Greenwashing adé: Wie schaffen Unternehmen den Spagat zwischen Marketing und CSR? Wie gelingt die transparente Kommunikation von Nachhaltigkeitszielen und -bemühungen, ohne dabei Abstriche in Sachen Storytelling zu machen? Wir haben die Nachhaltigkeits- und Anti-Greenwashing-Expert*innen Lavinia Muth und Tanita Hecking gefragt.
- CSR und Marketing müssen sorgfältig abgewogen werden: Unternehmen sollten darauf achten, dass ihre Marketingmaßnahmen und CSR-Initiativen im Einklang stehen, um Greenwashing zu vermeiden und eine konsistente Botschaft zu vermitteln.
- Authentische Nachhaltigkeitsmaßnahmen sind entscheidend: Unternehmen sollten sich auf echte Nachhaltigkeitsbemühungen konzentrieren und nicht nur oberflächliche oder ungenaue Behauptungen aufstellen.
- Transparenz ist unerlässlich: Unternehmen sollten ehrlich und offen über ihre Nachhaltigkeitsziele, Fortschritte und Herausforderungen berichten, damit Kund*innen ein klares Bild von ihren Bemühungen erhalten.
- Zusammenarbeit mit Lieferketten: Unternehmen sollten eng mit Lieferanten zusammenarbeiten, um ihre Umweltauswirkungen zu reduzieren und gleichzeitig die sozialen Bedingungen entlang der gesamten Lieferkette zu verbessern.
- Kontinuierliche Verbesserung und Anpassung: Unternehmen sollten bestrebt sein, ihre Nachhaltigkeitsstrategien regelmäßig zu überprüfen und zu verbessern, um sich an neue Erkenntnisse, Technologien und Branchenstandards anzupassen.
- Offene Kommunikation über Zertifizierungen und Standards: Unternehmen sollten klar erklären, welche Zertifizierungen und Standards sie verwenden und welche konkreten Vorteile und Grenzen diese bieten, um Missverständnisse und falsche Erwartungen zu vermeiden.
- Proaktive Haltung gegenüber Gesetzgebung: Unternehmen sollten sich über aktuelle und zukünftige Gesetze im Bereich Nachhaltigkeit und Greenwashing informieren und darauf vorbereitet sein, sich an neue Vorschriften und Anforderungen anzupassen.
- Eigenverantwortung und Selbstreflexion: Unternehmen sollten sich ihrer eigenen Verantwortung für die Schaffung einer nachhaltigen Zukunft bewusst sein und ihre eigenen Entscheidungen und Handlungen kritisch hinterfragen.
Im Dschungel der Nachhaltigkeitsversprechen lauern viele Greenwashing-Fallen. Viele Unternehmen nutzen geschickt die Sorge um die Umwelt aus, um ihre Produkte als umweltfreundlich zu vermarkten, obwohl sie es oft gar nicht sind. Die Grenze zwischen CSR (Corporate Social Responsibility, also die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen) und gezieltem Marketing verschwimmt immer mehr. Im Interview werfen die Nachhaltigkeits-Expertinnen Lavinia Muth und Tanita Hecking einen Blick hinter die Türen der Marketing- und CSR-Abteilungen. Sie haben kürzlich gemeinsam einen Anti-Greenwashing-Newsletter gestartet, wo sie CSR und Kommunikation zusammenbringen wollen. Im Interview zeigen sie auf, welche Strategien vermieden werden sollten und wie Unternehmen authentisches Umwelt- und Sozialengagement von PR-Spielereien unterscheiden können.
Bevor wir darüber sprechen, wie der Spagat zwischen CSR und Marketing gelingen kann: Wie würdet ihr CSR definieren?
Lavinia Muth: „CSR, oder wie es heutzutage oft genannt wird, Corporate Responsibility (CR), umfasst soziale Verantwortung, Umweltschutz, ethische Aspekte und essentielle Themen wie Inklusion und Diversität. Was wir dabei nicht vergessen dürfen: Viele Bestrebungen im Bereich der unternehmerischen Verantwortung sind globaler Natur, aber nicht gesetzlich vorgeschrieben. Es gibt natürlich bestimmte Entwicklungen, bei denen CSR verpflichtend und gesetzlich verankert wird, wie zum Beispiel das Lieferkettengesetz oder die EU-Textilstrategie. Auch neue Regelungen gegen Greenwashing sind in der Diskussion. Dennoch sind gute soziale und ökologische Leistungen aktuell oftmals freiwillig und nicht verpflichtend. Das ist das eigentliche Kernproblem.”
Inwiefern nutzen Marketingabteilungen die Gesetzeslücken denn aus?
