Die Modebranche muss weniger produzieren – aber wie?  

Es vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht mindestens ein Modeunternehmen für ambitionierte (und freiwillige) Klimaverpflichtungen ausspricht. Doch von einer umweltfreundlicheren Industrie lässt sich aktuell dennoch kaum sprechen. Im Gegenteil: Es wurde niemals zuvor so viel produziert und konsumiert wie heute.

Die Modebranche muss weniger produzieren – aber wie?

Show me the money!

Eine neue Studie der NGO Stand.earth zeigt, dass die CO2-Emissionen in der Textil- und Bekleidungsindustrie dieses Jahr höher waren als jemals zuvor – trotz der sehr öffentlichen Zusagen und Versprechungen von Modeunternehmen, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Der Modekonsum-Boom hält an. Davon profitiert insbesondere die Ultra-Fast-Fashion-Branche, in der viele Marken ausschließlich auf E-Commerce setzen und somit einen Vorteil gegenüber stationären Modeketten haben, die während der Corona-Pandemie ihre Läden vorübergehend schließen mussten. So zählte die Boohoo Group im Jahr 2021 18 Millionen Kund*innen, also mehr als doppelt so viel wie 2020, und verzeichnete 2022 einen Umsatzanstieg von 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der britische Online-Modehändler Asos steigerte seinen Umsatz im Jahr 2021 um 20 Prozent.

Höher, schneller, weiter – die Entwicklungen der Modebranche in Zahlen
  • Laut der Ellen McArthur Foundation werden alle fünf Minuten etwa eine Million neue Kleidungsstücke hergestellt 
  • Laut Greenpeace soll der Umsatz von Bekleidung bis 2025 auf 2,1 Billionen US-Dollar steigen 
  • Laut BTE erreichte der Onlinehandel in Deutschland im Jahr 2021 einen Marktanteil von 33 Prozent und verzeichnete damit eine Umsatzsteigerung von fast ein Viertel auf rund 21 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr 

Ultra-Fast-Fashion und TikTok: wie Shein und Co der Generation Z das Geld aus der Tasche ziehen

Ultra-Fast-Fashion-Unternehmen sprechen gezielt junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahre an, die es durch Social Media gewohnt sind, ständig neue Informationen und Trends zu konsumieren. So zählen TikTok-Haul-Videos unter dem Hashtag #sheinhaul 4,7 Milliarden Aufrufe. Die meisten Videos zeigen junge Menschen, die in ihren Kinderzimmern sitzend ihre Shein-Ausbeute präsentieren, für die sie teilweise mehrere hunderte Euro ausgeben. Im Online-Shop wird aufdringlich mit Staffelrabatten geworben. Kein Wunder, dass der Warenkorb am Ende einer Shopping-Tour überläuft und trotz Rabattaktionen mehrere hunderte Euro auf Sheins Geschäftskonto wandern.

Schnell erklärt: Ultra-Fast-Fashion

Ultra-Fast-Fashion ist eine Steigerungsform von Fast Fashion: Durch den Fokus auf das Online-Geschäft, verkürzte Lieferketten und einer verkürzten Produktionsdauer von zwei bis vier Wochen von Design bis Handel können Ultra-Fast-Fashion-Onlinehändler schneller auf Trends reagieren. Laut Spiegel landen bei Asos wöchentlich bis zu 4.500 neue Teile im Online-Shop. Britische Online-Retailer wie die Boohoo Group, zu der die Modemarken „boohoo“, „PrettyLittleThing“ und „Nasty Gal“ gehören, setzen zudem auf eine lokale Produktion im britischen Leicester. Damit entfallen mitunter lange Transportwege. Die Arbeitsbedingungen sind katastrophal: Medienberichten zufolge zahlt Boohoo seinen Näher*innen weniger als die Hälfte des britischen Mindestlohns. Beim chinesischen Ultra-Fast-Fashion-Unternehmen Shein zählt eine Arbeitswoche bis zu 75 Wochenstunden, Arbeiter*innen haben einen Urlaubstag im Monat und werden pro genähtem Kleidungsstück bezahlt, berichtet die NGO Public Eye.

