Fair-Fashion-Markt: Wo steht die Branche aktuell?

In den letzten Jahren hat die Fair-Fashion-Branche bemerkenswerte Fortschritte gemacht und einen immer größeren Anteil am Bekleidungsmarkt gewonnen. Sie ist Sinnbild für ein neues, bewussteres Einkaufen, bei dem ethische und ökologische Standards im Vordergrund stehen. Doch trotz dieses positiven Trends stehen viele Fair-Fashion-Unternehmen vor Herausforderungen: steigende Zinsen, Inflation, geopolitische Unruhen und ein preisbewusstes Konsumverhalten. Steht die Fair-Fashion-Branche in Deutschland an einem Wendepunkt?

In den letzten Jahren hat die Fair-Fashion-Branche bemerkenswerte Fortschritte gemacht und einen immer größeren Anteil am Bekleidungsmarkt gewonnen. Sie ist Sinnbild für ein neues, bewussteres Einkaufen, bei dem ethische und ökologische Standards im Vordergrund stehen. Doch trotz dieses positiven Trends stehen viele Fair-Fashion-Unternehmen vor Herausforderungen: steigende Zinsen, Inflation, geopolitische Unruhen und ein preisbewusstes Konsumverhalten. Steht die Fair-Fashion-Branche in Deutschland an einem Wendepunkt?

Take-Aways
  • Zwischen Importrekorden und rückläufiger Beschäftigung: Deutschland hat im Bekleidungshandel seit dem Höhepunkt im Jahr 2015 fast 100.000 Arbeitsplätze verloren, während die Importe im Jahr 2022 einen Wert von 59 Milliarden Euro erreichten. Der Anstieg des Online-Handels, verstärkt durch die Corona-Pandemie, spielt eine entscheidende Rolle in dieser Entwicklung.
  • Konsumtrends: Trotz eines Anstiegs der Haushaltsausgaben für Mode im Juni 2023, offenbart eine Umfrage im September einen zwischenzeitlichen Rückgang des Interesses an Modekäufen im Sommer, das sich aber vor Herbst wieder etwas erholt. Die Schwankungen im Kaufverhalten können saisonal bedingt oder durch veränderte Konsumprioritäten in den wärmeren Monaten beeinflusst sein.
  • Nachhaltigkeitsfokus: Eine Studie von Greenpeace aus dem Jahr 2022 zeigt, dass die Deutschen weniger Kleidung besitzen und mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen. Im Vergleich zu 2015 ist die Anzahl der Kleidungsstücke pro Person um 6,5 Prozent gesunken, während 35 Prozent gezielt nachhaltige und fair produzierte Kleidung suchen, ein Kriterium, das nun wichtiger ist als der Preis.
  • Datenlücke: Es bleibt schwierig, die exakte Größe und Entwicklung des Fair-Fashion-Markts zu bestimmen, da es keine einheitliche Definition gibt und somit auch keine spezifischen und detaillierten Daten vorliegen. Laut BTE ist dies ein Hauptgrund für das Fehlen verlässlicher Informationen.
  • Marktanteil: Trotz eines wachsenden Interesses an nachhaltiger und ethischer Mode, war im Jahr 2020 nur etwa 1,4 Prozent der in Deutschland erhältlichen Kleidung mit einem Umweltlabel versehen. Dies hebt die Diskrepanz zwischen dem Interesse der Konsumierenden und der Verfügbarkeit solcher Produkte auf dem Markt hervor.
  • Fairtrade-Wachstum: Der Umsatz von Fairtrade-Textilien in Deutschland ist gestiegen, und erreichte 2022 etwa 180,4 Millionen Euro. Discount-Marken wie Aldi und Lidl haben ebenfalls Fairtrade-Produkte in ihr Sortiment aufgenommen, was den Wettbewerb für spezialisierte Fairtrade-Geschäfte erhöht.
  • Wachsendes Vertrauen: Eine Studie des GfK Consumer Panel Fashion zum Earth Day 2022 zeigte, dass 65 Prozent der deutschen Konsumierenden Öko-Siegeln wie „Textiles Vertrauen“ und GOTS vertrauen. Die Anzahl der Käufer*innen, die auf diese Siegel achten, ist von 2012 bis 2021 um 40 Prozent gestiegen, was auf eine langfristige Veränderung im Konsumverhalten hinweist.
  • Branchenwandel: Trotz finanzieller und marketingtechnischer Herausforderungen ist die Fair-Fashion-Branche nicht am Untergehen, sondern durchläuft einen bedeutenden Wandel. Expert*innen betonen beide, dass die Branche sich anpassen und innovativ sein muss, um zu wachsen und die Konsument*innenerwartungen zu erfüllen.

