In diesem Deep Dive zum Thema Circular Economy in der (Fair-) Fashion-Branche gibt es Input von:
- Sarah Maria Schmidt, Modedesignerin und zirkuläre Materialforscherin
- Lena Hoffmann, Verantwortliche für Textildesign & Produktmanagement bei Bleed
- Jürgen Janssen, Leiter des Textilbündnis-Sekretariats
- Janis Künkler, Co-Gründer und Geschäftsführer bei Reverse Supply
Immer mehr Brands bieten eigene Resale-Plattformen an, stellen zirkuläre Kapselkollektionen her und setzen sich mit Recyclern zusammen. Die Kreislaufwirtschaft ist in aller Munde und immer mehr Marken erfinden sich anhand von Circular Business Models neu. Doch wo steht Circular Fashion aktuell? Und wohin geht die Reise in den nächsten Jahren? Wir haben bei Expert*innen nachgefragt, die uns erklären, wie die Situation in der DACH-Region aussieht.
- Circular Economy und Circular Fashion sollten idealerweise regenerativ und sozial gedacht werden und insgesamt auf Degrowth ausgerichtet sein.
- Laut dem Circularity Gap Report aus dem Jahr 2022 sind aktuell nur 8,6 Prozent der Welt kreislauffähig.
- Unternehmen berichten, dass es immer noch sehr schwierig und kostspielig ist, recycelfähige Fasern wie Elasthan zu finden. Auch die steigenden Preise bei Naturfasern machen den Unternehmen Sorgen, weshalb viele weiterhin auf Mischfasern zurückgreifen, die nur schwer zu recyceln sind.
- Die DACH-Region ist insgesamt noch sehr weit von einer effizienten Circular Economy entfernt. Grund dafür sind unter anderem das fehlende Textilwissen sowie die fehlende Transparenz bei der Materialzusammensetzung, aber auch geringe Rücknahmequote (vor allem bei Fair-Fashion-Brands), die es ihnen erschwert, das Mindestsoll bei Recyclern zu erfüllen.
Circular Economy neu definieren und ganzheitlicher angehen
Laut dem Circularity Gap Report aus dem Jahr 2022 sind aktuell nur 8,6 Prozent der Welt kreislauffähig. „Solche Bemessungen kann man bestimmt auch kritisch sehen, aber sie zeigen dennoch, dass wir extrem viel Müll produzieren, der nicht in den Kreislauf zurückfließt oder überhaupt zurückfließen kann”, erklärt Sarah Maria Schmidt, Modedesignerin und zirkuläre Materialforscherin. Kreislaufwirtschaft ist in ihren Augen ein Modell, das versucht, wirklich gesunde und effektive Zyklen, also Circular Fashion, zu schaffen.
Regeneration und Degrowth als Komponente der Zirkularität
Zirkuläre Unternehmen sollten so ausgerichtet sein, dass sie sorgsam mit vorhandenen Ressourcen umgehen und die Produkte einen möglichst hohen Nutzungsgrad erzielen. Dabei sei es Schmidt zufolge wichtig, dass das Material einen hohen Wert hat und hält, damit es dem Kreislauf später zurückgeführt werden kann. „Kreislaufwirtschaft ist meiner Meinung nach auch immer regenerativ gedacht, sozial gedacht und insgesamt auf Degrowth ausgerichtet.” Die Designerin kritisiert, dass besonders in Deutschland die Circular Economy als eine Art Weiterformulierung der Abfallwirtschaft verstanden wird, was faktisch falsch sei, denn in einer Kreislaufwirtschaft gäbe es gar keinen Abfall. Es gehe auch nicht nur um Recycling, sondern vor allem darum, Probleme wie Konsum und Überproduktion mit in Betracht zu ziehen.
Konkrete Zahlen zu finden, die den aktuellen Status Quo widerspiegeln, ist jedoch schwierig. „Kreislaufwirtschaft wird nicht überall gleich definiert. Im englischsprachigen Raum hat man zum Beispiel ein anderes Verständnis von Zirkularität. Ich habe das Gefühl, da wird Regeneration sowie diese soziale Komponente von Anfang an bereits mitgedacht”, erklärt sie.
