Textilproduktion in Indien: Was macht der globale Wettbewerbsdruck mit Akteur*innen vor Ort?

Indien ist einer der größten Textilexporteure weltweit. Vielfältige Textilressourcen wie Baumwolle, Seide, Wolle und Jute und niedrige Löhne machen das Land zu einem beliebten Produktionsland für Textilunternehmen aus Europa und den USA. Im globalen Wettbewerb steigt allerdings auch der Druck, schneller und günstiger zu produzieren. Was macht das mit Akteur*innen vor Ort? Wir haben mit verschiedenen Interessengruppen über ihre Herausforderungen und Forderungen gesprochen.

Nahaufnahme von Händen beim Textilschnitt in einer Textilproduktion in Indien

Delhi, Mumbai, Tiruppur, Bangalore, Coimbatore, Chennai – das sind die Namen einiger der wichtigsten Standorte der Textilproduktion in Indien. Insgesamt arbeitet circa 10 Prozent der indischen Bevölkerung im Bekleidungssektor. Das sind über 45 Millionen Arbeitnehmer*innen, die in verschiedenen Stationen in der textilen Lieferkette mit vielfältigen Problemen konfrontiert sind. Während auf Baumwollfarmen Themen wie schwankende Weltmarktpreise, genmanipuliertes Saatgut und klimakrisenbedingte Ernteschwankungen präsent sind, sehen sich Textilarbeiter*innen in Nähereien mit sexueller Belästigung, Überstunden und hohen Produktionszielen konfrontiert, um nur einige der Probleme zu nennen.

Eines haben viele von ihnen gemeinsam: ihre ausbezahlten Löhne entsprechen keinem Existenzminimum. Dieser Umstand begünstigt ausbeuterische Arbeitsverhältnisse und erschwert Selbstbestimmung.

Der indische Mindestlohn bleibt weit hinter einem Existenzlohn zurück

In Indien gibt es ein komplexes Mindestlohn-System. Die Höhe variiert je nach Bundesstaat, Gebiet, Industriezweig, Tätigkeit und Qualifikation. Ein gesetzlich verpflichtender Mindestlohn entspricht allerdings nicht zwangsläufig dem, was Arbeitnehmer*innen brauchen, um ein würdiges Leben zu führen.

Um den Lohn für ein menschenwürdiges Existenzminimum zu berechnen, gibt es verschiedene Methoden, wie den Wage Indicator, die Lohnformel der Asia Floor Wage Alliance oder die Anker-Methode. In der Regel berücksichtigt ein Existenzlohn die Kosten für Essen, Wasser, Unterkunft, Bildung, Gesundheitsversorgung, Transport, Kleidung, Freizeitaktivitäten und Ersparnisse für unerwartete Ereignisse. Die Berechnungen können sich aber relativ stark unterscheiden, je nach Methode:

Existenzlohn nach Asia Floor Wage Alliance:
ca. 34.000 indische Rupien / Monat (Stand 2022, circa 376,49 Euro)

Existenzlohn nach Anker-Methode:
18.592 indische Rupien / Monat (Region Tiruppur, Stand 2022, circa 205,87 Euro)

Während die Methoden in einigen Punkten stark übereinstimmen (beispielsweise Bedarf an Nahrungsmitteln), gibt es auch Aspekte, bei denen der Mindestbedarf weniger eindeutig ist. Dabei geht es zum Beispiel um Fragen, bis zu welchem Bildungsstand eine Ausbildung mindestens finanziert werden sollte oder was genau zu einer menschenwürdigen Wohnungsausstattung gehört.

Da der gesetzliche Mindestlohn in Indien komplex und regional unterschiedlich ist, lässt er sich schwer pauschal nennen. In vielen Fällen liegt er ungefähr zwischen 6.000 und 9.000 indischen Rupien (circa zwischen 66 und 100 Euro) und bleibt damit deutlich hinter einem Existenzminimum zurück.

Der Fairtrade Textilstandard – ein Lösungsansatz?

Obwohl die Vergütung mit einem Existenzlohn ein essentieller Schritt im Kampf gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse ist, ist der Fairtrade Textilstandard bislang das einzige Textilsiegel, das diesen Aspekt mit einbezieht. Über die Teilnahme im dazugehörigen „Textilprogramm“ soll innerhalb von sechs Jahren ein existenzsichernder Lohn (berechnet nach der Anker-Methode) in der gesamten Lieferkette erreicht werden. Teil des Programms sind außerdem Trainingsmodule, die Verhandlungen in Richtung Existenzlöhne unterstützen sollen, und Schulungen, bei denen Arbeiter*innen über ihre Arbeitsrechte aufgeklärt werden.

Wir sind Anfang 2023 mit Fairtrade Deutschland nach Indien gereist, um das Textilprogramm kennenzulernen und mit verschiedenen Akteur*innen aus dem Textilbereich zu sprechen. Wir besuchten sowohl im Textilprogramm teilnehmende Textilproduktionen in Indien als auch vom Programm unabhängige Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen. Hier berichten wir von unseren Gesprächen mit einigen von ihnen in Bezug auf existenzsichernde Löhne.

Transparenzhinweis: Für unsere Berichterstattung haben wir keinerlei Vergütung erhalten. Ebenso haben wir uns während der Reise redaktionelle Freiheit vorbehalten. Nichtsdestotrotz wurde diese Reise von Fairtrade Deutschland mit Reisekosten und Organisation ermöglicht. In diesem Kontext ist unser Bericht also zu betrachten.

Wie blickt eine indische Gewerkschaft auf das Thema existenzsichernde Löhne?

In Bangalore im indischen Bundesstaat Karnataka lernen wir Rukmini Vaderapura Puttaswamy kennen. Sie ist die Gründerin der Gewerkschaft Garment Labour Union (GLU) mit der sie gegen geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz, für bessere Löhne und gewerkschaftliche Organisation in der Textilproduktion in Indien kämpft. Sie selbst arbeitete 17 Jahre lang als Näherin in der Textilbranche und weiß, was das bedeutet. Als Rukmini damals mehr über ihre Rechte als Arbeiterin erfahren wollte und einer Gewerkschaft beitrat, wurde sie an ihrem damaligen Arbeitsplatz schikaniert und schließlich unter dem Vorwand des Verdachts der Geldwäsche freigestellt.

Nachdem herauskam, dass Rukmini und viele ihrer Kolleginnen von männlichen Gewerkschaftsmitgliedern in der Führungsebene sexuell belästigt wurden, gründete die Aktivistin 2012 ihre eigene frauengeführte Gewerkschaft GLU, in der keine Männer auf Entscheidungs- und Führungsebene tätig sind. Die lokal agierende, frauengeführte Gewerkschaft zählt heute 10.000 Mitglieder. Anfeindungen und Bedrohungen gehören für Rukmini und ihre Mitglieder zum Tagesgeschäft.

GLU arbeitet mit großen Marken und Fabriken auf lokaler Ebene zusammen. Trotz neuer Gesetze habe sich in den letzten 50 Jahren nicht viel in der Textilproduktion in Indien geändert, findet Rukmini. „Geringqualifizierte Arbeitnehmer*innen erhalten in der Gegend 10.000 Rupien (umgerechnet 110,71 Euro), qualifizierte Fachkräfte 11.000 Rupien (umgerechnet 121,78 Euro), wovon 70 Prozent auf Unterkunft und Arbeitsweg entfallen,“ so Rukminis Einschätzung. Die Gewerkschafterin und Frauenrechtlerin fordert einen monatlichen Mindestlohn von 30.000 Rupien im Raum Bangalore (umgerechnet 332,13 Euro). Den Existenzlohn setzt Rukmini mit 45.000 Rupien im Monat (umgerechnet 498,20 Euro) noch höher an als die Asia Floor Wage Alliance und Anker-Methode.

Bei unseren Gesprächen mit Geschäftsführern und Management-Mitarbeitern stellen wir fest, dass die Skepsis gegenüber Gewerkschaften weit verbreitet ist – keine der von uns besuchten Fabriken arbeitet mit Gewerkschaften zusammen, obwohl Fairtrade das begrüßt und empfiehlt.