In diesem Deep Dive gibt es Input von:

  • Alexander Hitzel, Projektleiter für die Entwicklung und Gestaltung der Fachmesse INNATEX
  • Niki de Schryver, Gründerin der Online-Plattform COSH!

Michael Spitzbarth, Gründer der deutschen Outdoor-Brand Bleed, veröffentlichte im Mai 2023 einen offenen Brief mit dem Titel „Ist echte nachhaltige Mode in Deutschland vom Aussterben bedroht?“. In dem Brief thematisierte er auch Herausforderungen, die die gesamte Fair-Fashion-Branche aktuell bewältigen muss: Preissteigerungen, steigende Zinsen, hohe Lagerbestände und ein preisbewussteres Kaufverhalten. 

Im Juni 2023 gab die Calida Gruppe bekannt, sich vom öko-fairen Unterwäsche-Unternehmen erlich textil zu trennen, welches sie erst ein Jahr zuvor erworben hatten. Dieser Schritt resultiere laut Calida auch hier aus den steigenden Zinsen, der rasanten Inflation und geopolitischen Instabilitäten, die das Konsumverhalten erheblich beeinflussen – ein Effekt, den auch andere Hauptmarken der Gruppe zu spüren bekommen. Währenddessen mussten auch andere Marken und Geschäfte Rückschläge einstecken. Der nachhaltige Department Store Tomo in Den Haag, der geplant hatte, nach Deutschland zu expandieren, meldete Insolvenz an. Ebenso verhält es sich mit dem Düsseldorfer Fair-Fashion-Anbieter Wunderwerk. 

Es ist essenziell, diese Entwicklungen im richtigen Kontext zu sehen. Ein Umsatzrückgang oder gar eine Insolvenz bedeutet nicht automatisch ein nachlassendes Interesse an nachhaltiger Mode. Es gibt zahlreiche Faktoren, die in diese Entwicklungen hineinspielen, und es wäre vorschnell, diese allein auf das Konsument*innenverhalten zurückzuführen. Einige Unternehmen haben mit unternehmensinternen Herausforderungen zu kämpfen, während andere von äußeren wirtschaftlichen Faktoren betroffen sind. Die Kernfrage bleibt: Was unterscheidet die Unternehmen, die in dieser Branche Erfolg haben, von denen, die Schwierigkeiten haben?

Deutschlands Modehandel: Zwischen Rekord-Importen und rückläufiger Beschäftigung

Deutschland ist ein Hauptakteur im weltweiten Handel mit Kleidung. 2022 importierte das Land Kleidung im Wert von rund 59 Milliarden Euro und wurde damit nur von den USA übertroffen. Die drei wichtigsten Herkunftsländer der importierten Kleidung sind China, Bangladesch und die Türkei. Trotz dieser massiven Importe ist die Produktion von Kleidung in Deutschland selbst in den letzten 40 Jahren stark gesunken, wie der Statista-Fair-Fashion-Report vom Juli 2023 zeigt. Dennoch zählt Deutschland zu den fünf größten Bekleidungsexporteuren weltweit. 

