„Secondhand ist gerade ein Trend. Und Trends kommen immer auch mit negativen Aspekten“

Kleidung, die schon da ist, ist die nachhaltigste. Richtig? Es spart Ressourcen, da nichts Neues produziert werden musste, entschleunigt den Konsum und setzt der Wegwerfmentalität etwas entgegen. Richtig. Aber was ist eigentlich, wenn wir genauer hinsehen?

Doris Schoger von Reboundstuff steht auf einer Treppe. Sie trägt ein Secondhand-Outfit mit einem schwarzen Hut und einem beigen Pullover.

Secondhand ist gerade ein Trend. Und Trends kommen immer auch mit negativen Aspekten“, sagt Doris Schoger, Secondhand-Expertin und Speakerin bei der Fashion Changers Konferenz 2021. Wir haben sie zum Interview über die Zukunft des Secondhandmarkts, mangelnde Transparenz und Nachhaltigkeit in der Branche getroffen.

Doris Schoger ist Markenstrategin, Beraterin und Gründerin des Blogs Rebound Stuff, der über Alternativen zu Neuwaren aufklärt. Ein ganzes Jahr lang hat Doris nichts Neues gekauft und angefangen, darüber zu schreiben. Heute ist ihr Blog eine gute Anlaufstelle, um sich über die Hintergründe der Secondhandbranche zu informieren, über die immer noch wenig gesprochen und geschrieben wird. Vor ein paar Monaten hat sie außerdem ihren eigenen Secondhand-Onlineshop gelauncht.

Immer mehr Fast Fashion Unternehmen setzen zur Zeit auf den Verkauf von Secondhandkleidung und Start-ups im Bereich Re-Commerce sprießen aus dem Boden. Wieso erfährt Secondhand-Mode gerade so einen Boom?

Doris Schoger: „In den letzten Monaten und Jahren ist um Secondhandkleidung ein richtiger Trend ausgebrochen. Das hat mit mehreren Faktoren zu tun. Unter anderem sind dafür natürlich Digitalisierung und Globalisierung verantwortlich, die den Handel mit Secondhandware über Landesgrenzen in kürzester Zeit überhaupt möglich machen und das Angebot zunehmend auf Onlineplattformen verlagern. Aber ich sehe zwei wichtige Gründe, warum aus dem Trend ein seriöser Wirtschaftszweig wird. Zum einen ist das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger geworden und Secondhand gilt als eine der absolut nachhaltigsten Shopping-Alternativen, da bereits existente Ware genutzt wird. Es muss also nichts neu produziert werden und damit gibt es keine direkten Auswirkungen auf die Umwelt.

Zum anderen ist ein großer Hype um Vintagekleidung entstanden. Viele wollen sich selbstbestimmt mit Mode auseinanderzusetzen und sich nicht mehr die Trends von der Fast Fashion-Industrie diktieren lassen. Außerdem ist Vintage auch aufgrund seiner hervorragenden Qualität gefragt. Die Stoffe, die noch vor mindestens 20 Jahren hergestellt worden sind, sind den Materialien von heute qualitativ weit überlegen. Damals war der Preisdruck in der Produktion nicht so groß.

Einen richtigen Hype gibt es gerade auch um die 90er Jahre Styles. Gerade bei jungen Leuten sind Sweater, T-Shirts, Hoodies und Sportbekleidung aus dieser Zeit sehr gefragt. Jugendkultur war schon immer Ausdruck sozialer und politischer Gegebenheiten und verweist auf Entwicklungen der zukünftigen Gesamtgesellschaft. Sind Jugendliche erst einmal on board mit ‚pre-owned‘ und Gebrauchsspuren, sagt das viel über zukünftiges Kaufverhalten.“

Was denkst du, wie das weitergeht? Wie wird sich der Resale-Markt in Zukunft entwickeln?

„Ich denke, dass der Resale-Markt für Kleidung noch lange nicht an seinem Zenit angekommen ist. In den nächsten Jahren wird noch viel mehr Secondhandkleidung getragen und verkauft werden. 

Man muss das Ganze in Segmenten betrachten. Es wird die qualitativ hochwertige Vintagekleidung geben, die eine endliche Ressource ist und deswegen sehr preisstabil, wenn sie nicht sogar teurer werden wird. Dann gibt es etablierte, hochpreisige Marken, die in Zukunft auf Nachhaltigkeit achten und die eher auf Miet-Modelle setzen oder eigene Styles wieder selbst ankaufen oder zurücknehmen werden.