Rukmini Vaderapura Puttaswamy, Präsidentin der Garment Labour Union, drängt auf eine engere Zusammenarbeit mit Gewerkschaften in Indien. Foto (c) Ranita Roy

In sechs Jahren zum Existenzlohn? Ein Produzent berichtet

In Umargam im indischen Bundesstaat Gujarat besuchen wir die im Jahr 2000 gegründete Textilfabrik Purecotz. Gründer und Geschäftsführer Amit Narke arbeitet seit 2014 mit Fairtrade zusammen und ist seit 2019 nach dem Fairtrade-Textilstandard zertifiziert. Inzwischen beschäftigt er 550 Mitarbeitende, die Textilien für die USA, UK, Neuseeland, Frankreich, Dänemark und Deutschland produzieren, darunter auch die eco-fairen Marken Mela und Kowtow. Dabei verarbeitet Purecotz ausschließlich Bio-Baumwollstoffe – ein Großteil davon ist Fairtrade-zertifiziert. Mit dem Fairtrade-Textilstandard verpflichtet sich Purecotz bis 2025 einen Existenzlohn zu zahlen.

Die Pandemie und Inflation haben Amit und das Team zurückgeworfen. Wir sprechen offen über Gehälter und können ohne Geschäftsführung und Management durch die Textilproduktion gehen und die Mitarbeiter*innen nach ihrer Arbeitssituation befragen. In der Qualitätskontrolle erzählt uns eine Arbeiterin, die seit drei Jahren in der Textilfabrik angestellt ist, dass sie in der Qualitätskontrolle 9.000 Rupien im Monat verdient. Eine Näherin, die bereits seit 22 Jahren im Unternehmen arbeitet, nimmt nach eigener Auskunft am Monatsende 11.000 Rupien mit nach Hause. Sie sind dankbar für einen sicheren Arbeitsplatz und einen festen Lohn, auch wenn etwas mehr schön wäre.

Ein Grund für das niedrige Grundgehalt sei, dass die Fabrik für seine Mitarbeiter*innen in die Rentenkasse einzahle. Viele Arbeiter*innen, die sich bei Purecotz bewerben, würden allerdings lieber auf die Einzahlung in die Rentenkassen verzichten und dafür ein höheres Grundgehalt bekommen, erzählt uns das Management. Außerdem suchen viele nicht nach Festanstellungen, sondern nach Saisonarbeit, um danach zurück zu ihren Familien zu gehen. Es fällt auf: Der Druck, für kurze Zeit möglichst viel Geld für sich und die Familie zu verdienen, ist bei vielen höher als für die Zukunft vorzusorgen.

Auf der anderen Seite steht auch Amit unter Druck: Als einziger Produzent in der Region den Lohn (und damit seine Preise) stark anzuheben, könnte seine Fabrik wirtschaftlich ruinieren. Immer wieder sagt er uns: „Ich könnte zwar jetzt Existenzlöhne bezahlen, aber ich weiß nicht, ob ich es dann in ein paar Monaten auch noch kann.“ Auch er hofft auf ein baldiges Anheben der gesetzlichen Mindestlöhne.

Offen sprechen wir während unserer Reise über Löhne und den sehr großen Gehaltsunterschied zwischen Näher*innen, dem mittlerem Management und der geschäftsführenden Ebene, die überall hauptsächlich aus Männern bestehen. Dabei fragen wir uns: Wie kann es gelingen, die Löhne nun sukzessive zu erhöhen und das Gehaltsgefälle anzugleichen?

Purecotz-CEO Amit Narke hat sich mit dem Faitrade-Textilstandard dazu verpflichtet, seinen Angestellten bis 2025 einen Existenzlohn zu zahlen. Foto (c) Ranita Roy

Globale Machtdynamiken verhindern existenzsichernde Löhne

In unseren Gesprächen in Indien tritt ein Thema immer wieder auf: die ungleichen Machtverhältnisse zwischen europäischen Marken und indischen Produzenten. So würden bei Purecotz 20 Prozent der produzierenden Marken beim Textilstandard mitmachen, 80 Prozent seien zögerlich. Gerade kleinere nachhaltige Marken lasten eine Fabrik nicht aus. Damit eine Fabrik aber einen Existenzlohn zahlen kann, bräuchte es theoretisch alle dort produzierenden Marken, die bereit sind, die Mehrkosten zu bezahlen. Um unabhängiger und selbstbestimmter zu wirtschaften, hat Amit vor einigen Jahren ein eigenes Modelabel ins Leben gerufen, dessen Produktionsvolumen aktuell bei 20 Prozent liege und das er kontinuierlich erhöhen möchte.

