mit meinen Leser*innen demnächst vielleicht oder sogar ganz sicher anders mache. Ich möchte ja schließlich auch wachsen und diesen Prozess mit unserer Community teilen.”
Den Druck verlagern
Im Interview mit Vogue Germany erklärt die Influencerin und Unternehmerin Brenda Hashtag, dass Influencing auch Verantwortung bedeutet. „Ich promote eine andere, langsamere Art des Konsums. Trotzdem ist es Konsum. Doch eine minimale Anzahl an Riesenkonzernen ist für die Mehrheit unserer Umweltverschmutzung zuständig. Mein kleiner Teil ist zwar wichtig, aber den wirklichen Druck sollten wir anderen geben.” Es sei als Influencerin oft schwierig, „die Brands zu kritisieren, die einem die Miete zahlen.” Sie hätte dadurch längere Zeit weniger Geld verdient als ihre Kolleg*innen.
Ebenfalls in der Vogue Germany, im Interview mit Vogue-Autorin Katharina Fuchs, erklärt der Trendforscher Tristan Horx, er würde sich wünschen, „dass sich mehr Influencer:innen zu Sinnfluencer:innen wandeln würden.” Denn gerade in der Modewelt seien sie „riesige Player, die eigentlich keine noble Funktion haben. Nämlich das Kuratieren und Vorselektieren von Produkten für ihre Follower:innen.” Horx ist der Meinung, dass, wenn Influencer*innen auf nachhaltige Produkte setzen und sich offen zu diesen Werten bekennen, sich diese auch schneller verbreiten würden.
Manche Influencer*innen informieren sich möglicherweise nicht (ausreichend) über eine Marke, bevor sie sich zu Kooperationen oder Markenpartnerschaften verpflichten. Das kann sicherlich zu unbeabsichtigten Ergebnissen führen, etwa dann, wenn sie unwissentlich Greenwashing promoten. Andere informieren sich sehr wohl und arbeiten mit dem Material, das ihnen zur Verfügung gestellt wird. So wahrscheinlich auch Louisa Dellert und Co.. Wollen wir wirklich ein paar Menschen, sprich: Influencer*innen, verteufeln, die sich haben täuschen lassen? Wo Unternehmen wie GOT Bag doch fast ganz Deutschland (ja, unter Umständen fast die ganze Welt) an der Nase herumführen?
Kostenlose PR-Beratung? Nein, danke!
In den Kommentaren unter Flips Beitrag über Louisa Dellerts Kooperationsende schreibt ein*e andere*r Instagram-User*in, dass Influencer*in „viel prüfen und wissen” müssten. Sie selbst habe bei einer ihrer Kooperationen dem Geschäftspartner erklärt, warum Ozean-Plastik Greenwashing ist. Das könnten Influencer*innen, die sich tagtäglich mit solchen Themen beschäftigen, doch sicherlich ab und zu mal machen.
Fashion Changers Contributorin Jennifer Kuzu (Hauwehde) hat es in einer ihrer Instagram-Stroys aber mal wieder in passende Worte gefasst: „Ich habe nicht die Zeit, allen Firmen, bei denen mir was auffällt, kostenlose PR-Beratung zu geben.” Oft sei es auch so, dass sich viele bei solchen Anmerkungen abwenden und andere potenzielle Partner*innen kontaktieren.
Auch Sarah Gottschalk von This is Jane Wayne erklärt uns, wie der Prozess in Sachen Kooperationen bei ihr abläuft. „Wir gehen meistens so vor, dass wir uns nach einer Anfrage mit einem*einer Kund*in, den*die wir noch nicht kennen, erst einmal schlau machen, wo produziert wird und wer bereits für die Produkte geworben hat – Stichwort: Diversität. Dann holen wir Referenzen bei Kolleg*innen ein.” Es gäbe allerdings keinen klassischen Fragenkatalog, der den potenziellen Kund*innen zugeschickt wird. „Es ist ganz viel Gefühl, Kenntnis und Wissen dabei – deshalb ist jede Situation anders.”
Also was denn nun?
Wir vergessen oft, dass Influencer*innen auch nur Menschen sind. Klar, manche davon haben sicherlich die nötigen Ressourcen (aka Zeit und Geld), sich über die Missstände dieser Welt zu informieren. Die haben viele, egal ob Content Creator*in oder nicht. Andere Influencer*innen haben die aber nicht, weil sie vom Influencen nicht leben können und daneben auch andere Jobs ausüben.
Sarah Gottschalk fasst es entsprechend zusammen: „Wir machen viel falsch, aber nicht, weil wir das absichtlich und aus vollem Herzen oder gar rein aus wirtschaftlichen Interessen tun, sondern weil wir in dem Moment ganz und gar davon überzeugt waren, das Richtige getan zu haben.” Manche Zusammenarbeit aus der Vergangenheit würde sie heute aber vielleicht nicht mehr eingehen. „Es ist ein ständiges und sehr sensibles Abwägen. Ich glaube aber, Fehler sind wichtig, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Wir müssen stetig reflektieren, umdenken, neu denken, offen bleiben und inklusiver werden. Wir müssen uns selbst hinterfragen und kritisch zu uns selbst bleiben. Denn ja, Influencer*innen tragen Verantwortung. Aber wir haben ja auch hoffentlich alle einen Anspruch an diese Welt.”
Titelbild: Elise Wilcox via Unsplash
Eine Antwort auf „Nachhaltigkeit und Konsum: Welche Verantwortung tragen Influencer*innen?“
Super Artikel. Ich sehe es genauso, dass Influencer:innen die Verantwortung haben, das was sie bewerben, soweit wie möglich prüfen. ABER: Sollten wir nicht vor allem daran arbeiten den Nachhaltigkeitsbegriff besser zu schützen, sodass Unternehmen mit gewissen Keywords nur werben dürfen, wenn die Praktiken dahinter auch entsprechend bewiesen werden können?