Lavinia Muth: „Die Europäische Kommission hat eine Studie durchgeführt, bei der sie Webseiten auf Umweltaussagen überprüft hat. Dabei stellte sich heraus, dass etwa 53 Prozent der Aussagen entweder falsch oder vage waren. Und genau hier ist das Problem: Ich glaube, die Marketingwelt hängt noch in dem 1990er-Jahre-Motto fest: ,Tue Gutes und sprich darüber’. Das reicht heutzutage nicht mehr aus. Marketingabteilungen nutzen die derzeitige Freiwilligkeit aus und handeln nach dem Prinzip ,Man kann tun, was man will’.”
Tanita Hecking: „Ich habe mich in der Vergangenheit auf Content Marketing konzentriert, also den Aufbau von Unternehmenspublikationen. Wenn man Unternehmen konkrete Fragen zu Diversitäts- oder Umweltstrategien und -zielen stellt und um Beweise oder Fakten bittet, bekommt man oft keine konkreten Antworten. Verantwortliche drücken sich um klare Aussagen, aber Artikel und Kampagnen werden trotzdem veröffentlicht. Das liegt meiner Meinung nach auch an der Führungsebene.”
Welche besondere Verantwortung tragen Führungskräfte, wenn es um Nachhaltigkeitsstrategien geht?
Tanita Hecking: „Führungskräfte müssen verstehen, dass Nachhaltigkeitsstrategien kein Kommunikationstrend ist. Mit der Kommunikation sollte es nie anfangen, sondern mit der operativen Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien im Unternehmen. Was umgesetzt wird, kann kommuniziert werden. Natürlich können auch Lücken oder Hürden in der Umsetzung kommuniziert werden, damit Endkonsument*innen verstehen, warum der Wandel nicht so schnell passiert. Wichtig ist nur, dass Nachhaltigkeitskampagnen nicht entwickelt werden, ohne auf Aktionen im Unternehmen zu basieren.“
Von wem werden Nachhaltigkeitsaktivitäten eurer Erfahrung nach in einem Unternehmen initiiert?
Lavinia Muth: „In meiner Zusammenarbeit mit Marken und in meiner beratenden Funktion habe ich oft erlebt, dass Nachhaltigkeitsaktivitäten vom Marketing initiiert werden. Sie suchen sich ein interessantes Thema wie den Recycling Day oder den Overshoot Day und starten eine Kampagne dazu. Im Nachhinein hinterfragen sie erst, was das eigene Unternehmen in diesem Bereich eigentlich tut. Manchmal werden sogar Aktivitäten im Unternehmen an die Marketingstrategie angepasst. Das ist nicht der richtige Ansatz.”
Auch die Fair-Fashion-Branche hält also an vielen kapitalistischen Prinzipien fest?
Lavinia Muth: „Leider ja. Ich weiß aus meiner Erfahrung im Bereich Nachhaltigkeit, dass es Unternehmen gibt, die das Thema Nachhaltig aus Überzeugung angehen und umsetzen. Aber in der Modebranche gibt es auch viele Unternehmen, bei denen Marketing und Storytelling im Vordergrund stehen, während tatsächliche Veränderungen in der Lieferkette oder innerhalb des Unternehmens später kommen, wenn überhaupt.”
Tanita Hecking: „Es ist eine Herausforderung, ständig neuen Content zu kreieren, der zum Produkt passt. Oft scheitert der Wissenstransfer zwischen der CSR-Abteilung und dem Marketing, sodass die Marketingabteilung nicht weiß, worüber sie reden kann und sich stattdessen Geschichten ausdenkt. Das kann gefährlich sein, wenn man sich von anderen Unternehmen inspirieren lässt oder einfach aus dem Nichts Ideen entwickelt.”
Der Wissenstransfer zwischen CSR und Marketing gelingt also nicht immer. Wo können die verschiedenen Abteilungen anknüpfen?
Tanita Hecking: „Idealerweise werden Räume dafür innerhalb des Unternehmens geschaffen – etwa ein monatliches Meeting von CSR- und Marketingverantwortlichen. Wenn der Wissenstransfer innerhalb eines Unternehmens nicht klappt, liegt das ja an einem grundlegenden Problem: Dass die interne Kommunikation nicht gut strukturiert ist. Denn normalerweise sollte jede Person abteilungsübergreifend wissen, was im Unternehmen abgeht. Und den Teams, die sich stärker austauschen müssen, muss Raum dafür gegeben werden. Die CSR- und Marketingabteilung sollte etwa ihre Arbeitsgrundlage zusammen abstecken: Nachhaltigkeitsbereiche des Unternehmens definieren, Aspekte herausarbeiten, die kommuniziert werden können und dürfen und darauf aufbauen konzipieren. Danach müssen sich die Abteilungen regelmäßig updaten, damit der Wissenstransfer nicht wieder abreißt.“
Lavinia Muth: „Es gibt ein großes Kompetenzproblem sowohl im Bereich der Nachhaltigkeitsmanager*innen als auch im Marketing. Viele Leute, die im Bereich Nachhaltigkeit arbeiten, haben meiner Meinung nach zu wenig praktische Erfahrung und verstehen das holistische Wesen ihrer Arbeit nicht.
