Upcycling als kulturelle Praxis – Wie der Sozialunternehmer Yayra Agbofah mit Kreativität gegen Textilmüll vorgeht

Circa 40.000 Tonnen Kleidung landen jährlich in Kantamanto – dem größten Secondhandmarkt in Ghana und Westafrika mit rund 30.000 Händler*innen. Etwa 50 Prozent der Kleidung landen jedoch am Ende auf Deponien. Wir haben mit Yayra Agbofah gesprochen, der in seiner Heimat Ghana die Art und Weise verändern will, wie wir mit Textilmüll umgehen.

Yayra-Agbofah Kantamanto Ghana, eine Textilsortierung.

In Ghana gibt es keine H&M- oder Zara-Fabriken, erklärt Yayra Agbofah, und doch landet die Kleidung beider  Fast-Fashion-Anbieter auf ghanaischen Deponien und in lokalen Flüssen. Zunehmend frustriert und wütend gründete Agbofah 2018 die gemeinnützige Organisation The Revival, um auf das Problem des Textilmülls aufmerksam zu machen, Altkleidung aufzuwerten und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Im Interview erklärt der Sozialunternehmer, vor welchen Herausforderungen er und seine Gemeinschaft stehen, warum Bildung das A und O seiner Mission ist und wie wir kollektiv – und kreativ – gegen Textilmüll vorgehen können.

Die Kleidung, die du upcycelst, findest du in Ghana. Wie hat das angefangen?

Seit 16 Jahren sammle ich Vintagekleidung auf dem Markt in Kantamanto, aber im Laufe der Jahre gab es hier immer weniger Vintage und stattdessen immer mehr Fast Fashion. Außerdem wurde zunehmend warme Kleidung wie Lederjacken oder Wintermäntel importiert. Das hat mein Geschäft beeinflusst. Also fing ich an, die Kleidung vom Secondhandmarkt zu upcyceln und neu zu designen, damit sie in Ghana wieder getragen werden kann. Schon als Kind mochte ich es, aus bereits vorhandenen Dingen Neues zu schaffen. Wenn man Kleidung ein neues Leben verleiht, wird sie wertvoller.

Und so entstand deine gemeinnützige Organisation The Revival.

Genau. Ich habe ein Team zusammengestellt, das mir hilft, auf kreative Art und Weise gegen Textilmüll vorzugehen. Wir fangen die Textilabfälle ab, bevor sie überhaupt erst auf die Deponie gelangen.

© PR, The Revival/Yayra Agbofah

Um auf das Problem aufmerksam zu machen, nutzen wir soziale Medien und kooperieren auch mit Hochschulen. In der Vergangenheit habe ich beispielsweise Gastvorträge an dem Central Saint Martin und Royal College of Art in London gehalten. Das Problem muss an der Wurzel – also bereits in der Beschaffungsphase und dem Designprozess – gepackt werden und die Studierenden dort sind die nächste Generation an Modedesigner*innen. Sie sind es, die es besser machen können. 

Überhaupt ist Bildung das Wichtigste. Deshalb habe ich auch einen Online-Kurs in Zusammenarbeit mit einer gemeinnützigen Bildungsorganisation namens The Hopenclass entwickelt. In dem Kurs klären wir über die globalen Konsequenzen von Textilmüll auf und sprechen über Upcycling als Lösung für dieses Problem.

Ihr beschreibt The Revival als community-basierte Organisation. Was bedeutet das?

Veränderung kann nur passieren, wenn wir alle zusammenarbeiten. Mein Ziel ist es, eine Beziehung zwischen Konsumierenden und Marken aufzubauen. Die Menschen verstehen nicht, wie viel Arbeit in einem einzelnen Kleidungsstück steckt. Es ist wichtig, sie in den Produktionsprozess einzubinden, damit sie wertschätzen, was sie kaufen und so länger tragen. Anhand von Upcycling lernen sie mehr über die Produktion.

Du setzt dich dafür ein, dass Upcycling zu einer Art kulturellen Praxis wird. Kannst du uns mehr darüber erzählen?

Das Problem ist, dass Upcycling für Menschen in Ghana beziehungsweise Westafrika nicht besonders attraktiv ist. Ich setze mich daher für einen kulturellen Wandel ein: Upcycling muss Teil der Kultur werden, damit es beliebter wird – und eines Tages Mainstream. Wir machen Upcycling trendy!

Mit The Revival bieten wir zum Beispiel auch Workshops an, sowohl für die breite Masse als auch für Händler*innen in Kantamanto. Sie beschweren sich schon seit Jahren über die zunehmend schlechte Qualität der Kleidung, die niemand mehr kaufen will. Das bringt enorme Verluste mit sich. Bei uns lernen sie, wie sie Kleidung reparieren oder auf verschiedene Art und Weise upcyceln. Dadurch soll weniger Kleidung weggeworfen werden. Außerdem wollen wir erreichen, dass die Händler*innen so mehr verkaufen, damit sie hoffentlich keine Schulden mehr machen, sondern endlich wieder ihrem Geschäft nachgehen und Gewinne erzielen können. 

Recommerce boomt

Der Recommerce-Markt boomt. Wenn es nach der Vogue France geht, ist Secondhand sogar die „Zukunft der Mode”. Und der Markt wird in den kommenden Jahren noch weiter wachsen. Neben klassischen Resale-Plattformen wie Vestiaire Collective, Depop oder Vinted springen jetzt auch immer mehr Modemarken und Einzelhändler an Bord und entdecken den Secondhandmarkt für sich.

So verkaufen auch Zalando und About You mittlerweile Secondhandmode. Denim-Labels wie Levi’s und Diesel starteten sogar eigene Rückkaufprogramme, bei denen Jeans gesammelt, wiederaufbereitet und anschließend weiterverkauft werden. Holistische Nachhaltigkeitsstrategie oder doch nur Teil einer clever verpackten Marketingstrategie, mit der Unternehmen ein zweites oder gar drittes Mal am Produkt verdienen? Es bleibt abzuwarten. Auch Fair Fashion Labels wie Jan ‘n June und Dariadéh bieten mittlerweile Secondhandkleidung zum Wiederverkauf an.

Laut einer Studie von KPMG und dem Kölner Handelsforschungsinstitut EHI kaufen bereits ein Drittel der Befragten gebrauchte Kleidung. Weitere 28 Prozent können es sich vorstellen. Schätzungen zufolge soll der Recommerce-Markt in den nächsten fünf Jahren um 15 bis 20 Prozent jährlich wachsen.

Was sind die Herausforderungen beim Upcycling?

Die zunehmend schlechte Qualität der Kleidung. Sie macht es teilweise unmöglich, daraus etwas Neues zu kreieren.

Upcycling von synthetischen Materialien wird manchmal kritisiert, weil es das Mikroplastik-Problem nicht löst. Wie siehst du das?

Das stimmt und ich gebe den Kritiker*innen recht, allerdings wurde die Kleidung bereits produziert. Wir upcyceln einerseits, andererseits setzen wir uns aber auch für den Wandel in der Textilbranche ein, damit synthetische Materialien gar nicht mehr hergestellt werden. So planen wir zum Beispiel Kampagnen, die gezielt auf die hohen negativen Auswirkungen der Herstellung und Verwendung von Kunststoffen sowohl auf die Umwelt als auch auf das Klima hinweisen. Am Ende muss Kleidung so designt werden, dass Upcycling erleichtert wird – und das ist aktuell nicht der Fall.

Viele Brands starten ihre eigenen Secondhandplattformen. Beeinflusst das den Markt in Kantamanto?

Die Kleidung gelangt auf verschiedene Wege nach Ghana: durch Einzelpersonen, Wohltätigkeitsorganisationen und Einzelhändler*innen. Wenn Brands nun selbst anfangen, Secondhand zu verkaufen, wird trotzdem weiterhin Kleidung nach Ghana importiert. Wir können den Secondhandmarkt in Kantamanto nur beeinflussen, indem wir weniger produzieren und weniger konsumieren. 

Wie siehst du die Zukunft des Upcyclings?

Was wir tragen, wird heute oft von Creative Directors, Designern, Trends und Influencer*innen bestimmt. Aber Mode ist eine Form des Ausdrucks und der Identität. Es zeigt, wer du wirklich bist, spiegelt deine eigene Kultur wider. Das Schöne an der Kreativität ist doch, dass sie keine Grenzen und keine Normen kennt. Das Gleiche gilt fürs Upcycling: Wir können mit bereits vorhandenen Materialien experimentieren und Erstaunliches erschaffen. Ich sehe Upcycling als Plattform, um sich selbst auszudrücken. Und so kommen wir auch wieder zurück auf Upcycling als kulturelle Praxis: Kleidung selbst aufzuwerten, fördert bewussten Konsum und je mehr Menschen dies tun, desto größer ist das Potenzial, dass daraus eine richtige Bewegung entsteht.

Danke für das spannende Gespräch, Yayra.

 

Das Titel-Foto zeigt Kantamanto – den größten Secondhandmarkt in Ghana. © PR, The Revival/Yayra Agbofah

Über Yayra Agbofah

Yayra Agbofah ist kreativer Social Entrepreneur und Fürsprecher für bewussten Konsum in Ghana. Er hat The Revival gegründet, eine community-basierte Non-Profit-Organisation, die Bewusstsein schafft, aufklärt und Textilmüll aus dem Globalen Norden upcycelt. Der Fokus: Upcycling als kulturelle und innovative Praxis weltweit zu etablieren, um mit Textilmüll umzugehen.

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