Schätzungen zufolge werden allein in der Woll-, Pelz-, Leder- und Daunenindustrie weltweit jährlich über zwei Milliarden Tiere eingesetzt, von denen viele unter unzureichenden Lebensbedingungen, Verletzungen und chronischem Stress leiden. Statistiken über die genaue Zahl der Tiere, die innerhalb der Modelieferketten genutzt werden, sind jedoch nicht sehr zuverlässig, da die Daten nicht routinemäßig erhoben werden. Es werden zudem nicht alle Leder- oder Pelzarten gemeldet. Ein weiteres Problem: Es gibt beispielsweise Überschneidungen zwischen Schafen, die für Leder oder Fleisch gehalten werden, und Schafen, die für Wolle gezüchtet werden – das kann unter Umständen zu einer Doppelzählung führen.
Die Verwendung tierischer Produkte in der Modeindustrie stößt auf Kritik, insbesondere in Sachen Tierschutz und Ethik. Befürworter*innen meinen jedoch, dass es sich bei vielen tierischen Produkten um ein Nebenprodukt der Fleischproduktion handele. Auch bei Wolle nehmen viele an, es sei nicht so „schlimm”: Die Schafe werden ja „nur” geschoren? Alles nur Mythen oder entsprechen diese Behauptungen vielleicht doch der Wahrheit?
Tierschutz in der Modeindustrie: zwischen Idealismus und Realität
Um das Bewusstsein von Tierschutzproblemen zu schärfen und den Zusammenhang zwischen dem Umgang mit Tieren, Menschenrechten und ökologischer Nachhaltigkeit in der Mode hervorzuheben, hat die Tierschutzorganisation Vier Pfoten einen Bericht zum Thema Tierschutz in der Mode entwickelt. Der diesjährige Bericht basiert auf dem Report vom letzten Jahr.
Die NGO bewertete 111 Modemarken, darunter C&A, Nike, Mango, The North Face, New Balance, Adidas, Dior, Patagonia, Otto Group, Puma, Hugo Boss, Uniqlo, Gucci und H&M. Das Ergebnis: Modeunternehmen geben dem Tierschutz zunehmend Priorität – 57 Prozent der untersuchten Marken haben eine formelle Tierschutzrichtlinie.
Doch diese anschließend in die Praxis umzusetzen, stellt die Marken vor große Herausforderungen. Denn selbst wenn Marken formelle Tierschutzrichtlinien haben, werden die meisten ihrer Aussagen nicht durch unabhängige Tierschutzzertifizierungen überprüft. Das führt unter anderem dazu, dass viele Marken weiterhin Materialien tierischen Ursprungs verwenden, die nur bedingt rückverfolgbar sind. Zudem haben die meisten untersuchten Marken sich nicht (zeitlich) dazu verpflichtet, die Verwendung von Materialien tierischen Ursprungs zu reduzieren oder zu eliminieren. Bei Zertifizierungen sieht es ähnlich aus: Obwohl alle untersuchten Fast-Fashion-Marken beispielsweise Wolle verwenden, haben nur weniger als fünf Prozent zeitgebundene Verpflichtungen, auf zertifizierte Wolle umzusteigen.
Vor allem Luxusmarken erhalten die niedrigste Punktzahl von der NGO. Während Stella McCartney als Vorreiterin in Sachen Tierschutz gilt, liegt der Rest der untersuchten Luxusunternehmen weit zurück. Dementsprechend erreichen sie in der Studie einen Marktsegmentdurchschnitt von nur 23 Prozent, insbesondere aufgrund ihrer hohen Ausbeutung von Wildtieren und der allgemeinen Intransparenz. Unter den zehn Brands, die am schlechtesten abschneiden, sind acht Luxuslabels – darunter Hermès, Prada, Louis Vuitton und Moncler.
Mehrere Zertifizierungsinitiativen zielen auf Tierschutz ab, darunter der Good Cashmere Standard, die Sustainable Fibre Alliance und der Textile Exchange Responsible Down and Wool Standards. Solche Zertifizierungsinitiativen können ein wichtiger Weg für Modemarken sein, um höhere Tierschutzstandards zu gewährleisten.
