Was können Modeunternehmen wirklich für den Umweltschutz tun, Andrea Roxin?

Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind längst wichtige Themen für Modeunternehmen. Ihre Ziele und Schritte bleiben aber oft vage: etwas weniger Wasserverbrauch hier, etwas mehr Kontrolle über die Lieferkette. Das geht auch genauer – nämlich auf wissenschaftlicher Basis. Welche Tools dabei helfen können, erläutert Andrea Roxin vom Beratungsunternehmen Quantis in ihrem Vortrag zu Science-Based Targets for Nature auf der anstehenden Fashion Changers Konferenz. Vorab gibt sie uns einen Einblick in ihre Arbeit, deren Herausforderungen und Chancen für große und kleine Unternehmen.

Gelber Farbverlauf und Foto von Andrea Roxin, Speakerin zu Umweltschutz bei Modeunternehmen auf der Fashion Changers Konferenz 2024

Kleidung strapaziert die Umwelt in verschiedenen Stadien ihres Lebenszyklus, angefangen bei der Herstellung. Allein das Färben und Veredeln von Textilien verursachen rund 20 Prozent der globalen Wasserverschmutzung. Laut BMUV hat sich die weltweite Produktion von Kleidung seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt, Tendenz steigend. Ist die Kleidung fertig, wird sie transportiert, was wiederum zu CO2-Emissionen in gigantischen Dimensionen führt. Wieder und wieder, denn die Menschen kaufen immer mehr, tragen ihre Kleidung aber immer kürzer: Die Tragedauer von Kleidung sank in 15 Jahren um über 36 Prozent. Wird die Kleidung dann weggeworfen, steht das nächste Problem an: das Recycling.

All das hat Auswirkungen aufs Klima und die Natur – und diese Auswirkungen zu reduzieren, ist eine große Aufgabe. Der stellt sich Andrea Roxin. Sie ist Senior Sustainability Strategist für Mode- und Sportgüter beim international operierenden Beratungsunternehmen Quantis, dessen Fokus auf Nachhaltigkeit und der Implementierung entsprechender Ziele für Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen liegt – neben Mode unter anderem auch Kosmetik und Nahrungsmittel. Seit 2022 gehört Quantis zur Boston Consulting Group.

Auf der Fashion Changers Konferenz wird Andrea über die Herausforderungen für Modeunternehmen in Sachen Umweltschutz sprechen und Tools vorstellen, mit denen eine Transformation der Modeindustrie hin zu mehr Umweltverträglichkeit möglich ist. Wir haben vorab mit ihr über ihre Arbeit, deren Herausforderungen und ihre Ziele gesprochen.

Andrea, was genau macht das Unternehmen Quantis und wie lange arbeitest du schon dort?

Andrea Roxin: „Quantis berät Unternehmen bei ihrer Nachhaltigkeits-Transformation. Wir arbeiten in den Sektoren Fashion und Sporting Goods, Food und Beverage, Cosmetics und Personal Care und Chemikalien. Dabei verfolgen wir einen wissenschaftsbasierten Ansatz, um Probleme zu identifizieren, zu analysieren und Lösungen zu finden. Seit zwei Jahren bin ich Senior Sustainability Strategist und leite den Mode- und Sport-Güter-Bereich bei Quantis Deutschland und berate Mode-Unternehmen bei ihrer Nachhaltigkeits-Transformation.“

Was umfasst Nachhaltigkeit bei Quantis, wie wird der Begriff definiert?

„Wir beziehen uns auf die Arbeit des Forschers Johan Rockström (Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Professor für Erdsystemforschung an der Uni Potsdam, Anm. d. Red.) und sein Konzept zu den planetaren Grenzen. Zu den Hauptthemen, mit denen wir uns beschäftigen, gehören Klima, Wasser, Biodiversität, Landnutzung und Verschmutzung. Unser Fokus liegt also auf der Umwelt. Für einen ganzheitlichen Ansatz bei der Definition und Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategrien sind soziale Aspekte natürlich auch wichtig, weil sich Praktiken in der Lieferkettte, wie zum Beispiel landwirtschaftliche Prozesse oder Fertigungsprozesse, direkt auf die Gesundheit der Arbeiter*innen und lokalen Gemeinschaften auswirken.“

Planetare Grenzen

2009 veröffentlichte eine Gruppe von circa 30 Wissenschaftler*innen um Johan Rockström den Artikel „A safe operating space for humanity“, in dem sie neun „planetare Belastbarkeitsgrenzen“ formulierten. Durch das Überschreiten dieser Grenzen steigt das Risiko weitreichender Veränderungen der Umwelt, sogenannter „Kipp-Punkte” und damit die Gefährdung der Stabilität des Planeten. (Quelle: BMUV)

Bei deiner Arbeit bei Quantis spielen Science-Based Targets, kurz SBTs, eine wichtige Rolle. Was sind SBTs?

„SBTs sind spezifisch auf den Klimawandel bezogene Ziele von Unternehmen. Dahinter steht die SBT Initiative, kurz SBT, die vom CDP, WWF, UNGC und WRI gegründet wurde, um standardisierte und wissenschaftsbasierte Methoden für Unternehmen zu schaffen, mit denen die Folgen des Klimawandels reduziert werden können. Das bedeutet: Unternehmen setzen sich auf Basis von Berechnungen Ziele, um ihren Beitrag zur Erderwärmung zu reduzieren. SBTs sind also ein wissenschaftsbasiertes Framework für Unternehmen.“

Und wie wird dieses Framework in der Praxis angewandt?

„Ein Unternehmen muss zunächst den eigenen CO2-Fußabdruck messen, sich darauf basierend Ziele setzen – also in welchem Umfang und in welchem Zeitraum es seine Emissionen auf welche Menge senken möchte – und diese dann der SBT schicken. Dort werden sie validiert, es wird also geprüft, ob diese Ziele mit dem Framework übereinstimmen. Das Unternehmen muss im Folgenden auch über den Fortschritt berichten, den es bei der Erlangung seiner Ziele macht. Ein Unternehmen kann sich aber auch wissenschaftsbasierte Ziele setzen und sie nicht validieren lassen, das Prozedere beruht auf Freiwilligkeit. Aber die SBTI-Validation schafft Vertrauen.“

Science-Based Targets (SBTs) und Science-Based Targets for Nature (SBTN)

Science-Based Targets (SBTs), also wissenschaftsbasierte Ziele, legen Emissionsreduktionsziele von Unternehmen fest, damit die Anforderung des Pariser Abkommens, die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, erreicht werden kann. Dahinter steht die Science Based Targets Initiative (SBTI) vom World Wide Fund For Nature (WWF), dem Carbon Disclosure Project (CDP), dem World Resources Institute (WRI) und UN Global Compact (UNGC). Die Initiative validiert die von Unternehmen freiwillig gesetzten SBTs und überprüft deren Umsetzung. Die Validierung ist für Unternehmen freiwillig und mit Kosten in unterschiedlicher Höhe verbunden.

Science-Based Targets for Nature (SBTN) legen den Fokus hingegen auf Umweltschutz, wie zum Beispiel Biodiversität, Wasserqualität und Chemikalienmanagement.

Welche Rolle spielt die Politik bei der Umsetzung von SBTs?

„Die großen Treiber sind die Unternehmen selbst. Wir tragen zur Methodik bei und arbeiten auch bei EU-Projekten mit, aber wir machen keine Lobbyarbeit.“

Was sind die ersten Schritte, wenn ein Modeunternehmen zu dir kommt, weil es mit SBTs arbeiten möchte?

„Wir fragen als erstes, wie weit das Unternehmen auf seiner Nachhaltigkeitsreise schon ist und schauen uns seine Größe und Ressourcen an. Der nächste Schritt ist die Messung des CO2-Abdrucks des Unternehmens. Dann erstellen wir die Ziele und schließlich geht es in den Validations-Prozess. Sobald die Ziele validiert sind, beginnt die Implementation, bei der wir die Unternehmen auch unterstützen. Dabei geht es um Hot Spots im Unternehmen, aber auch in der Lieferkette, und die Fragen: Was sind die stärksten Hebel, um den CO2-Abdruck zu verkleinern?“

Wissenschaft bedarf ja empirischer Aussagekraft. Ist die bei kleineren Modelabels überhaupt gegeben? Anders gefragt: Ist es sinnvoll für kleinere Brands mit SBTs zu arbeiten?

„Klar kann es sich positiv auswirken, wenn die 50 größten Unternehmen ihre SBTs erreichen, aber kleine müssen auch mitmachen. Sie haben zwar meist weniger Ressourcen, aber auch Vorteile: Kleine Unternehmen können zum Beispiel oft schneller an Daten kommen, um den eigenen CO2-Abdruck zu messen. Der größte Abdruck entsteht meist in der Lieferkette, deshalb ist es so wichtig, dass viele mitmachen. Wir sind mit Quantis beim Fashion Leap for Climate dabei, wo auch Zalando, Yoox Net-à-Porter und About You mitmachen, also E-Commerce-Unternehmen. Das Fashion Leap ist eine Lern-Plattform, die helfen soll, die Modeindustrie zu transformieren. Unternehmen können sich anmelden und verstehen, warum SBTs wichtig sind, wie man seinen CO2-Abdruck messen kann, wie man Ziele setzt. Die Plattform soll den Unternehmen die Idee hinter SBTs noch näher bringen und unterstützt Modemarken dabei, ihren eigenen CO2-Abdruck zu ermitteln und Ziele zu setzen.“

Bei SBTs geht es darum, die Folgen des Klimawandels zu reduzieren. Reicht das für die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit?

Um Umweltschutz wirklich voranzutreiben und Umweltrisiken – auch für die Unternehmen selbst – zu reduzieren, ist ein ganzheitlicher Ansatz nötig. In diese Richtung passiert gerade viel; es werden zum Beispiel auch Science-Based Targets for Nature entwickelt. Dabei geht es um Fragen wie: Welche Auswirkungen hat ein Unternehmen auf die Biodiversität? Inwiefern beeinträchtigt es die Wasserqualität? Welche Chemikalien kommen zum Einsatz, welche Alternativen gibt es? Themen wie diese bearbeiten wir bei Quantis im Kontext von Umwelt und Natur.“

Was heißt das in der Praxis für ein Unternehmen?

Statt zum Beispiel nur zu sagen: Wir nutzen zukünftig weniger Wasser, wird es konkret: Es wird berechnet, in welchem Zeitraum wie viel Wasser weniger genutzt werden soll, und wie dieses Ziel erreicht werden soll. Das ist spezieller, als sich Klimaziele zu setzen, denn das Klima ist global. Bei einem Thema wie Wasser aber wird es sehr lokal. In einer Gegend, in der es viel Wasser gibt, ist das Problem ein anderes als in einer Gegend mit wenig Wasser. Und in einer Gegend, in der viele Unternehmen Wasser nutzen, ist es etwas anderes als in einer Gegend mit nur wenigen Unternehmen. Lokaler zu denken, ist sehr interessant, aber auch herausfordernd.“

Auf welcher Basis entscheiden Mode-Unternehmen derzeit über ihre Nachhaltigkeits-Maßnahmen?

„Es gibt verschiedene Ansätze. Ein großer Treiber von Zielen und Initiativen sind freiwillige Verpflichtungen für Unternehmen. Die können aus eigenem Bestreben entstehen, auf Anstoß von NGOs oder als Reaktion auf Erwartungen von Konsument*innen und Investor*innen. Es gibt aber auch regulatorische Verpflichtungen. Deren Umsetzung braucht meist viel Zeit, sie können aber trotzdem Themen voranbringen und Vorreiter von Initiativen wie der SBT sein.“

Die Wissenschaft ist sehr transparent: Man muss Quellen und seine Methodik offenlegen, alles ist nachvollziehbar. Das kann Vertrauen schaffen und im besten Fall Bemühungen für mehr Nachhaltigkeit auch in der Modebranche wirklich antreiben.
Andrea Roxin, Quantis

Nachhaltigkeit kann auch ein emotionales, moralisch aufgeladenes Thema sein. Hilft der wissenschaftliche Ansatz, weil er per se objektiv ist?

„Ja. Als Berater*innen reagieren wir bei Quantis darauf, was die Zahlen sagen. Es geht nicht um gut und schlecht, sondern um Lösungen zu Umweltherausforderungen.“

Kann der Fokus auf wissenschaftliche Erkenntnisenahme auch vor Greenwashing schützen?

Das kann es tatsächlich. Die Wissenschaft ist sehr transparent: Man muss Quellen und seine Methodik offenlegen, alles ist nachvollziehbar. Das kann Vertrauen schaffen und im besten Fall Bemühungen für mehr Nachhaltigkeit auch in der Modebranche wirklich antreiben.

Vielen Dank für das Gespräch, Andrea. Wir freuen uns schon auf deinen Vortrag bei der Fashion Changers Konferenz!

Nature Impact: wissenschaftlich basierter Umweltschutz

Du willst mehr zum Thema Science-Based Targets for Nature (SBTN) in der Modebranche erfahren? Dann bist du bei uns genau richtig!

Andrea Roxin wird auf der Fashion Changers Konferenz 2024 Vortrag zu dem Thema Nature Impact – Wie integrieren Modeunternehmen Umweltschutz wissenschaftlich basiert in ihre Strategien?halten.

Dabei wird sie unter anderem auf folgende Aspekte eingehen:

  • Wie können Modeunternehmen ihre Nachhaltigkeitsziele wirklich effektiv auf Umweltschutz basieren, der nicht nur gefühlt richtig ist, sondern sich an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert
  • Was sind SBTNs und was verstehen wir unter Natur?
  • Warum ist es essentiell, dass wir in der Modebranche in Nachhaltigkeitsstrategien die Natur berücksichtigen?
  • Was beinhaltet das SBTN Framework und wie funkioniert es?

Dieser Programmpunkt orientiert sich an den SDG’s 12 „Nachhaltige/r Konsum und Produktion“, Ziel 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz”, Ziel 14 „Leben unter Wasser“, Ziel 15 „Leben an Land“ und Ziel 17 „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“ der 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen.

Wenn du mehr über diese Themen erfahren möchtest, dann sichere dir jetzt dein Konferenz-Ticket.

Über Andrea Roxin

Die Umweltwissenschaftlerin Andrea Roxin hat mehr als 10 Jahre Erfahrung als Nachhaltigkeitsexpertin in den Bereichen Fashion & Sporting Goods und E-Commerce. Ihr Fachwissen umfasst die Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien in multinationalen Unternehmen, mit Fokus auf Textilinnovation, Ecodesign, Verpackung und Kreislaufwirtschaft. Bei Quantis berät sie in Deutschland als Fashion & Sporting Goods Lead Brands, Hersteller und Handel bei der Umsetzung ihrer nachhaltigen Business-Transformation.

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