Vor einigen Wochen wurde mir in meinem Instagramfeed ein Post des New Standard Institutes angezeigt, in dem impliziert wird, dass die Bekleidungsindustrie Getränkeproduzenten wie PepsiCo, Coca-Cola und vielen anderen das Recyclingplastik wegkauft. Aber stimmt das wirklich? Können Getränkehersteller ihre selbst gesteckten Recyclingquoten für Plastikflaschen nur deshalb nicht erreichen, weil die Modeindustrie ihnen alles vor der Nase wegschnappt? Und ist recyceltes Plastik wirklich die Lösung in Sachen Nachhaltigkeit, für die sie alle halten?
Schon seit längerer Zeit wundere ich mich, warum recyceltes Polyester sowohl bei Fair als auch (insbesondere) bei Fast-Fashion-Marken den Großteil der Nachhaltigkeitsstrategie ausmacht. Geht es ihnen allen wirklich um die Mission, „Plastikflaschen vor der Müllkippe zu retten?” Wohl kaum. Denn wie das New Standard Institute in seinem Post signalisiert, handelt es sich offensichtlich mal wieder um eine (Recycling-)Geschichte, die sich als Trugschluss herausstellt. Doch ist die Geschichte wirklich so einfach? Springt die Modeindustrie hier auf einen weiteren Zug auf, um ihr Image zu recyceln? Schauen wir uns die Motive genauer an.
Was ist Recycling-PET und wie entsteht es?
Wenn in der Bekleidungsindustrie von recyceltem Polyester die Rede ist, wird damit in der Regel recyceltes PET (kurz für Polyethylenterephthalat) gemeint. Auch wenn PET ursprünglich als Faser entwickelt wurde, kennen die meisten von uns PET vor allem aus dem Bereich der Plastikverpackungen wie zum Beispiel Wasserflaschen. Ob eine Plastikverpackung aus PET hergestellt ist, erkennen wir an der kleinen 1 oder der Kennung PET auf der Verpackung.
Ein Vorteil von PET gegenüber anderen Plastiksorten besteht darin, dass es vollständig recycelbar ist. Das bedeutet, dass zum Beispiel Flaschen aus PET dank moderner Technik beliebig oft wieder zu neuen Flaschen verarbeitet werden können. Dazu ist es im ersten Schritt allerdings wichtig, dass die Flaschen von uns Konsument*innen wieder dem Recyclingprozess zur Verfügung gestellt werden. Das ist in Deutschland dank des Pfandsystems relativ einfach und sorgt dafür, dass immerhin 96 Prozent der Pfandflaschen wieder in den Laden zurückgebracht werden. Damit Flaschen aus dem Ausland oder Flaschen ohne Pfand ebenfalls die Chance bekommen, recycelt zu werden, sollten diese ausschließlich in der gelben Tonne oder Wertstofftonne entsorgt werden. Das bedeutet aber natürlich, dass nur jene Plastikflaschen recycelt werden, welche vorsortiert dem Recyclingprozess zugeführt wurden.
Hat es eine PET-Flasche erfolgreich in den Recyclingprozess geschafft, wird die Flasche zerkleinert, von Etiketten und Schraubverschlüsse befreit und einem Waschprozess unterzogen. Nun gibt es mehrere Möglichkeiten für die zerkleinerten Flaschen, auch rPET Flakes genannt: Die erste Möglichkeit besteht darin, aus alten PET-Flaschen wieder neue PET-Flaschen zu fertigen. Dafür müssen die entstandenen Flakes aber einen weiteren sogenannten Super-clean-Prozess durchlaufen, welcher von der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA zugelassen wird. Nur dann dürfen Rezyklate in PET-Flaschen wieder eingearbeitet oder verarbeitet werden, sind nicht mehr von PET-Neuware zu unterscheiden und für die Aufbewahrung von Lebensmitteln zugelassen.
Laut DLG sind PET-Flaschen bestehend aus 50 Prozent Rezyklat nach heutigem Stand der Standard. Die zweite Möglichkeit lautet, das PET-Rezyklat nicht für die weitere Verwendung von Lebensmittelprodukten zu nutzen, sondern es für die Produktion von Textilien oder als Dämmmaterial zu verwenden. Hierbei fällt der Super-clean-Waschprozess allerdings weg.
Wo und wie wird (recyceltes) Plastik in der Modeindustrie verwendet?
Kurz gesagt: überall. Schauen wir uns die Etiketten unserer Kleidungsstücke genauer an, so fällt schnell auf, wie viel (Recycling-)Plastikfasern in Kleidung verwendet werden. Für Sport- und Badebekleidung, aber auch um festen Stoffen wie Baumwolle in Socken und Hosen Stretch zu verleihen oder unsichtbare (seamless) Unterwäsche zu zaubern. Selbst Kleidung aus 100 Prozent Bio-Baumwolle ist unter Umständen mit Polyestergarn vernäht (mehr dazu hier).
Dem Plastikatlas des Naturschutzbundes zufolge handelte es sich bei ungefähr 70 Prozent der weltweit im Jahr 2017 hergestellten Fasern um synthetische Chemiefasern. Der Anteil von Polyester an den synthetischen Chemiefasern Polyester betrug über 80 Prozent. Seit Jahren ist Polyester das mit Abstand am meisten verwendete Textil in der Bekleidungsindustrie – noch vor Baumwolle. Bei der schieren Menge an verwendeten Plastikfasern ist es absolut notwendig, Plastik so weit wie möglich zu unterbinden. Da dies an vielen Stellen – zum Beispiel bei Stretch- oder Sportbekleidung – aber nicht gerade kostengünstig und aufgrund der Fasereigenschaften von Polyester nicht sinnvoll ist, erscheint die Verwendung von recyceltem Polyester auf den ersten Blick als die beste Lösung.
Woher kommt die Nachfrage nach rPET?
Im Post des New Standard Institutes wird Tim Carey, der Senior Director of Sustainability bei PepsiCo, zitiert. Auf die Frage, warum die Flaschen von PepsiCo keinen höheren Anteil Recycling-PET enthalten, antwortet dieser, dass das Angebot schlichtweg nicht die Nachfrage decke. Und das, obwohl PepsiCo bereits knapp die Hälfte des in den USA zur Verfügung stehenden und für die Flaschenproduktion geeigneten rPETs kauft.
Aufgrund des gestiegenen Bewusstseins auf Seite der Konsument*innen und den höheren Klimaschutzauflagen, welche am Ende durch Unternehmen umgesetzt werden müssen, steigt logischerweise auch die Nachfrage der produzierenden Unternehmen nach Recycling-PET. Dennoch sollte es hier aber zu keiner wirklichen Konkurrenz zwischen der Mode- und Getränkeindustrie kommen. Schließlich muss rPET für die Verwendung in Lebensmittelverpackungen und Plastikflaschen viel sauberer sein, als es bei der Verwendung im textilen Bereich der Fall ist. Das Angebot an super-cleanem PET-Rezyklat ist schlichtweg nicht ausreichend, um das PepsiCo mit anderen Lebensmittelproduzenten konkurriert. Die Modeindustrie hat damit nichts direkt am Hut. Eventuell schrecken aber auch Fabriken vor einer Zertifizierung und dem extra Aufwand im rPET-Recyclingprozess für Lebensmittel zurück und profitieren dadurch von der ebenfalls hohen Nachfrage am PET-Rezyklat-Markt.
Ist recyceltes Plastik der heilige Gral der Nachhaltigkeit?
Das grundlegende Problem bei der Verwendung von Polyester oder rPET in Kleidung besteht nicht darin, dass hier irgendwem etwas weggenommen wird, sondern vielmehr darin, dass bei jedem Waschvorgang Mikroplastik ins Abwasser gelangt. Klammert man diesen Umstand aus, so lässt sich aber natürlich behaupten, dass recyceltes Polyester in der Regel besser für die Umwelt ist als Neuware. Insbesondere bei Plastik muss nämlich kein neues Öl gefördert und danach energie- und ressourcenintensiv verarbeitet werden. Dieser Schritt entfällt bei der Verwendung von PET-Rezyklaten. Bleibt jedoch die Frage, mit welchen Chemikalien das Recycling-PET verarbeitet wurde.
Wirklich nachhaltig im Sinne der Kreislaufwirtschaft wäre es, wenn Recycling-PET-Fasern aus Textilien wieder zu neuen Textilien verarbeitet werden würden. Diese Techniken sind, bis auf das klassische Upcycling, bisher aber noch nicht im Mainstream angekommen. Sobald ein Stoff nicht mehr zu 100 Prozent aus Polyester besteht und somit zum Mischgewebe wird, erschwert dies das mechanische Recycling ungemein – oder macht es gar unmöglich. Kleidung aus Recycling-Polyester besteht daher heutzutage noch zum Großteil aus downgecycelten PET, sprich aus alten Plastikflaschen. Der Möglichkeit einer linearen Verwertung steht die Möglichkeit, PET-Flaschen mehrmals zu neuen Flaschen zu verwerten, gegenüber.
Müllreduktion? Fehlanzeige!
Die hohe Nachfrage nach PET-Rezyklaten der Textil- und Bekleidungsindustrie stellt keine direkte Konkurrenz für die Nachhaltigkeitsziele von Getränkeproduzenten in Bezug auf die Erhöhung des Recyclinganteils in den Flaschen dar. Vielmehr scheint es ein zu geringes Angebot von rPET insgesamt zu geben. Diese Diskrepanz könnte durch effektive Rücknahmesysteme in möglichst vielen Ländern verringert werden, ähnlich wie das Pfandsystem in Deutschland. So ist zum Beispiel in US-Bundesstaaten mit Pfandsystem auf Getränkedosen die Recyclingrate höher als in Bundesstaaten ohne Pfandsystem.
Es wurden also mit sehr großer Wahrscheinlichkeit für die Kleidung aus recyceltem Polyester nicht aktiv Plastikflaschen von einer Mülldeponie gesammelt. Denn dies ist aufgrund der Verunreinigung des Materials nicht einfach so möglich. Der Marketing-Claim, ein Kleidungsstück aus recyceltem Plastik hätte zur Reduktion von Plastikmüll beigetragen, ist also klassisches Greenwashing. Es handelt sich schließlich um PET, welches bereits zuvor aussortiert wurde und anschließend zu neuen Plastikflaschen eingeschmolzen werden könnte. Genauso sinnvoll und wichtig wie das Plastik im Kreislauf zu halten ist es, das Plastik aus dem Ozean und der Umwelt zu sammeln und wirklich bestmöglich wieder in den Kreislauf zurückzuführen. Welche Hürden dieser komplexe Prozess mit sich bringt und inwiefern das überhaupt möglich ist, untersuchen wir aber bald in einem separaten Artikel.
Titelbild: Jimmy Fermin via Unsplash