Im August 2019 hat Öko-Test 21 Jeans getestet – und keine davon hat im Gesamturteil besser als „befriedigend“ abgeschnitten. Getestet wurden auch einige faire und nachhaltige Marken. Grund genug, sich die Jeansproduktion und die Verfahren dahinter einmal genauer anzusehen.
Was sind die Basics der Denim-Färbung?
Wie kann es sein, dass Anilin in eco-fairen Jeans festgestellt wurde?
Die Jeansproduktion – ein dreckiges Geschäft?
Damit aus einem ganz normalen, gewebten Baumwollstoff ein Denimstoff und schlussendlich eine Jeans wird, bedarf es vieler Schritte. Das Färben, Waschen und weitere Bearbeiten (alles, was nach der Herstellung einer textilen Fläche chemisch oder mechanisch mit den Stoffen passiert) nennt man Textilveredlung. Nach Schätzungen der Weltbank ist dieses Färben und Veredeln von Textilien für 17 bis 20 Prozent der weltweiten Wasserverschmutzung verantwortlich. Wenn es um die Nachhaltigkeit von Textilien geht spielt der Veredlungsprozess also eine entscheidende Rolle – so auch bei Jeans.
Wie genau der Veredlungsprozess in der Jeansproduktion ab und wo gibt es ökologische Probleme?
1. Der Stoff für Jeans
Für Jeanshosen wird der bereits benannte gewebte Baumwollstoff eingesetzt. Klassisch aus 100% Baumwolle oder mit einem Elasthan Anteil, um der Jeans mehr Stretch und Elastizität zu geben. Um diesen Artikel nicht zu verkomplizieren wird auf weitere Materialmischungen, die es auf dem Markt gibt, nicht eingegangen.
Der Ausgangsstoff einer Jeans ist also ein gewebter Baumwollstoff – eine Naturfaser. Baumwolle ist eine Pflanzenfaser und so in ihren Grundbausteinen aus Cellulose. Diese Information brauchen wir, um das weitere Verfahren besser zu verstehen.
2. Die Auswahl des Färbeverfahrens
Warum es so wichtig ist zu wissen, aus welchem Material der Jeansstoff ist? Es gibt mehr als neun verschiedene Färbeverfahren. Die Entscheidung, welches der neun Verfahren man verwendet, hängt von Fasermaterial, Farbspektrum, gewünschter Intensität und Budget ab.
Aus diesem Grund ist es auch schwierig pauschal von „dem Färben von Textilien” zu sprechen, weil man bei den neun Färbeverfahren in Bezug auf Prozesse und verwendete Chemikalien differenzieren muss.
Für die klassische Blue Denim-Färbung wird in der Jeansproduktion Indigo verwendet. Indigo fällt unter das Küpenfärben, das weiter im Text noch genauer erklärt wird. Traditionell wird das tiefe Blau, wie man es von Jeans kennt, mit der Indigopflanze erzielt. Mit dem traditionellen pflanzlichen Verfahren könnte man allerdings nie den Bedarf, den wir heutzutage an Blue Denim haben, decken. Aus diesem Grund wird das Indigo synthetisch hergestellt.
Zusammengefasst: die klassische Jeanshose besteht aus einem Baumwollgewebe. Weil Baumwolle eine Pflanzenfaser ist, wird mit einem Färbeverfahren für cellulosische Fasern gearbeitet. Bei Jeans ist es das Küpenfärben mit dem Farbstoff Indigo.
3. Der Farbstoff und das Küpenfärben
Im Öko-Test wurde sehr oft „Anilin” erwähnt, und selbst die eco-faire Marke Armedangels hat nach den Test Ergebnissen ein Statement zum getesteten Anilingehalt in ihren Jeans veröffentlicht. Um zu verstehen, wo dieses Anilin herkommt, warum es in Jeans nachgewiesen werden kann und was daran so giftig ist, dafür müssen wir uns den Farbstoff genauer anschauen, der unsere Jeans so schön blau macht.
Indigo wird, wie bereits erwähnt, heutzutage synthetisch hergestellt. Es gibt geschichtlich bedingt verschiedene Methoden für diese Synthese. In ihrer Basis sind aber fast alle Synthesen auf den Stoff Anilin zurückzuführen. Es entsteht über mehrere Reaktionsschritte mit verschiedenen Hilfsstoffen das Indigo-Molekül – also der Farbstoff der am Ende zum Färben verwendet wird.
Wenn wir uns an den Chemieunterricht in der Schule erinnern: wenn zwei Stoffe miteinander zu einem neuen Stoff reagieren, dann ist das immer ein Hin und Her zwischen Edukten und Produkten und am Ende stellt sich ein Gleichgewicht ein. Das heißt: in der Theorie sollte aus Anilin und einem zweiten Stoff am Ende Indigo hergestellt werden. Aber es kann natürlich immer sein, dass irgendwo in der Reaktion etwas nicht astrein verläuft und Anilin irgendwo nicht richtig gebunden wurde.
Gehen wir einmal weiter zum eigentlichen Färbeprozess, dem Küpenfärben:
Indigo ist in Wasser nicht löslich. Es muss über eine chemische Reaktion, einer Reduktion mit Hydrosulfit und Lauge, von der unlöslichen in eine lösliche Form gebracht werden. Dann kann die Baumwolle mit dem Farbstoff gefärbt werden. Danach wird der Farbstoff über eine Oxidation mit Wasserstoffperoxid wieder in die unlösliche Form gebracht und bleibt so als blaue Farbe auf dem Garn.
Einfach gesagt: Wir haben einen unlöslichen Farbstoff, den machen wir löslich, bringen ihn auf die Faser, und damit er da auch bleibt, machen wir ihn wieder unlöslich.
4. Wie konnte Anilin in Jeans nachgewiesen werden und was ist an Anilin so schlimm?
Öko-Test arbeitet hier mit einer Methode nach DIN EN 14362-1, bei der eine Reduktion des Indigo mit Natriumdithionit bei einem Ph 6 und ca. 70° durchgeführt wird. Darüber werden die fixierten Indigokristalle zerstört und aufgelöst. Wie wir bereits unter 3. gelernt haben, kann es sein, dass ein winziger Anteil der Anilin-Moleküle im Indigo nicht 100 Prozent fest eingebunden sind, und so kann Anilin nachgewiesen werden.
Das, was Öko-Test also nachweist, ist nicht freies Anilin, das gegebenenfalls über die Jeans auf unsere Haut gelangen könnte. Öko-Test weist nach, dass es eine Verunreinigung des Indigomoleküls mit Anilin gibt, also dass die Synthese nicht zu 100 Prozent sauber durchgeführt wurde. Öko-Test konnte 5mg/kg bei Herstellern wie ArmedAngels oder HessNatur nachweisen. Die GOTS-Grenzwerte liegen bei 100 mg/kg.
Ist Anilin krebserregend?
Wie giftig und krebserregend Anilin ist, ist ein schwieriges Thema. Nachzuweisen, ob ein Stoff krebserregend ist, ist nämlich gar nicht so einfach, da man Kohorten-Studien durchführen muss, die auf lange Zeit gesehen statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen Anilin und Krebs beweisen müssen. Zum Thema Anilin finde ich vor allem das folgende Statement des internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft sehr gut:
„Laut Umweltbundesamt gibt es bereits seit 100 Jahren Indikatoren dafür, dass Arbeiter in Anilin-Färbereien verstärkt an Blasenkrebs erkrankt sind. Aber: Entsprechende Testreihen am Tier oder Menschen liegen bislang jedoch nicht vor, daher existiert auch noch kein gesetzlicher Grenzwert für Anilin – weder in Deutschland noch in der EU. Also ist der Farbbaustein in der Gefahrenstoffverordnung der EU als ‚steht in Verdacht, Krebs zu erzeugen‘ eingestuft. Die MAK (Maximale Arbeitsplatz Konzentration) 1)-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft erarbeitet u.a. Vorschläge für maximale Arbeitsplatz-Konzentrationen von flüchtigen Chemikalien und für Analyseverfahren. Sie kategorisiert Chemikalien gemäß ihres Risikopotentials. Anilin ist als MAK III-Kategorie 4 eingestuft worden, d.h. als ein Stoff mit krebserzeugendem Potential, der keine erbgutverändernde Wirkung hat. Bei Einhaltung des MAK- und BAT-Wertes ist kein nennenswerter Beitrag zum Krebsrisiko für den Menschen zu erwarten. Die IARC2) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert Anilin unter Gruppe 3, dh. ‚Nicht klassifizierbar bezüglich der Karzinogenität für den Menschen‘. Die United States Environmental Protection Agency, eine unabhängige Behörde der amerikanischen Regierung zur Umwelt und Gesundheit, bewertet Anilin als mutmaßliches Karzinogen und sieht keine Anzeichen dafür, dass es selbst karzinogen ist.” (Pressemeldung vom 12.01.2017, iNV)
Für alle, die sich noch tiefer in die Thematik einlesen wollen, empfiehlt sich dieser Bericht des Umweltbundesamtes: Stoffmonographie und Referenzwerte für monocyklische Aminoaromaten im Urin.
5. Warum Indigo und nicht ein anderer Farbstoff?
Es stellt sich natürlich auch die Frage, wieso Indigo überhaupt der bevorzugte Farbstoff ist und nicht etwas Anderes eingesetzt wird. Indigo zeichnet sich durch seine geringe Substantivität aus. Das bedeutet, dass er nicht so tief in die Faser eindringt. Das führt zu mäßigen Echtheiten, die den klassischen Blue Denim Look provozieren, weil sich der Farbstoff mit der Zeit abreibt oder auswäscht. Das kann so mit keiner anderen Färbung erzeugt werden. Außerdem ist keines der neun anderen Färbeverfahren frei von toxischen Chemikalien oder Nebenprodukten.
6. Wie gehen wir jetzt mit dem Dilemma um?
Zunächst einmal wäre es wichtig, dass unabhängige Studien durchgeführt werden würden, die einen eindeutigen Zusammenhang von Anilin in Indigo und Verdacht auf eine Krebserzeugende Wirkung bestätigen würden. Diese Ergebnisse würden je nach Ausgang dann zu einer gesetzlichen Regulierung führen, was die Industrie zwingen würde sauberer und gewissenhafter zu arbeiten. Anilin ist in Indigo fest gebunden, und ist so bei sachgemäßer Anwendung in der Produktion ungefährlich, genauso wie für den Träger der Jeans. Dass diese sachgemäße Anwendung durch mangelnde Standards leider nicht immer gegeben ist, ist in der Textilindustrie leider gang und gäbe. Die Indigo-Synthese wird seit 1870 durchgeführt und auch hier benötigt es womöglich das Hinterfragen der gängigen Methodik auf der sich die Industrie bisher ausgeruht hat. Es gibt Ansätze, wie das Färben mit Bakterien. Bei dieser Methode wird der Farbstoff mit gentechnisch veränderten Escherichia-coli-Bakterien nachgeahmt. Diese Verfahren sind aber noch nicht Industrie reif und in der Optimierung.
Die Auswirkungen von Anilin in öko-fairen Jeans
Zusammengefasst ist hier also festzuhalten, dass es wirklich schwierig ist das Thema Jeansproduktion und toxische Chemikalien ganzheitlich abzubilden. Wir haben uns in diesem Text nur mit dem Färben mit Indigo von Denim und speziell Anilin beschäftigt, nicht aber mit der Veredlung, die darauf folgt oder alternative Färbemethoden, die noch angewendet werden können. In der textilen Welt werden stoffliche Hilfsmittel verwendet, die selbst Textiltechniker*innen kaum greifen können, weil sie so variieren und in so unterschiedlichen Momenten der Prozesse eingesetzt werden können.
Für uns als Konsument*innen bedeutet das Folgendes: Dass Anilin im Rahmen des Öko-Tests in Indigo-Molekülen nachgewiesen wurde, ist zwar nicht toll, aber hat auf uns als Träger keine direkten Auswirkungen. Wenn ich eine Jeans kaufe, geht es vielmehr darum, darauf zu achten bei einem Hersteller zu kaufen, der mit dem Arbeitsschutzrechten seiner Mitarbeiter*innen und Abwasserschutzgesetzen des Produktionsstandortes gewissenhaft umgeht. Das Färben von Textilien ist eine schmutzige Angelegenheit und sollte in einem möglichst geschlossenen und sicheren Prozess stattfinden. Das unterstützen Fair Fashion Brands, denen der gewissenhafte Umgang entlang der Produktionskette wichtig ist. Außerdem ist der Kauf einer Jeans ohne modische optische Effekte ein einfacher Schritt, die Verwendung von Chemikalien oder anderen energieaufwendigen oder gefährlichen Prozessen zu minimieren.
Quellen:
- Revolution in Blau, Juni 2019, Texpertise Network News
- Vorlesungsinhalte an der Hochschule Reutlingen, Skripte können auf persönliche Nachfrage vorgezeigt werden
- bei MaiLab erfahrt ihr in mehreren Videos detailliert warum Kohorten Studien so wichtig sind
- Zur Synthese von Indigo findet ihr beispielsweise bei Seilnacht eine exakte Erklärung
Titelbild: Olena Sergienko via Unsplash
Eine Antwort auf „Was du über Denim und die Jeansproduktion wissen solltest“
[…] nachgewiesen wurden, die Auswirkungen für Träger:innen hatten. Umstritten ist der Stoff Anilin. Das Thema arbeiten die Fair Fashion Changers in diesem Artikel sehr gut. Sie gehen darin auch auch auf das Öko-Test Ergebnis ein, das euch bestimmt schon über den Weg […]