Welchen Impact hat Kleidung in ihrer Gebrauchsphase, Luca Coscieme?

Unzählige Studien berichten über die Auswirkungen der Produktion und Entsorgung von Kleidung aufs Klima. Aber was ist eigentlich mit der Zeit, in der wir sie tragen? Darum geht es unter anderem im Vortrag von Luca Coscieme vom Hot or Cool Institute Berlin auf der bevorstehenden Fashion Changers Konferenz. Hier gibt er einen ersten Einblick in die Herausforderung, den Impact von Kleidung während ihrer Gebrauchsphase zu messen.

Impact Fashion

Egal, ob Kleiderberge den Schrank fast zum Überquellen bringen oder man auf eine schlanke Capsule Wardrobe setzt: Jedes einzelne Kleidungsstück trägt zu unserem persönlichen ökologischen Fußabdruck bei. Klar, der eine mag viel größer sein als der andere, aber eines vereint uns dann doch alle: Kleidung ist ein Grundbedürfnis – wir brauchen sie.

Global gesehen konsumieren wir allerdings mehr Kleidung als je zuvor, während wir immer weniger dafür bezahlen. Parallel dazu wachsen die sozialen und ökologischen Auswirkungen dieses Überkonsums. Unzählige Studien befassen sich deshalb damit, welchen ökologischen Fußabdruck die Produktion von Kleidung verursacht oder was mit ihr passiert, wenn wir sie entsorgt haben. 

Aber wie viele Emissionen und Energieaufwand in der Zeit des Tragens anfallen, darüber liest man selten. Auf der bevorstehenden Fashion Changers Konferenz 2023 wird Dr. Luca Coscieme unter anderem dieses Thema genauer beleuchten. Luca ist Programmleiter im Bereich Nachhaltige Lebensstile beim Hot or Cool Institute in Berlin. In seinem Vortrag wird es auch um die Frage gehen, warum die Textilindustrie so viele Ressourcen in neue Technologien oder Produktionsveränderungen steckt, statt sich darauf zu konzentrieren, unsere Beziehung zum Konsum zu verändern.

Kurze Tragedauer, großer Impact

Gemeinsam mit Kolleg*innen des Hot or Cool Institutes Berlin veröffentlichte Luca 2022 den Report „Unfit, unfair, unfashionable – Resizing Fashion for a Fair Consumption Space“. Darin stehen unter anderem die Themen Konsum und Nutzung von Kleidung im Fokus. „Die Wegwerfkultur hat im Laufe der Jahre immer weiter zugenommen. Schätzungen zufolge wird ein Kleidungsstück nur etwa sieben bis zehn Mal getragen, bevor es weggeworfen wird – in einigen Ländern sogar noch weniger“, so Luca. 

Tatsächlich bedeutet das dem UN Environment Programme zufolge einen Rückgang der durchschnittlichen Tragedauer von mehr als 36 Prozent in nur 15 Jahren. Dass Fast Fashion und Ultra Fast Fashion fairen Arbeitsbedingungen und nachhaltigen Ansätzen im Wege stehen, ist dabei längst klar. Auch Luca sieht die fatalen Konsequenzen dieser Entwicklung: „Wir alle müssen die Begeisterung für Kleidung ganz neu definieren oder sie so umsetzen, dass sie der Umwelt nicht schadet.”

Gebrauchsphase/Tragedauer

Die individuelle Gebrauchsphase oder auch Tragedauer bezieht sich auf die Zeitspanne, in der ein Kleidungsstück getragen wird, bevor es gespendet, entsorgt oder recycelt wird.

Den Impact von Kleidung messen: Keine leichte Aufgabe

Die genauen Emissionswerte der Gebrauchsphase zu berechnen, ist eine knifflige Angelegenheit. Sie sind zwar messbar, variieren aber stark je nach Land. Laut dem Report ist die größte Variable, auf welche Art von Energiequellen in den einzelnen Ländern gesetzt wird. Länder wie Russland, die zu fast 80 Prozent fossile Brennstoffe nutzen, haben demnach automatisch einen viel größeren Fußabdruck als Länder wie Norwegen, die zu 98,97 Prozent auf erneuerbare Energiequellen setzen. Pauschale Aussagen, wie viel Energie nun genau auf das Waschen, Trocknen oder Bügeln fällt, sind also nicht möglich. 

Fest steht aber: Sofern nicht jedes Kleidungsstück regelmäßig in die chemische Reinigung gebracht wird, benötigt das Waschen der Kleidung mit Abstand die meisten Ressourcen – nämlich Strom, Wasser und Waschmittel. In Kanada, Südkorea und den Vereinigten Staaten, die zu den größten Wasserverbrauchern zählen, fällt auf die Verwendung von Waschmitteln beispielsweise bis zu vier Kilogramm CO₂e (eine Maßeinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung der unterschiedlichen Treibhausgase) pro Person und Jahr. Japan verdoppelt diesen noch auf acht Kilogramm CO₂e, so der Report. Zum Vergleich: Ein Smartphone verbraucht in einem Jahr Nutzungsdauer etwa vier Kilogramm CO₂e. 

Bei synthetischen Chemiefasern wie Polyester hat das Waschen aber noch andere Auswirkungen: Studien zeigen, dass pro Waschgang bis zu 150 Fasern pro Hemd als Mikroplastik im Abwasser landen. Bei Fleecejacken sind es gar 260 bis 1.900 Fasern. Das konventionelle Färben von Textilien belastet bereits in der Produktion globale Wasserwege und verunreinigt Frischwasser, kann aber auch noch beim Waschen daheim chemische Stoffe ins Abwasser abgeben. Diesem Thema widmet sich dieser Fashion Changers-Artikel  ausführlich.

So lässt sich der Impact von Kleidung reduzieren

Und was heißt das für unseren Alltag? Bereits beim Kauf sollte man die möglichen Auswirkungen in der Gebrauchsphase mitdenken: Möglichst natürlich gefärbte Kleidung aus Naturmaterialien, Synthetikfasern vorziehen und auf Labels setzen, die Materialzusammensetzungen transparent offenlegen. Denn wie ihr in diesem Fashion Changers-Artikel erfahrt, versteckt sich manchmal sogar im Bio-Baumwoll-Shirt Plastik. 

Wer die Lebensdauer von Kleidung verlängern und dabei noch Energie sparen will, wäscht den Großteil der Wäsche bei 30 Grad Celsius. Auch das Eco-Programm der Waschmaschine könnte viel einsparen – wenn man es nur nutzen würde. Laut einer aktuellen Studie von Miele tun das nämlich nur 15 Prozent der Menschen in Deutschland. Nicht zu viel Waschmittel verwenden, nicht zu heiß waschen oder sich Weichspüler und Trockner sparen – all das schont nicht nur die Umwelt, sondern auch die Textilien. Und man kann sie viel länger tragen.

Laut Luca ist das einer der wichtigsten Schritte: „Es klingt unscheinbar, aber die Verlängerung der Nutzungsdauer von Kleidung hat große Auswirkungen. Wir haben herausgefunden, dass das sogar die zweitwirksamste Maßnahme zur Verringerung des CO₂-Fußabdrucks von Kleidungsstücken ist.” Die Entscheidung, ein Kleidungsstück nicht wegzuwerfen, sondern es neun Monate länger zu tragen, verringert den jährlichen CO₂-Fußabdruck bereits um 25 Prozent. Und mal ehrlich: Auch mit kleinen Schrammen lassen sich T-Shirts und Co. noch locker als Pyjama oder zum Sport nutzen.

Wer sich für Secondhandkleidung entscheidet, verlängert das Leben eines Kleidungsstücks automatisch. Der Kauf nur eines gebrauchten Kleidungsstücks anstelle eines neuen spart immerhin 0,3 kg CO₂e pro Kopf und Jahr ein. Der Haken dabei: Nur etwa zehn Prozent der Secondhandkleidung aus europäischen Sammelstellen werden auch in europäischen Secondhandshops wiederverkauft. Der Rest landet mehrheitlich im Globalen Süden und wird dort nicht selten auf Müllhalden unsachgerecht entsorgt. Mehr über die Auswirkungen von entsorgter Mode auf Klima und Wirtschaft im Globalen Süden könnt ihr in diesem Fashion Changers-Artikel erfahren.

Modekonsum als Dienstleistung

Statt ständig den neuesten Trends zu folgen, sollte der Fokus also darauf liegen, gut mit der Kleidung umzugehen, die wir bereits besitzen. Modekonsum müsse als funktionale Dienstleistung und nicht als emotionale Erfahrung verstanden werden, um Überkonsum zu vermeiden, so Luca. Er bezieht sich damit beispielsweise auf den Impuls, ein neues Outfit zu kaufen, um sich besser zu fühlen. Stattdessen könnte er durch andere Praktiken ersetzt werden: Zum Beispiel durch die Vermittlung von neuen Fähigkeiten zum Ändern oder Flicken der eigenen Kleidung oder den Umgang mit Upcycling-Materialien. „Es wäre wichtig, dass Reparaturdienstleistungen in größerem Umfang verfügbar und erschwinglich gemacht werden,“ kommentiert Luca. 

Die Instandhaltung vorhandener Kleidung könne Spaß machen und Möglichkeiten für kreative Arbeit, Gemeinschaftsaktivitäten und Familienzusammenhalt bieten. Die wirksamste Veränderung wäre allerdings, folgende Einstellung zur Mode zu verinnerlichen: neu ist nicht immer besser. „Es muss ein Wandel in der Mentalität stattfinden. Derzeit ist unser Umgang mit Kleidung sehr stark von Werbung und anderen externen Faktoren beeinflusst“, gibt Luca zu bedenken. Damit meint er, dass brandneue Kleidung in unserer kapitalistischen Gesellschaft noch immer oft als Statussymbol gilt.

Wie viel Kleidung brauchen wir?

Um die Kleidung, die wir besitzen, so effektiv wie möglich zu nutzen, müssen wir uns also auch die Frage stellen: Wie viel brauchen wir wirklich? Der Report des Hot or Cool Institute nennt dazu ein Beispiel aus den 1950er Jahren: In einem Leitfaden wird angegeben, dass 42 Kleidungsstücke ausreichen, um den Bedarf für eine erwachsene Frau zu decken. Stand 2019 variiert die Kleiderschrankgröße in den Niederlanden bereits zwischen 70 und 429 Teilen, so der Report. Weit mehr, als das Institut derzeit empfiehlt: 74 Kleidungsstücke einschließlich Schuhen wurden als ausreichend in einem Land mit zwei Jahreszeiten berechnet, 85 bei vier Jahreszeiten. Accessoires und Unterwäsche nicht mitgerechnet. Besonders interessant: Unter Einbeziehung unzähliger Faktoren berechnete das Hot or Cool Institute auch die maximale Anzahl neuer Artikel, die wir kaufen sollten, wenn wir die von der UNO festgelegte Grenze von 1,5 Grad Celsius globaler Erwärmung erreichen wollen: Fünf pro Jahr.

Neue Liebe für alte Kleidung

Was der Report nicht erwähnt, viele von uns aber bestimmt bestätigen: Wir tragen ein Kleidungsstück länger und achten besser darauf, wenn wir eine Beziehung dazu haben. Ist ein Produkt billig, denken wir oft nicht lange darüber nach, ob wir es tatsächlich oft genug tragen werden oder es reparieren könnten. Zu einem Fast-Fashion-Kleid, das man kurzentschlossen vom Sale-Ständer fischt, hat man kaum emotionale Bindung. Kauft man ein hochwertiges Kleidungsstück bei einem kleinen Fair-Fashion-Label und entsteht dabei vielleicht sogar noch ein netter Kontakt mit den Gründer*innen, erfährt es automatisch mehr Wertschätzung. Und natürlich trägt auch der höhere Preis dazu bei, länger über die Kaufentscheidung nachzudenken und besonders gut auf das Stück zu achten. Denn auch ein faires T-Shirt aus Bio-Baumwolle verliert seine Nachhaltigkeit, wenn es nach zwei Mal Tragen entsorgt wird. 

„Neben der Verlängerung der Tragedauer ist die Reduktion des Modekonsums an sich der wichtigste Beitrag, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen,“ fasst Luca zusammen. Schon beim Kauf an die Gebrauchsphase des Kleidungsstückes denken, es auslüften statt waschen, weniger kaufen und stattdessen Teile, die man sehr selten trägt, neu in Szene setzen: Mit diesen Maßnahmen und etwas mehr Wertschätzung für den Inhalt unseres Kleiderschrankes, können wir den Impact von Kleidung während ihrer Tragedauer tatsächlich noch senken.

Mehr zu Impact Kleidung auf der Fashion Changers Konferenz

Du willst mehr zum Thema wissen? Dann bist du bei uns richtig. Denn: Luca Coscieme wird auf der Fashion Changers Konferenz 2023 einen Vortrag zu dem Thema halten.

Dieser Programmpunkt orientiert sich an den SDG’s 12 ” Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen” und 13 „Umgehend Maßnahmen zuer Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkung ergreifen“ der 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen.

Über Jenni Koutni

Über fünf Jahre arbeitete Jenni für ein Luxus-Modemagazin. Immer öfter vermisste sie aber die Substanz hinter all dem Glamour. Als freiberufliche Journalistin beschäftigt sich die Österreicherin nun seit drei Jahren mit Themen, die für sie mehr Sinn machen: Faire Mode, textile Innovationen und Menschen, die mit ihrer Arbeit wirklich etwas bewegen wollen. Das Beste: Ihr Hang zum Overthinking macht sich endlich mal nützlich!

©privat

Titelbild: Luca Coscieme ©LucaAq

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