„Mit unserem Label wollen wir eine Alternative zu Fast Fashion bieten“

Sollten mehr Fair Fashion Labels es sich trauen, ihre alten Kollektionen zurückzunehmen und als Secondhandstücke wieder in ihren Shops anbieten? Darüber und wie das Berliner Modelabel givn eine neue Zirkularitätsstrategie aufbaut, haben wir mit Co-Gründer Moritz Biel gesprochen.

„Bei der Einführung unseres Secondhandprogramms war uns die Signalwirkung an andere Modelabels und auch Konsument*innen sehr wichtig“, erzählt uns Moritz Biel. Er ist Co-Gründer und Geschäftsführer des Berliner Fair Fashion Labels Givn Berlin. Mit seinem Team setzt er seit Kurzem auch auf Recommerce, also den Handel mit bereits gebrauchten Kleidungsstücken des Labels, die im Onlineshop neben den Teilen der neuen Kollektionen angeboten werden – zur Hälfte des Neupreises. Das kommt gut an, die Hauptmotivation sei aber eine andere gewesen. Es gäbe viel zu tun in der Modebranche und Teil davon sei es, andere Modelabels und Konsument*innen dazu zu inspirieren, sich mit Themen wie Kreislauffähigkeit, Nachhaltigkeit und Lebenszyklusverlängerung zu beschäftigen. 

Mit ähnlichen Gedanken im Hinterkopf fiel auch die Entscheidung, noch mehr Recyclingstoffe einzusetzen. Moritz Biel ist neben der Geschäftsführung nämlich aktiv auch in die Kollektionsentwicklung involviert.

Im Interview erklärt er, welche Herausforderungen es bei der Umstellung der Materialien und Einführung des Secondhand-Programms gab, wieso die neue Kollektion von den 70er Jahren inspiriert ist und was er sich für die Zukunft der Modeindustrie wünscht.

Mit eurer neuen Kollektion „Relive“ seid mit eurem Label Givn Berlin Schritte in Richtung Zirkularität gegangen mit dem Einsatz von mehr recycelten Materialien und einem Secondhandprogramm. Wie lief der Prozess bis dahin ab?

Moritz Biel: „Einer unserer Leitsätze ist es, den Status Quo der Modeindustrie zu hinterfragen. Deshalb sind wir stetig auf der Suche nach neuen Lösungen in Bezug auf nachhaltige Materialien und Prozesse. Wir haben schon länger einen Anteil unserer Produktion aus recycelten Materialien hergestellt und uns ansonsten auf zertifizierte Bio-Baumwolle und vergleichbare Stoffe konzentriert. Mit dieser Kollektion wollten wir einen Schritt weitergehen und den Kreislauf unserer Kleidung fördern. Da lag es nahe, sich mehr auf recycelte Materialien zu konzentrieren. Und unsere zirkuläre Fashion Plattform Preloved war schon länger ein Herzensprojekt. Wir hatten in der vergangenen Saison einen Fokus auf andere wichtige Projekte, wie die vollständige Zertifizierung nach dem GOTS-Standard. Deshalb konnten wir die Plattform erst jetzt einführen.“

Und auf welche Herausforderungen seid ihr gestoßen?

„Die Einführung neuer Materialien ist immer nicht ganz einfach. Wir haben hohe Anforderungen an unsere Materialien. Dadurch zieht sich der Prozess der Implementierung durch diverse Kontrollschritte, bevor es zum ersten Sample kommt. Außerdem wollen wir natürlich sicher gehen, dass neue Produktionspartner ebenfalls faire Arbeitsbedingungen erfüllen. Wir haben dieses Jahr die neuen Partner in Portugal besucht, um uns persönlich ein Bild zu machen und weitere Tests durchzuführen. 

Für den Launch unserer Secondhand-Plattform Preloved mussten wir auf Grundlage verschiedener Faktoren zuerst entscheiden, wie hoch die an die Kund*innen ausgestellten Gutscheine angesetzt werden, welche Produkte überhaupt zurückgegeben werden dürfen und wie der logistische Ablauf im Hintergrund verläuft. Da wir im Vorfeld nicht absehen konnten, wie gut die Plattform aufgenommen wird, sind wir jetzt umso glücklicher zu sehen, dass so viele Freund*innen nachhaltiger Mode unsere Plattform nutzen, um alten Styles ein neues Leben zu verleihen.“

Recycling-Stoffe wie TENCEL™ Refibra™ und recycelte Wolle (GRS zertifiziert) treffen in der neuen Relive-Kollektion von Givn auf 70er-Jahre Designs.

Die neue Preloved-Kategorie wird also gut angenommen?

