Inflation & Co.: So kommunizieren Unternehmen Herausforderungen und bleiben handelsfähig

In Zeiten von Inflation und Co. hat durchdachtes Krisenmanagement haben eine hohe Relevanz. Das gilt auch für aktuelle Herausforderungen. Einzelhandelsumsätze brechen ein, Lieferungen sind verspätet, Rohstoffe werden immer teurer, Unternehmen gehen insolvent. Viele Modelabels mussten Personal entlassen, ihre Produktpreise erhöhen und sich neu strukturieren. Doch wie kommunizieren Brands solche Herausforderungen und Veränderungen nach außen? Wonach sehnen sich Kund*innen aktuell? Und wie gelingt es Modeunternehmen, ihre Wertschöpfungsketten resilienter zu gestalten?

Die Inflation und nachwirkenden Auswirkungen der Corona Pandemie beeinflussen die globalen Märkte und stellen auch die Modebranche vor Herausforderungen. Einzelhandelsumsätze brechen ein, Lieferungen sind verspätet, Rohstoffe werden immer teurer, Unternehmen gehen insolvent. Viele Modelabels mussten Personal entlassen, ihre Produktpreise erhöhen und sich neu strukturieren. Doch wie kommunizieren Brands solche Herausforderungen und Veränderungen nach außen? Wonach sehnen sich Kund*innen aktuell? Und wie gelingt es Modeunternehmen, ihre Wertschöpfungsketten resilienter zu gestalten?

Take-Aways
  • Expert*innen raten dazu, die eigenen Lieferketten kürzer zu halten und auszubalancieren. Eine mögliche Option wäre, mehr lokal und regional zu produzieren – etwa in Europa.
  • Im Idealfall löst sich die Modebranche kollektiv vom saisonalen Denken und gestaltet Modezyklen und Ordersysteme flexibler. On-Demand-Produktionsmodelle können dabei helfen, Fixkosten und Überproduktion zu reduzieren.
  • Da die Kaufkraft von Kund*innen aktuell abnimmt und sie selbst von zahlreichen Unsicherheiten geplagt sind, sollen Unternehmen versuchen, präsenter denn je zu sein und ihre Kommunikation anzupassen. Hierzu sollten sie ihre Kund*innen abholen und ihnen erklären, wie die aktuellen Krisen auch sie zunehmend destabilisieren, was sie unternehmensintern dagegen tun und wie wir die Krisen gemeinsam lösen können. Expert*innen raten zu einer ehrlichen, transparenten, aber auch zuversichtlichen Kommunikation, die allen Mut macht.
  • Mittlerweile gibt es zahlreiche KI-gestützte Plattformen, die Unternehmen nicht nur dabei unterstützen sollen, Risiken frühzeitig zu erkennen, sondern auch einen eigenständigen und langfristigen Finanzplan zu erstellen.

In diesem Deep Dive zum Thema widerstandsfähige Lieferketten und Handelsfähigkeit in Zeiten der Inflation gibt es Input von:

  • Dr. Jiska Gojowczyk, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, und Eva-Maria Reinwald, Referentin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte bei SÜDWIND e.V. – Institut für Ökonomie und Ökumene
  • Anna Yona, Gründerin und Geschäftsführerin, und Sebastian Feuß, Geschäftsführer bei Wildling Shoes
  • Professor Gerrit Heinemann, Wirtschaftswissenschaftler und Leiter des eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein 
  • Moritz Biel, Geschäftsführer bei Givn Berlin
  • Henning Siedentopp, Geschäftsführer bei Mela
  • Noor Naqschbandi, Programmleiter des Sektorvorhaben Nachhaltiger Konsum” in der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ
  • Birgit Langebartels, Leiterin Kids & Family Research bei Rheingold

Das Konsumniveau bleibt niedrig, auch wenn Konsumforscher*innen optimistischer sind als in den letzten Wochen. Die Textilwirtschaft spricht von einem Umsatzplus von 33 bis 41 Prozent im Januar 2023.  Zum Vergleich: Im November 2022 lagen diese Zahlen noch bei 4 bis 21 Prozent. Laut einer Sonderbefragung im TW-Testclub, gehen 79 Prozent der Händler von einem Umsatzzuwachs im Februar 2023 aus.