2015 markierte den Höhepunkt der Beschäftigtenzahlen im deutschen Bekleidungshandel. Laut Statista-Fair-Fashion-Report nimmt die Anzahl der Arbeitsplätze seitdem kontinuierlich ab – ein Rückgang um beinahe 100.000 Stellen in nur fünf Jahren. Ein Hauptgrund dafür ist der Boom des Online-Handels, der durch die Corona-Pandemie zusätzlich intensiviert wurde.

Interessieren sich Konsumierende weniger für (Fair) Fashion?

2023 zeigt sich ein facettenreiches Bild im Modekonsum. Unterschiedliche Studien geben Einblicke, die zunächst widersprüchlich erscheinen können.

Im Juni 2023 verzeichnete der Modehandel laut dem GfK Consumer Panel Fashion, das die Ausgaben für Bekleidung und Schuhe von rund 14.000 Menschen in 7.000 Haushalten erfasst, einen beachtlichen Aufschwung. Die Haushaltsausgaben für Mode stiegen um 14,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dieser positive Trend im Juni könnte durch saisonale Faktoren, spezielle Angebote oder Rabattaktionen beeinflusst worden sein. Trotz einer allgemein hohen Inflation war der Zuwachs besonders bei reduzierten Waren spürbar. Parallel dazu verbesserten sich die Umsatzzahlen im E-Commerce und reduzierten den Rückgang auf nur 7,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Doch ein anderes Bild zeigt sich im weiteren Sommerverlauf. Eine Umfrage des Nürnberger Marktforschungsunternehmens Infas quo im September 2023 offenbart, dass das Interesse am Modekauf während des Sommers gesunken war, sich aber vor Herbstbeginn wieder erholte. 17 Prozent der 1.300 Befragten gaben an, bald Mode einkaufen zu wollen, ein Anstieg von zwei Prozent gegenüber August. Weitere 16 Prozent hatten fest vor, im kommenden Monat Kleidung zu kaufen, und 31 Prozent zeigten sich noch unentschlossen, aber grundsätzlich kaufinteressiert. Die Umfrageergebnisse könnten darauf hindeuten, dass Konsumierende im Sommer andere Prioritäten setzen und weniger Mode einkaufen. Mit der Ankunft des Herbstes steigt jedoch das Interesse wieder an, möglicherweise motiviert durch den Wunsch, die Garderobe für die kühlere Jahreszeit aufzufrischen. Die Studie unterstreicht die Anpassungsfähigkeit der Konsument*innen und ihr sich änderndes Kaufverhalten je nach Jahreszeit.

Dennoch zeichnet das monatliche Konsumbarometer des Handelsverbandes Deutschland (HDE) ein weniger optimistisches Bild der allgemeinen Verbraucherstimmung. Es basiert auf einer Befragung von 1.600 Personen und zeigte im August 2023 kaum Veränderungen im Konsumverhalten, wobei es immer noch nicht die Werte vor der Coronapandemie erreicht hat. Seit Oktober 2022 ist sogar ein Stagnieren der Verbraucher*innenstimmung festzustellen.

Diese Diskrepanz zwischen den Studien zeigt, wie komplex die Konsumlandschaft ist. Verschiedene Faktoren können den Modekonsum beeinflussen, von saisonalen Effekten bis hin zu allgemeinen Wirtschaftstrends. In Bezug auf Fair Fashion fehlen in den bisher zitierten Studien spezifische Daten. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Markt weiterentwickelt und welche Rolle nachhaltige Mode in diesem Kontext spielt.

Weniger Produkte in deutschen Kleiderschränken

In einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Nuggets für Greenpeace Deutschland durchgeführt hat, wurde die Entwicklung des Kleidungskonsums in Deutschland analysiert. Für die Studie wurden vom 21. bis 29. Juni 2022 1.002 Personen zwischen 18 und 69 Jahren befragt. Dabei wurde festgestellt, dass jede*r Befragte durchschnittlich 6,5 Prozent weniger Kleidungsstücke besitzt als noch im Jahr 2015. Dies spiegelt laut Studie einen Rückgang von 340 Millionen Teilen wider.

