Das bringt 2024: Diese Branchentrends für nachhaltige und faire Mode werden dieses Jahr wichtig

Neues Jahr, neue Impulse, neue Motivation: Welche Branchentrends werden die nachhaltige und faire Mode in 2024 bewegen? Hier gibt das Redaktionsteam der Fashion Changers Einschätzungen zu Regularien, dem Secondhandmarkt, Materialien, Künstlicher Intelligenz und der Frage, welche Rolle Nachhaltigkeit spielen wird.

Titelbild Mensch im weißen Oberteil mit langen Haaren und geschlossenen Augen zum Thema Branchentrends nachhaltige Mode

Regularien: Fashion Forward – die EU setzt neue Trends in der Modegesetzgebung

Medina Imsirovic: Jura ist nicht immer trocken, besonders nicht, wenn es um die aktuell sehr spannenden Entwicklungen auf EU-Ebene geht. Hier zeigt sich nämlich, wie dynamisch und einflussreich Gesetzgebung sein kann. Weg vom ständigen Appell an den individuellen Konsum, rückt nun endlich eine direkte Ansprache der Unternehmen in den Vordergrund – und das mit verbindlichen Regelungen! Dieser Branchentrend stimmt hoffnungsvoll. Die EU nimmt die Modeindustrie in die Pflicht und setzt auf konkrete Maßnahmen für eine nachhaltigere Produktion von Kleidung. Bis 2028 sollen alle geplanten Vorschriften greifen.

Im Zentrum dieser Bemühungen steht die EU-Textilstrategie. Diese Initiative ist meines Erachtens ein echter Game-Changer: Sie umfasst eine Reihe von Maßnahmen und Richtlinien, die darauf abzielen, die Modeindustrie nachhaltiger und verantwortungsvoller zu gestalten.

Hier einige Highlights:

  • Ökodesign-Richtlinie: Ein wichtiger Schritt gegen die Wegwerfgesellschaft in der Modebranche. Ziel ist es unter anderem, die Vernichtung unverkaufter Waren zu stoppen, um den Abfallberg an Textilien zu reduzieren.
  • EU-Lieferkettengesetz: Hurra, es kommt endlich! Und es greift sogar weiter als das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Große Unternehmen müssen Pläne entwickeln, die ihre Geschäftsstrategien an die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C anpassen. Sie sind zudem verpflichtet, in ihren Entscheidungen Menschenrechte und Umweltschutz zu berücksichtigen, und müssen bei Verstößen ihrer Geschäftspartner gegebenenfalls die Zusammenarbeit beenden. Betroffene, einschließlich NGOs und Gewerkschaften, erhalten verbesserten Zugang zur Justiz. Unternehmen, die sich nicht an die Vorschriften halten, drohen Strafen von bis zu fünf Prozent ihres Jahresumsatzes.
  • Abfallrahmenrichtlinie: Die überarbeitete EU-Abfallrahmenrichtlinie dient einer verantwortungsvolleren Abfallbewirtschaftung in der Textilbranche, indem sie Hersteller verpflichtet, den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte zu managen. Dies umfasst die Wiederverwendung, das Recycling und die Entsorgung von Textilien, mit dem Ziel, Abfall zu reduzieren und nachhaltigere Produktionsweisen zu fördern.
  • Green-Claims-Richtlinie: Schluss mit Greenwashing?! Diese Richtlinie zielt darauf ab, irreführende Umweltbehauptungen zu bekämpfen und die Authentizität von Umweltaussagen der Unternehmen zu gewährleisten.

Und da sind da noch die Europawahlen 2024. Diese könnten den Prozess etwas bremsen, denn politische Wechsel bringen oft neue Prioritäten – und vielleicht auch eine neue Dynamik in die Gesetzgebung. Es bleibt auf jeden Fall spannend, ob sich das auf die Umsetzung dieser wichtigen Richtlinien auswirkt. Fakt ist: Wenn auch nicht perfekt (kritisieren kann man immer!), die EU setzt hier Fashion Legislation Trends, denn in keiner anderen Region werden derzeit solche tiefgreifenden Gesetze diskutiert.

Medina Imsirovic ist studierte Völkerrechtlerin, Juristin und beschäftigt sich als freie Autorin mit der Schnittstelle von Mode, Nachhaltigkeit und Menschenrechten. Seit fast drei Jahren schreibt sie für Fashion Changers.