Vier Pfoten berichtet, dass nur 50 Prozent der untersuchten Fast-Fashion-Marken, die Daunen einsetzen, zertifizierte Daunen beziehen. In der Sportbekleidungsindustrie fällt das Ergebnis noch schlechter aus: Alle untersuchten Sportmarken verarbeiten Wolle und Daunen – doch nur 13 Prozent beziehen zertifizierte Wolle. Bei Daunen sind es knapp 25 Prozent der Unternehmen. Die meisten Marken beziehen also weiterhin Materialien tierischen Ursprungs mit sehr begrenzter Rückverfolgbarkeit. Eine transparente Lieferkette kann in den meisten Fällen also nicht gewährleistet werden.
Die Outdoor-Industrie schneidet im Vergleich besser ab. Knapp die Hälfte (45 Prozent) der Outdoor-Marken, die Wolle verwenden, beziehen zertifizierte Wolle. Weitere 18 Prozent haben sich verpflichtet, auf 100 Prozent zertifizierte Wolle umzusteigen. 89 Prozent der Marken, die Daunen verarbeiten, beziehen bereits vollständig zertifizierte Daunen.
Wir haben mit Annika Kreuzer über die kritischen Themen rund um das Thema Tierschutz in der Modebranche gesprochen. Sie ist Kampagnenverantwortliche für Mode und Tierschutz bei Vier Pfoten Deutschland und hat beim entsprechenden Bericht mitgewirkt.
Vier Pfoten Deutschland hat erst kürzlich einen Ratgeber zum Thema tierleidfreide Mode veröffentlicht. Was bedeutet denn eigentlich tierleidfreie Mode?
Annika Kreuzer: Einfach ausgedrückt bedeutet der Begriff, dass kein Tier für unsere Kleidung leiden muss. Als globale Stiftung für Tierschutz würden wir da noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass die Tiere, die für die Modeindustrie „genutzt werden“ nicht nur ein leidfreies Leben führen sollten, sondern ein gutes Leben. Das Ziel ist: ein positives Tierwohlbefinden.
Für manche Tierarten ist das auch durchaus möglich – für andere jedoch nicht. Das gilt zum Beispiel für Wildtiere, die spezifisch für ihren Pelz gezüchtet werden. In diesem Fall ist eine artgemäße Tierhaltung und ein positives Tierwohlbefinden quasi unmöglich zu erreichen. Aus Tierschutzsicht ist deswegen ist gerade bei diesen Materialien der konsequente Ausschluss die einzig richtige Option.
Lass uns mal einige Tierfasern unter die Lupe nehmen. Worauf sollten Kund*innen zum Beispiel beim Kauf von Wolle achten? Gibt es hier Textilsiegel, die weiterhelfen?
Beim Thema Wolle denken viele, es handele sich um ein Naturprodukt, da die Tiere sowieso geschoren werden müssen. Das ist leider nicht ganz der Fall. Schafe müssen nur geschoren werden, weil sie von Menschen daraufhin gezüchtet wurden, besonders viel Wolle zu produzieren. Ohne das Einwirken des Menschen würden Schafe nur genau so viel Wolle produzieren, wie sie bräuchten, um ihre eigene Temperatur zu regulieren – sprich sich vor extremer Kälte oder Hitze zu schützen.
Ein ganz grausames Tierschutzproblem ist das sogenannte Mulesing – eine Praktik, die heute nur noch in Australien durchgeführt wird. Etwa zehn Millionen Merino-Lämmer jährlich werden dieser äußerst schmerzhaften Prozedur unterzogen.
Beim Mulesing werden große Hautstreifen rund um den Po des kleinen Lamms – meist ohne Betäubung – weggeschnitten, um den Fliegenmadenbefall zu verhindern. Dabei gibt es das Problem mit dem Fliegenbefall überhaupt nur, weil die Schafe auf möglichst viel Wolle gezüchtet worden sind. Durch dieses Mehr an Wolle gibt es auch mehr Hautfalten, in denen sich die Maden einnisten können. In Deutschland wissen tatsächlich noch nicht sehr viele Menschen von dieser Verfahrensweise, unter anderem weil sie hier auch nicht durchgeführt wird. Aber da Australien der weltweit größte Wollproduzent ist und diese in alle Welt exportiert, ist Mulesing bedauerlicherweise auch ein weltweites Problem. Ein Problem, das auch Merino-Wolle und -Produkte betrifft, die in Deutschland erhältlich sind.
Es gibt einige Siegel, die Mulesing verlässlich ausschließen und eine vollständige Rückverfolgbarkeit der Lieferkette garantieren. Da hätten wir beispielsweise den Responsible Wool Standard, Nativa, ZQ Merino und den Organic Content Standard. Wie bei allen tierischen Fasern ist auch hier vor allem die Rückverfolgbarkeit der Lieferkette wichtig – eine vollständige Rückverfolgbarkeit bis zur Farm. Denn nur so lassen sich die Angaben der Produzent*innen wirklich überprüfen.
Mulesing ist also immer noch weit verbreitet?
Mulesing wird immer bekannter, auch in der Modeindustrie. Immer mehr internationale Modemarken schließen Mulesing komplett aus und steigen auf 100 Prozent zertifizierte Wolle um. Wir haben auch eine Kampagne zu dem Thema – Wolle mit Po. Da haben wir zum Beispiel eine Liste mit über 200 Marken, die sich gegen Mulesing positionieren und starke Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören unter anderem C&A, Hugo Boss, Kik und Marc O’Polo. Starke Maßnahmen beinhalten vor allem die Tatsache, dass Marken auf internationale Rückverfolgbarkeits- und Zertifizierungssysteme setzen (zum Beispiel das RWS), um die Angaben der Lieferant*innen auch wirklich überprüfen zu können.
Mulesing ist eine völlig unnötige Praktik. Es gibt bereits Alternativen dazu: Viele Landwirt*innen in Australien sind beispielsweise schon längst auf andere Schafzüchtungen umgestiegen, die weniger Falten haben und deswegen von Natur aus resistenter gegen den Fliegenbefall sind.
Aber auch Zertifizierungen können Tierleid nicht zu 100 Prozent ausschließen. Neben Mulesing gibt es weitere Tierschutzprobleme der Schafhaltung – über den Scherprozess, den Transport, die Schlachtung. Diese Probleme werden nicht vollständig von den Siegeln angegangen.
Ist ethische Wolle also nur eine Illusion?
Grundsätzlich können wir nicht alle Schafhalter*innen in einen Topf packen. Es gibt durchaus Landwirt*innen, die sehr auf das Wohl ihrer Tiere achten und nach den höchsten Umwelt- und Tierschutzstandards arbeiten. Kleinere Marken tendieren eher dazu, den engen und direkten Kontakt zum*zur Wollproduzent*in zu pflegen. Dadurch sind die Lieferketten kurz und überschaubar. Das ermöglicht sicherlich in manchen Fällen eine ethischere Wollproduktion.
Aber wir sehen – gerade bei den großen Modemarken –, dass es quasi unmöglich ist, diesen engen Kontakt zu den unzähligen Produzent*innen zu pflegen. Die globalen Lieferketten sind nun mal sehr komplex. Deswegen sind Zertifizierungssysteme, die die komplette Lieferkette rückverfolgen, so wichtig.
Abgesehen von den Tierschutzaspekten, ist natürlich auch bei Wolle das Thema Umwelt und Klima ein sehr wichtiger Punkt. Denn Wolle ist nicht unbedingt das nachhaltigste Material, auch wenn es oft so scheint. Die Millionen Schafe stoßen nämlich klimaschädliches Methan aus. Zudem gehen zahlreiche Ressourcen für die Futtermittel drauf. Auch daher sollten Konsumierende am besten auf andere Materialien umsteigen, die umweltfreundlicher produziert werden können.
Aber Wolle wird häufig als antibakteriell bezeichnet und muss daher weniger gewaschen werden. Kompensiert sich das CO2 damit nicht ein wenig?
Ich finde den Higg Index in diesem Fall ganz spannend. Dieser beurteilt die Materialien nach ihren jeweiligen Auswirkungen auf die Umwelt. Gerade bei Schafen hat man die Idylle mit den grünen Weiden im Kopf. Aber im Vergleich zu anderen Materialien schneidet Schafwolle – gerade unter Klimagesichtspunkten – schlechter ab als Biobaumwolle und Polyester zum Beispiel.
(Anm. d. Red.: Der Higg Index ist ein Selbstbewertungsstandard für die Bekleidungs- und Schuhindustrie zur Bewertung der ökologischen beziehungsweise der sozialen Nachhaltigkeit in der gesamten Lieferkette. Ein ausführliches Interview über die verschiedenen Higg-Programme findet ihr bei Fashion United.)
Vier Pfoten hat deutsche Unternehmen unter die Lupe genommen, unter anderem Armed Angels, Zalando, Adidas, C&A, Hugo Boss.
Folgendes kam dabei raus:
- 72 Prozent der Marken haben eine formelle Tierschutzrichtlinie
- 78 Prozent kommunizieren eine Position gegen Mulesing
- 33 Prozent haben sich zum Einsatz von Tierschutz-Zertifizierungsinitiativen verpflichtet
- 44 Prozent verwenden zertifizierte Daunen
- Fünf Prozent beziehen ausschließlich zertifizierte Wolle
- Elf Prozent haben sich verpflichtet, den Einsatz von Materialien tierischen Ursprungs zu reduzieren
Wie sieht es beim Thema Leder aus? Ist es tatsächlich ein Nebenprodukt der Fleischindustrie, wie viele annehmen?
Aus Tierschutzperspektive gibt es keinen Unterschied zwischen verschiedenen Endprodukten: Das Tierleid bleibt das gleiche. Aber Nebenprodukte sorgen dafür, dass das Schlachten von Tieren profitabler ist, und die Lederindustrie so zu den Gewinnen der Rinderindustrie beiträgt. Allein Häute und Felle sind jährlich über 5 Milliarden wert. Wenn wir kein Leder mehr konsumieren würden, würden vor allem die Schlachthöfe Verlust machen, denn das umweltfreundliche Entsorgen der Felle ist ein erheblicher Kostenfaktor für die Industrie.
Durch die hohe Nachfrage an Leder werden – vor allem exotische Tiere – teilweise hauptsächlich nur für die Lederherstellung gezüchtet. Damit trägt auch die Lederindustrie dazu bei, dass die Tierhaltung weiterhin lukrativ bleibt.
Auch Tierschutzprobleme können hier nicht ausgeschlossen werden. Demnach können Tierquälereien während der Haltung, dem Transport und der Schlachtung auch mit der Lederindustrie in Verbindung gebracht werden. Es ist also ähnlich wie bei Wolle, respektive sind die Auswirkungen auf das Klima und die Umwelt aber noch verheerender. Ich glaube, das wissen die meisten Menschen auch: Die industrielle Tierhaltung trägt einen maßgeblichen Teil zur Klimaerwärmung bei – unter anderem durch Waldrodung für den Anbau von Futtermitteln und die großen Mengen an Methan, die die Rinder ausstoßen.
Bei der Lederherstellung oder dem Gerbprozess werden zudem häufig giftige Chemikalien eingesetzt, die örtliche Gewässer und Ökosysteme verschmutzen. Die Lieferketten bei Leder sind außerdem unglaublich komplex. Uns sind eigentlich keine Unternehmen bekannt, die das Leder bis zur Farm, und somit bis zum tierhaltenden Betrieb, rückverfolgen können.
Deswegen kann kein Unternehmen mit größter Sicherheit sagen, wo das von ihnen verwendete Leder wirklich herkommt beziehungsweise unter welchen Bedingungen die Tiere tatsächlich gelebt haben. Anders als bei Wolle gibt es für Leder bedauerlicherweise auch noch keine verlässlichen Zertifizierungssysteme, die die Lederlieferketten aus Tierschutzgesichtspunkten betrachten. Dementsprechend sind wir hier auch besonders kritisch.
In eurem Mode-Ratgeber setzt ihr veganes Leder in den Fokus. Doch nicht alle veganen Lederarten sind unbedingt nachhaltig(er). Auch das sehen viele kritisch. Wie steht ihr dazu?
Natürlich sind nicht alle tierfreien Alternativen automatisch nachhaltig(er). Besonders bei erdölbasiertem Kunstleder muss man die ökologischen Probleme bei der Herstellung und der Entsorgung betrachten. Aber bei aller Kritik dürfen wir nicht vergessen, wie umweltschädlich eben auch tierisches Leder ist. Tools wie der Higg Index, die die Umweltauswirkungen von verschiedenen Materialien bewerten, zeigen deutlich, dass konventionelles Leder weit umweltschädlicher ist als pflanzliche Lederalternativen, oder Biobaumwolle und Polyester. (Anm. d. Red.: Der Higg Index bezieht sich nicht auf die Nutzungsdauer und Recyclefähigkeit der Produkte.)
Was wir auch nicht vergessen dürfen: Für veganes Leder wird am Ende des Tages auch kein Tier ausgebeutet oder getötet. Das ist schon mal ein sehr wichtiger Punkt, vor allem aus unserer Sicht. Es gibt mittlerweile alle möglichen Lederalternativen – von Ananas über Apfel bis hin zu Pilzleder. Und es kommen gefühlt ständig neue Optionen auf den Markt. Apfel und Ananas entstehen beispielsweise aus Abfallprodukten der örtlichen Landwirtschaft. Ananasleder entsteht demnach aus den Fasern von Ananasblättern, die sowieso nicht unbedingt verwendet werden. Apfelleder entsteht aus Apfeltrester, der bei der Apfelsaftherstellung entsteht. Pilzleder wird aus dem sogenannten Myzel hergestellt, dem Wurzelgeflecht der Pilze. Es ist sogar biologisch abbaubar. (Anm. d. Red.: Ananasleder wird durch erdölbasiertes Harz beschichtet. Apfelleder besteht auf Apfeltrester und Polyurethan.)
Aus Umweltgesichtspunkten sind das durchaus gute Materialien. Wir müssen auch bedenken, dass wir erst relativ am Anfang stehen, wenn es um veganes Leder geht. Die Materialien werden kontinuierlich weiterentwickelt. Wir sehen hier großes Potenzial. Auch große internationale Marken produzieren mittlerweile vegane Kollektionen. Adidas zum Beispiel hat seinen Klassiker, den Stan Smith Sneaker, als vegane Variante mit Pilzleder auf den Markt gebracht. Ich bin sehr gespannt, wie sich die Modeindustrie in diesem Zusammenhang entwickeln wird und freue mich, dass es da so viel Bewegung gibt bei dem Thema.
H&M hat erst kürzlich mit der Tierschutzorganisation Peta kollaboriert und eine vegane Kollektion auf den Markt gebracht. Dafür gab es viel Lob, aber auch viel Kritik, da der Großteil der Kollektion aus Plastik – und damit aus erdölbasiertem Material – besteht. Was denkt ihr darüber?
Erdölbasierte Materialien stehen wegen ihrer negativen ökologischen Auswirkungen berechtigterweise in Kritik, keine Frage. Aber, wie bereits angesprochen: Wir müssen auch bedenken, was andere – tierische – Materialien in der Hinsicht für Auswirkungen haben.
Wir sind der Meinung, dass so eine vegane Kollektion von einer derart großen internationalen Marke ein guter Schritt ist und ein wichtiges Signal an den Markt sendet. Wir sehen, dass die Nachfrage nach tierfreien und ethischen Produkten kontinuierlich steigt. Deswegen ist so eine Kollektion eigentlich auch nur ein konsequenter Schritt und eine Antwort, die wir begrüßen.
Unsere Position ist: Grundsätzlich sind die Materialien die besten, die tierleidfrei und umweltfreundlich sind.
Daunen werden vor allem für Jacken und Bettdecken verwendet. Aber sie stammen oftmals aus der Foie-Gras-Industrie (Stopfleber-Industrie), in welcher die Tiere zwangsgefüttert werden. Zudem werden die Vögel häufig lebendig gerupft. Die Methode des Lebendrupfs kann etwa alle fünf Wochen wiederholt werden.
Die Praktik ist seit 1999 EU-weit verboten. Doch es gibt ein Schlupfloch im Gesetz: Bei Tieren, die sich in der Mauser befinden (die Zeit des natürlichen Abwerfens des Gefieders) ist das Rupfen erlaubt. Bei den unzähligen Tieren in einem Betrieb ist es aber unmöglich genau zu bestimmen, zu welchem Zeitpunkt sich welches Tier in der Mauser befindet. Dadurch werden unzählige Tiere häufig im Akkord gerupft. Auch in Deutschland wurden schon Fälle von Lebendrupf aufgedeckt, wie zum Beispiel im Jahr 2010 von Vier Pfoten. In manchen Ländern, insbesondere in osteuropäischen Staaten, gehört das Lebendrupfen trotz Verbot noch zur alltäglichen Praktik.
Nur der Global Traceable Down Standard (TDS), der Responsible Down Standard (RDS) und der Downpass schließen zumindest Lebendrupf und Stopfmast verlässlich aus.
Wie sieht es beim Thema Pelz aus? Österreich und die Niederlande führen gerade eine Koalition von EU-Staaten, die die Europäische Kommission auffordern, Gesetze zur Beendigung der Pelztierhaltung in Europa zu erlassen.
Ein solches Gesetz ist längst überfällig. Die Pelztierzucht ist grausam und längst nicht mehr zeitgemäß – darüber ist sich der Großteil der Öffentlichkeit einig. Umfragen zufolge lehnen die meisten Menschen Pelz konsequent ab.
Erst 2019 hat die letzte Pelztierfarm in Deutschland ihren Betrieb eingestellt. Die Bundesregierung hatte 2017 – nach jahrelangem Druck aus der Zivilgesellschaft – so hohe gesetzliche Auflagen für die Haltung von Pelztieren erlassen, dass sich die Zucht wirtschaftlich nicht mehr lohnt. Streng genommen ist die Zucht und Tötung von Pelztieren – Nerzen, Füchsen, und so weiter – also weiterhin nicht ganz verboten. Durch die hohen Mindestanforderungen an die Tierhaltung lohnt sich das Geschäft aber nicht mehr.
Wir fordern trotzdem weiterhin ein offizielles Verbot, damit auch in Zukunft sichergestellt wird, dass in Deutschland keine Tiere mehr für die Pelzproduktion leiden. Wir fordern zudem ein Handels- und Importverbot für jede Form von Echtpelzprodukten sowie ein EU-weites Verbot von Pelztierfarmen und der Pelztierzucht. Da sind entsprechende Anträge von den EU-Staaten schon eingebracht worden, die Deutschland auch unterstützt hat.
Was ebenfalls zu begrüßen ist: Im neuen Koalitionsvertrag steht, dass sich die neue Bundesregierung auch für ein EU-weites Verbot der Pelztierhaltung einsetzen wird. Wir werden weiterhin Druck ausüben.
Was sieht die Gesetzgebung bei anderen tierischen Fasern vor?
Bei anderen Materialien sieht es anders aus. Mulesing zum Beispiel passiert nur in Australien – da haben wir in Deutschland erst mal wenig Spielraum, Gesetze zu beeinflussen. Aber wir haben auch ein Vier Pfoten Büro in Australien und da passiert viel politische Arbeit. Es wird versucht, mit Entscheidungsträger*innen innerhalb der Woll- und Industrieverbände ins Gespräch zu kommen und Druck auf die Politik auszuüben. In Deutschland versuchen wir, die großen Modemarken zu überzeugen, dass sie jene Produkte auslisten und so ein deutliches Signal an die australische Wollindustrie senden.
Wie steht es um die Verantwortung der Konsument*innen?
Ich kann nur jeder Person ans Herz legen, sich ein wenig mit der Thematik auseinanderzusetzen und sich zu informieren. Ein tierfreundlicher Kleiderschrank ist möglich, denn es gibt mittlerweile viel Auswahlmöglichkeit auf dem Markt. Es war womöglich nie einfacher, tierleidfreie Kleidung einzukaufen.
Ich ermutige daher alle Menschen, sich mit dem eigenen Konsum kritisch auseinanderzusetzen und zu reflektieren. Konsumierende können sich direkt an Modemarken wenden, wenn diese in bestimmten Bereichen noch intransparent sind oder keine Tierschutzrichtlinien vorsehen. Laut werden und Kritik offenlegen ist hier die Devise. Nur wenn man sich mit den eigenen Kaufentscheidungen und Konsummustern auseinandersetzt, kann man neue tolle Alternativen entdecken und bewusstere Kaufentscheidungen treffen.
Danke für das aufschlussreiche Gespräch, Annika.
Titelbild: Annika Kreuzer, Kampagnenverantwortliche für Mode und Tierschutz bei Vier Pfoten Deutschland.