Von Klimaneutralität zu Net Zero: Wie die Modebranche Netto Null erreichen will

Net Zero und Klimaneutralität sind zentrale Konzepte, wenn es um die Reduzierung von Emissionen in der Modebranche geht. Aktuelle Emissionsstatistiken und -berichte beleuchten die dringenden Herausforderungen und die tiefgreifenden Auswirkungen, mit denen sich die Branche konfrontiert sieht. Um die ambitionierten Ziele des Pariser Abkommens zu erfüllen, ist es notwendig, dass die globale Gemeinschaft die Emissionen bis 2030 um 50% und bis 2050 um 90% verringert. Doch wie lassen sich diese ambitionierten Ziele erreichen, und welche Rolle spielen dabei Ansätze zur Erreichung von Klimaneutralität und Net Zero?

Aktuelle Emissionsstatistiken und -berichte werfen ein neues Licht auf die tatsächlichen Auswirkungen und Herausforderungen, denen sich die Modebranche gegenübersieht. Um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, muss die globale Gemeinschaft bis 2030 die Emissionen um 50 und bis 2050 um 90 Prozent reduzieren. Doch wie können diese Ziele erreicht werden und welche Rolle spielen Konzepte rund um Klimaneutralität und Net Zero dabei?

Take-Aways
  • Neue Emissionsstatistik: Der Bericht des Apparel Impact Institutes von 2023 zeigt, dass die Textilherstellung etwa 1,8 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen ausmacht. Dabei wurden nur die Emissionen berechnet, die bei der Rohstoffherstellung bis zum Zusammennähen des Kleidungsstücks produziert werden.
  • Begriffsdefinitionen: „Klimaneutralität“ und “Net Zero”, bzw. „Netto-Null“ unterscheiden sich in ihrer Bedeutung und Anwendung.
    • Klimaneutralität impliziert, dass ein Unternehmen nach der Maximierung der Reduktion seiner Emissionen die restlichen, unvermeidbaren Emissionen durch Klimaschutzprojekte wie Aufforstung oder Investitionen in erneuerbare Energien ausgleicht.
    • Net Zero kann auf zwei Arten verstanden werden. Zum einen bezeichnet es den idealen Zustand, in dem keine zusätzlichen Kohlenstoffemissionen entstehen. Zum anderen impliziert es, dass alle verbleibenden Emissionen durch natürliche oder technische Mittel ausgeglichen werden.
    • Hinzu kommt das aufstrebende „Net Positive“-Konzept, bei dem Unternehmen einen positiven ökologischen und sozialen Gesamtbeitrag anstreben.
  • Net Zero Herausforderungen: Obwohl Net Zero generell als zukunftsweisend gilt, gibt es zahlreiche Herausforderungen für die Modebranche, um wirklich nachhaltiger zu werden: 
    • Konkrete Zielsetzungen: Viele Unternehmen legen zwar ehrgeizige Klimaziele fest, verzichten jedoch oft auf detaillierte Zwischenziele.
    • Emissionsreduktionen: Unternehmen verlassen sich häufig auf relative Emissionsreduktionen und CO₂-Kompensationen, anstatt absolute Reduzierungen zu erzielen.
    • Lieferkette und Emissionen: Die größten Emissionen der Modebranche entstehen in der Produktionsphase, was eine engere Zusammenarbeit und gemeinsame Verantwortung erfordert, um nachhaltige Veränderungen zu erzielen.
    • Greenwashing: Kritiker*innen sind skeptisch und befürchten, dass Unternehmen Net Zero primär als Marketingbegriff nutzen, ohne echte nachhaltige Maßnahmen zu implementieren.
    • Fehlende Regulierungen: Aufgrund fehlender regulativer Rahmenbedingungen gibt es oft Lücken in den Klimaversprechen der Unternehmen.
  • Technologie und Kreislaufwirtschaft: Innovationen und Technologien, kombiniert mit dem Modell der Kreislaufwirtschaft, können den Ressourcenverbrauch minimieren, die Transparenz erhöhen und die Modebranche transformieren.
    • Datenanalyse und Transparenz: Technologien ermöglichen ein genaueres Monitoring der textilen Lieferketten, wodurch Emissionen, Ressourcenverbrauch und andere Umweltauswirkungen in Echtzeit verfolgt und bewertet werden können.
    • Lieferkette durch Partnerschaften optimieren: Durch technologische Fortschritte können Marken effektivere Partnerschaften mit Zulieferern eingehen, um nachhaltigere Praktiken in der gesamten Lieferkette zu fördern.
  • Regulierung und Transparenz: Eine koordinierte politische und regulatorische Herangehensweise ist entscheidend. Unternehmen sollten Emissionen in Geschäftsentscheidungen einbeziehen und transparent berichten, um Glaubwürdigkeit und echten Fortschritt zu gewährleisten.

Laut dem im Juni 2023 veröffentlichten Bericht „Taking Stock of Progress Against the Roadmap to Net Zero“ des Apparel Impact Institute ist die Modebranche für 1,8 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich – ein deutlich niedrigerer Wert als frühere, oft zitierte Schätzungen, in denen von etwa drei bis zehn Prozent die Rede war. Das Apparel Impact Institute  bezeichnet sich selbst als Organisation, die mit Marken, Herstellern und Partnern der Branche zusammenarbeitet, um positive Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft durch den Mode- und Textilsektor zu skalieren. Es setzt sich aus einer Kombination von Industriepartnern, NGOs und anderen Interessengruppen zusammen.

Der überraschend niedrige Wert von 1,8 Prozent in Bezug auf die Treibhausgasemissionen der Modebranche im Bericht des Apparel Impact Institutes kommt zustande, indem er sich spezifisch auf den Bereich der Textilproduktion konzentriert. Diese Zahl berücksichtigt ausschließlich die Emissionen, die von der Rohstoffgewinnung bis hin zum Zusammennähen der Kleidungsstücke anfallen. Dieser Ansatz beleuchtet einen entscheidenden Teil des Produktionsprozesses, lässt jedoch andere wichtige Segmente der Lieferkette und des Lebenszyklus von Modeartikeln außer Acht, die ebenfalls wesentliche Emissionsquellen darstellen können. Diese Erkenntnis unterstreicht die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung der Modeindustrie, um deren tatsächlichen Einfluss auf die Umwelt vollumfänglich zu erfassen und effektive Strategien zur Reduzierung ihres ökologischen Fußabdrucks zu entwickeln.

Die niedrige Prozentzahl von 1,8 bedeutet nicht, dass die Textil- und Bekleidungsindustrie unschädlich ist. Wenn überhaupt, so heißt es im Bericht, zeigen die Berechnungen, dass mehr emissionssenkende Maßnahmen erforderlich sind, um dem Pariser Abkommen gerecht zu werden. Ein sogenanntes Net Zero wird angepriesen, doch wie soll das gelingen?

Klimaneutralität vs. Net Zero: Was ist der Unterschied?

„Klimaneutralität“ und „Netto-Null“ (Net-Zero) sind Begriffe, die oft synonym verwendet werden, besonders im Kontext des Klimawandels und der Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen. Dennoch gibt es feine Unterschiede in ihrer Bedeutung und Anwendung, insbesondere in der Modebranche. 

Klimaneutralität ist in der Theorie ein zweistufiger Prozess, der mit umfassenden Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen beginnt. Nur wenn diese Bemühungen vollständig ausgeschöpft sind, kommen Kompensationen ins Spiel, um die unvermeidlichen Restemissionen auszugleichen. Der Schwerpunkt liegt also zunächst auf der Reduktion als primäre Handlung und Kompensationen als sekundäre Unterstützung. In der Praxis jedoch wird der Begriff Klimaneutralität oft durch den übermäßigen Kauf von Klimazertifikaten verzerrt, wobei Unternehmen sich auf den Ausgleich ihrer Emissionen konzentrieren, ohne notwendigerweise substantielle Schritte zur Emissionsreduktion zu unternehmen. Dies kann zu einer Verwässerung des eigentlichen Ziels führen und hat dazu beigetragen, dass der Begriff Klimaneutralität in der öffentlichen Wahrnehmung mit Skepsis betrachtet wird.

Die Kritik an solchen Kompensationsmodellen ist nicht nur auf Unternehmen beschränkt. Auch Klimakompensationsorganisationen geraten immer wieder in den Fokus der Kritik. Dies hat einige Organisationen veranlasst, ihre Ansätze und das verwendete Wording zu überdenken. Ein prominentes Beispiel ist MyClimate, eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in der Schweiz, die sich dem Klimaschutz widmet. Sie wurde im Jahr 2002 gegründet und hat sich darauf spezialisiert, sowohl für Einzelpersonen als auch für Unternehmen CO₂-Kompensationslösungen anzubieten. Dies geschieht hauptsächlich durch verschiedene Projekte in den Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Wiederaufforstung in verschiedenen Teilen der Welt. Angesichts der Kritik hat die Organisation den Begriff „Klimaneutralität“ und „Kompensation“ aus ihrer Kommunikation gestrichen. Stattdessen führt sie jetzt das Impact-Label „Wirkt. Nachhaltig“ ein. Anstatt von Kompensation spricht sie nun von einem „Beitrag zum Klimaschutz“. Dieser Schritt zeigt, dass es einen wachsenden Bedarf an Transparenz und Klarheit im Bereich des Klimaschutzes gibt, um sicherzustellen, dass die Bemühungen sowohl effektiv als auch authentisch sind.

Net Zero kann auf zwei Arten verstanden werden. Zum einen beschreibt es eine ideale Situation, in der keinerlei Kohlenstoffemissionen entstehen, wodurch die Notwendigkeit ihrer Kompensation oder Neutralisierung entfällt. Zum anderen definiert Net Zero das Verhältnis und Gleichgewicht zwischen den von uns freigesetzten und den aus der Atmosphäre entfernten Treibhausgasen. Es ist der Punkt, an dem wir beginnen, nicht mehr Treibhausgase zu emittieren, als die Natur aufnehmen kann.

Net-Positive als weiterer Schritt?

Im Vergleich zu „Klimaneutralität“ und „Net Zero“, geht „Net Positive” über das Ziel hinaus, einen weniger negativen Einfluss auf die Umwelt oder die Gesellschaft zu haben – es zielt darauf ab, insgesamt einen „positiven“ Beitrag zu leisten. In der Modeindustrie würde dies bedeuten, dass ein Unternehmen mehr für die Umwelt tut, als es ihr durch seine Geschäftsaktivitäten schadet. Zum Beispiel könnte es mehr CO₂ durch Aufforstungsprojekte absorbieren und speichern, als es durch Produktion und Transport seiner Produkte ausstößt. Sozial gesehen könnte es in Gemeinschaftsprojekte investieren, die einen Mehrwert für die Gesellschaft schaffen, wie Bildungs- oder Gesundheitsinitiativen in den Produktionsstätten. Wirtschaftlich könnten faire Löhne, Schulungen oder Investitionen in lokale Infrastrukturen als positive Beiträge betrachtet werden.

Auch der Begriff „regenerativ“  bezieht sich auf solche Ansätze. Regenerative Praktiken gehen über die einfache Nachhaltigkeit hinaus und streben danach, Systeme und Umgebungen wiederherzustellen, zu erneuern und zu beleben. In der Modebranche kann dies bedeuten, dass Materialien und Methoden verwendet werden, die nicht nur minimalen Schaden anrichten, sondern aktiv zur Regeneration – also zur Erneuerung und Revitalisierung – der natürlichen Systeme beitragen, in denen sie arbeiten.

Kritiker*innen argumentieren, dass „Net Positive“ unrealistisch ist, denn oftmals bleibt unklar, was ein Unternehmen darunter versteht.  Dies kann zu Greenwashing führen, bei dem Unternehmen sich umweltfreundlicher präsentieren, als sie tatsächlich sind. Zudem sollte kritisch hinterfragt werden, ob der behauptete Netto-Nutzen für Umwelt und Gesellschaft tatsächlich die negativen Geschäftsauswirkungen überwiegt.

So hat das Kosmetikunternehmen The Body Shop sich zum Ziel gesetzt, net-positiv in Bezug auf den Kohlenstoffausstoß zu werden. Sie haben Maßnahmen initiiert, um mehr CO₂ zu speichern und zu absorbieren, als durch ihre Geschäftsaktivitäten freigesetzt wird. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass solche Selbstverpflichtungen kritisch betrachtet und durch unabhängige Prüfungen überwacht werden sollten, um sicherzustellen, dass sie nicht lediglich Marketing-Gags sind. Die tatsächliche Wirkung und Umsetzung dieser Maßnahmen, insbesondere ob sie tatsächlich zu einem Net Positive beitragen, ist bislang bisher nicht verifiziert und sollte in den kommenden Jahren genau beobachtet werden.

Die gemeinnützige Organisation Global Fashion Agenda hat im September 2023 die Fashion CEO Agenda 2023 vorgestellt. Dieser Bericht gibt zwar Orientierung und stellt eine bedeutende Ressource für Führungskräfte der Modebranche dar, doch auch hier muss betont werden, dass die darin vorgeschlagenen Strategien und Prioritäten kritisch geprüft und in ihrer tatsächlichen Anwendung beobachtet werden sollten. Ohne unabhängige Überwachung und Verifizierung besteht auch hier die Gefahr, dass solche Agenden zwar gute Absichten verkünden, aber in der Praxis nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen oder sogar zu weiterem Greenwashing beitragen könnten.

Green Claims Proposal: Warum die EU die Nutzung des Begriffs „Klimaneutralität“ regulieren will 

Ein zentrales Problem mit Begriffen wie „Klimaneutralität“ und „Net Zero” ist, dass sie, wenn sie nicht klar definiert und nachprüfbar sind, von Unternehmen zu Marketingzwecken missbraucht werden könnten, ohne dass echte Maßnahmen zur CO₂-Reduktion getroffen werden. Dieses Problem erstreckt sich auch auf andere Begriffe wie  „net positive”, wenn sie generisch und ohne Beweise verwendet werden.  Trotz zahlreicher Kritik plant die Europäische Union nicht explizit, die Begriffe „klimaneutral“ und „klimapositiv“ zu verbieten. Der Hauptantrieb hinter Initiativen wie der „Green Claims Directive“ ist es, Greenwashing zu verhindern und eine einheitliche und klare Grundlage für solche Umweltaussagen zu schaffen. 

Um Greenwashing zu vermeiden, müssen die Umweltaussagen eines Unternehmens auf soliden wissenschaftlichen Daten und Methoden basieren. Es geht darum, die Transparenz der Klimaziele und der Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele zu erhöhen. So wird verhindert, dass Konsumierende durch übertriebene oder irreführende Behauptungen bezüglich der Umweltfreundlichkeit eines Produkts oder einer Dienstleistung getäuscht werden. Dies fördert nicht nur das Vertrauen in nachhaltigere Produkte, sondern bietet auch den Unternehmen, die tatsächlich nachhaltige Maßnahmen ergreifen, einen fairen Wettbewerbsvorteil.

CO₂-Emissionen: Wo steht die Modebranche aktuell?

Im Jahr 2018 setzten weltweit führende Klimaforscher*innen einen Maßstab: Global sollten die Emissionen bis zum Ende dieses Jahrzehnts halbiert und bis 2050 auf Netto Null reduziert werden. Unternehmen folgten diesem Aufruf mit einer Fülle von Klimaversprechen. Doch trotz der guten Absichten erlaubte ein fehlender regulativer Rahmen bedeutende Schlupflöcher. Diese Lücken wurden von UN-Generalsekretär António Guterres während des jährlichen COP-Klimagipfels im November 2022 aufgezeigt und kritisiert. In einem Markt ohne klare Messstandards legen viele Unternehmen Ziele fest, doch sind diese wirklich greifbar?

So setzten sich einige Unternehmen wie Asos ehrgeizige Ziele, jedoch ohne konkrete Zwischenziele. Sie verließen sich dabei oft auf CO₂-Kompensationen und relativen Emissionsreduktionen anstatt auf absolute Zahlen. Allerdings steht dieses Vorgehen nun im Kreuzfeuer der Kritik. Angesichts verstärkter regulatorischer Bemühungen gegen Netto-Null-Greenwashing” und wachsender externer Kontrolle werden überhöhte Klimaversprechen auf den Prüfstand gestellt. Asos hat inzwischen seine Net Zero Ziele revidiert. Der Schuhhersteller Crocs hat seine Net Zero Ziele von 2030 auf 2040 verschoben

Es bleibt also die Frage: Wie kann die Branche sicherstellen, dass ihre Verpflichtungen nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern auch in der Praxis umgesetzt werden?

Wie die Fashion Industry Charter for Climate Action Net-Zero-Lieferketten schaffen will

Im März 2023 veröffentlichte die Charta der UN-Modeindustrie für Klimaschutz einen Bericht, der aufzeigt, dass die Unterzeichner bei der Erreichung ihrer Ziele – speziell dem Hauptziel der Netto-Null-Emissionen bis 2050 – im Rückstand sind. Trotz bereits getätigter Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen sei ein Anstieg der Emissionen in den vergangenen zwei Jahren in der Modebranche zu beobachten.

Die Charta der UN-Modeindustrie für Klimaschutz ist eine Initiative, die ins Leben gerufen wurde, um Unternehmen der Modebranche dabei zu unterstützen, ihren Beitrag zum Klimaschutz zu verstärken. Sie umfasst verschiedene Zielsetzungen, die den Unternehmen helfen sollen, ihre Emissionen zu reduzieren und ihre Geschäftspraktiken nachhaltiger zu gestalten.

Bis zum Jahr 2023 hatten zahlreiche Unternehmen diese Charta unterzeichnet, unter anderem Adidas, Burberry, Inditex und Kering. Durch ihre Teilnahme verpflichten sich diese Unternehmen, regelmäßig Berichte über ihre Fortschritte in Bezug auf die Klimaziele zu veröffentlichen und einander bei der Umsetzung von Best Practices zu unterstützen.

Die Autorität der Charta wird durch die Vereinten Nationen gewährleistet, die die Initiative unterstützen und fördern. Jedoch sind es die teilnehmenden Unternehmen selbst, die ihre Fortschritte bewerten und ihre Daten zur Verfügung stellen. Die Charta bietet Richtlinien und Empfehlungen, die jedoch nicht rechtlich bindend sind. Manche Expert*innen argumentieren, dass ohne eine verbindliche Regulierung der Fortschritt zu langsam sein könnte.

Der im März 2023 veröffentlichte Bericht hebt verschiedene Klimainitiativen hervor, die unter anderem von Unternehmen wie H&M und Nike in sechs Hauptkategorien durchgeführt werden. Diese Kategorien umfassen Materialeffizienz, den Einsatz nachhaltigerer Materialien, die Entwicklung innovativer Stoffe, Energieeffizienz, die Eliminierung von Kohle in der Produktion und die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen. Diese Initiativen werden in Form von Fallstudien präsentiert, die die spezifischen Maßnahmen und Erfolge der Unternehmen hervorheben und anderen Unternehmen als Vorbild dienen sollen.

Ein Hauptaugenmerk des Berichts liegt auf der Rolle und Verantwortung der Hersteller im Rahmen der Emissionsreduktion. Es wird deutlich, dass Marken zunehmend erkennen, wie wichtig die Zusammenarbeit mit ihren Zulieferern ist, um Klimaziele zu erreichen. Interessanterweise sind Hersteller in Ländern, die stark vom Klimawandel betroffen sind, durchaus bereit, in klimafreundliche Lösungen zu investieren. Dennoch weist der Bericht Lücken auf: Er berücksichtigt nicht Themen wie Überproduktion und die ökologischen Auswirkungen der Produkte am Ende ihrer Lebensdauer.

Die Fashion Charter hat bislang keine konkreten nächsten Schritte oder Zeitpläne für die tatsächliche Verringerung der Modeemissionen angegeben. Die Unterzeichner arbeiten an Aktionsplänen, besonders für Scope-3-Emissionen, und an verbesserten Governance- und Berichtsstrukturen. Scope-3-Emissionen beziehen sich auf alle indirekten Emissionen, die in der Wertschöpfungskette eines Unternehmens entstehen, aber nicht unter direkter Kontrolle des Unternehmens selbst stehen. Das können zum Beispiel Emissionen sein, die bei der Herstellung von Zulieferteilen, beim Transport von Waren, bei Geschäftsreisen oder durch die Nutzung und Entsorgung der Produkte durch die Endverbraucher*innen entstehen.

Kurz gesagt:

  • Scope 1: Direkte Emissionen des Unternehmens (z. B. durch eigene Produktionsanlagen).
  • Scope 2: Indirekte Emissionen durch den Energieverbrauch des Unternehmens (z. B. Strom).
  • Scope 3: Weitere indirekte Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette außerhalb des direkten Einflusses des Unternehmens.

Ein wichtiges kurzfristiges Ziel der UN Fashion Charter ist, dass jedes Unternehmen einen Plan zum Ausstieg aus der direkten und indirekten Förderung fossiler Brennstoffe vorlegt.  Dass Zulieferer mittlerweile mitgedacht werden und die Verantwortung geteilt wird, begrüßt Julia Sabrowski, Sustainability Solution Manager bei SAP. SAP ist ein international agierendes Softwareunternehmen, das sich auf die Entwicklung von Unternehmenssoftware zur Organisation von Geschäftsprozessen spezialisiert hat. Mit ihren Lösungen unterstützt SAP Unternehmen aller Größen und Branchen weltweit, ihre Geschäftsabläufe effizienter zu gestalten und ihre Geschäftsziele zu erreichen.

Ein Großteil der Emissionen entsteht bei der Rohstoffgewinnung und Produktion der fertigen Materialien. „Der Fokus auf die Zulieferer fordert von der Modeindustrie einen völlig neuen Ansatz: Während lange Zeit Outsourcing eines der Erfolgsrezepte war, kehrt nun mit den Net-Zero-Zielen die Verantwortung zurück“, erklärt Sabrowski. „Explizit zählt der Erwerb von CO₂-Zertifikaten aus Kompensationsprojekten, meist im Globalen Süden, beispielsweise nicht als Reduktionsmaßnahme. Ohne Kollaboration entlang der Wertschöpfungskette wird die Transformation also nicht gelingen. Netto-Null-Ziele sind insofern auch eine Antwort darauf, wie Kosten und Risiken der Klimakrisen global verteilt sind.“ Diese Reduktion müsse entlang der gesamten Wertschöpfungskette stattfinden. In der Modeindustrie betrifft das vor allem die sogenannten Scope-3-Emissionen – indirekte Emissionen, außerhalb des eigenen Handlungsbereichs.

„Ohne Kollaboration entlang der Wertschöpfungskette wird die Transformation also nicht gelingen.“

Der Fashion Markt soll Prognosen zufolge weiterhin wachsen. „Gleichzeitig ist umstritten, ob eine langfristige Entkopplung von Wachstum und Emissionen im nötigen Ausmaß und Zeithorizont gelingen kann“, berichtet Julia Sabrowski. Die Effekte, die eine Erhöhung der Energie- und Ressourceneffizienz erreichen können, haben ihre Grenzen. „Dennoch liegen hier die zwei ersten Ansatzpunkte: der massive Ausbau von erneuerbaren Energien in der gesamten Wertschöpfungskette, sowie der Einsatz von Materialien mit geringeren Umweltauswirkungen. Und genau hier knüpfen die Berichte der Fashion Industry Charter for Climate Action an.“ 

Klar ist: Eine Reduktion von circa 90 Prozent könne laut Sabrowski nur gelingen, wenn Unternehmen Emissionen als KPI gezielt in ihre Governance-Strukturen einbinden und bei Geschäftsentscheidung berücksichtigen, genauso wie Finanzdaten. „Ein abgestimmter Transformationsplan kann helfen, finanzielle Ziele mit Net-Zero-Zielen abzugleichen und unternehmensweite Entscheidungsfaktoren zu definieren”, fährt Sabrowski fort. Dafür müssen Emissionsdaten von hoher Datenqualität und Verlässlichkeit verfügbar sein. In vielen Unternehmen fehlt das aktuell noch. „Zusätzlich sollten auch Risiken und mögliche Folgekosten der Klimakrise eingerechnet werden.”

Eine Herausforderung kann in den teilweise komplexen und manchmal auch abweichenden Reporting-Anforderungen liegen. „Der Aufbau entsprechender Daten- und Reportingstrukturen darf nicht unterschätzt werden und bindet wichtige Ressourcen in Unternehmen. Industriespezifische Regulierungen müssen also gut aufeinander abgestimmt sein, um den gewünschten Effekt zu erzielen.”

Welche Rolle spielen technologische Innovationen und Kreislaufwirtschaft für Net Zero Zielsetzungen?

Im Zentrum der Net Zero Diskussion stehen technologische Neuerungen, die es ermöglichen, Ressourcen effizienter zu nutzen. Parallel dazu rückt das Konzept der Kreislaufwirtschaft in den Fokus, welches Abfall und Verschwendung durch kontinuierliche Wiederverwendung und das Recycling von Produkten und Materialien minimieren soll.

Ohne die Adaption neuer Technologien wird es nicht gelingen, die gewünschten Ziele zu erreichen, so Julia Sabrowski von SAP. Jede Maßnahme zur Reduzierung bringt beträchtliche Investitionen mit sich. Dabei liefern Technologien die nötige Basis für Entscheidungen. Sie unterstützen uns, Daten zu sammeln und den Umweltfußabdruck sichtbar zu machen, am besten basierend auf detaillierten Daten. Die Sammlung und der einheitliche Austausch dieser Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette zählen zu den ersten großen Schritten auf unserem Weg zur Klimaneutralität.”

Politik, Regulierungen aber auch freiwillige Initiativen der Industrien haben neben ihrer Lenkungsfunktion aus Sabrowskis Sicht noch einen weiteren Vorteil: „Sie bringen im besten Fall Planungssicherheit, einheitliche Standards und Vergleichbarkeit mit sich. Auf dieser Basis können skalierbare Technologien und einheitliche Infrastrukturen geschaffen werden, die langfristige Veränderungen vorantreiben.” 

Der tatsächliche Durchbruch sei allerdings erst dann erzielt, wenn ganze Branchen gemeinsam handeln. So müsse die Kreislaufwirtschaft vom Einzelprojekt zum Branchenstandard übergehen. „Viele notwendige Technologien sind bereits vorhanden und weit fortgeschritten. Diese könnten uns beispielsweise bei der Umsetzung eines EU-weiten Rücknahmesystems für Textilproduzenten unterstützen.“ Abschließend weist Sabrowski  darauf hin, dass „nur mit den richtigen Technologien eine umfassende Rückverfolgung von Abfällen und eine transparente Offenlegung von Recyclingraten wirklich realisierbar sind.”

Ist Net Zero die Zukunft? 

Net Zero ist mehr als nur ein neues Wort für Klimaneutralität. Während beide Konzepte den Nettoausstoß von Treibhausgasen neutralisieren wollen, legt Net Zero einen stärkeren Fokus auf die direkte Reduzierung von EmissionenTrotz aller Versprechen und Verpflichtungen gibt es immer noch eine signifikante Menge an Emissionen, insbesondere in der Lieferkette der Modeindustrie, wo Marken nur begrenzten Einfluss haben. Die Herausforderung liegt genau hier: Bei der Reduzierung von Emissionen, die oft außerhalb der direkten Kontrolle der Marken liegen. Die Zeit drängt. Der Weg zu echter Klimaneutralität, geschweige denn zu Netto-Null, ist lang und komplex. Die Modebranche muss in ihren Geschäftspraktiken und ihrer Kommunikation authentisch und transparent sein, um das Vertrauen der Konsumenten zu gewinnen und den planetarischen Anforderungen gerecht zu werden.

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