Materialien: zwischen inspirativen Visionen und harten Fakten

Sarah Maria Schmidt: Die Nachhaltigkeit eines Kleidungsstücks steht und fällt mit seinem Material – das gilt auch in 2024. Denn neben der Art und Weise, wie Kleidung entsteht, entscheidet sich an der Materialwahl, wie und ob das Produkt am Ende wiederverwendet und Ausgangspunkt für etwas Neues werden kann.

So vielfältig und dynamisch der Begriff der Nachhaltigkeit ist, so divers sind auch die Materiallösungen, die uns 2024 begegnen werden. Hier werden uns weiterhin drei sich überschneidende Makrotrends begleiten: Die Besinnung auf traditionelle Techniken, lokale Fasern und deren Neuinterpretation; neue Materialien aus alternativen, teils ungewohnten Ressourcen sowie Kreislauffähigkeit und Regeneration. Was sie alle verbindet, ist der vermehrte Einsatz von neuen Technologien, ob 3D-Druck, Biotechnologie oder Recyclingtechnologien und KI. Wie diese Vielfalt künftig konkret aussehen kann, konnten wir zur COP28 im Sustainable Market von Stella McCartney sehen – von Algengarn und regenerativer Wolle bis hin zu Pailletten aus schimmernder Cellulose.

Materialinnovationen können unsere Sinne auch wieder 2024 begeistern, zum Beispiel schon im Januar auf der Munich Fabric Start oder im Juni zur Future Fabrics Expo. Interessant ist weiterhin die Frage der Skalierbarkeit, Akzeptanz der Nutzer*innen und Durchdringung des Marktes der „neuen“ oder neuinterpretierten Materialien, besonders für Materialien, die einen hohen Anspruch an soziale Nachhaltigkeit, Erhaltung von Tradition, Kreislauffähigkeit und Regeneration vereinen, wie Piñatex® oder Banatex®, sowie interessante Lederalternativen, wie aus bakterieller Cellulose, die in ihrer Verfügbarkeit steigen werden.

Auch wenn die Implementierung in den Ländern noch etwas dauern wird, erhöht sich im Zuge der Green Claims Richtlinie 2024 der Fokus auf Nachvollziehbarkeit, Zertifizierungen und Standards in der Materialwahl. Für Nutzer*innen ist dies großartig, denn es bedeutet weniger Irreführung und Greenwashing. Und damit auch weniger irreführende Recycling Claims mit denen jongliert wird, dass wir fast meinen könnten, alle synthetische Kleidung sei bereits aus recycelten Fasern. Neue Recyclingtechnologien werden sich weiter durchsetzen – mit der großen Herausforderung der Skalierbarkeit. Also sollten wir uns nicht auf diesem Branchentrend für nachhaltige und faire Mode ausruhen und den Fokus auf regenerative Landwirtschaft, Kreislauffähigkeit, Materialgesundheit und biologische Abbaubarkeit der Fasern legen, auch wenn Initiativen wie aktuell von PUMA im Bereich Textile-to-Textile Recycling Interesse wecken. Nutzer*innen werden in 2024 immer mehr Upcycling- oder Re-Design-Konzepte begegnen, denn im Angesicht des schieren Volumens an Textilmüll dient dieser vermehrt auch bei uns als Ressource für neu gedachte Designs.

Sarah Maria Schmidt ist studierte Modedesignerin und setzt sich mit gesunden, kreislauffähigen und unkonventionellen Materialien auseinander. Sie berät Firmen zu Kreislauffähigkeit, Regeneration und Materialien und schreibt als freie Autorin für Fashion Changers.

Künstliche Intelligenz: Echter Branchentrend und Katalysator für nachhaltige Mode oder nur ein Hype?


Katharina Pfannkuch: Beim Begriffspaar Künstliche Intelligenz und Mode denken viele an seelenlose Designs und Model-Avatare. Dabei hat KI auch das Potential, die Modeindustrie in ökologischer, logistischer und sozialer Hinsicht nachhaltiger zu machen: Auf massenhafte Retouren reagieren immer mehr Unternehmen mit Gebühren – andere setzen auf KI-basierte Tools. Beim Label SANVT etwa kommt schon jetzt EyeFitU für die virtuelle Anprobe zum Einsatz; die Marke Hugo Boss nutzt für einige Produkte die Software „Reactive Reality“. Deren Entwickler Stefan Hauswiesner beschrieb auf der Online-Plattform ellexx seine Vorstellung von Onlineshops der Zukunft als „virtuelle Umkleidekabinen (…), in denen Kund*innen mit personalisierten Avataren jedes Produkt anprobieren und kombinieren können.“ Auch KI-basierte Tools, die genauere Auskunft über die potentielle Nachfrage geben und dadurch die Produktion von Ladenhütern (die irgendwann entsorgt werden), Ressourcenverschwendung und Überproduktion reduzieren, dürften zukünftig öfter zum Einsatz kommen.