Der Markt wächst also, doch er wächst langsamer. Gründe dafür sind unter anderem die Inflation infolge des Krieges in der Ukraine, Unterbrechungen der Lieferketten und steigende Energiepreise. Herausforderungen in der textilen Kette gibt es nach wie vor genug”, meint Dr. Jiska Gojowczyk, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim SÜDWIND Institut. Nicht zuletzt durch die Aufarbeitung der Covid-Auswirkungen, die die Ungleichheit im Sektor noch massiv verstärkt hat: Löhne in der Produktion müssen nahezu überall massiv aufgestockt werden; Arbeiter*innen müssen überhaupt oder zurück in formale, abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse geholt werden, die gesundheitliche Versorgung und soziale Absicherung mit sich bringen müssen.”

Vor welchen aktuellen Herausforderungen steht die Modebranche und welche Lösungen gibt es, um sich widerstandsfähiger durch die Wirtschaftskrise zu bewegen und sich langfristig agiler aufzustellen? Und wie können Herausforderungen und Veränderungen glaubwürdig an Kund*innen kommuniziert werden?

Aktuelle Herausforderungen in der Modebranche 

Die Modebranche steht derzeit vor mehreren Herausforderungen und Krisen, darunter die langjährigen Nachwirkungen der Corona-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine, den steigende Energie-, Rohstoff und Transportkosten und den damit verbundenen Lieferengpässen und veränderten Einkaufsgewohnheiten. 

„Komplex wird es dadurch, dass diese Krisen auf unterschiedlichen Ebenen auf das Unternehmen einwirken und einander verstärken. Sie erfordern damit nicht nur eine Bewältigungsstrategie, sondern mehrere gleichzeitig”, erzählt Anna Yona, Gründerin und CEO des nachhaltigen Schuhlabels Wildling. „Die drei größten negativen Faktoren für uns sind aktuell: die rückläufige Kaufkraft, steigende Kosten aufgrund der Inflation und ein von äußeren Sorgen belastetes Team”, meint Yonas Co-Geschäftsführer Sebastian Feuß. 

Wildling musste sich von einem Teil ihres Teams verabschieden. „Wir haben uns intern intensiv mit Kostentransparenz, Budgetplanung und gezielteren Investitionen beschäftigt und als Team vor allem auch eine klare Entscheidung hin zum Weniger getroffen – weniger Projekte, weniger Themen, weniger Dinge, die wir versuchen gleichzeitig zu machen. Und dennoch ist uns leider die schwere Entscheidung nicht erspart geblieben,unser Team zu verkleinern und Menschen zu entlassen, weil dies der einzige große Kostenhebel ist”, berichtet Feuß.

Auch viele andere Unternehmen mussten sich in den vergangenen Wochen und Monaten von Personal trennen, andere werden dies noch in der kommenden Zeit tun. Der Onlinehändler Zalando verkündete im Februar, hunderte Stellen abzubauen – insbesondere in der Verwaltung, aber auch auf Führungsebene. Laut neuesten Berichten der Frankfurter Allgemeine seien Mitarbeitende in den Logistikzentren, dem Kundendienst und den stationären Outletläden vom Stellenabbau nicht betroffen. Auch operative Stellen bei den Zalando Studios, wo unter anderem die Produktfotos für Zalando und Dritte entstehen, sind aus dem Stellenabbau ausgeklammert. Welche anderen Bereiche wie stark betroffen sind, wisse der Vorstand selbst noch nicht”, heißt es.

Lierferketten krisenfest machen: lokale Produktion, Produktfokussierung, on-demand-Produktion, Digitalisierung

Aktuell ist es für Modelabels nicht nur essenziell, die eigenen Finanzen genau im Blick zu behalten und sicherzustellen, dass sie in der Lage sind, durch wirtschaftliche Schwierigkeiten zu navigieren. Für Marken wird es unerlässlich sein, einen gezielten Ansatz zur Stärkung bestimmter Teile ihrer Lieferketten zu verfolgen, sei es rund um das Personal – wie etwa tiefgründige Schulungen in Sachen Krisenmanagement – oder Prozesse – zum Beispiel durch die Einführung einer stärkeren Digitalisierung, um Probleme bei Produktlieferungen zu mindern.

Das Ende der Globalisierung: Lokale Produktion wird wieder wichtiger

Eine weitere Verschiebungsdynamik in den Lieferketten der Modebranche betrifft das sogenannte Nearshoring, also die Verlagerung betrieblicher Aktivitäten ins nahegelegene bzw. -stehende Ausland. Durch die Verlagerung der Fertigung näher an die Verbraucher*innenmärkte können Brands ihre Markteinführung beschleunigen und gleichzeitig die Transport- und Zollkosten senken sowie verschiedene Risiken mindern, einschließlich Verspätungen in der Produktion und der Lieferung.

Expert*innen erwarten, dass viele Modeschaffende weiterhin Bekleidung in Produktionsländern mit niedrigen Lohnkosten wie Bangladesch und Pakistan produzieren werden, dennoch wird Nearshoring immer häufiger in Betracht gezogen. Im Bericht „The State of Fashion 2023” von Business of Fashion und McKinsey gaben 65 Prozent der befragten Modemanager*innen an, dass sie Nearshoring in Betracht ziehen, um die Herausforderungen der Lieferkette anzugehen.

In Europa entwickeln sich Portugal und die Türkei zum bevorzugten Hub in der Nähe der vom Unternehmenssitz, wobei 85 Prozent der westeuropäischen von BoF und McKinsey befragten Modeschaffenden erwarten, ihr Angebot vor allem aus der Türkei zu erhöhen, gefolgt von Osteuropa und Nordafrika. Manche Fashion-Unternehmen haben es geschafft, ihr Sourcing teilweise auf andere Länder umzuschwenken und so ihre Lieferketten auszubalancieren. Das hat Vorteile: Die paneuropäische Zone ist schneller erreichbar, Unternehmen sind weniger anfällig und abhängig von Lieferkettenstörungen”, berichtet Gerrit Heinemann, Wirtschaftswissenschaftler und Leiter des eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein.

Das deutsche Fair-Fashion-Label Givn Berlin hat seit Beginn der Pandemie immer wieder Schwierigkeiten mit der Lieferkette und auch mit starken Preiserhöhungen beim Rohmaterial und den Energie- und Transportkosten. „Wir versuchen durch eine langfristige Planung und noch engere Abstimmung mit unseren Lieferanten die Lieferengpässe zu vermeiden”, berichtet Geschäftsführer Moritz Biel. „Hierbei profitieren wir auch von unserer Produktion in Europa und der Türkei. Wir planen die ersten Mengen circa sieben bis acht Monate vor der Auslieferung. Vor der Pandemie waren es vier bis fünf Monate vor der Auslieferung.”

Der Deutsche Textilverband DTB widmete diesem Thema Anfang Februar diesen Jahres eine Informationsveranstaltung und zog ein ganz konkretes Fazit: Viele Bekleidungshersteller suchen derzeit nach Möglichkeiten, zumindest einen Teil ihrer Produktion von Asien zurück nach Europa zu verlagern. Dafür gibt es zahlreiche Gründe: Die einen erhoffen sich stabilere Lieferketten, die anderen kürzere Lieferzeiten und flexiblere Logistikketten, wieder andere kürzere Transportwege und damit mehr Nachhaltigkeit. Wenn derzeit so viele Bekleidungsunternehmen das gleiche Ziel verfolgen, wird es dadurch vielleicht realistischer, dass wir unsere Bekleidung künftig wieder in Europa produzieren? Nein, glaubt Susanne Pass, Geschäftsführerin des Dialog Textil-Bekleidung e.V. (DTB), ein Verein, der Unternehmen der gesamten textilen Kette, Bildungseinrichtungen, Institute und branchenrelevante Gremien zusammenführt. Die enormen Mengen an Kleidung, die wir derzeit in Asien produzieren, könnten Unternehmen und Fabriken ihrer Meinung nach nicht in Europa produzieren.

Erweiterung des Produktangebots oder Fokus auf Kernbereiche?

Der „The State of Fashion 2023”-Bericht empfiehlt Marken, jetzt ihre Produktlinien zu erweitern und zu ergänzen, um eine breitere Zielgruppe anzusprechen. Im Idealfall sind Modelabels flexibel und in der Lage, schnell auf sich ändernde Marktbedingungen zu reagieren und ihre Geschäftsmodelle entsprechend anzupassen, beispielsweise durch die Einführung neuer Produkte oder Dienstleistungen. Eines der Beispiele im Bericht ist genderfreie Mode – also Kleidung, die nicht in die klassischen, binären Damen- oder Herrenmodekategorien fällt. 

