Ich erinnere mich noch gut an meine Teenie-Jahre, in denen ich stundenlang in der Instyle oder Glamour geblättert und mir auf vogue.de die neuen Fashion-Show-Bilder angeschaut habe. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber als 15-jährige habe ich mich sehr oft gefragt, warum plötzlich (fast) alle Designer*innen auf eine bestimmte Farbe, einen bestimmten Schnitt oder ein bestimmtes Muster setzen und dies dann als „Trend” gilt. Ich machte mir wenig Gedanken, wie sich diese Trends im Hinblick auf Nachhaltigkeit einfügen und wie sie Überproduktion und -konsum fördern. Vielmehr wollte ich wissen, ob diese Trends Monate vorher – top secret – unter Modeschaffenden abgesprochen werden. Wie und von wem werden sie gesetzt?
Es brauchte ein paar Jahre, bis ich herausfand, dass es sogenannte Trendagenturen gibt. Bei der Vorbereitung ihrer Kollektionen arbeiten viele Designer*innen hinter den Kulissen mit einem Team aus Trendforschenden zusammen. Diese Fachleute haben eine Karriere aufgebaut, in der sie vorhersagen, was wir in Zukunft tragen werden. Dazu beobachten und interpretieren sie globale Ereignisse, um zu entschlüsseln, wie sie sich auf die Märkte auswirken. Im Gegenzug können sie bestimmen, was die Menschen kaufen wollen (und sollen). Anhand von KI werden diese Trendprognosen immer genauer – das Online-Verhalten von Menschen kann zum Beispiel in Echtzeit verfolgt und bis ins kleinste Detail analysiert werden. Mittlerweile werden Trends auch zunehmend von Influencer*innen auf sozialen Medien gesetzt, was das Trendkarussell noch einmal ordentlich beschleunigt.
Produzieren, um zu verkaufen
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich immer noch zwiegespalten bin, was das Konzept Trendagentur angeht. Dabei gibt es inzwischen so viele globale Agenturen, dass es schwierig ist, den Überblick zu behalten. Bekannte Trendagenturen sind unter anderem WGSN, Heuritech, Trendzoom und Patternbank. Sie stellen ihren Kund*innen wichtige und strategische Informationen zur Verfügung, um ihnen zu helfen, die Eigenmarke weiterzuentwickeln, die Bedürfnisse ihrer Kund*innen besser zu verstehen, die zukünftige Produktentwicklung und das Marketing zu optimieren.
Aus Unternehmenssicht verstehe ich dieses Konzept durchaus. Man muss wissen, was den Leuten gefällt, was ihnen fehlt, wonach sie sich sehnen. Lieber etwas produzieren, das am Ende auch wirklich gekauft wird, anstatt etwas, das gegen Saisonende entsorgt werden muss, weil niemand es haben will. Dahin gehend ist sogar die Fair-Fashion-Branche ein wenig abhängig von Trends und Konsumprognosen, denn auch öko-faire Marken müssen letztlich produzieren, um zu verkaufen.
Aus persönlicher Sicht finde ich Trend- und Konsumprognosen allerdings schwierig. Denn sie lassen wenig Raum für Authentizität und Kreativität. Was würden Modeschaffende designen, wenn sie nicht von diesen Prognosen abhängig wären? Und was würden Leute tragen, wenn sie sich nicht von Trends beeinflussen ließen? Wie würde eine Modewelt ohne Trendprognosen aussehen? Wäre sie nachhaltiger? Würde weniger produziert und konsumiert werden? Das sind die Fragen, die ich mir stelle, wenn ich mir heute die Bilder einer Fashion-Week-Saison ansehe – mit Looks, die wenige Tage oder Wochen später in (Ultra-) Fast-Fashion-Läden aufzufinden sind. Nach dem Motto: Get it while it’s hot.
Micro-Trends beschleunigen das Trendrad
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat der Massenzugang zum Internet und den sozialen Medien den Zeitgeist verändert. Trends sind quasi sofort sichtbar und verfügbar, nachdem sie auf einem Laufsteg oder auf TikTok und Instagram aufgetaucht sind. Aber nicht nur das: Durch die Influencer*innen-Kultur werden Konsumierende selbst zu Trendsetter*innen und entwickeln eigene Trends. Während Modeexpert*innen sich vor einigen Jahren anschauten, was Menschen auf der Straße trugen, um ein Gefühl für den Markt zu bekommen, hat der „Streetstyle“ online eine noch größere Bedeutung erlangt.
Heute nutzen weltweit etwa 4,6 Milliarden Menschen soziale Medien und Instagram und TikTok sind seit Langem die Heimat und der Arbeitsplatz von Influencer*innen. Hier entstehen Trends, die sich dank eines cleveren Algorithmus genauso schnell verbreiten, wie sie wieder verschwinden. Derartige Micro-Trends werden populär, verlassen den Trendzyklus aber auch häufiger als klassische Modetrends, die in der Regel einige Jahre andauern können oder immer wieder kommen.
Neben Social Media spielt auch die Filmindustrie eine große Rolle. Während der zweiten Staffel der Serie Euphoria trug die Figur Maddy Perez (gespielt von Alexa Demie) ein schwarzes Kleid mit Cut-outs an den Seiten. Die Suche nach einem solchen Kleid stieg um 890 Prozent an (ja, ihr habt richtig gelesen), doch der Trend verschwand so schnell, wie er kam. Diese Beschleunigung bedeutet also nicht nur, dass sich die eigene Garderobe innerhalb eines Jahres – oder weniger – veraltet anfühlt. Es bedeutet auch, dass Tausende von weggeworfener Kleidung auf Mülldeponien landen und das oftmals im Globalen Süden.
Wie lassen sich Trends und Nachhaltigkeit vereinen?
Aktuell ist es so, dass wir – gerade wegen des endlos kreisenden Trendkarussells – zu viel produzieren und konsumieren. (Ultra-)Fast-Fashion-Brands übernehmen Trends vom Laufsteg quasi im Sekundentakt. Daraufhin werden ganze Lager mit vermeintlich trendy Klamotten vollgestopft, die wohl nie verkauft werden – entweder weil zu viel produziert wurde oder weil der Trend schon wieder vorbei ist. Der Irrsinn: Gerade weil manche Trends so flüchtig sind, treiben sie Impulskäufe an. Man will ja schließlich nichts verpassen als modebewusste*r Shopper*in. Zurück bleibt ein überfüllter, chaotischer Schrank, vollgepackt mit Kleidung, die man teilweise noch nie getragen hat. Würde sich das ändern, wenn wir das Trendkonzept neu denken oder vielleicht ganz verabschieden?
Treffen wir uns doch irgendwo in der Mitte und sagen: Wir können Trends weiterleben, dafür aber selektiver und bewusster. Laut Vogue sind gerade unter anderem Lederjacken und Tank Tops in. Das klingt ja schon fast banal und zeitlos. Haben wir sowas nicht alle bereits im Kleiderschrank? Oder vielleicht eines unserer Familienmitglieder? Können wir einen Kleidertausch mit Freund*innen organisieren? Ich persönlich „shoppe” gerne mal im Kleiderschrank meines Vaters – oversized Blazer sind gerade wieder trendy (und wahrscheinlich auch nie ganz out, wenn es nach mir geht).
Viele Trends kommen schließlich immer wieder – in der Branche gelten 20 Jahre als Orientierung, wobei es auch mal mehr, mal weniger sein können. Viele Sachen, die „damals” trendy waren, finden wir in den Kleiderschränken unserer Eltern und Großeltern sowie in Secondhand- und Vintageläden. Um in zu sein, müssen wir also nicht unbedingt etwas Neues kaufen.
Und wie wäre es mit einem ganz besonderen Vorsatz für 2023: Mehr eigene Mode machen. Kein Witz, das geht; auch wenn du kein*e Designer*in bist. Für einen Tag (oder mehr für die ganz Motivierten) können wir Kleidung, die uns nicht mehr ganz gefällt, upcyceln – färben, neu zuschneiden und kürzen. Aus einem Blazer oder einer Jeans kann so ein Minirock werden (hello Y2K!). Für die, die sich nicht alleine an die Schere trauen: Es werden Upcycling-Kurse angeboten, on- und offline. Das Beste: Du kannst nichts falsch machen!
Zudem – und das mag ich besonders – leben wir mittlerweile in einem Zeitalter, in dem alles geht. Mode ist letztlich das, was wir selbst daraus machen. Unser persönlicher Stil kann alles sein und nichts. Immer mehr Menschen setzen auf Individualität, weil die Moderegeln nicht mehr zur gesellschaftlichen Etikette gehören. Taschen und Schuhe müssen nicht mehr zusammenpassen, wie es sich zu Zeiten unserer Großeltern gehört hat.
Das Trendkonzept überdenken
Obwohl die Moderegeln zunehmend verschwimmen und verschwinden, glaube ich nicht, dass Trends an sich jemals verschwinden werden. Es gab sie quasi schon immer und daran wird sich so schnell auch nichts ändern.
Dennoch wünsche ich mir, mehr Menschen würden sich darüber Gedanken machen, wie diese entstehen und das Konzept dahinter hinterfragen. Dazu müssen wir uns aber auch mit dem eigenen Konsumverhalten auseinandersetzen. Denn Trends kurbeln den Konsum an, und Konsum kurbelt wiederum neue Trends an – ein Teufelskreis, der wohl nie nachhaltig sein kann. Dennoch lassen sich Modebewusstsein und Nachhaltigkeitsaffinität auch in Sachen Trends gut kombinieren – und es war wohl noch nie einfacher.
Titelbild © cottonbro studio via Pexels
Eigentlich träumte Medina immer davon, mit ein paar Hunden irgendwo im Nirgendwo zu leben. The simple life. Nach ihrem Studium des Völkerrechts tauchte sie dann als Juristin in die Welt der Menschenrechte ein und fand bei Fashion Changers Gleichgesinnte. Ob soziale Ungerechtigkeit, nachhaltige Geschäftsmodelle oder Arbeitsrechte – Medina schreibt bei Fashion Changers über verschiedene Themen, um Lesende zu einer Diskussion anzuregen.