Ein Beispiel dafür, wie KI zeit- und materialintensive Designprozesse effizienter und schonender gestalten kann, liefert die Software des Berliner Start-Ups Yoona. Im Rahmen der Berliner Fashion Week lud Yoona 2023 zur digitalen Mode-Konferenz Yoonaverse; auf eine Fortsetzung in 2024 ist zu hoffen. Auch das Format „Digital Fashion – The Phygital Network“, das 2023 in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Mode-Institut auf der „Digital Marketing Exposition & Conference“ (DMEXCO) Premiere feierte, will dieses Jahr neue Impulse setzen: In diesem September sollen  noch mehr Aussteller*innen als beim ersten Mal dabei sein. Nicht nur für Unternehmen und Hersteller, auch für Konsument*innen mit dem Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit bietet KI Möglichkeiten: Was man mit den eigenen Kleidungsstücken alles machen kann, zeigen Apps wie Pronti und Save Your Wardrobe schon jetzt. All diese Beispiele dürften erst der Auftakt zu einer immer schnelleren Entwicklung sein, die als ein Branchentrend die nachhaltige Mode in 2024 noch stärker prägen dürfte.

Katharina Pfannkuch arbeitet seit über zehn Jahren als (meist freie) Journalistin und schreibt vor allem über Mode, Kultur und Konsum. Seit Herbst 2023 unterstützt sie die Redaktion des Fashion Changers Magazin.

Secondhand: Der Boom geht weiter, steht aber vor neuen Herausforderungen

Vreni Jäckle: Das letzte Jahr war mit Blick auf die Entwicklungen im Re-Commerce und Secondhandbereich durchaus spannend. Die Inditex-Marke Zara, die sich für gewöhnlich von Nachhaltigkeitstendenzen in der Modebranche spät oder gar nicht beeindrucken lässt, baut Re-Sale- und Repair-Programme in Großbritannien, Frankreich und jüngst auch in Deutschland aus. Ein Zeichen dafür, dass inzwischen selbst träge Fast-Fashion-Konzerne nicht mehr am Thema vorbeikommen? Der Beratungskonzern PwC stellt in der Studie „Secondhand auf Wachstumspfad“ jedenfalls überraschenderweise fest, dass Online-Modehändler wie Zalando, About You und Asos in der Beliebtheit bei Secondhand-Shopping auf Platz zwei nach Vinted, die nach starkem Wachstum aktuell sogar einen Börsengang planen sollen, landen. Ein Grund für Inditex und H&M, aufzuholen. Das lässt sich auch jeweils an größeren Investitionen der Konzerne in ihre Resale-Aktivitäten ablesen. H&M soll beispielsweise 20 Millionen Euro in den konzerneigenen Reseller Sellpy investiert haben.

Ebenfalls spannende Erkenntnisse der Studie: PwC prognostiziert ein Marktwachstum von 2022 bis 2026 um 83 Prozent. Bis zu 15 Prozent davon sollen auf den deutschen Markt entfallen. In anderen Worten: der Boom wird nicht abbrechen, auch wenn er sich in den nächsten Jahren stärker in Nordamerika manifestieren wird als in Europa.

Parallel tun sich für die wachsende Secondhandbranche mit der Regulierung der Modebranche auch neue Herausforderungen auf: 2023 gab es in einem ersten US-Staat einen Verbot von PFAS – gefährlichen, chemikalischen Substanzen, die mit Gesundheitsschäden in Verbindung gebracht werden, sich in Böden und Gewässern festsetzen und extrem schlecht abbaubar sind (Was sind PFAS?). Auch auf EU-Ebene werden PFAS und ein mögliches Verbot immer wieder diskutiert. Die Frage drängt sich auf: Denkt die Secondhandbranche bereits (ausreichend) darüber nach, dass sie aktuell Kleidung, die PFAS enthält, in Umlauf bringt oder hält? Sollten wir 2024 die Diskussion starten, inwiefern das Halten im Kreislauf von schädlicher Kleidung kontraproduktiv sein kann? Und befindet sich die Secondhandbranche aktuell in einer Grauzone, die vielleicht schon bald nicht mehr so uneindeutig sein könnte? Sicher ist: Es bleibt spannend, was das nächste Jahr im Bereich Re-Commerce mit sich bringt.

Vreni Jäckle ist seit über acht Jahren in der Mode-Medien-Welt zu Hause und beschäftigt sich als Fashion Changers Co-Founder und Geschäftsführer*in mit Lösungen für eine bessere Modebranche. 

Welche Rolle wird Nachhaltigkeit 2024 spielen?

Nina Lorenzen: 2023 rückte das Thema Nachhaltigkeit angesichts von geopolitischen Unruhen, Energiepreiskrise und Inflation immer wieder in den Hintergrund. Viele Unternehmen meldeten Insolvenz an, darunter auch nachhaltige Modeanbieter wie zuletzt Bleed. Das Interesse an Nachhaltigkeit nehme spürbar ab, beklagen viele Fair-Fashion-Marken.

2023 war das Jahr der Insolvenzen – und das von Temu. Der Marktplatz der in China ansässigen PDD Holdings ist in den USA  die meist heruntergeladene Shopping-App, noch vor Amazon. Hier gibt es neben Bekleidung auch Haushaltswaren und Elektronik zu sehr niedrigen Preisen. Ähnlich wie Ultra-Fast-Fashion-Anbieter Shein setzt Temu auf In-App-Gamification. So können sich Nutzer*innen Gutscheine und Rabatte erspielen und werden animiert, in kurzen Abständen immer wieder vermeintlich wenig Geld für schnelllebige Produkte auszugeben.

In komplexen Zeiten wie diesen gibt es oft mehr als eine Wahrheit. Das gilt auch für Nachhaltigkeit. Auf der einen Seite protestieren Arbeiter*innen in Bangladesch seit Monaten unter widrigen Bedingungen für höhere Löhne; die EU will eine nachhaltigere und verantwortungsvollere Modebranche per Gesetz regulieren. Zudem berichtet Business of Fashion (BoF) in „The State of Fashion 2024: Riding Out the Storm“, dass bis 2030 extreme Wetterereignisse Bekleidungsexporte im Wert von 65 Milliarden Dollar gefährden und fast eine Million Arbeitsplätze in Bangladesch, Kambodscha, Pakistan und Vietnam vernichten. Das alles sind Argumente für langfristige Nachhaltigkeitsstrategien, die stärkere Partnerschaften hervorbringen, sichere Arbeitsplätze erhalten und schaffen und das 1,5 Grad-Ziel einhalten.

Doch die Wahrheit ist auch, dass sich viele Menschen in Zeiten von Konflikten und Ungewissheit nach Unbeschwertheit sehnen, anders lässt sich der Erfolg von Anbietern wie Temu kaum erklären. Trotz Debatten über die Klimakatastrophe, trotz Investitionen in nachhaltige Technologien halten viele Unternehmen an der aktuellen Wachstumslogik fest und kommen ins Zittern angesichts von Prognosen, die laut BoF im Bereich der Nicht-Luxusgüter in Europa von einem Wachstum zwischen nur einem und drei Prozent ausgehen. Die Gründe dafür: Geringer werdende Ersparnisse und sinkendes Vertrauen von Verbraucher*innen.
Interessanterweise verzeichnet BoF als einen wegweisenden Trend für 2024 die Abkehr von Performance Marketing hin zu einem markenzentrierten Ansatz. Unternehmen können also gegensteuern, indem sie ihre Kund*innen emotional binden und die Markenloyalität erhöhen. Und genau da kann das Thema Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit wieder stärker in den Fokus rücken, um eine Art Werte-Match zwischen Unternehmen und Kund*in zu schaffen.

Wie und mit welchem Fokus ganzheitliche Nachhaltigkeit in 2024 umgesetzt und gelebt wird, wird wegweisend für die kommenden Jahre sein. Fest steht, dass sich auch erfolgreiche Geschäftsmodelle wie Temu und Co. verändern werden. Denn wer Produkte in der Europäischen Union verkaufen möchte, muss sich in Zukunft an strengere Gesetzgebungen halten. An diesem Branchentrend kommt 2024 niemand vorbei. Minimales und risikoarmes Engagement im Nachhaltigkeitsbereich, wie wir es auch 2023 gesehen haben, wird dafür schon bald nicht mehr ausreichen.

Fashion Changers-Mitgründerin Nina Lorenzen recherchiert und schreibt seit über zehn Jahren über Fair Fashion und ist seit 2022 Redaktionschefin vom Fashion Changers Magazin.

Welche Branchentrends für nachhaltige Mode erwartest du in 2024?

Titelbild:  ©pexels/anna shvets

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert