„Über Wasser in der Textilbranche wird noch zu wenig berichtet”

Schätzungen zufolge verbraucht die Textil- und Bekleidungsindustrie derzeit rund 93 Milliarden Kubikmeter Wasser pro Jahr – das entspricht etwa vier Prozent der gesamten Süßwasserentnahme weltweit. Wenn sich das nicht bald ändert, wird sich der Betrag bis 2030 sogar verdoppeln. Du hörst diese Zahlen gerade zum ersten Mal? Kein Wunder. Es spricht ja auch kaum jemand darüber. Amira Jehia, Mitgründerin der NGO Drip by Drip, erklärt uns im Interview, woran das liegt und warum die aktuellen Lösungen zur Reduktion vom Wasserverbrauch in der Textilbranche nicht effizient genug sind.

Person schwimmt im Wasser

An den Flüssen Asiens erkennt man die nächste Trendfarbe, so heißt es in diversen Zeitungsartikeln, Studien, Dokus. Dass diese sogenannten Trendfarben das lokale Grundwasser verunreinigen und erhebliche gesundheitliche Probleme auslösen, darüber wird nur wenig berichtet. Dabei ist die Textil- und Bekleidungsindustrie für etwa 20 Prozent des weltweiten industriellen Wasserverbrauchs verantwortlich. 

Das Thema Wasser ist in der öffentlichen Debatte immer noch stark unterrepräsentiert, da die Gesellschaft sich vorwiegend auf Emissionen konzentriert”, erklärt Amira Jehia, Mitgründerin der NGO Drip by Drip. Die Organisation arbeitet mittlerweile im fünften Jahr daran, Lösungen für die von der Textilindustrie verursachten Wasserprobleme zu finden, mitzuentwickeln und zu verbreiten.

„Durch die diversen Klimaberichte und den weltweiten Aktivismus verstehen wir mittlerweile, dass wir die Emissionen reduzieren müssen.” Bei Wasser sei eher das Gegenteil der Fall: Wir gehen immer noch davon aus, dass wir genug davon haben. „Schließlich ist die Erde ein blauer Planet, ein Mangel dürfte kein Problem sein. Was vielen jedoch nicht bewusst ist: Von den weltweiten Wasserressourcen sind gerade einmal zwei Prozent Süßwasser, die direkt konsumierbar sind, sowohl für uns Menschen als auch für die Tiere und die Umwelt.”

Diese zwei Prozent befinden sich in einem zirkulären Kreislauf, sprich: Das weltweit vorhandene Wasser wird immer wieder ausgetauscht. „Wenn also in Bangladesch das Grundwasser stark kontaminiert ist, kann es sein, dass dieses Wasser auch in irgendeiner Form bei uns landet. Nicht heute, nicht morgen – aber irgendwann ganz sicher.” Zudem wird es große Migrationsströme geben, wenn das lokale Grundwasser so vergiftet ist, dass die Menschen dort nicht mehr leben können. 

Frauen und Mädchen sind vom Wassermangel anders betroffen
  • 80 Prozent der Menschen, die für das Einholen von Wasser verantwortlich sind, sind Frauen und Mädchen. In der Regel muss das Wasser früh am Morgen geholt werden, damit es tagsüber genutzt werden kann. Der Weg wird in den Morgenstunden zurückgelegt. Also dann, wenn eigentlich Schule angesagt wäre. Durchschnittlich gehen Frauen und Mädchen drei Stunden pro Tag – hin und zurück. „Das sind drei Stunden, die für die Bildung fehlen”, so Amira.
  • Die Regionen, in denen Rohstoffe angebaut und Textilien hergestellt werden, sind auch die Regionen, in denen es oftmals kein fließendes Wasser im Haushalt gibt. Frauen und Mädchen müssen deshalb zum Toilettengang aus dem Haus gehen. Somit steigt nicht nur das Risiko für eine Infektion, sondern auch das Risiko angegriffen zu werden – vor allem nachts.
  • Wenn Frauen kontaminiertes Wasser während der Schwangerschaft oder Stillzeit zu sich nehmen, ist das Risiko für eine Fehlgeburt bzw. Fehlbildungen durch Gendefekte oder Krankheiten beim Kind höher. In Flint (USA) war das Grundwasser so stark kontaminiert, dass die Fruchtbarkeitsrate bei den Frauen um 12 Prozent sank und die fötale Sterblichkeitsrate um 58 Prozent stieg.

Wie wird Wasser in der Textilbranche genutzt?

Wasser wird bei nahezu jedem Produktionsschritt genutzt. Und nicht nur das: Bei jedem Verarbeitungsvorgang wird eine unterschiedliche Menge verbraucht. Außerdem variiert die verwendete Wassermenge in der Industrie stark, abhängig von den spezifischen Prozessen, die durchgeführt werden, der verwendeten Ausrüstung und dem vorherrschenden Wassermanagement.

Der Wasserverbrauch in der Textilbranche ist hoch, aber er muss gleichzeitig relativiert werden”, erklärt Amira. „Wie viel Wasser am Ende tatsächlich verbraucht wird, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab: Welcher Rohstoff wurde verwendet? Wo wurde er angebaut? Ist er durch natürliche Bewässerung gewachsen oder wurde er künstlich bewässert? Wurde der Rohstoff in einer eher trockenen Region angebaut oder stammt er aus einer grundsätzlich eher feuchten Region, in der das Trinkwasser kein direktes Problem darstellt?” All diese Variablen müssen berücksichtigt werden.

Färben

Ein Großteil des in der Produktion verwendeten Wassers wird während der Färbephase verwendet. Die Weltbank hat berechnet, dass 17–20 Prozent der weltweiten Wasserverschmutzung allein durch Textilfärbebehandlungen verursacht werden. Das nach der Produktion anfallende Wasser (das restliche Farbstoffe, Chemikalien und Mikrofasern enthält!) wird oftmals unbehandelt in die Wasserströme eingeleitet. Dies geschieht häufig durch Rohre, die nicht bis zur Quelle zurückverfolgt werden können, was bedeutet, dass Fabriken dieses Vergehen anonym begehen können. Diese gefährlichen Chemikalien werden nicht abgebaut, wenn sie in Flüsse oder Ozeane gelangen und ihren Weg um die Welt finden. 

Es gibt mittlerweile einige Lösungen, um den Wasserverbrauch und die Verschwendung zu reduzieren, wie wasserlose Technologie oder Luftfärbetechnologie. Für die Industrie ist es wichtig, die verschiedenen Schadstoffe dank Abwasserbehandlungsplänen und Wiederverwendung von Wasser aus den Abwässern zu entfernen.

Spinnen und Weben

Der Wasserverbrauch beim gewöhnlichen Spinnen und Weben ist sehr gering. Beim Nassspinnen wird hingegen viel Wasser verwendet. Nassspinnen ist ein faserbildendes Verfahren, bei dem das Polymer in einem Lösungsmittel gelöst und die Lösung in ein chemisches Bad extrudiert wird. Es handelt sich dabei um eine traditionelle Technik, Fasern auf Polymerbasis zu entwickeln.

Bleichen

Bleichen ist der Prozess der Entfärbung von textilem Rohmaterial, in dem inhärente und/oder erworbene farbgebende Bestandteile aus der Faser entfernt werden. Dabei werden Chemikalien eingesetzt, die Wasser, Luft und Boden belasten – vor allem, wenn sie nicht fachgerecht entsorgt werden.

Das Bleichen in der Stoffproduktion ist manchmal unvermeidlich. Dennoch können einfache Änderungen im System zu erheblichen Wassereinsparungen führen: die Reduzierung der Wassertemperatur, der Wasserdurchflussmengen oder der Anzahl der Wasserzuläufe beispielsweise. Das Erreichen einer optimierten Bleichkonfiguration für jede Stoffart kann letztlich den Wasserfußabdruck verringern, solange Textilveredelungsbetriebe sorgfältig auf ihren Wasserverbrauch und die Wartung der Ausrüstung achten, um Abfall zu vermeiden.

Veredelung

Die Veredelung ist der letzte Schritt in der Stoffherstellung und der Zeitpunkt, zu dem die endgültigen Stoffeigenschaften entwickelt werden. Nahezu alle Textilien sind veredelt. Erfolgt die Veredelung im nassen Zustand, spricht man von Nassveredelung, ansonsten ist die Rede von Trockenveredelung. Bei der Nassveredelung wird Wasser verwendet, um Chemikalien auf Textilien aufzubringen und das gewünschte Ergebnis zu erzielen.

Tech-Tools können den Wasserverbrauch reduzieren, aber…

Digitale Technologie verspricht mittlerweile wasserlose Färbe- und Veredelungsverfahren, bei denen circa 85 Prozent Energie und 50 Prozent der Kosten eingespart werden können. Tech-Tools können langfristig für Veränderung sorgen, doch Amira hat auch Bedenken: „Die Tools werden aktuell hauptsächlich im Globalen Norden verwendet, zum Beispiel in Fabriken in Portugal oder Griechenland. Viele davon verfügen über die finanziellen Ressourcen, diese Art von Technologie zu testen und einzubauen. Die Mittel fehlen aber im Globalen Süden, wo der Großteil unserer Kleidung produziert wird. Solange wir keine Lösung finden, die auch vor Ort einfach, schnell und kosteneffektiv umsetzbar ist, wird sich an der Situation nicht viel ändern.”

Closed-Loop-Verfahren für ein besseres Wassermanagement

Der Wasserverbrauch in der Textilindustrie ist generell hoch, aber es gibt bereits gute Lösungen wie das sogenannte Closed-Loop-Verfahren. Idealerweise verfügen Fabriken über Anlagen, die dafür sorgen, dass das verwendete Wasser in-house gereinigt und dem Produktionszyklus wieder zurückgeführt und weiter verwendet wird – und das immer wieder”, erklärt Amira. Der Vorteil dabei sei, dass die Fabrik nur einmal eine gewisse Menge an Grundwasser abziehen muss und das Wasser nicht ungefiltert in die Natur entlassen wird. Jedoch bräuchte man die Closed-Loop-Systeme für jeden Produktionsschritt einzeln, da jeder Schritt beispielsweise eigene Chemikalien verwendet, die entsprechende Filter benötigen.

Interessanterweise verfügen viele Fabriken in Bangladesch bereits über die nötigen Anlagen, verwenden diese aber nicht. Wir sind – nach fünf Jahren – immer noch dabei herauszufinden, woran das liegt. Es ist leider schwierig, an genaue Informationen zu kommen.” Fabrikbetreiber*innen scheuen sich scheinbar davor, Informationen preiszugeben, aus Angst, bestehende Aufträge zu verlieren. „Sogar unsere Partnerorganisation vor Ort – Agroho –, die in engem und langjährigem Kontakt zu vielen der Fabrikbetreiber*innen steht, konnte bisher nur wenig herausfinden.”

Wir vermuten, dass es hauptsächlich an der Elektrizität liegt, die benötigt wird um diese Art von Anlagen zu betreiben. Diese wirft nicht nur Kosten auf, sondern ist zudem nicht immer ganz stabil, sodass sich diese Lösung nicht dauerhaft verwenden lässt. Außerdem gibt es kaum Druck seitens der Auftraggeber*innen oder der Regierung. Solange alte Produktionsweisen mehr oder weniger gut laufen und gemeinhin so akzeptiert werden, gibt es wenig Anreiz, diese zu ändern. Veränderung kostet Zeit und Geld. Hier fehlt vor allem der finanzielle Anreiz.

Mit einem Team um die Boreal light GmbH in Berlin hat das Team von Drip by Drip eine Kläranlage geplant, die durch Solarenergie betrieben wird. „Wenn man dieses System aber so umsetzen will, dass es am Ende auch von einer Fabrik in Bangladesch genutzt werden kann, sprechen wir von Kosten von bis zu einer halben Million Euro. Das will niemand bezahlen, weder Fabrikbesitzer*innen, noch die Auftraggeber*innen oder die Regierung.”

Laut Amira bedarf es hier nicht nur Aufklärungsarbeit und finanzieller Unterstützung, sondern vor allem auch gesetzlicher Regulierung. Durch Regularien wie dem Lieferkettengesetz wären Firmen, die in Deutschland oder der EU Textilprodukte verkaufen, gezwungen, darauf zu achten, wie produziert wird – egal wo.”

Danke für deine Expertise, Amira.

Titelbild: Marty Garcia via Unsplash

Über Amira Jehia

Amira hat mehrere Initiativen, NGOs und soziale Start-ups gegründet, u.a. die Labels kind of blau und die Karma Classics. Ihre Mission ist es, Verbraucher*innen über ihre Macht aufzuklären und die Branche durch nachhaltige Lösungsangebote zu verändern. Die Zeiten, in denen sie im Ausland in Ländern des Nahen Ostens und Afrikas gelebt und gearbeitet hat, haben ihr die Bedeutung von Wasser bewusst gemacht und sie zu ihrer Rolle bei Drip by Drip inspiriert.

Bild © Angela Sisto

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