„Social Washing ist eine Gefahr für die Brands, die es ernst meinen”

Salma Akli-Bichowski ist bei der Fashion Changers Konferenz im Oktober Speakerin zu Social Washing und Klassismus. Hier teilt sie Insights aus ihrer Arbeit als Referentin und Beraterin zu CSR, Ethik und Circular Economy.

Salma Akli-Bichowski trägt ein helles Oberteil mit Kragen und schaut in die Kamera. Auf der Fashion Changers Konferenz spricht sie zu Social Washing.

Sei dabei bei Salma Akli-Bichowskis Vortrag zum Thema Social Washing auf der Fashion Changers Konferenz 2023.
Mehr Infos findest du hier.

Die Vereinbarkeit von Anspruch und Werten mit wirtschaftlichen und juristischen Anforderungen ist ein Kernthema in der Arbeit von Salma Akli-Bichowski. Um Menschen zu erreichen, nutzt sie als Stylistin Outfits und Bilder, als CSR-Beraterin Argumente. Sie sieht sich dabei als Vermittlerin: Wie lässt sich mit Empathie denjenigen begegnen, die für Nachhaltigkeitsthemen noch nicht empfänglich sind oder ihr Unternehmen nach maximalem Profit ausrichten? Im Interview mit Saskia Bellem erklärt Salma, was Social Washing ist, wo Unternehmen bei ihren nachhaltigen Bemühungen ansetzen sollten und welche Gefahr vom Black Friday ausgeht.

Salma, Greenwashing ist mittlerweile ein bekannter Begriff, wenn Unternehmen für sich oder ein Produkt mit nicht haltbaren Nachhaltigkeitsversprechen werben. Bei Social Washing schmücken sich Unternehmen mit Fairness. Wo liegt hier die Herausforderung, auch in deiner Arbeit als Beraterin?

Salma Akli-Bichowski:Konzepte zu Corporate Social Responsibility beschäftigen sich mit Gesetzen und Richtlinien, in erster Linie aber mit der Kommunikation von unternehmerischer Aktivität: Wie können Unternehmen ihre Bemühungen im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit nach außen tragen? Es geht darum, glaubwürdig und ehrlich über Lösungen und Herausforderungen zu kommunizieren.

Hier mahne ich zu sorgfältigem Wording: Kommuniziert keine überheblichen Ziele als erreicht. Sagt lieber, dass ihr euch gerade auf den Weg macht und was euch wichtig ist. Wollt ihr nur laut für euer Unternehmen trommeln oder die Menschen auf die Reise mitnehmen? Denn CSR ist immer eine Reise. Es gibt kein Unternehmen, das zu 100 Prozent alles richtig oder komplett transparent kommuniziert. Viele sogar haben Angst, dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit zu schwächen. Dabei ist niemand perfekt, auch nicht bei der sozialen Teilhabe.”

Was ist Social Washing?

Social Washing ist eine Strategie, die Unternehmen anwenden, um sich selbst und ihre Bemühungen im Bereich der unternehmerischen Verantwortung (also der sozialen Nachhaltigkeit) besser darzustellen.

Unternehmen bedienen sich dafür öffentlichkeitswirksamer Maßnahmen wie Spenden an gemeinnützige Organisationen, diversen Fotomodels oder Antidiskriminierungsstatements, um ihren negativen sozialen Impact zu verschleiern. Doch vielen Unternehmen geht es dabei nicht wirklich um Diversität, sondern darum, lediglich eine Mindestanforderung am Markt zu erfüllen. Schmücken sich Unternehmen nach außen hin mit ihren Diversity-Strategien, ohne diese diverse Selbstdarstellung nach innen zu reflektieren, spricht man von Social Washing. (Quellen: ESG Report, Focus Praxistipps, Utopia)

Was rätst du den Unternehmen, die dich als Beraterin buchen?

Textilunternehmen warne ich: Es geht vielen wie euch, bitte springt nicht auf den Fast-Fashion-Zug auf und werft mit großen Parolen um euch. Stellt die Lage so ehrlich wie möglich dar, seid mutig und berichtet über eure Herausforderungen in der Lieferkette! Wir befinden uns doch alle in einem konstanten Lernprozess.