Moritz Biel, Geschäftsführer des deutschen Fair-Fashion-Labels Givn Berlin, geht aktuell jedoch einen anderen Weg. „Wir konzentrieren uns auf Kernbereiche und haben unsere Kollektion etwas gestrafft. Der Fokus liegt nun vor allem auf den richtigen Highlight-Styles sowie unseren saisonübergreifenden Bestsellern. Im Bereich dazwischen haben wir versucht, die Anzahl an Modellen zu reduzieren. Dadurch bleibt auch im Marketing und der Logistik der Fokus mehr auf den wirklich wichtigen Modellen. Frei nach dem Motto ,weniger aber besser’.”

Bei Wildling sieht es ähnlich aus: Die Produktionsmengen werden der tatsächlichen Nachfrage angepasst. Mehr Fokus auf die relevantesten Produkte und Entwicklungen, sowie auf Funktion und Qualität ermöglicht uns, unsere finanziellen Möglichkeiten auf das Wesentliche zu konzentrieren”, so Geschäftsführerin Anna Yona.

Flexibilität ist gefragt: weniger Saisondenken, mehr On-Demand-Produktion

Auch On-Demand-Geschäftsmodelle werden beliebter. So können Modelabels auf Abruf fertigen, was die Kosten für die Lagerhaltung senkt und die Reaktionsfähigkeit erhöht. Eine Made-to-Order-Produktion ermöglicht es Unternehmen, schnell und einfach auf sich ändernde Nachfragen und Marktbedingungen zu reagieren. Da Produkte erst dann hergestellt werden, wenn sie bestellt werden, reduzieren sie zudem die Notwendigkeit von Lagerbeständen und verringern damit das Risiko von Überproduktion. Ressourcen werden effizienter genutzt, indem Unternehmen nur die benötigte Menge an Materialien und Energie verwenden. 

„Eine stärkere On-Demand-Produktion sowie mehr Flexibilität auf der Orderseite hat teilweise schon stattgefunden. Auf lange Sicht müssen wir weg von den starren Orderzyklen und uns vom Saisondenken lösen. Flexiblere Modezyklen sind die Zukunft”, so Gerrit Heinemann. Das würde ihm zufolge aber nur durch kürzere Lieferketten klappen – also vor allem durch die Produktion in Europa. 

Schnelle Reaktionsfähigkeit aufbauen dank Digitalisierung

Unabhängig davon, wie Lieferanten ihre Produktionskapazitäten oder ihre globale Präsenz diversifizieren, wird die zunehmende Digitalisierung es ihnen ermöglichen, die zunehmend sich verändernden Bedürfnisse von Marken zu unterstützen. In einer McKinsey-Umfrage aus dem Jahr 2021 nannten Einkaufsleiter*innen Kapazitätsplanung, virtuelles Sampling und Transparenz der Lieferkette als Schlüsselbereiche für digitale Investitionen in den nächsten fünf Jahren.

In der Vorproduktion helfen digitale Plattformen Marken bei der Beschaffung von Stoffen und der Erstellung digitaler Muster, wodurch Zeit und Geld gespart und Abfall reduziert werden. In der Postproduktion verbessern detaillierte, digitale Looks den Informationsfluss zwischen Lieferanten und Marken.

Geschäftsbeziehungen weltweit stärken und pflegen

Vor allem während der Corona-Pandemie fiel auf, wie brüchig die Geschäftsbeziehungen zu Textilherstellern und Handelspartnern sind, vor allem zu jenen, die ihren Sitz im Globalen Süden haben. Geschäftsbeziehungen zu stärken und zu pflegen gilt als einer der wichtigsten Schritte, um resiliente Wertschöpfungsketten aufzubauen. Marken sollten nicht nur die Bedürfnisse und Prioritäten ihrer Kund*innen kennen, sondern auch die ihrer Handelspartner. Was beschäftigt diese derzeit und welche Zukunftspläne haben sie? Wie können sich Marken und Textilhersteller gegenseitig unterstützen, um die jeweiligen Ziele zu erreichen? Welche Prozesse müssen gemeinsam neu gedacht und umstrukturiert werden, um resilientere Geschäftspartnerschaften und so wiederum krisenfestere Wertschöpfungsketten aufzubauen? Und wie können Verträge so gestaltet werden, dass Marke und Handelspartner ein geringes finanzielles Risiko haben?

Etwa 60 Prozent der Führungskräfte in der BoF-McKinsey-Umfrage gaben an, dass sie erwägen, strategische Partnerschaften mit Lieferanten einzugehen, um Unterbrechungen der Lieferkette zu mildern. Zusammenarbeit kann viele Formen annehmen, von Ko-Finanzierung gemeinsamer Projekte bis hin zu anderen Anreizsystemen. 

Die in einem neuen Bericht von Business-of-Fashion-Insights (Building Resilience and Value in Fashion’s Supply Chain”) veröffentlichten Umfrageergebnisse ergaben, dass rund 70 Prozent der befragten Führungskräfte angaben, die Stärkung der Lieferantenbeziehungen sei eine der obersten Prioritäten der Lieferkette. Laut dem Bericht gaben Führungskräfte auch an, dass sie ihre Aufmerksamkeit mehr auf die Upstream- als auf die Downstream-Landschaft ihrer Wertschöpfungskette lenken. 

„Es ist wichtig, dass Marken die eigenen Lieferketten in der Tiefe nachvollziehen und Geschäftsmodelle forcieren, die langfristige Planung und Beziehungen mit den Geschäftspartnern erlauben”, erklärt Dr. Jiska Gojowczyk von SÜDWIND. „Die Devise lautet: weniger Preis- und Zeitdruck, dafür aber mehr mit vertrauensvollen und fairen Geschäftsbeziehungen arbeiten”. Dabei sei auch wichtig, dass die Arbeitnehmer*innen als Rückgrat jeder Wertschöpfung verstanden werden. 

Studien, unter anderem der OECD zeigen, dass Unternehmen, die menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten einhalten, auch in Krisenzeiten resilienter sind, etwa weil sie ihre Lieferketten besser kennen”, meint Eva-Maria Reinwald, Referentin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte bei SÜDWIND. „Wenn Unternehmen stabile und verantwortungsvolle Beziehungen mit ihren Geschäftspartnern im Ausland pflegen, können sie dazu beitragen, dass wir die Krisen dieser Welt gemeinsam meistern, statt die Schwächsten im Stich zu lassen. Menschenrechtsverstöße wie die massenhafte Entlassung unsicher beschäftigter Textilarbeiter*innen in der Corona-Pandemie dürfen sich nicht wiederholen. Verbraucher*innen, die kritische Öffentlichkeit und potenzielle Mitarbeiter*innen erwarten zunehmend auch in der Reaktion auf Krisenzeiten ein verantwortungsvolles Handeln von Unternehmen.”

Indem Modelabels ihre Lieferketten transparent gestalten und langjährige Geschäftsbeziehungen sowie eine offene Kommunikation pflegen, können sie Risiken frühzeitig erkennen. Dazu gehört auch die Überprüfung der Arbeitsbedingungen und Umweltauswirkungen in den Produktionsstätten, um sicherzustellen, dass sie den eigenen ethischen Standards entsprechen. Aber auch die Unterstützung von Lieferanten bei der Implementierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Produktionsbedingungen. Durch das Einrichten von Frühwarnsystemen für unvorhergesehene Ereignisse, wie etwa Naturkatastrophen, können Modelabels schnell auf Krisensituationen reagieren und ihre Lieferketten, aber auch Produzenten und Handelspartner schützen.

Laut Noor Naqschbandi, der das Sektorvorhaben Nachhaltiger Konsum” in der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) leitet, sind verantwortungsvolle Einkaufspraktiken von zentraler Bedeutung. „Unternehmen sollten größtmögliche Transparenz über ihre Lieferketten herstellen und sie auf reale und potenzielle Risiken analysieren – gemeinsam mit den Zulieferern. Verantwortungsvolle Einkaufspraktiken sind das A und O und mit dem Common Framework for Responsible Purchasing Practices gibt es seit 2022 erstmals einen einheitlichen Rahmen.” 

Der Common Framework for Responsible Purchasing Practices wurde von einem Konsortium aus Multi-Stakeholder-Initiativen (unter anderem der Fair Wear Foundation, Solidaridad und dem Textilbündnis) entwickelt und dient als Referenzleitfaden für die Bekleidungsbranche. Im Rahmenwerk werden fünf Prinzipien verwendet, um verschiedene Facetten verantwortungsbewusster Einkaufspraktiken vorzustellen: Integration und Berichterstattung, gleichberechtigte Zusammenarbeit, kooperative Produktionsplanung, faire Zahlungsbedingungen und nachhaltige Kostenrechnung. Zudem wurde eine „Learning and Implementation Community“ gegründet – eine Peer-Learning-Plattform für Unternehmen, um konkrete Verbesserungen im Einkaufsprozess anzuregen.

Risiken mit KI-Systemen rechtzeitig identifizieren

In Krisensituationen können auch KI-gestützte Systeme Modelabels und ihren Partnern helfen, frühzeitig Risiken zu identifizieren und rechtzeitig darauf zu reagieren:

  1. Sphera: Eine webbasierte Plattform, die künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen verwendet, um Risiken in der Lieferkette in Echtzeit zu erkennen und zu überwachen. Das System überwacht kontinuierlich Lieferanten und Standorte, um frühzeitig Anzeichen von Risiken, wie etwa Lieferengpässe, Qualitätsprobleme oder Arbeitsbedingungen, zu erkennen.
  2. Resilinc: Eine cloud-basierte Plattform, die künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Big Data Analytics nutzt, um die Lieferkettenrisiken von Unternehmen zu identifizieren und zu bewerten. Das System kann auch Prognosen erstellen, um die Auswirkungen von möglichen Störungen in der Lieferkette zu bewerten.
  3. FourKites: Eine Logistik-Plattform, die künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen einsetzt, um den Echtzeit-Status von Warenlieferungen zu überwachen. Das System kann frühzeitig Störungen in der Lieferkette erkennen und alternative Routen vorschlagen.
  4. Bright Machines: Eine Automatisierungsplattform, die künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Robotik einsetzt, um die Herstellung von Textilien und Bekleidung zu optimieren. Das System kann automatisch Produktionslinien anpassen und überwachen, um auf veränderte Anforderungen zu reagieren und das Risiko von Produktionsausfällen zu minimieren.

Preise erhöhen, aber wie?

Die Preise für Baumwolle sind im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr um bis zu 60 Prozent gestiegen. Nicht zuletzt sind die Rohstoffpreise infolge von extremen Wetterbedingungen gestiegen – wie beispielsweise den Überschwemmungen in Pakistan im Sommer 2022, wo bis zu 45 Prozent der Baumwollernte des Landes durch Überschwemmungen vernichtet wurden. In den USA und Brasilien – den dritt- beziehungsweise fünftgrößten Baumwollproduzenten der Welt – hat wiederum die Dürre die Ernten verwüstet. Steigende Rohstoffpreise und anhaltende Unterbrechungen der Lieferkette zwingen viele Unternehmen bereits dazu, diese Kosten an die eigenen Kund*innen weiterzugeben.

Laut des Berichts „The State of Fashion 2023“ erwarten rund zwei Drittel der befragten Modemanager*innen, die Einzelhandelspreise in den kommenden Monaten zu erhöhen, mit einer durchschnittlichen Steigerung von 3,2 Prozent. Höhere Preise können, je nach Preissegment, die Nachfrage dämpfen. Schließlich werden nicht nur Blusen und Hosen teurer – auch Lebensmittel- und Benzinpreise sowie andere lebensnotwendige Dinge strapazieren den Geldbeutel der Konsumierenden.

Eine Preiserhöhung war auch für uns leider unvermeidlich”, so Moritz Biel von Givn Berlin. „Gründe dafür sind die steigenden Energie-, Rohstoff- und Transportkosten. Das führt auch dazu, dass wir trotz Preiserhöhungen leider eine schlechtere Marge haben als bisher. Wir sind aber guter Dinge, dass sich der Markt wieder etwas beruhigt. Aktuell können wir viele Eckpreise wie bei T-Shirts noch halten und nur punktuell die Preise erhöhen. Wir behalten die Entwicklung aber natürlich im Blick und versuchen weiterhin einen guten Kompromiss aus Wirtschaftlichkeit und leistbaren Verkaufspreisen zu schaffen.”

Auch Wildling Shoes musste die Preise der Schuhe erhöhen. „Wir hatten die Wahl, alle Preise zu erhöhen oder einen Unterschied zwischen Kinderschuhen und Erwachsenenschuhen zu machen. Wir haben uns für letzteres entschieden, weil wir insbesondere die Kinderschuhe für so viele Menschen wie möglich zugänglich halten wollen. Daher behalten wir die Kinderschuhpreise bei. Zum Ausgleich müssen wir die Preise im Erwachsenenbereich deutlich anheben”, so Anna Yona. 

Doch es gibt auch anderen Beispiele: Das nachhaltige Label Mela senkt seine Preise aktuell für Einzelhändler. So plant das Unternehmen letzteren ein wenig entgegenzukommen, damit sie trotz steigender Fixkosten höhere Margen haben. Mela produziert nämlich in Indien und Sri Lanka und hat aktuell kaum Probleme mit steigenden Rohstoffpreisen. „Bei uns ist der Trend eher stagnierend, was Rohstoffpreise angeht”, berichtet Henning Siedentopp, Geschäftsführer des Unternehmens. „Natürlich sind die Rohstoffpreise im Einkauf im Laufe der Jahre gestiegen. Seitdem es Mela gibt, habe noch nicht erlebt, dass Rohstoffe günstiger geworden sind. Doch wir haben uns als Unternehmen eins vorgenommen: Wenn wir größer werden und unsere Nachhaltigkeitsstandards weiter ausbauen, wollen wir uns auch ökonomisch verbessern. Unsere Preise sind also nicht gestiegen. Wir haben unsere Marktpreise und unverbindliche Preisempfehlungen entweder konstant gehalten, oder wie im Fall der Händlerpreise und -marge sogar reduziert.” 

KI-Systeme, die bei der Finanzplanung in Krisenzeiten und Inflationen unterstützen

Es gibt mittlerweile zahlreiche KI-Systeme, die bei der Finanzplanung in Krisenzeiten und bei Inflation helfen können. Diese können dazu beitragen, Prognosen für zukünftige Entwicklungen zu erstellen, Risiken zu identifizieren und Wege zu finden, um die Finanzen des Unternehmens zu optimieren:

  1. Die KI-basierte Finanzplanungssoftware Riskturn verwendet Modellierung und Simulation, um mögliche Risiken und Herausforderungen zu identifizieren und die Finanzen des Unternehmens zu optimieren. Diese Software bietet zudem Echtzeit-Einblicke in die Finanzlage des Unternehmens und unterstützt Entscheidungen bei der Budgetierung und der Ressourcenallokation.
  2. IBM Planning Analytics, eine cloud-basierte Planungs- und Analyseplattform, hilft Unternehmen, ihre Finanzen in Echtzeit zu überwachen und schnell auf sich ändernde Marktbedingungen zu reagieren. Diese Software nutzt KI-Technologien wie maschinelles Lernen und kognitive Analyse, um Prognosen zu erstellen, Trends zu identifizieren und Risiken zu minimieren.
  3. Fivetran ist ein cloud-basiertes Datenintegrations- und Analysetool, das Unternehmen in der DACH-Region bei der Integration und Analyse von Finanzdaten unterstützt. Diese Plattform nutzt KI-Technologien, um Daten aus verschiedenen Quellen wie Buchhaltungssoftware, ERP-Systemen und CRM-Tools automatisch zu extrahieren, zu transformieren und zu laden. Die Plattform bietet auch Tools zur Erstellung von Dashboards und Berichten, um Echtzeit-Einblicke in die Finanzen des Unternehmens zu liefern.
  4. SAP Analytics Cloud, Oracle und Workday Adaptive Planning sind allesamt cloud-basierte Plattform, die maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz nutzt, um Daten zu analysieren und Prognosen zu erstellen. Die Plattform bietet auch Tools zur Erstellung von Budgets, Forecasts und Szenarien, um Unternehmen bei der Finanzplanung zu unterstützen.
  5. Tidely ist eine Finanzmanagement-Plattform, die speziell für kleine Unternehmen entwickelt wurde. Sie bietet Funktionen zur Verwaltung von Finanzdaten wie Konten, Transaktionen, Ausgaben und Einnahmen sowie zur Erstellung von Berichten und Dashboards, die die finanzielle Performance des Unternehmens abbilden.

Solche KI-Systeme können dazu beitragen, dass Brands ihre Finanzen effektiver verwalten und auf wirtschaftliche Krisen wie Inflation und steigende Rohstoffpreise besser reagieren können.

Die richtige Kommunikation von Inflations- und krisenbedingten Preiserhöhungen

In einem Artikel aus dem Jahr 2021 in der Harvard Business Review empfahl Utpa Dholakia, Professorin für Marketing an der School of Business der Rice University, Einzelhändlern, transparent zu bleiben und Preiserhöhungen auch als solche zu benennen. Marken sollten Kund*innen zudem zeigen, warum eine Preiserhöhung überhaupt erst notwendig ist – zum Beispiel für die weitere Beschaffung von hochwertigen Rohstoffen.

Das Kölner Markt- und Medienforschungsinstitut Rheingold hat in tiefgründigen Interviews, die sie über die letzten Monate mit Privatleuten geführt hat, herausgefunden, dass diese zahlreiche Sorgen und Nöte teilen, angekurbelt durch die sich vermehrenden Krisen und steigenden Preise. „Alle spüren die Krisen”, erklärt Birgit Langebartels, Diplom-Psychologin und Leiterin Kids & Family Research bei Rheingold. „Menschen sind verunsichert, haben Ängste, teilweise sogar ein Ohnmachtsgefühl vor der Ungewissheit. Es ist eine Mischung aus Resignation, Frust, Trotz, Wut, aber auch Hoffnung, dass es bald wieder besser wird.” Alle würden aktuell das eigene Konsumverhalten hinterfragen. Sogar Haushalte, die nicht sparen müssten, würden es mittlerweile tun. „Es gibt ihnen ein Gefühl von Kontrolle.”

Krisen wie Inflationen als Chance für eine neue Art der Markenkommunikation nutzen

Wichtig ist auch hier, dass Marken präsent und transparent sind und das kommunikativ abbilden. „Solche Krisen können für Unternehmen auch eine Chance sein, um Kund*innen ganz neu und anders zu begegnen”, so Langebartels. „Gerade jetzt, wenn Menschen alles überdenken und infrage stellen, können Marken auf sich aufmerksam machen und ihren Mehrwert kommunizieren.” Es herrsche eine Umstellungskonstanz – wir müssen uns kollektiv ständig umstellen und neu anpassen. Dabei fragen sich Menschen auch, wie Marken damit umgehen und was sie aktuell machen. Wenn Marken aktuell vor Herausforderungen stehen und sich einschränken müssen, dann sollten sie dies auch mit ihren Kund*innen teilen.”

Stabilisieren: Kund*innen ein Stück Selbstwirksamkeit zurückgeben

Laut Rheingold sollten Brands im Idealfall stabilisieren, erhalten und Mut machen und somit Präsenz, Verletzlichkeit, Wertschätzung und Transparenz kommunizieren : „Marken helfen Menschen, die den Boden unter den Füßen verloren haben, sich wieder zu stabilisieren. Sie geben ihnen ein Stück Kontrolle und Selbstwirksamkeit zurück”, sagt Diplom-Psychologin Birgit Langebartels.

Erhalten: ein wiederkehrender Rhythmus und Orientierung werden wichtiger

Das „Erhalten” bezieht sich eher auf Vergangenes. „Hierbei kommunizieren Unternehmen, dass die Welt nicht komplett verloren geht, sondern auch etwas bewahrt wird. Ein wiederkehrender Rhythmus wird immer wichtiger. Nachhaltigkeit kann hier auch als konservatives Versprechen verstanden werden, das Halt und Orientierung gibt.”

Mut machen: Kund*innen beim Wandel begleiten

Die dritte Botschaft, das „Mut machen”, bezieht sich auf die Zukunft. „Hier geht es um einen positiven Zukunftsausblick. Unternehmen sollen die Krise zwar benennen, aber auch zuversichtlich sein und zeigen, dass nicht alles schlechter wird. Dabei begleiten sie ihre Kund*innen durch die schweren Zeiten, kommen ihnen entgegen und begleiten sie während des Wandels. Letztlich geht es also um Resilienz. Jede Krise hat einen Anfang und ein Ende”, so Langebartels.

Modelabels sollten also transparent kommunizieren und über ihre aktuellen Herausforderungen, Bemühungen und Fortschritte berichten. Sie können auch ihre Kund*innen in die Diskussionen einbeziehen und Feedback einholen, um sicherzustellen, dass ihre Produkte und Dienstleistungen den Bedürfnissen und Anforderungen der Verbraucher’innen entsprechen.

Mit Kund*innen und Geschäftspartnern in ständigem Kontakt bleiben

Die aktuellen Herausforderungen und Krisen in der Modebranche erfordern eine umfassende Überprüfung der Geschäftspraktiken und -modelle, um sicherzustellen, dass das eigene Unternehmen zukunftsfähig und nachhaltig wirtschaften kann.

Krisenfeste Lieferketten sind für die Modebranche von entscheidender Bedeutung, insbesondere in langen Phasen globaler Unsicherheit und Instabilität. Eine der wichtigsten Strategien für resiliente Lieferketten ist der Dialog mit den eigenen Kund*innen. Durch die regelmäßige und transparente Kommunikation über mögliche Lieferverzögerungen, Änderungen im Produktionsprozess und Preiserhöhungen können Kund*innen Verständnis aufbringen, das Vertrauen in die Marke behalten und eventuell sogar stärken.

Titelbild: Tima Miroshnichenko

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