Die Folgen von Überproduktion und Überkonsum

Wie viel einzelne Marken genau produzieren, bleibt oft ein Betriebsgeheimnis. Laut dem Fashion Revolution Transparency Index veröffentlichen nur 15 Prozent der von Fashion Revolution analysierten Marken ihre Warenmenge. Woraus die meisten Unternehmen kein Geheimnis machen, sind ihre Umsatzziele. So will H&M bis 2030 seinen Umsatz im Vergleich zu 2020 verdoppeln. Dafür sollen unter anderem neue Märkte erschlossen und E-Commerce ausgebaut werden.

Mit schnell wechselnden Trends, wettbewerbsfähigen Preisen im (Ultra-)Fast-Fashion-Segment, dem zunehmenden Einfluss von Influencer*innen-Marketing und steigenden Umsatzzahlen im E-Commerce stehen die Zeichen der Zeit alles andere als auf Suffizienz, mit fatalen Auswirkungen auf das Klima.

Überproduktion & Klima
  • In Deutschland landen je nach Studie jedes Jahr zwischen 1,1 und 1,3 Millionen Tonnen Kleidung im Jahr in Altkleidercontainern oder Straßensammlungen
  • Jedes Jahr werden in Deutschland 230 Millionen neuwertige Kleidungsstücke geschreddert
    – 2020 beliefen sich die Retouren in Deutschland nach Angaben der Universität Bamberg auf 315 Millionen Pakete. Jede zweite Rücksendung sind Schuhe und Kleidungsstücke. 
  • Der Anteil der Textil- und Bekleidungsindustrie an den weltweiten CO2-Emissionen liegt je nach Studie zwischen drei und zehn Prozent.
  • Bei der bisherigen Wachstumsrate, sollen die Emissionen der Modebranche bis 2030 auf rund 2,7 Milliarden Tonnen pro Jahr steigen. Um das Pariser Klimaziel von 1,5 Grad zu erreichen, darf die Modeindustrie nicht mehr als etwa 1,1 Milliarden Tonnen CO2 verbrauchen.

Zeit für Lösungen: vom Mode- zum Dienstleistungsunternehmen

Um eine Zeitenwende einzuläuten, müssen sich Brands zukünftig als Dienstleistungsunternehmen verstehen, schreibt Greenpeace im Report „Detox Modemärchen“. Unternehmen sollten demnach Konzepte entwickeln und Dienstleistungen anbieten, die ihre Warenströme entschleunigen. Als Lösungen nennt Greenpeace hierfür neben langlebigem Design und einer verlängerbaren Produktlebensdauer, die Mehrfachverwendung von Produkten, z.B. durch Secondhand, Verleih oder Sharing. 

Impact-Check: Recycling
  • Der Recycling-Anteil in der Modebranche liegt derzeit bei unter einem Prozent.
  • Der Großteil der gespendeten Kleidung besteht aus Mischfasern und ist somit nicht recycelfähig.
  • Recycling ist nur dann kreislauffähig, wenn Modehändler und -brands (bevorzugt markenübergreifende) Rücknahmesysteme anbieten, damit Kleidung in den richtigen Sortier- und Recyclinganlagen landet.
  • Laut Greenpeace gibt von 29 überprüften Modeunternehmen die Hälfte an, Rücknahmesysteme zu haben. Daten zum Recyclinganteil und über die eingesammelten Mengen im Vergleich zur Gesamtverkaufsmenge gibt es nicht.

Ansätze zur Entschleunigung der Warenströme: von Secondhand bis Reparatur

Viele Modebrands beschreiten inzwischen verschiedene Wege hin zu einer ressourceneffizienten Modeindustrie – auch abseits vom viel beworbenen, aber noch wenig effektiven Recycling. So bietet Nudie Jeans beim Kauf einer Jeans eine lebenslange Garantie für kostenfreie Reparaturen. 2019 hat das schwedische Denim-Label nach eigener Aussage 63.281 Jeans repariert. Zudem hat Nudie Jeans ein Re-use-System für Jeans implementiert: Hier werden ausrangierte, aber gut erhaltene Jeans über das hauseigene Rücknahmesystem gesammelt, per Hand aufbereitet und dann in Drops von 100 bis 250 Stück weiterverkauft. 