Im Unternehmen muss daher erst die Sensibilisierung für soziale Nachhaltigkeit erfolgen, dann die Betrachtung der Lieferketten und zuletzt der Prüfungsprozess. Die Unternehmen sollen verstehen, dass es bei Arbeitsrechten auch um sie selbst geht: Prüft zuerst kritisch, ob ihr die Nachhaltigkeitsslogans lebt, die ihr euch auf die Fahnen schreiben wollt. Unternehmen rate ich deshalb: Schaut zuerst kritisch auf euch selbst! Sonst drohen Shitstorms, wie wir sie in den vergangenen Jahren bei einigen Start-ups und Influencer*innen gesehen haben. Da konnte die Werbung mit Meeresplastik oder fairen Masken den investigativen Recherchen nicht standhalten. Ein solcher Bruch zwischen Versprechen und Realität kann enorm geschäfts- und rufschädigend sein.”

Was ist die Konsequenz von Social Washing?

Im November 2022 erlebten wir rund um den Black Friday eine enorme Insolvenzwelle von Fair Fashion Brands. Das zeigt unter anderem, wie extrem gefährlich es ist, wenn sich konventionelle Brands an Nachhaltigkeitsversprechen bedienen. Denn in der Folge werden die tatsächlichen und aufrichtigen Bemühungen so verwässert, dass Konsument*innen denken: „Ach, die bemühen sich jetzt auch, dann kann ich ja wieder konventionell kaufen.“

Social Washing kann in der Konsequenz heißen, dass die, die es wirklich ernst meinen, nicht nur unter Preisdruck geraten, sondern durch PR- und Marketingkampagnen von konventionellen Brands vernichtet werden, weil nicht so sensibilisierte Konsument*innen zurückspringen. Das Produkt der konventionellen Brand ist meist wesentlich günstiger und am Ende leiden diejenigen Player, die sich aufrichtig damit befassen.”

„Social Washing ist eine Gefahr für die Brands, die es ernst meinen.”

Unternehmen kontaktieren dich als Referentin und Beraterin für CSR, Ethik und Circular Economy. Ihr müsst sicher viele Fragen klären, ehe es zu einer Zusammenarbeit kommt. Was sind die Probleme und Herausforderungen, etwa im Hinblick auf aktuelle Gesetzesvorhaben?

Ich werde unter anderem von KMUS, also kleinen und mittelständischen Unternehmen, sowie Start-ups angefragt, die sich industrieübergreifend mit dem Rohstoff Textil beschäftigen. Viele von ihnen fallen aufgrund ihrer Größe unter das seit Januar 2023 geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder bemühen sich um eine öffentliche Projektförderung.

Gemeinsam erörtern wir ihre Geschäftsmodelle daraufhin, ob sie notwendige Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Ich recherchiere etwa, welche Richtlinien für sie relevant sind und wie sie ihr Konzept gegebenenfalls anpassen können, damit es förderfähig wird. Ich sehe mich als Schnittstelle zwischen Bildungssensibilisierung, Forschungsprojekten und Business Modelling.”

Wie bringst du da die aktuellen Herausforderungen im Bereich CSR unter, wie zum Beispiel das eben erwähnte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz?

„Vielen Unternehmen fehlt es an Sensibilisierung; sie sind effizienz- und finanzgetriebene Systeme. Da steht selten eine idealistische Motivation im Mittelpunkt. Meine Aufgabe ist es dann, eine erfolgreiche, ansprechende Kampagne im Einklang mit CSR-Vorgaben zu gestalten. Die Auftraggeber reagieren darauf positiv, da es ihnen an eigener Kreativität mangelt, um Lösungen zu entwickeln, die sowohl das Pragmatische als auch das Ethische einbinden. Inklusivität heißt, schon beim Geschäftsmodell ganzheitlich zu denken.”

Gib uns da bitte ein Beispiel.

Stichwort Teilhabe: Bei dem Entwurf eines Geschäftskonzepts, dem sogenannten Business Modelling, finde ich es essenziell, schon bei der Konzepterstellung die Menschen aus dem everyday business zu involvieren. Ihre Meinung sollte man anhören. Das Konzept wird dadurch ethisch, dass du nicht top-down agierst, sondern holistisch und ganzheitlich Ideen und Bedürfnisse einbeziehst.

Ich nenne das Inklusivität. Sie ist eines meiner drei Herzensthemen, für die ich immer wieder werbe. Um Inklusion, die Einbeziehung aller Menschen und Bedürfnisse, zu erreichen, brauchen wir einen praktischen und pragmatischen Weg, um aktiv dafür zu sorgen, dass Inklusion möglich ist. Das verstehe ich unter Inklusivität.

Übertragen auf unternehmerisches Handeln heißt das: Viele Unternehmen erliegen dem Irrglauben, dass sie effizienter vorankommen, wenn sie alles alleine in einer kleinen Führungsriege machen. Natürlich kostet es Zeit, sich mit anderen zusammenzusetzen. Aber oft dreht man sich im Kreis und braucht am Ende länger, als die wichtigen Perspektiven aller direkt einzubinden. Die Leitfrage ist: Wie wollen wir miteinander umgehen?”

„Inklusivität heißt, schon beim Geschäftsmodell ganzheitlich zu denken.”

Welche wiederkehrenden Fragen von Unternehmen hörst du?

Zur Circular Economy haben viele die Idee, einen Stoff zu recyceln oder für die Wiederverwertung zu sammeln. Darauf folgt immer wieder die Frage: Wie kann ich mich als Unternehmen nachhaltig darstellen? Meine Antwort: über Kommunikation und Siegel. Daran schließt sich die nächste Frage nach dem geeigneten Siegel an. Das erfordert umfangreiche Beratung.

Ich stelle viele Gegenfragen: Kennst du die Arbeitsbedingungen in der beauftragten Textilfabrik? Warst du einmal dort? Kannst du beim Code of Conduct sicherstellen, dass er eingehalten wird? Wir diskutieren dann, wie sie ihr nachhaltiges Versprechen an die Kund*innen halten können. Sobald wir ermittelt haben, welches Siegel passt, klären wir, wie sie an das Siegel herankommen.”

„Ich stelle fest, dass Unternehmen teilweise richtig naiv sind.”

Wie gut sind die Unternehmen da informiert? Gerade der Siegel-Dschungel ist für viele nicht so leicht zu durchblicken.

Ich stelle fest, dass Unternehmen teilweise richtig naiv sind. Sie verteufeln die Produktionsländer im Globalen Süden wie Indien, China oder Bangladesch pauschal und wollen unbedingt in Europa produzieren. Doch selbst in Portugal oder Osteuropa ist nicht immer alles Gold, was glänzt. Es ist ein weit verbreiteter  Irrtum, dass „Made in Europe“ automatisch „fair“ bedeutet.

Gerade Fair Fashion Start-ups finden Deutschland als Produktionsland meist zu teuer und suchen nach Alternativen im Ausland. Mein Slogan „Faire Mode ist etwas Politisches“ passt hier gut: Arbeitsrechte und Gewerkschaften sind zwei wichtige Punkte, die Unternehmen bei der sozialen Nachhaltigkeit mitdenken müssen.”

Es heißt oft, der Einkaufszettel sei auch ein Stimmzettel. Kann ich ein Statement setzen, indem ich ein als nachhaltig beworbenes Produkt von konventionellen Unternehmen kaufe?

„Laut Konsumkritik bringt das gar nichts, da diese Einnahmen auch die Fast-Fashion-Produkte des restlichen Sortiments fördern. Da muss ich mich als Konsument*in fragen, ob es sich lohnt, dieses Unternehmen zu unterstützen. Ich stelle lieber eine andere Frage: Wie können wir mehr benötigte Lobbyarbeit und Veränderungen der wirtschaftlichen Infrastruktur erreichen?

Ich finde es schlimm, dass nicht die Unternehmen oder der Staat, sondern ausschließlich Konsument*innen in die Verantwortung gezogen werden. Auch in unserem wohlhabenden Land leben viele Menschen, die auf finanzielle Hilfe angewiesen sind. Nachhaltige Mode spricht leider oft Menschen an, die über mehr Geld sowie Zeit und Fähigkeiten für die Recherche nach nachhaltigen und fairen Produkten verfügen.”

Du beziehst dich damit auf Klassismus, also Diskriminierung aufgrund von unterschiedlicher sozialer Klassen. Das wird ja auch Thema in deinem Vortrag bei der Fashion Changers Konferenz sein. Was gibt es denn für neue Lösungen, um nachhaltigen Konsum inklusiver zu machen?

Es wird zwar langsam besser, aber Fair Fashion ist sehr teuer für viele Menschen, die sich zeitlich und finanziell nicht leisten können, sich damit zu beschäftigen. Vielen Menschen ist es angesichts der aktuellen Herausforderungen, etwa Inflation oder Klimaarmut, leider nicht möglich, bei Mode ihren eigenen ethischen Ansprüchen Genüge zu tun. Bei Existenzsorgen bleibt keine Kraft, sich Sorgen um Fairness zu machen.

Ich bin daher der Auffassung, dass nachhaltige Mode und entsprechende Businessmodelle wesentlich stärker subventioniert werden sollten. Gerechte Arbeits- und Produktionsweisen sollten gefördert werden, damit alle Menschen an diesem nachhaltigen Lebenskonzept teilhaben können. Meine Herzensangelegenheit: Wir müssen mit Organisationen zusammenarbeiten und Lobbyarbeit betreiben. Aktivismus geht nicht nur über Konsum, sondern auch durch politisches Handeln.”

Danke für das spannende Gespräch, Salma.

Erste Berührungspunkte mit Fast Fashion hatte Salma vor 15 Jahren als Stylistin in der Werbebranche. Dank ihres Philosophie-Studiums beschäftigte sie sich immer tiefgreifender mit der Frage, was menschenwürdige Handlungen ausmachen und damit auch mit den negativen Auswirkungen von Mode – insbesondere auf die Menschen im globalen Süden und im Kontext des Postkolonialismus. Sie ist Mitglied der lokalen Fashion Revolution-Gruppe in Frankfurt und Mitgründerin eines Circular Fashion Start-ups. Aktuell ist sie als CSR Consultant tätig und unterstützt Unternehmer*innen dabei, ihre Geschäftsmodelle fair und sozial auszurichten.

Vernetze dich mit Salma hier oder besuche ihre Webseite.

Social Washing

Du willst mehr zum Thema Social Washing wissen? Dann bist du bei uns richtig. Denn: Unsere Interviewpartnerin Salma Akli-Bichowski wird auf der Fashion Changers Konferenz 2023 einen Vortrag zum Thema halten. Dabei beantwortet sie unter anderem folgende Fragen: Inwiefern höhlen Marketingabteilungen den Fairness-Begriff aus? Wie können Akteur*innen in der Modebranche soziale Gerechtigkeit zum Thema machen, ohne Social Washing zu betreiben? In welcher Relation stehen Spendenaktionen/soziale Projekte von Unternehmen zum tatsächlichen Impact? Wie ist die rechtliche Lage? Welche Aussagen können getroffen werden, welche nicht?

Mehr Infos zu unseren Speaker*innen findest du hier.

 

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Über die Autorin

Dieser Beitrag wurde von unserer Gastautorin Saskia Bellem verfasst. Saskia hat Ethnologie und Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit studiert und ist seit 25 Jahren in Journalismus und PR tätig. Nach Stationen im Marketing bei einem Frauenverband und bei UNICEF, koordinierte sie eine Kampagne zu Fair Fashion bei der NGO FEMNET, für die sie weiterhin als freie Mitarbeiterin tätig ist. Für Fairtrade Deutschland gibt sie Workshops zu fairem Handel und engagiert sich in der Gründung der ersten Leihbar in ihrer Wahlheimat Köln.

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Saskias Website

Foto: © Marlene Meyer-Dunker

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