Der Luxusmarkt funktioniert derzeit auch auf Marktplätzen (z.B. Vestiaire Collective) und Boutiquen und das läuft seit Jahren recht stabil. Das waren die Pioniere im Secondhandbereich. Und dann gibt es den großen Bereich Fast Fashion, der noch gar keine eigene Lösung für Secondhand hat. Diese Waren werden dann eher von Kund*innen zu Kund*innen auf Mode-Marktplätzen gehandelt (z.B. auf Vinted). Oder, und das ist eben die Realität, Fast Fashion ist Mode zum Wegwerfen und wir werden auf bessere Recycling-Technologien setzen müssen und Fast Fashion tatsächlich nicht mehr in die Spendencontainer, sondern in die Tonne werfen. 

Bis 2030 sollen 20 Prozent des Modehandels secondhand sein und ich finde das ist eine vorsichtige Schätzung. Übrigens: Der Trend wird auch andere Produktgruppen erreichen, was mindestens genauso spannend ist.“ 

Immer häufiger sieht man jetzt Resale-Programme bei großen Fast Fashion Unternehmen. Viele scheinen jetzt zusätzlich auf den Verkauf von Secondhandkleidung zu setzen, obwohl sie sonst – wie du sagst – Mode zum Wegwerfen produzieren und verkaufen. Wie ernst gemeint ist das?

„Meiner Meinung nach ist das Ganze sehr ernst gemeint, auch wenn die Unternehmen momentan noch in den ersten Schritten stecken, um zu sehen, was zum eigenen Geschäftskonzept passt. Dass Secondhandmode ein großer Bestandteil des Modehandels wird ist klar, aber welches Geschäftsmodell am besten funktioniert, wird eben noch getestet. Die Unternehmen können versuchen das Secondhand-Business selbst in die Hand zu nehmen oder mit Partnern arbeiten, die sich bereits darauf spezialisiert haben. 

About You regelt das Ganze zum Beispiel über seine Partner VinoKilo, Vite Envoge und Mädchenflomarkt. Alle drei Partner haben je ein anderes Geschäftsmodell: Vinokilo kauft Vintage über Wholesale, Vite Envoge kauft direkt von Endkund*innen und Mädchenflomarkt verkauft für Kund*innen Kommissionsware. About You kauft selbst keine Kleidung an und verdient nur einen Teil über eine Verkaufskommission. 

Zalando hat es selbst in die Hand genommen und kauft gegen Gutschein Ware vom Kund*innen selbst an. Aber ich weiß, da wird im Hintergrund noch an anderen Konzepten gearbeitet. Ich bin sehr gespannt was da noch kommt. Die H&M Group verfolgt gleich mehrere Ansätze durch Start-ups, in die sie investieren. Bei H&M nehmen sie Ware von Kund*innen gegen einen Gutschein, die ihre Partner I:Co von Soex dann sortieren und in eigenen Läden verkaufen. Zudem haben sie in Sellpy investiert und haben auch Plattformen wie Afound, auf der Secondhand als Partnerplattform angeboten wird. Bei der Marke COS versucht sich H&M mit einer eigenen Peer-to-Peer Plattform, die an die Website angeschlossen ist. Die Technologie kommt von einem Partner, in den sie auch indirekt investiert haben.  

Im Grunde zeigen diese Kooperationen und Geschäftsmodelle das Potential das zukünftig im Handel von Secondhandkleidung liegt und alle Ansätze sind ernstzunehmende Versuche sich ein Stück vom Kuchen zu sichern. Klar ist nur, es muss dabei weiterhin etwas verdient werden und die Unternehmen tun dies nicht aus Goodwill oder karitativem Engagement.“

Es gibt vier Wege für Läden und Onlineshops, um an Secondhand-Kleidung zu kommen
  • Kommissionsmodell: Läden bekommen die Sachen direkt von ihren Kunden und verkaufen sie in ihrem Auftrag. Die Kund*innen sind bis zum Verkauf im Besitz des Produktes. Dabei bekommen die Kunden und die Läden jeweils einen Anteil des Verkaufspreises. Je nach Laden sind das meist 50 Prozent für jeden. Dies wird oft von stationären Läden mit Designerware genutzt, aber auch Sellpy & Mädchenflohmarkt funktionieren so. 
  • Direktankauf: Hier kauft der Laden Kleidung von Privatpersonen direkt an, besitzt diese also und verkauft sie dann an Kund*innen weiter. Das wird häufig bei Sachen für Kinder genutzt, aber auch Momox-Fashion nutzt zum Beispiel diese Beschaffungsart. 
  • Spenden-Ware: Das sind oft gemeinnützige Läden, die meist aus kirchlichen Spenden-Sammlungen ihre Kleidung erhalten, zum Beispiel Läden der Caritas. So funktionieren Oxfam und die Läden der Deutschen Kleiderstiftung, wie zum Beispiel ‚Zweimalschön‘. 
  • Wholesale: Hier kauft der Laden seine Secondhand-Ware über einen Zwischenhändler. Dort können Ladenbesitzer*innen bestellen, was zu ihrem Konzept passt. Das macht die Beschaffung von Secondhand-Ware sehr kommerziell. Wholesaler bekommen ihre Ware durch kommerzielle und karitative Sammler, die nicht selbst verkaufen. So funktioniert zum Beispiel VinoKilo oder auch Peeces. Primär wird diese Art der Beschaffung für den Vintage-Trend genutzt, der gerade total boomt. So kann man auch über Landesgrenzen hinweg einkaufen. Viel kommt aus England, Frankreich, Italien und auch aus den USA.

Apropos karitatives Engagement: der Klassiker, um Secondhandkleidung zu finden, ist ja der Charity Shop um die Ecke. Allerdings habe ich schon gehört, dass auch dort das Sortiment gar nicht unbedingt nur aus Spenden besteht, sondern ebenfalls Wholesale-Ware eingekauft wird.

„Ja, das stimmt und das muss der ein oder andere auch. Das Feld verändert sich gerade schnell, die Spendenware hat in den letzten Jahren rasant an Qualität abgenommen. Corona hat das Ganze noch mal beschleunigt. Wenn sich jetzt ein karitativer Shop einen Laden für fünf Jahre in einem bestimmten Stadtteil angemietet hat und auf einmal kommt keine Spendenware mehr rein, die zu den Kunden am Standort passt, hat er ein Absatzproblem und bleibt womöglich auf den Mietkosten sitzen. Das führt dazu, dass er statt Gewinne für gemeinnützige Projekte, Kosten für die Organisation einfährt. Das ist ein Problem. Als Lösung – eigentlich eine gute Idee – kann er dann Wholesale-Ware für die Zielgruppe am Standort erstmal dazu kaufen. Der Shop selbst bleibt aber dennoch karitativ, denn die Gewinne gehen nach wie vor in Projekte der Organisation.“ 

Irreführend ist es allerdings trotzdem, da Kund*innen davon häufig nichts wissen. Transparenz sieht anders aus. Gilt das auch für die Nachhaltigkeit bei Secondhandshops? Wie nachhaltig ist das Ganze eigentlich?

„Es gibt Läden und Konzepte, die es sind und solche, die es nicht sind. Wie die Diskussion um die Mietkonzepte, bei der erst kürzlich durch eine Studie eine riesige Debatte darum gab, ob wegwerfen nachhaltiger sei als Kleidung zu vermieten. Pauschal lässt sich das auch bei Secondhand nicht beantworten. Auch im Bereich Secondhand muss hinter die Kulissen geschaut werden, denn alle versuchen auf der grünen Welle zu reiten und Nachhaltigkeit bei Secondhand automatisch vorauszusetzen.

Dabei gibt es Unternehmen, die schicken gespendete Kleidung um die halbe Welt, um sie dort kostengünstig sortieren zu lassen und halten sich nicht an Arbeitsgesetze vor Ort. Vor allem in der angelsächsischen Kultur, in der viel gespendet wir, sehen wir auch viele Wholesaler, die versuchen daraus Profit zu schlagen. Auch im europäischen Gebiet können Sortierungen unter prekären Arbeitsbedingungen stattfinden. Da spart man dann die Emissionen für den Transport, aber sozial nachhaltig ist das genauso wenig.“ 

Muss der Secondhandmarkt sich also schleunigst grundsätzlich mit Transparenz beschäftigen?

„Ja, ich denke schon. Es ist wahnsinnig einfach zu sagen: Secondhand ist nachhaltig. Viele junge Leute steigen jetzt auf den Zug auf und wollen die coolsten und krassesten Nineties-Klamotten online verkaufen. Secondhand ist gerade ein Trend. Und Trends kommen immer auch mit negativen Aspekten. Aber insbesondere bei Vintageware kann man gut hinter die Kulissen der Secondhandbranche blicken und die Kehrseite des Business sehen. Nineties-Vintageware ist ein endliches Gut und wird schon lange von kommerziellen Sammlern systematisch beschafft. Meist in den USA gesammelt, in Asien oder Mexiko sortiert, über Zwischenhändler nach Europa an die jungen Vintage-Labels verkauft, die wiederum ihre eigenen Narrative zur Ware entwickeln. Und ganz ehrlich: viele der jungen Reseller, die erst Anfang 20 sind, hinterfragen nicht woher die Vintagekleidung wirklich kommt und wie sie sortiert wird. Die Arbeitsbedingungen bleiben oft geheim. Das soll aber nicht heißen, dass alle Wholesaler schlecht sind.