Die soziale Komponente fehlt bei der Umsetzung der Circular Economy oftmals noch
Sarah Schmidt betont, dass es aktuell vor allem darum geht, ein ganzheitliches Verständnis für Kreislauffähigkeit zu entwickeln. Obwohl die ökologische Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit bereits recht weit gedacht wird, gilt das Gleiche nicht für die soziale Komponente. Es ist einfacher Umweltindikatoren zu setzen, Ergebnisse sind hierbei oftmals schneller und einfacher zu quantifizieren. Dieser Prozess stellt sich bei sozioökonomischen Aspekten komplizierter dar.
Claudia Brück, Vorständin bei Fairtrade Deutschland, hat es im Interview mit Fashion United in passende Worte gefasst: „Kreislaufwirtschaft ist gut und richtig, aber eine Jeans, bei deren Herstellung Arbeiter und Baumwollbauern ausgebeutet werden, wird nicht nachhaltig, nur weil sie recycelbar ist.”
Soziale Fairness ist also ebenfalls eine Säule der Circular Economy und umfasst die Forderung nach fairen Löhnen, der Abschaffung von Kinderarbeit und sicheren Arbeitsbedingungen.
Die Circular Economy beinhaltet viele verschiedene Geschäftsmodelle
Es scheint, es gibt nicht das eine kreislauffähige Geschäftsmodell, das für alle Unternehmen gleichermaßen geeignet ist. Natürlich müssen Unternehmen am Produktdesign und der Erneuerung arbeiten, aber sie müssen auch auf Kund*innen eingehen, und sich an dem orientieren, was diese brauchen und wie diese sich beteiligen möchten.
Die zirkuläre Zukunft wird ein vielfältiges Angebot bereithalten – abhängig von den Produkten, dem Preissegment, der Positionierung und der Zielgruppe jeder Marke. Viele Brands bieten mittlerweile ein gemischtes Modell aus Rücknahmeservice, Weiterverkauf und Vermietung an.
Eine effiziente Kreislaufwirtschaft setzt langfristig ausgelegte Partnerschaften voraus
Die Ellen MacArthur Foundation geht davon aus, dass 87 Prozent unserer Kleidung auf Deponien landen oder verbrannt werden. Fakt ist daher: Der massive Zustrom von Waren muss bewältigt werden. Unternehmen müssen einen Weg finden, nicht nur den Wiederverkauf, sondern Initiativen zur Circular Economy im Allgemeinen zu skalieren. Was ist mit den Produkten, die nicht verkauft werden können? Was ist mit jenen, die nicht recycelt werden können oder die nicht repariert werden können?
Circular Economy beinhaltet letztlich nicht nur einen Systemwandel, sondern auch Potenzial. Dennoch gibt es große Hürden zu überwinden, vor allem in Sachen Neukonfigurationen, Mitarbeiter*innenschulungen und Logistik. Umso wichtiger ist es, sich langfristige Partner zu suchen, um so viele Aspekte der Kreislaufwirtschaft gemeinsam anzugehen und umzusetzen.
„Die Kreislaufwirtschaft ist sehr komplex und aktuell fehlt es an Daten und Erfahrungswerten. Daher ist es notwendig, einen kontinuierlichen Informationsfluss zwischen allen Akteur*innen aufzubauen”, erklärt Sarah Maria Schmidt. Natürlich gibt es bereits viele Studien, die man sich aneignen könnte, aber dafür fehle oftmals die Zeit. „Es gibt mittlerweile viele Wissensplattformen. Es ist auch nie verkehrt, sich externe Hilfe zu holen und sich beraten zu lassen. Um die globalen Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft jedoch zu bewältigen, müssen wir uns alle zusammentun, vernetzen und austauschen.” Letztlich müssten Unternehmen, sich Schmidt zufolge nicht nur das nötige Wissen, sondern auch das passende Mindset aneignen, um die richtigen Entscheidungen in Sachen Circular Economy zu treffen.
Das Textilbündnis sieht das ähnlich. „Um einen Kreislauf in der Textilproduktion zu erreichen, sind alle Akteur*innen entlang der Lieferketten gefragt: Modemarken und Händler, Produzenten, Kund*innen, Sortier- und Sammelbetriebe und nicht zuletzt Textil-Recycling-Unternehmen”, erklärt Jürgen Janssen, Leiter des Textilbündnis-Sekretariats. Unternehmen müssten sich im Detail mit ihren Materialströmen auseinandersetzen und die Langlebigkeit und Recyclingfähigkeit ihrer Produkte schon beim Design mitdenken.
„Inzwischen gibt es auch Beratungs- und Unterstützungsangebote, die Unternehmen aus der Textilbranche dabei helfen können, sich in Richtung Kreislaufwirtschaft weiterzuentwickeln. Auch im Textilbündnis arbeiten wir mit unseren Mitgliedern an Lösungen, machen Projekte und bieten Anleitung und Unterstützung. Große branchenweite Kooperationen und Pilotprojekte wie das Projekt Accelerating Circularity Europe haben das Potenzial, mehr Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit in der Branche zu etablieren.”
Bei diesen Partnern findet ihr Unterstützung
Es ist nicht immer einfach, die richtigen Partner zu finden. Unsere Expert*innen haben uns daher viele tolle Projekte und Wissenshubs empfohlen. Auf Knowledge Hub findet ihr beispielsweise mehrere Tausend Studien, Berichte und Business Cases zum Thema Kreislaufwirtschaft. Auf der Website könnt ihr nach verschiedenen Kategorien wie Standort, Auswirkungen (ökonomisch, sozial, ökologisch), Branche, Schlüsselelemente der Kreislaufwirtschaft (zum Beispiel das eigene Geschäftsmodell überdenken oder Lösungen zur Verlängerung der Produktlebensdauer) und Richtlinien filtern.
Der NGO C2C informiert Unternehmen über Cradle to Cradle, vernetzt diese mit Partnern und stellt Bildungsmaterial zur Verfügung. Außerdem können Brands an vielen verschiedenen Konferenzen und Workshops teilnehmen und sich mit anderen Labels austauschen.
Der gemeinnützige Verein Circular Berlin generiert Wissen und praktische Projekte zum Thema Kreislaufwirtschaft, und zwar hauptsächlich durch Forschung und den Aufbau von Netzwerken. Auf seiner Webseite sind kostenlose Tools aufgelistet, die Modeschaffende bei ihrer Arbeit und zirkulären Projekt begleiten können. Der Kickstarters Environmental Resource Guide stellt beispielsweise einen Leitfaden für nachhaltigeres Produktdesign und -herstellung dar, einschließlich vieler verschiedener Überlegungen und Fragestellungen zur Zirkularität. Der Zirkularitätsrechner hilft Unternehmen zudem, die Zirkularität ihrer Produkte zu messen, zu kommunizieren und zu verbessern. Auch die Ellen MacArthur Foundation bietet ein ähnliches Tool an.
Das kürzlich erschienene Buch Mythen der Circular Economy wurde von 32 verschiedenen Autor*innen verfasst und zeigt nicht nur Mythen des zirkulären Wirtschaftens auf, sondern stellt zugleich Lösungen vor, die sich beweisen konnten. Das Buch könnt ihr kostenfrei herunterladen.
Das Berliner Unternehmen Circular Fashion entwickelt Dienstleistungen und Software in Sachen Kreislaufwirtschaft, um einen transparenten Informationsfluss zwischen Materiallieferanten, Modemarken, Recyclern und Verbraucher*innen zu ermöglichen. Circular Fashion ist außerdem eine gute Adresse, um sich mit Lieferanten, Sortierern und Recyclern zu vernetzen.
Letzteres gilt auch für den Dachverband FairWertung e.V. – der bundesweite Zusammenschluss gemeinnütziger Organisationen, die gebrauchte Textilien sammeln. Hier findet ihr einen Überblick über die Sammler, die nach den Standards des Dachverbandes FairWertung Altkleider sammeln.
Resale boomt trotz großer Hürden
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein weiteres Label bekannt gibt, dass es nun auch Secondhandware anbietet. Bis vor ein paar Jahren wurde Secondhand größtenteils über Drittanbieter verkauft, egal ob stationär oder online. Mittlerweile sind es die Marken selbst, die sich dem Verkaufsmodell annehmen und ihre Kleidung selbst über den eigenen Shop verkaufen. Das Secondhandangebot wird so auch zunehmend von Fair-Fashion-Brands gefördert, sei es Phyne, Armedangels, Dariadéh und The Slow Label.
Die Herausforderung für Marken wird in Zukunft darin bestehen, die Erwartungen der Verbraucher*innen zu wecken und ein konsistentes Erlebnis für Secondhandprodukte zu bieten, sei es in Sachen Qualität, Preis oder Sonstiges. „Die Ansprüche von Kund*innen in Sachen Secondhandware sind sehr hoch”, erklärt Janis Künkler, Co-Gründer und Geschäftsführer beim Recommerce-Start-up Reverse Supply. „Sie erwarten einen niedrigeren Preis, möchten aber das gleiche Kundenerlebnis wie beim Kauf im regulären Onlineshop. Daher legen wir bei Reverse Supply hohen Wert auf eine entsprechende Produktpräsentation in den Onlineshops unserer Partner.”
Doch der Weiterverkauf von Mode sei sehr aufwendig, und das bei geringen Margen. „Für Unternehmen ist es ein großer Aufwand, einen eigenen Secondhandbereich im bereits vorhandenen Onlineshop zu integrieren”, berichtet Künkler. „Es erfordert nicht nur die Softwareintegration des Secondhandbereichs, sondern auch komplizierte Identifikations- und Bewertungsprozesse von gebrauchten Artikeln und eine große logistische Infrastruktur, die sowohl die eingereichten Artikel, als auch die weiterverkauften Produkte verarbeitet.”
Auch Großunternehmen würden den Service von Reverse Supply zuerst lieber in einem separat integrierten Onlineshop testen, bevor sie die komplette Umstrukturierung vornehmen. Trotzdem sei der Wille der Unternehmen da. „Was Labels jetzt brauchen sind starke Partner, um den Einstieg in den Recommerce so reibungslos wie es geht zu ermöglichen.” Das Tech-Start-up hat eine eigene App entwickelt, über die alle Prozesse laufen, die für den Wiederverkauf nötig sind. Darin integriert ist unter anderem ein AI-getriebenes Grading-System für die Qualitätskontrolle und Preisbestimmung der Secondhandprodukte.
So viel CO₂ kann durch Resale gespart werden
Mit Hilfe von Studierenden der Universität Utrecht hat die Tech-Plattform Reverse Supply die CO₂-Emissionen eines Resale-Produkts gemessen. Dabei kam heraus, dass etwa 6,6 Kilogramm CO₂ pro Kleidungsstück eingespart werden können.
„Um den CO₂-Fußabdruck zu berechnen, haben die Studierenden den Lebenszyklus eines weißen T-Shirts als Beispiel genommen, welches einmal durch den Prozess von Reverse Supply geht”, erklärt Janis Künkler. „Das Shirt kommt im Lager an, wird überprüft und für den Wiederverkauf aufbereitet und dann wieder verpackt und versandt. Dafür haben sich die Studierenden angeschaut, welche Faktoren innerhalb dieses Prozesses am meisten CO₂ verursachen. Dabei kamen fünf Faktoren heraus: Abfall, Strom, Verpackung, destilliertes Wasser und Kraftstoff. Daraus haben sie dann errechnet, dass durchschnittlich 0,842 Kilogramm CO₂ pro T-Shirt entstehen. Diese Emissionen verglichen sie anschließend mit dem Zyklus eines linearen T-Shirts.”
Recycling ist nicht die (einzige) Lösung
„Das Thema Kreislaufwirtschaft erlebt eine unglaubliche Dynamik”, berichtet Jürgen Janssen, Leiter des Textilbündnis-Sekretariats. „Wir sehen, dass sich viele unserer Mitglieder im Textilbündnis und weitere Unternehmen in der DACH-Region bemühen, nachhaltig(er) zu produzieren und Schritte hin zu mehr Kreislaufwirtschaft zu gehen.” Doch auch er sieht nach wie vor große Herausforderungen: „Die Sammlung, Sortierung und Rückführung von Textilien in Recycling-Prozesse gestalten sich schwierig – dies hängt unter anderem mit Fast Fashion und der damit einhergehenden geringen Qualität der gesammelten Textilien zusammen.” Zudem seien die Möglichkeiten des Textil-Recyclings (noch) begrenzt.
Es gibt mittlerweile große Start-ups wie Renewcell, Circ oder die Infinited Fibre Company, die sich auf die Kommerzialisierung ihrer Textil-zu-Textil-Technologien vorbereiten. Damit sie jedoch die Nadel zum gesamten Ressourcenverbrauch der Mode bewegen können, müssen noch einige Lücken geschlossen werden. Die meisten Textilien, die heute als recycelt gelten, werden aus anderen Abfallströmen wie Plastikflaschen und Fischernetze hergestellt, bei denen es sich um keine Kreislaufmaterialien handelt.
Und obwohl heftig investiert wird, fehlt es an Unterstützung, die für eine schnelle Skalierung erforderlich ist. In den meisten Regionen mangelt es immer noch an einer qualitativ hochwertigen und effizienten Sortierung. Das liegt aber auch an der aktuellen Gesetzgebung und Wirtschaftspolitik, die Anreize für mehr Effizienz und Wiederverwendung schaffen könnten. „Wir sind aktuell noch lange nicht bei den Volumen, die es eigentlich braucht, um von einer wirklichen Kreislaufwirtschaft zu reden”, erklärt Sarah Maria Schmidt.
Die meisten Faser-zu-Faser-Recyclingtechnologien sind strengen Anforderungen an die Faserzusammensetzung und -reinheit unterlegen, Elastan ist beispielsweise für mehrere dieser Technologien problematisch. Lena Hoffmann von Bleed erklärt: „Oft gibt es in Sachen Kreislaufwirtschaft richtig coole Lösungen, manchmal wird man aber auch schnell desillusioniert. Seit Beginn des Jahres produzieren wir unsere Jeans-Kollektion mit dem biologisch abbaubaren ROICA V550 statt mit herkömmlichen Elastan, um den Stoff zu 100 Prozent biologisch abbaubar zu machen. Der Elastananteil unserer Jeans war für uns schon seit Langem ein Problem, für das wir aber bis dato keine funktionierende Lösung gefunden haben. Ganz auf Elastan zu verzichten war aufgrund der Schnitte leider keine Option.”
Zudem gibt es nach wie vor eine große Wissenslücke darüber, wer die Recycler sind, wie viele Mengen an Kleidung und welchen Reinheitsgrad sie brauchen. Sobald Unternehmen diese Werte kennen, können sie ihre Sortierung weiterentwickeln, um sicherzustellen, dass sie diese Art von Anforderungen erfüllen.
Eine andere große Herausforderung besteht darin, dass Recyclinganlagen teilweise sehr weit von der Quelle des Ausgangsmaterials entfernt sind, was zu erheblichen Emissionen durch den Ferntransport führt. Closed-Loop-Recycling wird sein vollstes Potenzial vermutlich erst ausschöpfen, wenn Produkte speziell für diesen Zweck entwickelt wurden, beispielsweise indem die einfachere Trennung von Materialien durch das Design ermöglicht wird.
Rücknahmeprogramme gestalten sich häufig schwierig
Rücknahmeprogramme, bei denen gebrauchte Kleidung und Schuhe gesammelt werden, um repariert, recycelt, gespendet oder weiterverkauft zu werden, werden oft für die Förderung der Kreislaufwirtschaft gelobt. Doch Unternehmen stehen auch hier vor Herausforderungen, da (Fair-) Fashion-Marken oft gar nicht das Mindestsoll erfüllen – die Rücknahmequote ist oftmals zu gering.
„Wir bieten unseren Kund*innen die Rücknahme sämtlicher Produkte an, um diese dem richtigen Kreislauf wieder zuführen zu können – schließlich kennen wir unsere Produkte am besten und wissen so, wie sie weiter genutzt werden können”, erklärt Hoffmann von Bleed. „Aber die Rücklaufquoten bei benutzten Produkten sind sehr gering. Trotzdem bieten wir den Service weiterhin an und sammeln erst einmal bei uns, bis wir auf eine angemessene Menge kommen, die wir zum Recycler schicken können.”
Wie können solche Probleme gelöst werden? „Kollaboration wären natürlich das Optimum. Wir waren und sind ständig mit anderen Marken im Kontakt, allerdings haben wir – besonders aktuell – die Erfahrung gemacht, dass im Kollektiv alles sehr viel länger dauert.” Grund dafür sind ihr zufolge zu viele verschiedene Eigeninteressen, die Zeitaufwendigkeit, sowie die Schwierigkeit gemeinsame Termine zu finden und Hauptverantwortliche für das eigentliche Projektmanagement.
Die Brand würde derzeit versuchen, intern ein funktionierendes System aufzubauen. „Wenn sich Labels diesem System anschließen möchten, umso besser.” Dazu sind mehrere Schritte geplant: Zunächst gilt es den Kontakt zu einem Recyclingbetrieb herzustellen und abzusprechen, welche Produkte wie gesammelt werden können und/oder müssen. Bleed plant zudem ein internes Sammelsystem und langfristig auch Sammelstellen bei Händler*innen zu etablieren.
Wir brauchen Digitalisierung, um kreislauffähige Prozesse zu optimieren
Materialforscherin Sarah Schmidt erklärt, es gäbe immer noch eine riesige Lücke an Material- und Textilwissen. Modeschaffende wüssten teilweise immer noch nicht, wie und wo ihre Ware hergestellt wird. Auch das erschwere den Rückfluss der Produkte in einen gesunden Kreislauf. „Es besteht also weiterhin ein großer Bedarf an Wissensvermittlung. Am Ende müssten Unternehmen, Sammlern, Sortierern und Recyclern die nötigen Informationen zur Verfügung stellen.”
Digitale Tools können diesen Prozess zum Beispiel vereinfachen. Digitale Produktpässe wie die Circularity ID sind digitale Informationsträger, die die Herstellungsgeschichte eines Produkts zusammenfassen und die wesentlichen Material- und Produktdaten auflisten. Solches IDs sollen allen beteiligten Akteur*innen – von der Herstellung über den Handel und die Produktnutzenden bis hin zu Reparatur-, Aufbereitungs- und Recyclingbetrieben – ermöglichen, die produktspezifischen Eigenschaften (wie Zusammensetzung, Funktions- und Betriebsweise, Reparatur- und Recyclinganweisungen oder Produktlebensdauer) zu finden und zu analysieren. Die Circularity ID soll so zirkuläre Geschäftsmodelle wie Weiterverkauf, Vermietung und Recycling am Ende der Lebensdauer erleichtern.
Reparaturen sind zeitintensiv, aber notwendig
Trotz der Zunahme von Recycling-, Wiederverkaufs- und Rücknahmeprogrammen wird Kleidung immer noch selten repariert. „Beim Reparieren geht es ja erstmal darum, die Langlebigkeit der Produkte zu fördern und da sehe ich große Schwierigkeiten für die Unternehmen, diesen Aspekt überhaupt mitzudenken und dann noch zu integrieren”, erklärt Sarah Schmidt. Das Reparieren von Kleidung ist kostspielig, zeitaufwendig und kann in großem Umfang logistisch schwierig sein.
Verbraucher*innen haben zudem oft unrealistische Erwartungen darüber, wie eine Reparatur aussehen oder wie lange sie dauern wird, während der Arbeitsaufwand je nachdem relativ intensiv sein kann, da Reparaturen per Definition kleidungsspezifisch sind. Interessanterweise sind Pflege und Reparaturen aber entscheidend, um andere Circular Business Models wie Vermietung und Wiederverkauf überhaupt möglich zu machen. Unternehmen können Produkte nicht weiter vermieten, ohne sie vorher zu reinigen oder (wenn sich zum Beispiel ein Knopf löst) zu reparieren.
Nachhaltige und zirkuläre Mode setzt eine Reparatur also voraus, um Produkte länger in Gebrauch zu halten, um zu verhindern, dass weitgehend intakte Kleidung verschwendet wird, und um die Notwendigkeit von Ersatzkäufen zu reduzieren. Die Nachhaltigkeitsbemühungen der Branche können ihr Potenzial also nicht voll ausschöpfen, solange die Branche nicht auch die Reparatur von Kleidung umfasst.
Laut einer Studie von The Renewal Workshop zum Thema Circular Fashion sind weniger als die Hälfte der durch Rücknahmeprogramme gesammelten Kleidungsstücke bereit für den Wiederverkauf. Wenn man ein Kleidungsstück aber repariert, erhöht sich diese Zahl von 46 Prozent auf 82 Prozent. Wiederverwenden, Neugestalten und Reparieren funktioniert aber nur dann, wenn es verfügbar und zugänglich ist. Die Reparatur, Reinigung, Farbauffrischung und Neubesohlung von Bekleidung und Schuhen muss zugleich von Marken, Einzelhändlern und Wiederverkaufsplattformen gefördert werden.
Der Luxuskonzern Kering ging diesbezüglich einen Schritt weiter und ist derzeit in Gesprächen mit einer Universität, um einen Ausbildungsplatz zu schaffen, der helfen könnte, Handwerker*innen mit den entsprechenden Fähigkeiten auszubilden, um den Reparaturdienst noch effizienter zu gestalten. Es ist dabei allerdings von entscheidender Bedeutung, dass Reparaturdienste in der gesamten Branche expandieren, nicht nur im Luxusbereich.
Marken, die Reparaturdienste erweitern möchten, müssen sowohl auf die Kund*innenerwartungen als auch auf die Lernkurve vorbereitet sein, die mit der Einführung eines Dienstes einhergeht, der sich so sehr von einem traditionellen Modegeschäft unterscheidet. Gleichzeitig sind Reparaturen auch eine Möglichkeit, um die Loyalität und das Engagement der Verbraucher zu erhöhen. Stichwort: Community-Building und -Pflege.
Am Ende gibt es keinen perfekten Reparaturansatz. Diese Erkenntnis erfordert, dass Reparaturunternehmen über einen Prozess verfügen, um zu entscheiden, wie mit verschiedenen Arten von Verschleiß oder Schäden umzugehen ist – und wie sie sich mit ihren Kund*innen über das Ergebnis austauschen. Nicht alle Kund*innen möchten, dass der Schaden auf die gleiche Weise behoben wird.
Produkte müssen letztlich auch für eine einfachere Reparatur entwickelt werden. Das Reparatur-Start-up Sojo aus UK bietet hier Unterstützung, da es im konstanten Austausch mit den Partnerunternehmen ist und während der Reparaturen Daten sammelt, die es an diese weitergibt. Welche Teile der Kleidungsstücke oder Schuhe müssen beispielsweise immer wieder ersetzt oder repariert werden? Anhand dieser Informationen soll die Produktion von Neuware verbessert werden.
Die Outdoor-Marke Vaude hat in den letzten Jahren einen eigenen Reparaturindex entwickelt. Je höher der Indexwert, desto schneller und einfacher kann das bewertete Produkt repariert werden. Neben einer hauseigenen Reparaturwerkstatt, in der unter anderem auch die Produkte für die iRentit-Plattform gepflegt, gewartet und repariert werden, kooperiert das Label mit der Onlineplattform iFixit, um Reparaturanleitungen, Ersatzteile und Pflegehinweise ihrer Produkte in die Welt zu tragen.
Die Kreislaufwirtschaft wird gesetzlich reguliert
Kreislauforientierte Geschäftsmodelle sollen in der EU zur Norm werden. Dies soll durch effizientes und ressourcenschonendes Produktdesign im Zuge einer erweiterten Ökodesign-Richtlinie geschehen, welche sich auf den gesamten Produktlebenszyklus auswirkt, indem das Produkt leichter repariert und am Ende recycelt werden kann. Es gibt bisher noch keinen zeitlichen Rahmen, aber erste Anhaltspunkte.
Speziell für den textilen Sektor wurde im März 2022 die EU-Textilstrategie vorgestellt, mit dem Ziel, die Textilindustrie in Europa (indirekt auch weltweit) nachhaltiger zu gestalten. Dafür sieht die EU-Textilstrategie ein Maßnahmenpaket vor, um eine innovative und resiliente Textilindustrie zu ermöglichen, welche langlebige, reparaturfähige und recycelbare Textilien sozial- und umweltverträglich herstellt. Auch hier gibt es noch keine verbindliche Timeline, aber einige grobe Anhaltspunkte findet ihr hier.
Doch: Unternehmen müssen auch ohne Regularien Verantwortung übernehmen. „Ich begrüße solche Regularien natürlich“, erklärt Sarah Schmidt. „Dadurch werden auch Konsumierende zusätzlich noch mal sensibilisiert. Letztlich wird es aber noch eine Weile dauern, bis diese Gesetze in Kraft treten und Wirkung zeigen. Wir müssen jetzt handeln, unabhängig von gesetzlichen Regulierungen, denn das Polyester-Shirt, was wir heute produzieren, wird es auch in 500 Jahren noch geben. Kein*e Designer*in wünscht sich, dass ihre Kreationen in 50 Jahren im Ozean schwimmen. Das ist aber ganz oft die Konsequenz eines kaputten Systems. Unternehmen müssen also jetzt schon vollste Verantwortung übernehmen, egal ob Gesetze erst geplant sind oder bald in Kraft treten.“
Europäische Union: Die Circular Business Hubs kommen
Besonders interessant: Die EU plant, sogenannte Circular Business Hubs aufzustellen. Quellen der EU-Kommission berichten uns, dass diese die Einführung von zirkulären Geschäftsmodellen unterstützen sowie Informationen und Dienste steuern sollen (einschließlich Sensibilisierung, Zusammenarbeit, Schulung und Austausch bewährter Verfahren). Es wird auf dem Fachwissen und dem Dienstleistungsangebot bestehender EU-Maßnahmen aufbauen, insbesondere der European Circular Economy Stakeholder Platform, dem Enterprise Europe Network (Sustainability Advisors) und dem Netzwerk europäischer Green-Tech-Cluster.
„Darüber hinaus wird die Kommission Leitlinien zur Förderung kreislauforientierter Geschäftsmodelle ausarbeiten, um Unternehmen, Mitgliedstaaten und Regionen beim Handeln zu unterstützen”, erklären Vertreter*innen der EU-Kommission auf unsere Nachfrage. Anreize und Unterstützungssysteme müssten variieren, von bestehenden Programmen wie dem Europäischen Innovations- und Technologieinstitut bis hin zu spezifischen Aufrufen im Rahmen von Horizont Europa, die erst gestartet werden sollen, sowie die Kofinanzierung von Projekten (einschließlich Partnerschaften) im Rahmen des LIFE-Programms. Auch der Europäische Fonds für regionale Entwicklung und InvestEU sowie Darlehen und Zuschüsse der Mitgliedstaaten im Rahmen der Recovery und Resilience Facility sind in diesem Zusammenhang interessant. Das Binnenmarktprogramm könnte ebenfalls mobilisiert werden, um kleinen und mittelständischen Unternehmen zu helfen. Zur Unterstützung der Digitalisierung steht das Programm „Digitales Europa“ zur Verfügung.
Wo geht die Reise denn nun hin?
„In Sachen Circular Economy muss mehr passieren, aber Kreislauffähigkeit muss bereits am Anfang gedacht werden, wenn das Produkt designt und entwickelt wird”, erklärt Hoffmann von Bleed. „Eigentlich sollten nur noch Produkte entwickelt werden dürfen, die nach ihrer angedachten Nutzung einfach wieder dem Kreislauf zugeführt werden können – sei es dadurch, dass sie in einzelne Bestandteile zerlegt werden können oder das Produkt recycelbar und/oder biologisch abbaubar ist. Das ist jetzt natürlich leichter gesagt als getan, aber da sehen wir ganz klar die Marken in der Verantwortung. Und da müssen auch wir uns an unsere eigene Nase fassen. Letztlich sollte dieses Wissen auch an den Hochschulen und in den Ausbildungsbetrieben noch viel häufiger auf der Agenda stehen.” Im deutschsprachigen Raum sind wir Hoffmanns Ansicht nach noch sehr weit davon entfernt, von einer wirklichen Circular Economy zu sprechen.
„Eine große Herausforderung ist aber ganz klar auch der Preisdruck. Die (Bio-) Baumwollpreise sind in den letzten Jahren explodiert. Viele Marken setzen auch deswegen immer noch auf Mischstoffe aus (Bio-) Baumwolle und (recyceltem) Polyester, weil es deutlich günstiger ist.” Diese Fasern könnten bisher aber nur sehr aufwendig wieder getrennt werden.
Ohne Degrowth keine Kreislaufwirtschaft
Trotz der Bemühungen einiger Akteure werden laut einem Bericht von McKinsey und Global Fashion Agenda immer noch 12 Prozent der Fasern in der Fabrik weggeworfen, 25 Prozent der Kleidungsstücke bleiben unverkauft und weniger als 1 Prozent der Produkte werden zu neuen Kleidungsstücken recycelt. Damit ein Kreislaufsystem Wirkung erzielen kann, müssen Logistik und Infrastruktur vorhanden sein, sowie langfristig ausgelegte Partnerschaften und ein konstanter Informationsfluss zwischen diesen Partnern. Vor allem aber: Wir müssen weniger produzieren. Eine Kreislaufwirtschaft, die nicht auf Suffizienz, beziehungsweise Degrowth ausgelegt ist, ist eben nur das – eine Wirtschaft, die statt auf Circular Fashion auf endlosen Konsum abzielt.
An dieser Stelle möchten wir uns bei unserer Contributorin Phoebe Nicette bedanken, die für uns die Gesetzgebung in der EU aufgeschlüsselt hat.