Die Untersuchung offenbarte zudem Folgendes:

  • 35 Prozent der Befragten suchen gezielt nach nachhaltig und fair produzierter Kleidung, was erstmals wichtiger ist als der Preis, der nur für 29 Prozent entscheidend ist.
  • Zwei Drittel der Teilnehmenden möchten künftig weniger Kleidung kaufen.
  • Eine Mehrheit von 89 Prozent beabsichtigt, ihre vorhandene Kleidung länger zu nutzen.
  • Die Langlebigkeit von T-Shirts hat zugenommen, mit 58 Prozent der Befragten, die diese länger als drei Jahre tragen – ein Anstieg gegenüber 42 Prozent im Jahr 2015.
  • Bei Hosen ist ein ähnlicher Trend zu erkennen: 60 Prozent tragen sie länger als drei Jahre, im Vergleich zu 49 Prozent im Jahr 2015.
  • Auch Jacken werden länger getragen, wobei die Zahl von 75 Prozent auf 79 Prozent gestiegen ist.
  • Schuhe hingegen sind für viele noch immer ein Wegwerfartikel, da nur 47 Prozent angeben, ihre Schuhe länger als drei Jahre zu tragen.

Die durchschnittliche Anzahl der Kleidungsstücke in den Kleiderschränken der Befragten ist von 95 im Jahr 2015 auf 87 im Jahr 2022 gesunken. Dieser Trend ist besonders bei jungen Frauen im Alter von 18 bis 29 Jahren zu beobachten, deren Kleidungsbestand um fast ein Fünftel von 92 auf 74 Teile reduziert wurde. Bei den 40- bis 49-Jährigen gab es einen Rückgang um 15,5 Prozent (von 97 auf 82 Teile), während die Menge an Textilien bei den 30- bis 39-Jährigen zugenommen hat, nämlich von 98 auf 104 Kleidungsstücke.

Die Studie gibt einen nuancierten Einblick in die Dynamik des Bekleidungskonsums in Deutschland, wobei sich der Fokus zunehmend auf Nachhaltigkeit und Langlebigkeit verlagert, aber auch die Präferenzen und Verhaltensweisen stark variieren können.

Nachhaltigkeit im österreichischen Handel: Was Konsumierende wollen

Eine umfangreiche Studie des Handelsverbands und des Beratungsunternehmen EY hat zum zweiten Mal die Rolle von Nachhaltigkeit in der österreichischen Konsumgüterbranche untersucht. Dabei wurden über 1.000 Konsument*innen sowie 107 Händler befragt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass für die Mehrheit der Konsument*innen das Preis-Leistungs-Verhältnis, insbesondere bei Kleidung, an erster Stelle steht. Qualität rangiert als zweitwichtigstes Kriterium. Bemerkenswert ist, dass ungefähr die Hälfte der Befragten bereit sei, mehr für nachhaltig oder regional produzierte Produkte zu bezahlen. Hierbei könnte allerdings der Faktor der sozialen Erwünschtheit eine Rolle spielen, bei dem die Befragten eine Antwort geben, die als sozial wünschenswert angesehen wird. In puncto Nachhaltigkeit betonen die Konsument*innen vor allem Aspekte wie Müllvermeidung, ressourcenschonenden Umgang sowie Tierwohl.

Laut Studie haben bereits über ein Drittel der Handelsunternehmen in Österreich Nachhaltigkeit fest in ihre Strategie integriert. Für weitere 40 Prozent trifft das zumindest teilweise zu. Persönliche Überzeugung treibt 72 Prozent dieser Unternehmen an, während 68 Prozent sagen, sie möchten Kundenwünsche erfüllen. Für 56 Prozent gehört es zur strategischen Planung. Bei ihren nachhaltigen Bemühungen fokussieren sich die befragten Händler*innen hauptsächlich auf Themen wie Recycling, Abfallmanagement, Produktauswahl sowie Gebäude- und Energiemanagement.

Marktgröße und -entwicklung: Wie groß ist der Fair-Fashion-Markt aktuell? 

Die Dimensionen und Entwicklungen des Fair-Fashion-Markts sind trotz des wachsenden Interesses an Nachhaltigkeit und ethischem Konsum oft schwer zu greifen. Laut Axel Augustin, dem Geschäftsführer des BTE (Handelsverband Textil Schuhe Lederwaren), sind die mangelnden Daten hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass es keine einheitliche Definition des Fair-Fashion-Markts gibt.

Bescheidener Marktanteil: Zertifizierte Mode

Während eine präzise Quantifizierung seiner genauen Größe und jüngsten Entwicklung aufgrund des Mangels an spezifischen und detaillierten Daten eine Herausforderung darstellt, bieten einige Kennzahlen dennoch wertvolle Einblicke. Daten zum Verkauf von zertifizierten Textilien können beispielsweise als Indikator für das Interesse und Engagement der Verbraucher*innen in diesem Bereich herangezogen werden. 

Im Jahr 2020 waren rund 1,4 Prozent aller auf dem deutschen Markt erhältlichen Textilien und Kleidungsstücke mit einem Umweltlabel versehen. Diese Zahl bezieht sich auf eine erweiterte Datenerhebung, die neben dem GOTS-Label seit 2018 auch Produkte mit den Umweltlabels Naturtextil (IVN), Cradle to Cradle und Fairwear berücksichtigt. Ab 2020 wurde zusätzlich das staatliche Siegel „Grüner Knopf“ in die Erhebung einbezogen. Diese Information wurde durch ein Verbraucherpanel der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ermittelt.

Die Tatsache, dass der Anteil von zertifizierten Textilien im Jahr 2020 bei 1,4 Prozent lag, betont die erhebliche Diskrepanz zwischen dem zunehmenden Interesse an nachhaltiger Mode und der tatsächlichen Verfügbarkeit solcher Produkte auf dem Markt. Obwohl es wahrscheinlich ist, dass aktuellere Daten eine Steigerung dieser Zahlen anzeigen würden, besteht dennoch eine signifikante Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Gründe für diese Diskrepanz sind vielfältig und könnten von mangelndem Bewusstsein, begrenzter Verfügbarkeit, höheren Kosten oder auch der mangelnden Transparenz in Bezug auf die Vorteile und den Wert nachhaltiger Produkte beeinflusst werden. Es unterstreicht die Notwendigkeit einer konzertierten Anstrengung, um die Lücke zu schließen und die Integration nachhaltiger Praktiken in den Mainstream der Modeindustrie zu beschleunigen.

Umsatz für Fairtrade-Textilien steigt

In den vergangenen Jahren erlebte der Markt für Fairtrade-Bekleidung, bei denen Fairtrade-Baumwolle und stabile Mindestpreise für die Produzenten zum Einsatz kommen, in Deutschland einen stetigen Aufschwung. Insbesondere die letzten vier Jahre zeigten einen beschleunigten Wachstumstrend. So belief sich der Umsatz von Fairtrade-Textilien 2022 auf schätzungsweise 180,4 Millionen Euro. 

Ein interessanter Aspekt im Kontext der Fairtrade-Bewegung ist auch die Rolle von Discountern. Unternehmen wie Aldi, Lidl und Penny haben in den letzten Jahren Fairtrade-Siegel in ihr Sortiment integriert. Aldi und Lidl haben beispielsweise in den letzten Jahren ihr Sortiment durch Fairtrade-zertifizierte Textilien wie etwa Handtücher und T-Shirts erweitert. Diese Strategieänderung stellt jedoch auch eine Herausforderung für spezialisierte Fairtrade-Läden dar. Discounter haben den Vorteil, dass sie eine große Reichweite haben und dank ihrer Größe oft niedrigere Preise anbieten können. Dies macht Fairtrade-Textilien für eine breitere Bevölkerungsschicht zugänglich, aber erhöht auch den Wettbewerbsdruck auf Nischenanbieter im Bereich der Fairtrade-Textilien.

Konsumierende: Textilsiegel gewinnen scheinbar an Bedeutung

Zum Earth Day am 22. April 2022 hat GfK Consumer Panel Fashion interessante Ergebnisse zur Bedeutung von Öko-Textilsiegeln vorgelegt. Hier wurden alle Bekleidungs- und Schuh-Einkäufe von rund 14.500 Personen aus ca. 7.000 Haushalten erfasst:

  • Vertrauen in Öko-Siegel: Das Vertrauen in Öko-Siegel spielt eine zentrale Rolle bei der Kaufentscheidung der Verbraucher: 65 Prozent der Deutschen geben an, Siegeln wie „Textiles Vertrauen” und GOTS besonders zu vertrauen. 
  • Differenziertes Kaufverhalten: Das Studienergebnis offenbart deutliche Unterschiede im Konsumverhalten, abhängig von der individuellen Einstellung zur Nachhaltigkeit. 84 Prozent der Leute, die sehr umweltbewusst leben, achten beim Kleidungskauf auf Nachhaltigkeitssiegel. Bei denen, die sich wenig um die Umwelt kümmern, sind es nur neun Prozent. Das zeigt, wie unterschiedlich die Menschen beim Thema Nachhaltigkeit denken.
  • Langfristige Tendenz: Ein signifikanter Anstieg der Käufer*innen, die auf Öko-Label achten – um 40 Prozent von 2012 bis 2021 – unterstreicht, dass es sich hierbei nicht um einen kurzfristigen Trend handelt. Vielmehr zeichnet sich eine langfristige Veränderung im Konsumverhalten und in den Erwartungen der Menschen an die Modebranche ab.

Digitale Präsenz trifft auf Fachmessen: Wie Fair Fashion seine Sichtbarkeit steigert

Laut Niki de Schryver, Gründerin der Online-Plattform COSH! gilt es nun, der Fair-Fashion-Branche noch mehr Reichweite zu geben. COSH! ist eine Online-Plattform, die Konsument*innen dabei unterstützt, nachhaltige und ethische Mode leichter zu finden. Mithilfe eines Navigationssystems können Nutzer*innen nach Geschäften in ihrer Nähe suchen, die öko-faire Mode anbieten. Darüber hinaus bietet die Plattform Hintergrundinformationen zu verschiedenen Labels und deren Nachhaltigkeitspraktiken an. Ziel von COSH! ist es, den bewussten Modekonsum zu fördern und den Übergang zu nachhaltigerem Shoppen zu erleichtern.

Im Sommer 2023 ist COSH! nach Deutschland expandiert, nachdem es sich in Belgien und den Niederlanden etabliert und bereits erste Erfolge in Spanien verzeichnet hat. Das Ziel: Diversität im Einzelhandel nicht nur zu schützen, sondern auch zu fördern. „Es gibt ein klares Bedürfnis, nachhaltigen Marken und Unternehmen zu helfen, ihre Reichweite zu erhöhen”, so de Schryver. „Aktuell kaufen umweltbewusste Konsumierende weniger, wodurch Marken gezwungen sind, mit begrenzten Mitteln eine größere Zielgruppe zu erreichen. Wir wollen hier anknüpfen und unterstützen.”

„Viele Marken kämpfen mit fehlendem Marketing-Know-how und finanziellen Engpässen.“

Ist die Fair-Fashion-Branche nun dem Untergang geweiht? Nein, findet Niki de Schryver. „Vielmehr durchläuft die Branche aktuell einen tiefgreifenden Wandel, der durch verschiedene ökonomische und marktbezogene Dynamiken geprägt wird.” Eine genaue Vorhersage zu treffen sei jedoch aktuell kompliziert. De Schryver unterstreicht, dass die Fast-Fashion-Industrie weiterhin wächst – trotz des gestiegenen Bewusstseins für Nachhaltigkeit und der vielen Fortschritte im ethischen Modebereich. „Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich spiegelt sich in den Modeentscheidungen der Menschen wider. Unsere Mission im nachhaltigen Sektor ist noch lange nicht abgeschlossen, solange nicht alle den wahren Wert von Kleidung schätzen und die Zwangsarbeit aus der Lieferkette eliminiert ist“, betont de Schryver.

Ähnliches berichtet auch Alexander Hitzel, Projektleiter für die Entwicklung und Gestaltung der Fachmesse INNATEX. Die Branche stehe definitiv vor Herausforderungen, aber keinesfalls vor dem Aus. „Auf der letzten INNATEX konnten wir viele spannende Gespräche führen. Dass bewusster und vorsichtiger eingekauft wird, haben uns viele Aussteller*innen offen berichtet – und auch, dass sowohl Handel als auch Konsument*innen genauer auf Preise achten”, so Hitzel. Viele Brands hätten neben nachhaltigen auch an modischen Aspekten gearbeitet oder das Kollektionsprofil und den Innovationsgrad geschärft. „Einige Brands haben ihre Preise halten können, viele andere mussten ihre Preise durchaus erhöhen. Trotzdem haben uns auch Brands berichtet, dass ihr Ordervolumen steige, obwohl die Neukundenakquise nicht immer einfach sei. Manche Brands begegnen den Herausforderungen, indem sie selbst ins Risiko gehen und ohne Vororder ihre Kollektion auf Lager vorhalten, andere arbeiten mit eigenen Stores.” Das Fazit der INNATEX: Die Zahlen sind konstant geblieben und es gab 244 Aussteller*innen

„Trotzdem haben uns auch Brands berichtet, dass ihr Ordervolumen steige, obwohl die Neukundenakquise nicht immer einfach sei.“

Gemischtes Bild: Eine Branche im Wandel?

Die Modebranche ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen. Trotz der erkennbaren Tendenz zu einer bewussteren und nachhaltigeren Mode, bleiben Konsument*innen in ihren Kaufentscheidungen vielfältig und teils widersprüchlich. Insbesondere in Deutschland zeigt sich, dass ethische Überlegungen zwar zunehmend an Bedeutung gewinnen, sie jedoch nicht die einzigen Entscheidungskriterien darstellen. Qualität und Preis spielen nach wie vor eine zentrale Rolle

In ihrem Retail Report 2023 beschreibt Theresa Schleicher, Handelsexpertin und Zukunftsforscherin beim Zukunftsinstitut, eine Zeit des Wandels in der Modebranche, die durch verschiedene Krisen, einschließlich der Expansion des E-Commerce, an einem Scheideweg steht. In einem Klima von Inflation und Lieferkettenproblemen erkennt sie die Notwendigkeit für die Modeindustrie, sich zu transformieren und an die Anforderungen der heutigen Welt anzupassen. Schleicher spricht über die Evolution von Fast Fashion zu nachhaltigeren Produktionspraktiken und die Bewegung von Slow Fashion zu mehr Bequemlichkeit und Schnelligkeit, unterstützt durch innovative Technologien.

Die Expertin prognostiziert, dass Mode aufgrund der gestiegenen Kosten für verbesserte Dienstleistungen und lokale Produktion teurer wird. Sie betont zudem die Bedeutung der On-Demand-Produktion als Mittel zur Vermeidung von Überproduktion und zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Schleicher stellt fest, dass das Konsumverhalten durch ein neues Werteparadigma geprägt ist, das Qualität über Quantität stellt, und dass Konsument*innen heute gut informiert und selektiv in ihren Einkäufen sind.

Die Zukunftsforscherin berührt auch das aktuelle Rabatt- und Sparverhalten, das durch die wirtschaftlichen Herausforderungen der Inflation ausgelöst wird. Sie glaubt jedoch, dass dies kurzfristig ist und dass sowohl Konsumierende als auch Händler lernen müssen, sich von alten Systemen zu lösen und neue Ansätze zu adaptieren, um zukünftige Herausforderungen zu bewältigen. In dieser Transformation sieht Schleicher die Aufgabe, die Werte der Nachhaltigkeit, Regionalität und Qualität über die traditionelle Quantitäts- und Rabattorientierung zu stellen.

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