Das deutsche Outdoor-Brand Vaude bietet eine Vielzahl an Maßnahmen zur Entschleunigung seiner Warenströme, wie Verleih, Secondhand, Upcycling oder Reparatur-Services.
Auch viele konventionelle Unternehmen, wie H&M und Zalando, investieren in eigene Secondhandshops – ein aufwändiges Unterfangen, das sich besonders bei Fast Fashion aufgrund der minderwertigen Qualität und niedrigen Preise nur als indirekt profitabel gestaltet: Das Angebot wirkt sich positiv auf andere Marktsegmente aus und stärkt Markenprofil und Kund*innenbindung. 

Außerdem auf Fashion Changers
Downcycling – Ende in Sicht

Politische Entwicklungen in Deutschland und auf EU-Ebene

Politische Ansätze zielen insbesondere auf die Langlebigkeit von Produkten ab, beispielsweise durch eine ergänzende Obhutspflicht im deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetz. Diese sieht die Erhaltung der Gebrauchstauglichkeit vor und soll eine Produktvernichtung von Retouren, Neuwaren oder Warenüberhängen verhindern. Allerdings ist die Obhutspflicht bislang nur eine „latente Grundpflicht“, da noch zu klären ist, wer die Produktverantwortung erfüllt. Ohne einen konkreten Rechtsrahmen besteht für Unternehmen keine Verhaltenspflicht. Dafür werden bereits seit zwei Jahren sogenannte Transparenzdialoge mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden geführt. 

Mehr Hoffnung macht die Strategie für nachhaltige Textilien auf EU-Ebene, die einen Paradigmenwechsel in der Modebranche bedeuten könnte. Ziel ist es, bei einem Übergang zu einer klimaneutralen und kreislauforientierten Wirtschaft zu fördern, indem etwa Textilien kreislauffähig designt werden sowie besser wiederverwendbar und reparierbar sind. Die Strategie wurde Ende März 2022 vorgestellt.

Natürlich müssen wir uns fragen, wann Modekonsum über unsere Grundbedürfnisse hinausgeht. Gleichzeitig sollte uns mit Blick auf die letzten Jahrzehnte der freien Marktwirtschaft klar sein, dass das Narrativ vom Einfluss des Individualkonsums ein kapitalistisches Ablenkungsmanöver ist. Genau deshalb ist es so wichtig, dass wir als Bürger*innen Politik und Wirtschaft an ihre Verantwortung erinnern. Eine Zeitenwende wird nur kommen, wenn Unternehmen ihre Produktion dauerhaft verringern und effizient im Sinne einer ökologischen Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit wirtschaften. Dass (Ultra-)Fast-Fashion-Unternehmen ihrer Verantwortung ohne Obergrenzen für Ressourcen- und Energieverbrauch und gesetzlich geregelten Wachstumsgrenzen nachkommen werden, ist dabei mehr als fraglich. Die Uhr tickt.

Dieser Artikel erschien erstmals auf Englisch im Green Knowledge Magazin (Ausgabe: Juni 2022). Für das Fashion Changers Magazin wurde der Original-Artikel an einigen Stellen überarbeitet. 

Titelbild: Noah Buscher via Unsplash

Über Nina Lorenzen
Nina beschäftigt sich seit 2013 mit Fair Fashion & Nachhaltigkeit. Beruflich verschlug es sie nach ihrem Studium der Literaturwissenschaft zunächst in den Literaturbetrieb, wo Nina Übersetzungs- und Verfilmungsrechte verkaufte, bevor sie 2018 Fashion Changers mitgründete. Heute liest Nina Bücher nur noch for fun und findet es immer noch komisch, das gemeinsam geschriebene Buch im Regal zu sehen. Neben Fashion Changers versucht Nina seit Jahren erfolglos ihr unnützes popkulturelles Wissen zu monetarisieren.

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