Am 23. September 2022 ist globaler Klimastreik. Hier findet ihr eine Übersicht aller Demos, die an dem Tag stattfinden.
In den letzten Jahrzehnten hat die Zahl der Unternehmen, die im Zuge der Globalisierung Produktionsschritte in den Globalen Süden verlagern, dramatisch zugenommen. Das liegt an vielen verschiedenen Faktoren, angefangen bei den geringeren Kosten für Arbeitskräfte und die Beschaffung von Materialien.
Doch schon längst sind das nicht mehr die einzigen Gründe für die Verlagerung der Produktion in andere Länder. Auch die immer höheren Umweltstandards im Globalen Norden können Unternehmen dazu bewegen, ihre gesamte Produktion oder einzelne Teile davon ins Ausland zu verlegen. Dort verursacht die Produktion unter Umständen erhebliche zusätzliche Emissionen und Verschmutzungen; allen voran Luftverschmutzung, Müll und Bodenerosion. Und damit haben wir ein globales Problem.
Outsourcing, also Auslagerung, ist den meisten bestimmt daher bekannt, dass Unternehmen Teile ihrer Produktion – meist aus Kostengründen – ins Ausland verlagern. In der Wirtschaft bedeutet Outsourcing die Abgabe von bisher intern erbrachten Leistungen an externe Dienstleister. Dabei kann es sich um Tochtergesellschaften oder unabhängige Unternehmen handeln.
Das Ziel des Outsourcings ist in der Regel, die Produktionskosten zu senken, um sich damit einen Wettbewerbsvorteil zu sichern, Preise für Kund*innen so gering wie möglich zu halten oder die Gewinne der Stakeholder (wie etwa Aktionär*innen und Investor*innen) zu erhöhen.
Ausgelagerte Emissionen fangen mit ausgelagerter Produktion an
Die Lieferketten sind teilweise sehr lang, komplex und über mehrere Länder hinweg verteilt. Die einzelnen Emissionen werden dem jeweiligen Produktionsschritt und demnach auch dem produzierenden Land zugeordnet. Dies gilt auch, wenn das Endprodukt nicht vor Ort konsumiert wird, sondern für den Export in andere Länder bestimmt ist.
Meistens werden nur einzelne Teile der Wertschöpfungskette eines Unternehmens ausgelagert, manchmal aber auch die gesamte Produktion. Versuchen wir das Ganze zu veranschaulichen: Nehmen wir an, das Design eines Kleidungsstückes findet im deutschen Sitz eines Unternehmens statt. Die verschiedenen Produktionsschritte sind aber in günstigere Standorte ausgelagert. So wird die Baumwolle in China angebaut, das Garn in Bangladesch gefärbt, die Knöpfe werden in der Türkei produziert und das ganze Kleidungsstück schließlich in Indien fertig genäht.
Das Endprodukt wird dann nach Deutschland ins Warenlager transportiert. Neben der Warenlagerung finden hier auch Vertrieb, Versand und Marketing des Produktes statt. Achtzig Prozent des Lagerbestandes werden in Deutschland verkauft, sechs Prozent gehen nach Österreich und der Rest wird europaweit angeboten. Retouren werden im deutschen Warenhaus bearbeitet.
In einer so komplexen internationalen Lieferkette werden bei der Berechnung der Emissionen aktuell meist nur die im eigenen Land ausgeführten Prozessschritte eingerechnet, obwohl das Produkt nicht einmal für den einheimischen Markt produziert wurde.
Outsourcing von Emissionen: Wie reduzieren wir damit unseren eigenen CO2-Fußabdruck?
In einer globalisierten Wirtschaft ist das Outsourcing von einzelnen Unternehmensaufgaben, beziehungsweise der gesamten Wertschöpfungskette, nichts Ungewöhnliches mehr. So sinnvoll wie die Auslagerung aus Kostengründen auch klingt, die damit verbundenen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sind oftmals schwer zu ermessen und verzerren die CO2-Bilanzen, insbesondere die des Globalen Nordens.
Was ist der Unterschied zwischen produktionsbasierten und konsumbasierten Emissionen?
Bei der genaueren Recherche zum Thema ausgelagerter Emissionen begegnet man schnell Begriffen wie „territorial emissions”, „production-based emissions”, „consumption-based emissions” oder auch „extraterritorial emissions”.