Wenn man die finanziellen Mittel hat, kann und sollte man schnittstellenübergreifende Stellen und Verantwortungen kreieren. Also zum Beispiel eine Person einstellen, die sowohl Kompetenz im Bereich operative Nachhaltigkeit hat als auch Kommunikation kann. Diese Person ,übersetzt’ dann sozusagen die technischen Nachhaltigkeitsbestrebungen der CSR-Abteilung und übermittelt diese an die Kommunikationsabteilung. Institutionalisierte Kommunikationskanäle wie Slack können auch helfen, um die Kommunikation zwischen den verschiedenen Teams zu optimieren. Gemeinsame Workshops, Seminare und Schulungen zu Nachhaltigkeitsthemen sind besonders wichtig und schaffen den Mehrwert, dass die Leute im Unternehmen weitergebildet werden.”
Das Problem ist also nicht nur der Wissenstransfer zwischen den Abteilungen, sondern der Mangel an Wissen selbst?
Lavinia Muth: „Genau. Im akademischen Bereich und in der Ausbildung sehe ich keine zukunftsorientierte Entwicklung in dem Sinne, dass der dort vermittelte Wissenstransfer wirklich praktisch angewendet werden kann und die komplexen Realitäten, speziell im Globalen Süden, allumfassend aufgreift. Es gibt vielleicht ein Zusatzmodul in einigen BWL-Marketing-Studiengängen zum Thema Nachhaltigkeit, aber das reicht nicht aus.
Falsche Kommunikation zu Umweltaussagen oder den großen Herausforderungen der Klima- und Menschheitskrise ist nicht zielführend und kann sogar zu unrealistischen Lösungen führen. Beispiel: Chemikalien. Hier kommt es oft zu Missverständnissen, weil die Natur und die Welt, in der wir leben, nicht richtig verstanden werden. Chemie ist überall, und es gibt keine ,chemikalienfreien’ Produkte.
Auch im Bereich Wasser wird oft falsch kommuniziert oder interpretiert. Wenn beispielsweise ein geringerer Wasserverbrauch angegeben wird, bedeutet dies nicht unbedingt, dass dies für Mensch und Planet besser ist. In manchen Fällen kann es sogar besser sein, mehr Wasser zu verwenden, beziehungsweise in den Produktionsprozess einzuführen, wenn es keine Wasserknappheit vor Ort gibt und dadurch sichergestellt wird, dass es in einem Kreislauf gereinigt wird und weniger schädliche Chemikalien eingesetzt werden. Es gibt auch viele weitere Beispiele für Fehlkommunikation und Missverständnisse – insbesondere im Bereich der sozialen Indikatoren, wie das Thema faire Löhne.”
Lavinia, du sprichst von Fehlkommunikation und Missverständnissen. Wie wichtig ist es, die richtige Sprache zu verwenden, wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen?
Lavinia Muth: „Sprache ist unglaublich wichtig. Im Marketing machen viele Unternehmen sprachliche Fehler. Sie verwenden Begriffe wie ,unsere Lieferanten’ oder ,unsere Bäuer*innen, was meiner Meinung nach ein kolonialistisches Narrativ aufgreift, weil hier ein Besitzanspruch angezeigt wird. Das zeigt, wie die eigene Wahrnehmung des Unternehmens und die gesamten Tätigkeiten nicht richtig verstanden werden.
95% der Industrie sind keine passiven Lohnveredler*innen: Wir dürfen nicht vergessen, dass die meisten Fashion Brands ihren Hauptsitz im Westen oder in Deutschland haben und im sogenannten Vollkaufgeschäft sind. Sie produzieren meistens nicht selbst, sondern geben Produkte in Auftrag und zahlen keinen Lohn in den Produktionsländern. Schon allein das Narrativ, dass sie faire Löhne oder Mindestlöhne zahlen, ist eigentlich nicht korrekt. Das führt dazu, dass die ganze Industrie und das Zusammenspiel falsch verstanden werden und es für die Zivilgesellschaft schwierig ist, die Komplexität zu verstehen und von den Marken, Brands oder der Politik das Richtige zu verlangen.”