„Vor dem Launch der Plattform waren wir recht unsicher, was die Nutzung des Services angeht. Ungefähr drei Wochen nach dem Launch können wir stolz sagen, dass er sehr gut angenommen wird. Wir konnten mit einer kanalübergreifenden Kommunikation einen großen Teil unserer Community dafür begeistern, sich mit dem neuen Projekt auseinanderzusetzen. Wir sehen außerdem, dass das Einsenden der alten Kleidung funktioniert und auch tatsächlich preloved Pieces in unserem Shop verkauft werden. Am wichtigsten war uns bei diesem Projekt aber die Signalwirkung an andere Modelabels und auch Konsument*innen. Wir sollten alle Bestehendes hinterfragen und neue Wege in Richtung Nachhaltigkeit einschlagen. Viele haben sehr positiv darauf reagiert.“

Wir wissen alle: vollumfassende Kreislauffähigkeit bei einem Produkt wie einem Kleidungsstück ist sehr schwer zu erreichen, da nicht nur die Rohstoffe und das Ende des Lebenszyklus betrachtet werden müssen, sondern auch alle Schritte dazwischen. Wie denkt ihr darüber nach und wieso habt ihr euch für die Teile der Lieferkette entschieden, für die ihr euch entschieden habt?

„Wir sind natürlich nicht perfekt und konnten bisher kein System entwickeln, das es uns ermöglicht, eine vollumfassende Kreislauffähigkeit bei unseren Produkten zu erreichen. Für uns ist die Minimierung des Textilabfalls innerhalb der Lieferkette beziehungsweise der gesamten Textilindustrie ein wichtiges Anliegen. Dieses Volumen steigt leider immer noch jährlich an, obwohl immer mehr Modeunternehmen auf nachhaltige Materialien setzen. Vermutlich kennen viele die erschreckenden Bilder von Mülldeponien (wie beispielsweise in Chile), die mit Bergen von Kleidung übersät sind. Wir wollen eine Gegenbewegung starten und Konsument*innen eine umweltfreundlichere Alternative bieten, ohne dass sie modische Abstriche machen müssen.“

Wie geht eure Zirkularitäts-Strategie in Zukunft weiter?

„Wir haben schon konkrete Pläne: Bisher nutzen wir recycelte Materialien aus Pre-Consumer-Waste, also Abfall, welcher in den verschiedenen Produktionsstätten entsteht. Um den Gedanken der Zirkularität auszuweiten, wollen wir zukünftig ebenfalls Post-Consumer-Waste, also Textilmüll, der nach dem Tragen durch Endkonsument*innen entsteht, für die Herstellung unserer Kleidung verwenden. Wir haben noch mehr Ideen – aber die werden hier noch nicht verraten.“

Oftmals wird recycelten Stoffen nachgesagt, dass sie qualitativ nicht mithalten können oder trotzdem noch ein relativ hoher Anteil an Frischfasern beigemischt werden muss. Wie sind eure Erfahrungen damit?

„Es gibt hohe qualitative Unterschiede in der Aufbereitung der recycelten Stoffe. Für uns war wichtig, die neuen Materialarten im Vorfeld ausgiebig zu testen. Bei der Produktion unserer Styles aus diesen Materialien werden aktuell 70 Prozent Altfasern aufbereitet und wiederverwendet. Die Herstellung zum Beispiel des recycelten Baumwollstoffs erfolgt bei einem Betrieb in Italien, mit dem wir schon seit mehreren Jahren erfolgreich zusammenarbeiten und so ein hohes Qualitätsniveau sicherstellen können. Wir arbeiten gerade daran, den Recyclinganteil noch weiter zu erhöhen.“

Die 70er-Jahre-Inspiration passt zum Veränderungsgedanken, der auch hinter dem Label Givn steckt, erklärt Co-Founder Moritz Biel.
Strickpullover „MALIVA“ ist aus Bio-Baumwolle und „undyed“ – also ohne Färbung, die Ressourcen verbraucht.

In der aktuellen Kollektion lasst ihr die 70er aufleben. Wie kommt ihr zu genau dieser Inspiration und wie verhält sie sich zu euren neuen Zirkularitätsmaßnahmen?

„Für uns verkörpert die neue Kollektion Relive sowohl den Bezug auf nostalgische Retro-Momente für jeden Einzelnen, als auch die Chance, wiederverwerteten Kleidungsstücken eine neue Verwendung zu geben. Wir haben uns für die 70er Jahre als Inspirationsquelle entschieden, weil dieses Jahrzehnt stark von wichtigen Veränderungen und Umbrüchen geprägt war. Genau das wollen wir mit unserer Kollektion in der Modeindustrie bewirken. Natürlich sind wir darüber hinaus aber auch große Fans der Ästhetik von Mode in den 70er-Jahren.“

Eine gute 70er-Inspiration hat noch nie geschadet. Noch eine Frage zum Schluss: Was wünschst du dir für die Zukunft der Modeindustrie?

„Das ist eine gute Frage. Mit unserem Label wollen wir eine Alternative zu Fast Fashion bieten und Fair Fashion langfristig etablieren. Die Umweltbelastung durch die Industrie muss sich minimieren. Dafür wollen wir auch Konsument*innen dazu anregen, ein Bewusstsein für die liebevolle Handarbeit der Produzenten und der verwendeten natürlichen Ressourcen in der Produktion zu entwickeln.“

Vielen Dank für das Gespräch, Moritz!

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert