Es ist Dienstagmorgen, als Sophie Shuliakovska, Kommunikationsmanagerin bei der ukrainischen Modemarke Frolov, mir mit einem langen, emotionalen Text antwortet. „Unser Leben hat sich in der Nacht des 24. Februar buchstäblich für immer verändert.“
„Unser Sitz ist in Kyiv“, erklärt sie. „Leider ist die Hauptstadt aber auch einer der wichtigsten strategischen Orte für Russland.” Die höchste Priorität für das Unternehmen sei aktuell das Leben und die Gesundheit seines Teams, deshalb habe es mittlerweile die gesamte Produktion eingestellt. „Mitarbeiter*innen, die Kyiv verlassen konnten, haben es sofort getan, und die, die sich entschieden haben, zu bleiben, stehen in ständigem Kontakt mit uns. Wir erhalten immer noch viele internationale Bestellungen über die Webseite, aber wir können diese erst bearbeiten und versenden, wenn sich die Situation stabilisiert.“
Anastasia Iwtschenko und Eugenia Skibina, Gründerinnen der PR-Agentur Public Kitchen in Kyiv, berichten Ähnliches, können aber bis auf Weiteres weiterarbeiten. Der Großteil ihres Teams konnte die Hauptstadt beziehungsweise das Land bereits verlassen, nur wenige sind geblieben. „Wir arbeiten weiterhin – manchmal auch aus den Luftschutzbunkern. Unsere professionellen Fähigkeiten im PR-Bereich sind jetzt unsere Waffe. Wir haben unsere eigene Informationsarmee“, erklären die beiden.
Inmitten der alarmierenden Bilder der letzten Tage, haben Millionen von Menschen auch irreführende, manipulierte oder falsche Informationen über den Konflikt gesehen – via Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter, TikTok und Instagram. Ukrainer*innen bitten darum, keine falschen Informationen zu teilen und nur auf offizielle Quellen zu verweisen. Alles andere würde der Bevölkerung noch mehr schaden.
„Es ist uns ein großes Anliegen, dass möglichst viele Menschen weltweit von diesem Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfahren. Wir tun unser Bestes, um an der Informationsfront zu kämpfen“, so auch Shuliakovska. „Deshalb haben wir über unseren Instagram-Account eine einfache Anleitung erstellt, wie ihr helfen könnt, Putin und diesen Krieg zu stoppen. Jede Aktion kann einen Unterschied machen”, erklärt sie. Dazu gehören beispielsweise Proteste, Spenden und die Sensibilisierung der westlichen Bevölkerung durch die Verbreitung offizieller Informationen.
Auch Public Kitchen versucht via Social Media aufzuklären, wie wir alle helfen können. „Wir bitten alle Menschen außerhalb der Ukraine nicht aufzuhören, über uns und unsere Lage zu sprechen. Social Media kann hier ein mächtiges Werkzeug sein. Nutzt das Hashtag #standwithukraine. Protestiert. Helft Geflüchteten bei der Wohnungs- und Jobsuche. Kauft ukrainische Waren”, so Iwtschenko und Skibina.
Immer mehr Marken und Designer*innen setzen ein Zeichen
Der British Fashion Council (BFC) hat unterdessen eine seltene politische Erklärung abgegeben, in der er britische Marken und Designer*innen auffordert, das Vorgehen der russischen Regierung zu verurteilen. „Die Situation vor Ort ist verheerend, und wir ermutigen Sie, zu unterstützen, wo immer Sie können – es gibt eine Vielzahl von Organisationen und Wohltätigkeitsorganisationen, an die Sie sich wenden können“, heißt es auf der BFC-Website.
Auch die ukrainische Bevölkerung fordert strengere Maßnahmen. „Wir verlangen eine No-Fly-Zone und den Boykott von russischen Marken und Produkten“, so Shuliakovska.
Die Vogue Ukraine fordert ein Embargo für Modeartikel nach Russland. Auf ihrem Instagram-Account rief das Magazin Luxusunternehmen wie LVMH, Kering und Richemont auf, Mode- und Luxusgüter vom Vertrieb in Russland zurückzuhalten. Ganni und Nanushka äußerten sich bereits und gaben bekannt, sie würden den Handel mit Russland einstellen. Sie gehörten zu den ersten Modemarken, die bereit waren, ihre Geschäftsbeziehungen mit Russland abzubrechen.
Hermès äußerte am Freitag „tiefe Besorgnis“ über die Situation und gab bekannt, dass es die Entscheidung getroffen habe, seine Geschäfte in Russland vorübergehend zu schließen. Auch andere Unternehmen wie Asos und die H&M Group pausieren vorübergehend den Handel in Russland.
Mode als Vehikel der Veränderung
Wie wichtig Mode in dieser Zeit ist, erklären Iwtschenko und Skibina: „Wir denken, dass viele Menschen die Bedeutung und Notwendigkeit von Mode und Kultur unterschätzen. Die Modeindustrie ist immer eine der ersten Branchen, die alle wichtigen gesellschaftlichen Veränderungen reflektiert. Mode und Kultur können bei diesem Widerstand eine große Rolle spielen. Sie können zu einem großartigen Vehikel werden, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, Frieden zu bringen. Kultur hat ein überwiegend pazifistisches Image, und genau das fehlt unserer Welt heute.“
Das in London ansässige Magazin 1Granary, dessen Chefredakteurin Olya Kuryshchuk Ukrainerin ist, veröffentlichte am Dienstag einen offenen Brief, in dem Modeunternehmen aufgefordert werden, der Ukraine beizustehen und die Invasion Russlands zu verurteilen. Der Brief bekräftigt die Macht der Mode als Industrie mit großem kulturellem und sogar politischem Einfluss.
Im Zusammenhang der Pariser Modewoche werden am 4. und 5. März zwanzig Halbfinalist*innen des LVMH-Preises 2022 ihre Kollektionen und ihre kreative Welt in einem Showroom in Paris präsentieren. Das ukrainische Modelabel Anna October hat diesbezüglich Stellung auf Instagram genommen: „Wenn sich die Branche versammelt, um junge Talente beim @lvmhprize in Paris zu feiern, denkt daran, dass Kreativität nur gedeihen kann, wenn Frieden herrscht. Einige der bisherigen Nominierten suchen derzeit Schutz vor Bombenangriffen und fürchten um ihr Leben. Luxusmodemarken haben Macht und Einfluss – wir fordern, dass sie diese nutzen, um sich gegen die sinnlose Gewalt dieser Invasion zu wehren: Embargo on Russia now. Business as usual können wir nicht akzeptieren.“
„Was wir in diesen Tagen leben und tun, ist etwas, das wir niemandem jemals wünschen würden. Der Krieg muss beendet werden, und dafür tun wir alles in unserer Macht Stehende“, meint Shuliakovska.
Titelbild: EV via Unsplash
An dieser Stelle möchten wir gerne noch einmal betonen: #standwithukraine schließt nicht aus, sich mit ALLEN Menschen solidarisch zu zeigen, die unter diesem Krieg leiden. In Deutschland gibt es erste Berichte von Straftaten, die sich gegen russischsprachige Menschen richten. Auch hier ist eine solidarische Zivilgesellschaft gefragt. Solidarität mit allen, die unter diesem Krieg leiden – unabhängig von Nationalität und ganz besonders immer mit jeden, die Mehrfachdiskriminierungen aushalten müssen.