Viele seriöse Sortieranlagen sind große Firmen, die seit vielen Jahren existieren und hunderte von Angestellten haben und in moderne Technologien investieren. Neu ist, dass der Absatz innerhalb von Westeuropa gewachsen ist und in kleineren Segmenten direkt an Läden verkauft wird, statt in großen Ballen auf den afrikanischen Kontinent. Aber das alles hat nichts mit dem klassischen Kommissions-Secondhand oder der netten Altkleiderspende zu tun, die die meisten von uns im Kopf haben.“ 

Was würdest du dir bezüglich der fehlenden Transparenz wünschen?

„Ich würde mir wünschen, dass die Shops, die mit Wholesalern zusammenarbeiten, wissen woher die Ware stammt und wo sie sortiert wurde, ohne Angst zu haben, dass sie eine geheime Sourcingquelle verlieren. Denn so ist es derzeit. Nicht alle in der Branche sind schwarze Schafe, aber kein Laden sagt gerne, woher die Ware kommt, damit die anderen Shops nicht auch dorthin rennen. Es ist ihr Betriebsgeheimnis, ihr USP.

Im Secondhandmarkt zählt die beste Ware und die besten Kontakte, das gibt gerade niemand freiwillig preis. Und das sorgt für die Intransparenz und führt auch dazu, dass es den Raum öffnet unter fragwürdigen Bedingungen einzukaufen. Als Kund*in kann man nicht unterscheiden woher die trendy Nineties-Ware kommt. Dafür würde ich mir eine Lösung wünschen, die Transparenz bringt, ohne die Shops in Gefahr zu bringen. Selbst habe ich dafür noch keinen Lösungsansatz.“ 

Hast du trotzdem einen Tipp für Kund*innen beim Kauf von Secondhandmode, wenn es um Nachhaltigkeit und Fairness geht?

„Das fällt mir gar nicht so leicht. Es ist ein Tradeoff. Secondhandshops bieten Sicherheit beim Kauf, andererseits muss man dann schon genau hinschauen, wo und wie diese ihre Ware ankaufen.  

Bei den Peer-to-Peer-Plattformen ist es genau andersrum, man ist sich beim Kauf unsicherer, ob der Artikelzustand fair beschrieben wurde und ob alles glatt läuft. Allerdings weiß man hier, dass keiner für Sortierarbeit unfair bezahlt wurde oder es lange Transportwege gab. Deswegen sind mir die kleinen Secondhand Läden im Kiez, die auf Kommission verkaufen, noch am liebsten. Da sehe ich das Teil, kann häufig sogar mit der Ladenbesitzer*innen reden und weiß, dass der Preis fair gesetzt wurde. Und zudem sind die Kleidungsstücke, je nach Style des Ladens, gut kuratiert.“

Und was rätst du Leuten, die selbst ein Resale-Business betreiben wollen?

„Wir befinden uns da noch ganz am Anfang und es ist noch viel Platz für verschiedene Konzepte. Über die Jahre haben Unternehmen gelernt, wie man uns Dinge verkauft, nun ist das große Geheimnis des Re-Commerce, wie man uns Dinge wieder entlockt. Und auch das wird jetzt schon bei Secondhand mit Performance Marketing und Incentives passieren.

Ich denke, dass Marken und Retailer hier auch sehr verschiedene Positionen einnehmen werden. Aber eins ist für mich sicher: Secondhand-Konzepte die auf Spenden basieren wird es bald nicht mehr geben. Da haben momox, Zalando, Sellpy und Co nach Mädchenflohmarkt und Vinted eine neue Ära eingeleitet. Was von Wert ist, werden wir einfach verkaufen können und das Wertlose werden wir entsorgen. Aber ‚Spenden‘ wird eine sehr bewusste Aktion werden. Deswegen rate ich Leuten, die damit starten möchten: schaut euch den Inbound an, also wie ihr an Ware kommt. Gerade gewinnt am Markt der, der den Kund*innen am nächsten ist.“ 

 

Vielen Dank für die spannenden Einblicke, Doris.

Titelbild: Christian Mentzel

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