Für ein starkes Lieferkettengesetz: Unterzeichne jetzt die Petition von der Initiative Lieferkettengesetz!
Das Recht auf sichere und fair entlohnte Arbeit ist in Artikel 23 der Menschenrechte der Vereinten Nationen festgeschrieben. Bis heute sind jedoch Millionen von Arbeitnehmer*innen weltweit vor Menschenrechtsverletzungen am Arbeitsplatz, insbesondere in der Modeindustrie, nicht geschützt. Der Grund: intransparente Lieferketten und fehlende Haftbarkeit der Unternehmen.
Die Einigung zum Lieferkettengesetz vor knapp einem Jahr
Viele Aktivist*innen, Unternehmen, Bürger*innen und Initiativen forderten bereits seit einigen Jahren ein nationales Lieferkettengesetz für deutsche Unternehmen. Nachdem das Wirtschaftsministerium unter Peter Altmaier monatelang die Verhandlungen über die Eckpunkte eines deutschen Lieferkettengesetzes vertagt oder abgebrochen hat, kam es am 12. Februar 2021 erstmals zu einer Einigung zwischen der Großen Koalition. Doch diese Einigung war nicht von langer Dauer. Mitte Mai sollte über das Gesetz im Bundestag abgestimmt werden. Die Abstimmung wurde jedoch verschoben – es herrschten scheinbar immer noch Unklarheiten im Gesetzesentwurf.
Am 27. Mai dann der Durchbruch: Alle Beteiligten machen den Weg frei für das deutsche Lieferkettengesetz. Der Bundestag beschließt das Gesetz am 11. Juni 2021.
Was beinhaltet das Lieferkettengesetz?
Deutsche Unternehmen sollen ab 2023 verpflichtet sein, für ihre Lieferketten Sorgfalt zu tragen. Die Krux: Das Sorgfaltspflichtengesetz, wie es eigentlich heißt, soll zunächst nur für Unternehmen ab 3000 Mitarbeiter*innen gelten. Ab 2024 sollen dann Unternehmen ab 1000 Beschäftigten folgen. Unternehmen unter 1000 Mitarbeitenden sind weiterhin nicht in das Lieferkettengesetz inkludiert, bekommen somit auch keine Rechtssicherheit oder den entsprechenden Handlungsspielraum.
Zudem wurde die zivilrechtliche Haftung, die ein wesentlicher Bestandteil des ursprünglichen Gesetzentwurfs war, gestrichen. Zwar bekommen NGOs und Gewerkschaften in Zukunft die Möglichkeit, bei Verstößen gegen Lieferkettenstandards, Betroffene vor deutschen Gerichten zu vertreten –, ob Betroffene in anderen Ländern von diesem Klagerecht jedoch wirklich Gebrauch machen werden, wird sich zeigen. Bei nachgewiesenen Verstößen müssen Unternehmen künftig Bußgelder zahlen (keine „Knöllchen”, wie Arbeitsminister Hubertus Heil in der Pressekonferenz am 12. Februar 2021 verlauten ließ) und können bis zu drei Jahre lang von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.
Das Gesetz gilt grundsätzlich für die gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette der erfassten Unternehmen, sieht jedoch eine „abgestufte Verantwortung“ vor. Diese variiert, je nachdem, ob es sich um die eigene Geschäftstätigkeit eines Unternehmens, einen unmittelbaren oder einen mittelbaren Zulieferer handelt. Die umfassendsten Pflichten haben Unternehmen in Bezug auf ihre eigene Geschäftstätigkeit als auch in Bezug auf unmittelbare Zulieferer (also Vertragspartner*innen).
In der Regel müssen sowohl bei eigenen Geschäftstätigkeiten als auch bei der Zusammenarbeit mit unmittelbaren Zulieferern, die Verletzungen menschenrechtlicher oder umweltbezogener Pflichten beendet werden. Bei mittelbaren Zulieferern reicht es dagegen, ein Konzept zur Beendigung oder Minimierung von Verletzungen zu erstellen und umzusetzen, ohne dass dies garantiert zum Erfolg führen muss.
Der Anfang der Lieferkette wird übersehen
Die Lieferketten in der Textil- und Bekleidungsindustrie sind sehr komplex. Bei mittelbaren Zulieferern müssen Unternehmen nur tätig werden, wenn sie Hinweise auf Verstöße („substantiierte Kenntnis“) erhalten. Das betrifft also Rohstofflieferanten & Co. Ein Lieferkettengesetz in dieser Form wird Textilarbeiter*innen, Färber*innen oder Baumwollfarmer*innen am Anfang der Produktionskette somit nicht vor Menschenrechtsverletzungen am Arbeitsplatz schützen.
Das Lieferkettengesetz in Deutschland: eine Zeitreise
Um in Deutschland die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte umzusetzen, wurde im Jahr 2014 der „Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP) aufgesetzt. Die Bundesregierung bekennt sich darin dazu, dass die Pflicht der Staaten zum Schutz der Menschenrechte nicht an andere gesellschaftliche Akteure delegiert werden kann.
Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD vereinbart: „Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des „Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte“ 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.“
Die Lieferkette, auch bekannt als Supply-Chain, umfasst die gesamte Wertschöpfung eines Unternehmens von Produkten oder einer Dienstleistung bis zum Endkunden. Endkunde können wir oder ein anderes Unternehmen sein. Es zählen also unter anderem das Unternehmen selbst, dessen Zulieferer, die Zulieferer der Zulieferer, aber auch die Kunden, die Kunden der Kunden. Eine Lieferkette umfasst somit den kompletten Prozess vom Anbau der Baumwolle, über die zahlreichen Produktionsschritte, bis zum Verkauf der Hose im Laden oder Onlineshop.
So wie diese Definition nicht ganz einfach ist, entwickeln sich Lieferketten schnell anhand der Anzahl der Mitwirkenden und der Globalisierung zu undurchsichtigen und intransparenten Liefernetzen. Im Zentrum steht jedoch das Unternehmen, welches durch ein gutes Lieferkettenmanagement den Überblick behalten kann und die Zulieferer und Kunden aktiv steuert. Dadurch kann zum Beispiel ein Modeunternehmen, Menschenrechtsverletzungen erkennen und vermeiden.
Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans verlangte die Bundesregierung von allen Unternehmen die Einführung einer unternehmerischen Sorgfaltspflicht in Form einer jährlichen Berichterstattung. Ziel war es, dass mindestens 50 Prozent aller in Deutschland ansässigen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen die verankerten Sorgfaltspflichtstandards erreichen sollen (hier auf Seite 10 nachzulesen). Seit 2018 wurde dieses Monitoring zweimal durchgeführt: von 2250 befragten Unternehmen haben nur 455 geantwortet – also weitaus weniger als die Zielvorgabe von 50 Prozent. Deshalb müstsen laut dem Aktionsplan rechtliche Maßnahmen folgen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2020).
Bemühungspflicht bedeutet nicht Erfolgspflicht
Mit dem Lieferkettengesetz wird eine Bemühungspflicht zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen für die Unternehmen durchgesetzt, nicht aber eine Erfolgspflicht. Somit haftet das deutsche Unternehmen nicht, wenn alle möglichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen wurden und dennoch eine Menschenrechtsverletzung vorliegt. Diese Unterscheidung ist essenziell und wird von Unternehmensverbänden oft falsch weiterverbreitet.
Was bedeutet das Lieferkettengesetz nun konkret für Unternehmen?
Im ersten Schritt sind potenzielle Risiken zu identifizieren, die internationale Menschenrechte verletzen oder gefährden könnten. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Sklaverei, Kinderarbeit, Diskriminierung am Arbeitsplatz, Verletzung der Vereinigungsfreiheit, Verletzung der Arbeitssicherheit, problematischen Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen (etwa in Bezug auf Arbeitszeiten, Löhne, Urlaub), Verletzung von Landrechten oder durch Schädigung von Gesundheit, Lebensumfeld oder existenznotwendigen Wirtschaftsgütern, wie durch Wasser-, Boden- oder Luftverschmutzung.
Im zweiten Schritt müssen die Risiken individuell analysiert werden. Der dritte und vierte Schritt besteht darin, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der identifizierten Risiken zu ergreifen, wobei die Unternehmen selbst überprüfen, ob die ergriffenen Maßnahmen erfolgreich sind. In Bezug auf den fünften Parameter – die Einrichtung eines Beschwerdemechanismus – werden die Unternehmen entweder einen eigenen Mechanismus einrichten oder an externen Programmen teilnehmen. Die Berichterstattung soll über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle erfolgen.
Welche Unternehmen machen ihre Hausaufgaben?
Das Jahr 2023 rückt immer näher. Doch: Der Großteil der Unternehmen ist nicht darauf vorbereitet und unterschätzt das Risiko innerhalb der eigenen Lieferkette. Erst vor wenigen Monaten reichte die Bürgerrechtsorganisation ECCHR eine Klage gegen einige deutsche Unternehmen ein, die in Verdacht stehen, Baumwolle von uigurischen Zwangsarbeiter*innen zu beziehen.
Eine Blitz-Umfrage der Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westphalen ergab ein überraschendes Ergebnis. Von den befragten Unternehmen gaben 40 Prozent an, sie würden die Unterstützung und Orientierung durch internationale Regelwerke in Verträgen mit Lieferanten immer noch nicht aktiv nutzen. Schätzungen von GvW nach, müsse aber jedes zweite Unternehmen damit rechnen, dass Lieferanten Sozial- und Umweltstandards nicht einhalten.
Lieferketten sind zudem oftmals komplex und undurchsichtig. Eine Erhebung des Modeverbands German Fashion ergab, dass Bekleidungs- und Textilunternehmen im Schnitt regelmäßig mit 146 Lieferanten zusammenarbeiten. Knapp die Hälfte der befragten Unternehmen kontrolliert die Zulieferunternehmen nicht. Die Frage ist also: Werden deutsche Konzerne den Ernst der Lage bald (bewusster) wahrnehmen?
Der Artikel ist in Zusammenarbeit mit unserer Autorin Phoebe Nicette entstanden. Mehr Informationen zum Lieferkettengesetz findet ihr hier.
Titelbild: Ethan Haddox via unsplash
2 Antworten auf „Bald kommt das Lieferkettengesetz – Sind deutsche Unternehmen bereit?“
Hier sieht man: Small ist beautiful! Kleine Unternehmen (Mode StartUps), die sich auf wenige Produkte konzentrieren, haben es viel leichter, ihre Lieferkette zu kontrollieren. Und: Am besten regional produzieren! Zum Beispiel bei uns: Biete Näherei-Kapazitäten und Schnittentwicklung am Bodensee! Vermutlich teurer als in Polen oder Portugal, aber sollte es uns das nicht wert sein?
[…] zeigen auch die Diskussionen um das ab 2023 geltende Lieferkettengesetz. Fashion Changers haben hier einmal die Probleme mit dem aktuellen Entwurf […]