Produktionen tragen ein großes finanzielles Risiko. 120 Tage dauert eine Produktion bei Purecotz. Zum Vergleich: In Tiruppur, auch Jersey City genannt, weil hier viel Sportbekleidung hergestellt wird, beträgt die Produktionsdauer in vielen Fabriken 90 Tage. Dieser Druck wird auch an Amit weitergegeben – Erwartungen, die er nicht erfüllen möchte und kann, da der Lieferdruck schon hoch genug sei, erzählt er uns. Für die viermonatige Produktion gehe die Fabrik in finanzielle Vorleistung – auch für die Mitarbeitenden. Besonders in Krisenzeiten sei das kein einfaches Unterfangen.

Neben der Suche nach neuen Partnern, die ebenfalls im Textilprogramm teilnehmen, setzt Fairtrade darauf, dass Verbraucher*innen mit ihrer Kaufentscheidung von Fairtrade-Produkten dafür sorgen können, dass der Weg für höhere Löhne geebnet wird. Zur Einordnung: Laut Fairtrade gaben Haushalte in Deutschland im Jahr 2019 25,00 Euro pro Kopf für Fairtrade-Produkte aus. Die Umsatzentwicklung von Fairtrade-Produkten in Deutschland ist 2021 um 517 Prozent auf 2,115 Milliarden Euro im Vergleich zu 2010 angestiegen. Bei Fairtrade-Textilien betrug der Anstieg in 2021 nur 1 Prozent (Quelle: Fairtrade Deutschland).

Während unserer Indienreise wird jedoch klar, wie begrenzt der Hebel der individuellen Kaufkraft ist. Immer wieder hören wir bei verzögerter Lieferung oder unzureichender Qualität von hohen Vertragsstrafen, die europäische Auftraggeber an Textilproduzenten stellen. Es ist also wenig verwunderlich, dass viele Fabriken fast jeden Produktionsschritt überprüfen lassen. Die Arbeit der Qualitätskontrolle wiederum wird als eine mit geringeren Fähigkeiten eingestuft und daher schlechter bezahlt. Uns sind fast ausschließlich Frauen in der Qualitätskontrolle begegnet.

Auch unbezahlte oder stornierte Aufträge stellen für Produzenten ein Problem dar. Nicht selten passiert es, dass Marken eine bestimmte Stückzahl in Auftrag geben, dafür Kapazitäten geblockt werden und die Stückzahl kurzzeitig verringert wird – Ausfälle, die oft nicht von heute auf morgen aufgefangen werden können. Das sind Probleme, die der Individualkonsum nicht auflösen kann. Was sich Produzenten von westlichen Marken wünschen, wollen wir wissen. Mehr Agilität und Partnerschaft auf Augenhöhe, auch auf Vertragsebene, heißt es.

Das Outsourcing von Verantwortung ist auch in zertifizierten Prozessstrukturen eine Herausforderung. Das erschwert es, Machtverhältnisse in den Handelsbeziehungen aufzuweichen. Am Ende werden die Produzenten auditiert und zertifiziert, aber wer auditiert eigentlich die Marken im Hinblick auf ihre Vertrags- und Einkaufspraxis? Über Empfehlungen und freiwillige (unkontrollierte) Zusicherungen geht es aktuell nicht hinaus.

Rukmini Vaderapura Puttaswamy von der Garment Labour Union fordert, dass Marken Hauptarbeitgeber werden. Von den inzwischen gesetzlich vorgeschriebenen Arbeiter*innen-Komitees in Textilproduktionen in Indien hält Rukmini nicht viel. Sie seien dem Management unterstellt und ließen keine Gewerkschaftsmitglieder zu, womit auch die Chancen für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne geschmälert würden.

Textilbeschäftigte bei der Qualitätskontrolle in der Fabrik Sags Apparels in Tiruppur, Indien, die ebenfalls mit dem Fairtrade-Textilstandard zertifiziert ist. Foto (c) Ranity Roy

Textilproduktion in Indien: Wie können fairere Löhne Realität werden?

Um den fairen Handel für alle Akteur*innen zu verbessern, müssen in Zukunft noch einige Schritte gegangen werden. Eine wichtige Maßnahme ist der Wissenstransfer über Löhne und Arbeitsrechte. Arbeiter*innen müssen über ihre Rechte informiert sein und verstehen, wie sie ihre Löhne und Arbeitsbedingungen verbessern können. Um sich aktiv einzubringen und keine Angst vor einer möglichen Entlassung zu haben, brauchen sie strukturelle Unterstützung. Leider funktioniert der Wissenstransfer derzeit nicht gut genug. In unseren Gesprächen haben wir erfahren, dass die Arbeiter*innen oft kein grundlegendes Wissen über den Fairtrade-Textilstandard haben und die Fairtrade-Informationen selten in ihrer Sprache verfügbar sind. Erschwert wird der Wissenstransfer von Arbeitsrechten einerseits durch die zahlreichen Sprachen und Dialekte in Indien (dazu zählen mehrere hunderte Sprachen und tausende Dialekte) und andererseits durch die hohe Fluktuation in Textilfabriken durch Saisonarbeiter*innen (davon waren die Fabriken, die wir besucht haben, größtenteils nicht betroffen).

Neben von Fairtrade vorgesehenen Schulungen in Textilproduktionen zu Effizienz und Produktivität, könnte ein weiterer Weg sein, europäische Marken zu schulen und hier Vertragsbedingungen und Einkaufspraktiken in den Fokus zu rücken – am besten gemeinsam mit Produzenten und Gewerkschaften. GLU-Präsidentin Rukmini Vaderapura Puttaswamy fordert Marken im globalen Norden explizit dazu auf, nur mit Fabriken Verträge zu schließen, die mit Gewerkschaften zusammenzuarbeiten, um so bessere Arbeitsbedingungen sicherzustellen. Außerdem plädiert sie dafür, dass Gewerkschaften in Auditierungen einbezogen werden und Siegel nicht nur mit Businesses, sondern mit Grassroots-Organisationen zusammenarbeiten.

Ein weiteres Problem, das angegangen werden muss, ist das geschlechtsspezifische Ungleichgewicht bei Löhnen. Low-Skill-Arbeiten werden oft (noch extremer) unterbezahlt, was insbesondere Frauen betrifft, während leitende Positionen häufig von Männern ausgeführt werden. Diese Machtdynamik führt häufig zu struktureller Benachteiligung: Während leitende Positionen seltener gekündigt werden, können geringqualifizierte Jobs schneller ausgetauscht werden. Das führt dazu, dass Frauen in der Textilproduktion seltener für ihre Rechte einstehen können, aus Angst den Job zu verlieren. Geschlechtersensibles Empowerment und Weiterbildung ist hier also essentiell. Insbesondere Frauen müssen Aufstiegschancen angeboten werden und unabhängige Grassroots-Organisationen, die Textilarbeiter*innen unterstützen, müssen gefördert werden.

Mit dem Textilstandard hat Fairtrade einen wichtigen Vorstoß gemacht. Es wird in Zukunft noch große Überzeugungsarbeit brauchen, damit Marken sich bereit erklären, existenzsichernde Löhne zu zahlen. Dafür müssen vor allen Dingen die großen Branchenplayer an Bord geholt werden. Es darf nicht sein, dass Produzenten die Hauptverantwortung dafür erbringen.

Ein positiver Ansatz könnte sein, Konzepte mit mehr Selbstbestimmung zu entwickeln. Ein Weg dorthin wäre es, Produktion und Verkauf nicht so stark zu trennen und statt Aufträge zu vergeben, als Marke selbst Mitarbeitende anzustellen und Verantwortung zu übernehmen. Insbesondere sollten wir uns fragen: Wo findet die größte Wertschöpfung in der Lieferkette statt? Wenn international diverses Design mehr wertgeschätzt wird, könnten „produzierende Länder“ verstärkt eigene Marken und ein eigenes Design statt einem Dienstleistungsprodukt entwickeln und die damit einhergehende Wertschöpfung exportieren.

Um wirklich fair zu sein, muss der faire Handel noch viel verbessern. Eine gerechte Weltwirtschaft kann nur durch die Einbeziehung und Zusammenarbeit aller Akteur*innen in der Lieferkette erreicht werden.

Fotos (c) Ranita Roy

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