Im vergangenen Jahr hat sich die Modebranche einem ganz bestimmten Material zugewandt: Pilzleder. Doch was kann der Pilz und was kann er nicht? Schauen wir uns das Material mal genauer an und prüfen es im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Innovationsgrad.
Die Suche nach einer Alternative zu Tierleder ist nicht neu
Seit vielen Jahrzehnten wird bereits in der Materialentwicklung geforscht, welche Komponenten die Eigenschaften von Tierleder aufgreifen und dieses ersetzen könnten. Die zwei größten Absatzmärkte für Leder, die Fashion- und Automobilindustrie, fingen schon im 20. Jahrhundert an, PVC als Alternative zu nutzen und in ihren Produkten zu vermarkten. So brachte beispielsweise Ford im Jahr 1914 ein Auto auf den Markt, das PVC-beschichtete Baumwollsitze anstatt Sitzflächen aus Tierleder hatte.
Mehr als 100 Jahre später gibt es Autohersteller wie Tesla, die in der E-Mobilität führend sind und lediglich Kunstleder in ihren Autos verbauen. Und auch in der Modeindustrie wird oft mit Kunstleder auf PVC-Basis gearbeitet. Darunter fallen jedoch auch Materialien auf pflanzlicher Basis wie Kork, Algen oder Ananas, die im Produktionsprozess so modifiziert werden, dass sie tierischem Leder optisch ähneln.
Der Umstieg auf eine tier- und umweltfreundliche Alternative wird immer dringlicher. Tierisches Leder trägt nicht nur zur illegalen Waldrodung bei, es gibt auch keine Textilsiegel, die das Leder bis zur Farm zurückverfolgen lassen. Dokumentationen wie Gift auf unserer Haut klären zudem über den toxischen Herstellungsprozess von Tierleder auf. Die finnische Fashion Week ging 2019 sogar so weit, dass sie tierisches Leder gänzlich von den Laufstegen verbannte. Bisher bestanden Lederalternativen oft aus synthetischen, also erdölbasierten und nicht unbedingt nachhaltigen Materialien. Doch in der Veggie-Lederszene tut sich einiges und vor allem Pilzleder scheint eines der beliebtesten Materialien zu sein.
Pilzleder: Alternative auf Basis von Myzel
Viele Brands bauen ihr Konzept mittlerweile um das innovative Pilzleder, darunter auch Stella McCartney, Hermès und Adidas. Die Rede ist hier nicht von Champignons oder Shiitake, sondern von Pilzen, die entweder im Labor oder auf Waldflächen gezüchtet werden. Pilzleder ist sicherlich nicht die erste Materialinnovation für veganes Leder. Doch es ist die erste Option, die sich vom Start-up bis hin zum Großkonzern und im High-End-Fashion-Bereich durchgesetzt hat.
Anzucht und Ernte der Pilze
Das vegane Pilzleder basiert auf Myzel – dem unterirdisch wachsenden feinen Geflecht aus Pilzfasern, das für uns auf den ersten Blick nicht sichtbar ist. Nach der Ernte wird das Myzel mit Wasser vermischt und püriert – ein Prozess, der dem des Papierschöpfens ähnelt. Im Anschluss wird die Masse dann gepresst, sodass eine lederähnliche Struktur entsteht. Diese wird im Anschluss getrocknet. Durch die Tatsache, dass die Pilze überall angebaut und geerntet werden können, entsteht ein Material, das nahezu überall auf der Welt herstellbar ist.
Ein weiteres Plus: Das Myzelium ist innerhalb weniger Wochen erntereif. Bei Tierleder dauert der Prozess um einiges länger: Für Kalbsleder muss das Tier etwa drei Wochen alt sein, bevor es geschlachtet werden kann – bei einer Kuh, die auch zu Fleischware verarbeitet wird, dauert der Prozess etwa drei Jahre. Leder aus Milchkühen hat eine Beschaffungszeit von circa vier bis sechs Jahren.
Der Herstellungsprozess von Pilzleder
Die Basis des Pilzleders (Myzelium) ist sowohl im Labor als auch in der Natur herstellbar. Zudem ist das Wachstum des Pilzes stark durch Temperatur und Feuchtigkeit beeinflussbar. Für das Myzel darf es nicht zu warm oder kalt sein: Eine Temperatur von circa 25 Grad ist für das Pilzwachstum optimal, bei zu kalten oder warmen Temperaturen stagniert das Wachstum. Das Gleiche gilt für die Feuchtigkeit, die die Schnelligkeit des Wachstums beeinflussen kann. Je nach Pilzsorte sollte diese zwischen 80 und 95 Prozent liegen.
Im Gegensatz zu Kuhleder fällt während des Herstellungsprozesses deutlich weniger Müll an. Durch den künstlichen Schöpfprozess gibt es weniger Verschnitt und ungewollte Formen. Bei Kuhleder ist der Verarbeitungsprozess deutlich aufwendiger: Nachdem die Kuhhaut aufgeweicht wurde, wird sie chemisch behandelt, damit die Haare entfernt werden können. Danach folgt ein weiteres chemisches Bad, das die Haut geschmeidig und weich macht. Im Anschluss folgt die Färbung und finale Veredlung. Bei diesem Prozess werden viele toxische Chemikalien verwendet, die für Mensch und Umwelt schädlich sind. Im Anschluss sind beide Materialien für eine Weiterverarbeitung bereit.
Die Materialinnovation bietet noch weitere Vorteile:
- Myzel ist lokal und global anbaubar.
- Es ist ein umweltfreundliches Material. Durch die Formpressung im Herstellungsprozess trägt Pilzleder dazu bei, Materialabfälle in der Produktion global zu reduzieren.
- Pilzleder ist skalierbar: Durch die Zucht im Labor kann die Menge beeinflusst und geplant werden.
Mode aus Pilzleder: Diese Unternehmen machen es vor
Derzeit gibt es verschiedene Hersteller, die veganes Leder auf Basis von Pilzen herstellen. Zu den größten zählen MYLO, Ecovative und Myco Works.
Das kalifornische Unternehmen MYLO, welches 2009 unter der Marke Bolt Threads Inc gegründet wurde, erlangt derzeit durch verschiedene Kooperationen mit Fashion Brands große Bekanntheit. Es arbeitet mit Myzelium, das im Labor hergestellt wird. Der exakte Preis ist unklar und die Produktion ist limitiert. Laut den Herstellenden weist Mylo die optischen, haptischen Eigenschaften von Tierleder auf und verhält sich auch im Trageprozess identisch. Bisher ist Mylo jedoch nicht biologisch abbaubar und durch die PVC-Beschichtung noch nicht zu 100 Prozent plastikfrei.
Manche der Kooperationen zwischen dem Konzern und Modeunternehmen befinden sich aktuell noch in der Testphase. Hier folgt ein kleiner Überblick:
- Adidas – Stan Smith Sneaker > bisher noch nicht kommerziell erhältlich
- Stella McCartney – Handtasche, Top und Hose > ab Sommer 2022 käuflich zu erwerben
- GANNI – Schuhe > ab 2022 erhältlich
- Lululemon – Yoga Kollektion > bereits erhältlich
Was nützt das Pilzleder von MYLO denn, wenn man es (noch) nicht kaufen kann?
Jede Innovation braucht ihre Zeit und Testphasen, um von der Industrie, dem Markt und den Konsumierenden angenommen zu werden. Besonders ein so vertrautes Material wie Tierleder, das viele Jahrzehnte den Hauptbestandteil verschiedener alltäglicher Produkte ausmachte, braucht Zeit, um abgelöst zu werden.
Für uns bedeutet das gerade, eine spannende Markteinführung und -revolution beobachten zu können. Gleichzeitig blicke ich sehr hoffnungsvoll auf diese Entwicklung, denn der Gedanke, dass ein nachhaltiges Produkt Tierleder von seinen Eigenschaften her ähnelt und dieses ersetzen könnte, klingt nach einem großen Moment für die Modeindustrie.
Für alle, die jetzt schon unbedingt etwas aus Pilzleder in den Händen halten möchten, gibt es jedoch Alternativen, die nicht aus dem Hause MYLO stammen.
Zvnder Berlin stellt aus dem Zunderschwammbaumpilz Accessoires her. Der nachwachsende Rohstoff stammt aus Rumänien und hat optische Ähnlichkeiten mit Tierleder. Das Pilzmaterial von Zvnder ist vegan und wird nachhaltig angebaut. Es kommen keine Chemikalien zum Einsatz und die Bäume werden über Jahre hinweg so gepflegt, dass die Zunderschwämme langfristig erhalten bleiben. Durch den hohen Luftanteil im Material entsteht ein leichter weicher Griff.
Durch die Eigenschaften des Zunderschwammpilzes ist das Material natürlich antibakteriell. Neben der Modeindustrie gibt es inzwischen viele Künstler*innen und Designer*innen, die mit dem Material aus Myzel experimentieren: Es findet Anwendung im Verpackungsdesign, in der Architektur und im Möbeldesign.
Fazit: take or toss?
Pilzleder ist eine vielversprechende Option, um tierische Lederprodukte zu ersetzen. Der relativ einfache Anbau sowie die schnelle Zucht und der geringe CO2-Fußabdruck sprechen für das Material. Auch im Vergleich zu synthetischen veganen Ledervarianten bietet Pilzleder viele Vorteile wie Atmungsaktivität und Flexibilität oder die Tatsache, dass es ein nachwachsender Rohstoff auf Biobasis ist.
Unklar sind jedoch zurzeit die Langzeitvergleiche sowie die Annahme des Materials durch Kund*innen im Markt. Da sowohl kleine als auch große Unternehmen mit verschiedenen Nachhaltigkeitsansätzen und Geschäftsmodellen auf das Material setzen, denke ich, dass Pilzleder einen berechtigten Platz auf dem Markt einnehmen wird. Aus meiner Sicht ist Pilzleder ein zukunftsfähiges Material ohne Tierleid und exzessive Umweltbelastung. Allein diese zwei Fakten sind Grund genug, mir bei der nächsten Anschaffung ein Produkt aus Pilzleder zu kaufen und zu testen.
Was denkt ihr? Ist Pilzleder eine Innovation oder nur eine Spielerei?
Grafiken: Frederike Bartzsch
Titelbild: Vreni Jäckle