Produktionsbasierte Emissionen berechnen die Emissionen, die bei der einheimischen Produktion von Waren und Dienstleistungen entstehen, unabhängig davon, ob sie im Inland konsumiert oder exportiert werden.
Konsumbasierte Emissionsbilanzen verzeichnen die Emissionen, die durch den Konsum der Bevölkerung eines Landes entstehen, egal wo die Waren oder Dienstleistungen produziert werden.
Sehr vereinfacht gesagt, berechnen „territorial emissions” (oder produktionsbasierte Emissionen) nur den CO2-Ausstoß innerhalb der Grenzen eines Landes. Obwohl die Ware im Ausland für den deutschen Markt produziert wurde, wird Deutschland bei der Berechnung der „territorial emissions” keine der im Rahmen der Produktion entstandenen Emissionen angerechnet. Damit wird die CO2-Bilanz von Deutschland verzerrt.
Um die durch den Konsum entstandenen und indirekt zu Deutschland zugehörigen Emissionen (also „extraterritorial emissions”) einzubeziehen, werden die „consumption-based emissions” genutzt – also die Emissionen, die durch den Konsum der Bevölkerung eines Landes entstehen, unabhängig davon, wo die Waren oder Dienstleistungen produziert wurden. Die konsumbasierten Emissionen können die CO2-Bilanz eines Landes verringern oder erhöhen. Diese zu berechnen, kann helfen, die von den Ländern ausgelagerten Emissionen abzubilden.
Wie viel konsumbasierte beziehungsweise produktionsbasierte Emissionen produziert Deutschland?
Durch die Komplexität des Themas ist es schwierig, eine verlässliche Datenlage für die Berechnung der ausgelagerten Emissionen zu erhalten. Deswegen gibt es zwar viele Artikel in den Medien, aber eher wenige wissenschaftliche Publikationen mit konkreten Berechnungen. Einige wirklich aussagekräftige Zahlen sind trotzdem für einzelne Länder als auch für die weltweiten Handelsströme zu finden.
Forschende haben konsumbasierte und produktionsbasierte Emissionen der letzten Jahrzehnte miteinander verglichen. Sie gehen davon aus, dass die konsumbasierten Emissionen Deutschlands, trotz der hohen Exportquote, knapp 14 Prozent höher sind als die produktionsbasierten Emissionen.
Für die Europäische Union gilt zum Beispiel Folgendes: Anstatt einer Reduktion des CO2-Ausstoßes (z. B. durch erfolgreiche Klimaschutzmaßnahmen) hat eine CO2-Steigerung von über elf Prozent stattgefunden – und das durch die ausgelagerten Emissionen. Dies wurde durch die Berechnung der konsumbasierten Emissionen der letzten Jahrzehnte herausgefunden.
Für China als größten CO2-Emittenten der Welt wiederum gilt, dass die produktionsbasierten Emissionen auch in 2019 um zehn Prozent höher sind als die konsumbasierten Emissionen. Das heißt, Chinas CO2-Ausstoß wäre geringer, wenn es weniger für den Verkauf in andere Länder produzieren würde. Dennoch lässt sich auf den Grafiken ein Trend erkennen, der besagt, dass sowohl die produktions- als auch die konsumbasierten Emissionen für Deutschland gesunken und für China gestiegen sind. Dies ist jedoch keine allzu ungewöhnliche Entwicklung, da China (sehr vereinfacht gesagt!) noch als „Schwellenland” gilt und Deutschland als sogenannte „entwickelte” Volkswirtschaft.
Deswegen lenken Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und Journalist*innen immer mehr Aufmerksamkeit auf die konsumbasierte Berechnung der Treibhausgasemissionen einzelner Länder, damit der Globale Norden nicht weiterhin seine Emissionen outsourcen und sich für eingehaltene Klimaziele auf die Schulter klopfen kann.
Dieses Narrativ von China und Indien als größte Treibhausgasemittenten, welches zum Teil auf den ausgelagerten Emissionen beruht, ist viel zu kurz gedacht und zudem sehr gefährlich. Denn nur weil Emissionen nicht mehr in der Bilanz des eigenen Landes, sondern in der eines anderen Landes auftauchen, sorgt dies nicht für die dringend benötigten globalen Reduktionen der Treibhausgasemissionen. Die Klimakrise ist eine globale Krise und historisch von den Ländern des Globalen Nordens verursacht.
Lagern Firmen bevorzugt die „schmutzigeren” Teile der Lieferkette aus?
Bereits vor über einem Jahrzehnt konnte nachgewiesen werden, dass die Senkung der Emissionen der Länder des Globalen Nordens durch die erhöhten Emissionen der Importe derselben Länder teilweise oder gänzlich verhindert wird.
Um ihre ambitionierten Klimaziele zu erreichen, lagern manche Unternehmen die besonders CO2-intensiven Teile der Produktion aus. Dazu gehört allen voran die Stahl- und Zementproduktion, aber auch tierische Lebensmittel, die inzwischen überwiegend von Ländern des Globalen Nordens importiert werden. Davon profitieren nicht nur die Unternehmen, sondern auch die CO2-Bilanz des auslagernden Landes. Forschende bezeichnen dieses Verhalten als „carbon loophole”, also als CO2-Schlupfloch. Während Deutschland die eigenen Emissionen zwischen 1995 und 2015 senken konnte, wurden dessen ausgelagerte Emissionen allein nach China verdreifacht.
Die Nutzung des CO2-Schlupfloches kann bei vielen anderen Ländern und Unternehmen beobachtet werden: Denn während Deutschland immer weniger Stahl produziert, ist China inzwischen für den Großteil der Stahlproduktion verantwortlich und damit auch für den Großteil des Anteils von Stahl an den globalen CO2-Emissionen von zehn Prozent. Es lässt sich also sagen, dass die Emissionen für Unternehmen und Länder sinken, sobald sie ihre Produktion im Inland minimieren und ihre Importe erhöhen.
Die am Anfang des Artikels erwähnte überproportionale Steigerung der ausgelagerten Emissionen geschieht vor allem durch die niedrigeren Umweltstandards und überwiegend fossile Stromversorgung in anderen Ländern. So wird geschätzt, dass eine Tonne in China produzierter Stahl 23 Prozent mehr CO2 verursacht als dieselbe in den USA oder in Deutschland produzierte Menge. Dies liegt unter anderem am Strommix in China, wo weiterhin neue Kohlekraftwerke eröffnet werden.
Eine weitere bedenkliche Entwicklung: Die vom Globalen Norden ausgelagerten Emissionen gehen zwar zurück, doch die Auslagerung der CO2-Emissionen von Entwicklungsländern an andere Entwicklungsländer steigt stetig. So outsourct zum Beispiel China an Länder auf dem afrikanischen Kontinent. Dies lässt sich durch die ökonomischen Vorteile erklären, denn China achtet inzwischen auch auf seine Emissionen und möchte bis 2060 klimaneutral werden.
Jedoch treffen die sehr emissions- und arbeitsintensiven Industrien erneut auf eine nicht gut ausgebaute Versorgung mit erneuerbaren Energien und teilweise noch geringeren Umweltstandards. Es ist ebenfalls sehr naheliegend, dass Länder ihre Umweltstandards bewusst nicht anheben oder gar senken, um so das wirtschaftliche Wachstum nicht zu gefährden. So sorgt unter anderem auch Brasilien durch die kontinuierliche Absenkung von Umweltstandards zur „Wirtschaftsförderung”, unter anderem für die kontinuierliche Abholzung des Regenwaldes.
Die ausgelagerten Emissionen der Modeindustrie sind sehr schwer zu berechnen
Die Berechnungen der konsumbasierten Emissionen gestalten sich für eine lange und länderübergreifende Lieferkette wie die der Textil- und Bekleidungsindustrie besonders schwierig.
Es lässt sich jedoch sagen, dass, ähnlich wie in der Stahl- und Zementindustrie, auch in der Modeindustrie Fabriken noch viel zu selten mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Zudem werden Felder in der Baumwollproduktion weiterhin ineffizient bewirtschaftet. Umwelt- oder Sozialstandards in einigen Produktionsländern werden bewusst niedrig gehalten, um damit attraktiv für Unternehmen zu wirken.
Nicht nur die Produktion, teilweise die gesamte Lieferkette von Modeunternehmen wird heutzutage outgesourct. Von den geringeren Lohnniveaus in Entwicklungsländern und dem Outsourcing von Emissionen profitieren vor allem Fast-Fashion-Unternehmen. Sie produzieren eine besonders große Masse und Varianz an Kleidung, die sie später günstig verkaufen können, ohne die entstandenen Schäden für Umwelt, Mensch und Klima tragen zu müssen. Denn wie die Unternehmen sitzen ihre Konsument*innen auch nicht in den Produktionsländern und bekommen von den Müllbergen, verschmutzten Flüssen, erodierten Böden und dem menschlichen Leid nichts mit.
Doch auch Fair-Fashion-Unternehmen profitieren von den generell niedrigeren Lohnniveaus und unter Umständen auch geringeren Umweltstandards, da auch sie ihre Produktion teilweise oder vollständig outgesourct haben. Dennoch arbeiten vor allem Fair-Fashion-Labels häufig mit zertifizierten Fabriken zusammen, wodurch die Einhaltung gewisser Sozial- und Umweltstandards oft gewährleistet werden kann.
Was ist zu tun?
Es muss eine schnelle Lösung für das kontinuierliche Auslagern von Emissionen in Ländern mit niedrigeren Umweltstandards bzw. zur alleinigen Verbesserung der eigenen Emissionsbilanzen geben. Hier gibt es bereits verschiedene Ideen, welche auf Gesetzen oder Steuern beruhen.
So gilt in der Europäischen Union ab 2023 für besonders von ausgelagerten Emissionen betroffenen Industrien wie Eisen und Stahl, Zement, Düngemittel, Aluminium und die Stromerzeugung ein „carbon border adjustment mechanism”, zu Deutsch: CO2-Grenzausgleichssystem. Dies soll dafür sorgen, dass Produkte, die nicht in der EU produziert wurden, zu denselben Produktionskosten in der EU verkauft werden, wie wenn diese hierzulande hergestellt worden wären.
Etwas Ähnliches wurde bereits 2019 in Kalifornien eingeführt. Der „Buy Clean California Act” verlangt von Auftragnehmern, die Angebote für Infrastrukturprojekte abgeben, Daten zu Treibhausgasemissionen für bestimmte Materialien offenzulegen (z.B. Stahl und Glas). Diese Offenlegungen, die sogenannten Environmental Product Declarations, ermöglichen es staatlichen Einkäufern, den Kohlenstoff von Materialien zu berücksichtigen. Damit versuchen sie Hersteller zu beeinflussen, Emissionen zu reduzieren.
Dennoch lässt sich diese örtlich begrenzte Art der Besteuerung durchaus kritisieren. Durch den europäischen „carbon border adjustment mechanism” oder den „Buy Clean California Act” sollen Unternehmen dazu gebracht werden, ihre Treibhausgasemissionen zu berechnen und bestenfalls zu senken, wenn sie weiterhin Ware in der EU beziehungsweise Kalifornien verkaufen wollen. Doch durch solche Verordnungen und Gesetze grenzen sich aktuell vor allem die Länder des Globalen Nordens ab, die mit dem Auslagern von Emissionen in andere Teile der Welt begonnen haben. Da erscheint es am fairsten und sinnvollsten, wenn eine global gültige CO2-Steuer eingeführt werden würde. Doch auch dies scheint eher unwahrscheinlich, angesichts der bereits in einigen Teilen der Welt etablierten Emissionshandelssysteme, wie etwa das in der Europäischen Union.
Während dieser Artikel sich auf das komplexe Thema der ausgelagerten Emissionen fokussiert, geht Outsourcing nicht zuletzt meist mit der Auslagerung aufgrund geringerer Personalkosten einher. Wenn wir also dem massiven Problem der ausgelagerten Emissionen entgegentreten wollen, müssen wir uns gleichzeitig mit der strukturellen Benachteiligung ganzer Regionen beschäftigen. Denn davon profitiert das Outsourcing. Wir sehen also: Die Situation ist sehr komplex. Das Problem ist demnach erkannt, aber an einer fairen Lösung für alle muss noch gearbeitet werden.
Generell sollte bei diesem Thema wieder die Wichtigkeit von Klimagerechtigkeit sichtbar werden, also der Akzeptanz des Verursacherprinzips des menschengemachten Klimawandels. Denn die Länder, die bisher den Großteil der Treibhausgasemissionen emittiert haben, sollten nicht doppelt von den ausgelagerten Emissionen profitieren. Einmal durch das Lob für eingesparte Emissionen und dann auch noch für den weiteren Erwerb günstiger Produkte, die unter schlechteren Sozial- und Umweltschutzbedingungen hergestellt wurden.
Titelbild: Susan Wilkinson / Unsplash