Lavinia, du hast selbst jahrelang die Nachhaltigkeitsaktivitäten der deutschen Modemarke Armedangels geleitet. Kannst du darüber ein wenig erzählen? Wie sah es hinter den Kulissen aus?
Lavinia Muth: „Bei Armedangels habe ich mit zwei Werkstudierenden die gesamte Lieferkette und das operative Geschäft für über 160 Lieferanten betreut. Im Vergleich dazu saßen im Marketingteam zwölf Leute, die sich mit Kampagnen und E-Commerce beschäftigten. Das zeigt eindeutig ein Ungleichgewicht in den Ressourcen und der Priorisierung innerhalb des Unternehmens.
Meine Stellenbeschreibung war zu 100 Prozent operativ, aber ich habe letztlich fast die Hälfte der Zeit Kommunikation – sowohl intern als auch extern – durchgeführt. Ich habe Schulungen für verschiedene Bereiche aufgebaut, einschließlich des Marketings. Vor meinem Weggang schuf ich eine neue Stelle, den ,Impact Communications Officer’, als Schnittstelle zwischen der operativen Nachhaltigkeit und dem Marketing. Diese Rolle hat gut funktioniert, da die Person sowohl über einen textilen Ingenieurshintergrund als auch über Nachhaltigkeitserfahrung und Kommunikationskenntnisse verfügte. Sie war in der Lage, technische Informationen in verständliche Daten für das Marketingteam zu übersetzen.”
Wie können sich Marken im CSR-Bereich Nachhaltigkeitsziele oder soziale Ziele setzen und im Marketingbereich transparent darüber berichten?
Lavinia Muth: „Die Marketingleute sollten sich darauf konzentrieren, die Informationen korrekt zu kommunizieren. Eine klare Lösung für die richtige Kommunikation habe ich auch nicht, aber ich denke, dass sie zweckgebunden sein sollte. Fashion Brands sollten sich auf ihre Mission und Vision konzentrieren, um den negativen Impact zu minimieren und den positiven Impact zu vergrößern.”
Ich finde es immer authentischer und glaubwürdiger, wenn Verbesserungen direkt am eigenen Produkt und in der eigenen Lieferkette passieren, denn das ist ein Bereich, den man kontrollieren und beeinflussen kann. Natürlich gibt es auch die Option, dass man als Unternehmen eine Vision und eine Mission definiert, um an weiteren globalen Herausforderungen zu arbeiten. Man kann zum Beispiel einen Teil der Einnahmen an SOS-Kinderdörfer oder andere Organisationen spenden. Wichtig ist, dass die Ziele klar definiert sind und der Zeitraum zur Umsetzung feststeht. Regelmäßige und transparente Kommunikation über das Erreichen oder Nichterreichen der Ziele ist ebenfalls entscheidend.”
Zweckgebundene Ziele und ein klarer Zeitraum – das klingt zunächst einfach. Warum klappt es in der Realität jedoch oft nicht mit dem Balanceakt zwischen Marketing und CSR?
Tanita Hecking: „Das Problem für das Marketing, insbesondere in der Modebranche, ist die enorme Komplexität der Informationen, die in kurzen und prägnanten Botschaften verpackt werden müssen. Beim Vereinfachen der Informationen gehen zwangsläufig Details verloren. Deshalb sollte die Kommunikationsstrategie beziehungsweise die Brand-DNA nie nur auf der vermeintlichen Nachhaltigkeit des Unternehmens basieren. Eine Marke und ein Produkt sollten nicht nur wegen ihrer nachhaltigen Herstellung verkauft werden, sondern weil sie den Menschen etwas bieten, ein Problem lösen oder eine Daseinsberechtigung haben.
Von der Kommunikationsseite her ist es wirklich wahnsinnig komplex. Ich glaube, es ergibt am meisten Sinn, sich für eine Kampagne auf einen bestimmten Aspekt zu konzentrieren und an anderer Stelle, wie auf der Internetseite, weiterführende Informationen anzubieten.”
Wie können Unternehmen solche Kampagnen am besten angehen?
Tanita Hecking: „Einen Punkt im Detail zu behandeln und nicht nur pauschal zu behaupten, dass man nachhaltig ist, ist meiner Meinung nach viel glaubwürdiger. Man sollte die Nachhaltigkeit eher als Nebenaspekt in einer Kampagne einbauen, statt sie zum Hauptfokus zu erklären. Zum Beispiel sollte man kein grünes Plakat erstellen und behaupten, dass die neue Kollektion 100 Prozent nachhaltig ist, da das unrealistisch ist.”
Welche Informationen beziehungsweise Daten sollten Unternehmen in Zukunft heranziehen?
Lavinia Muth: „In Bezug auf Green Claims und verifizierbare Informationen ist es wichtig zu betonen, dass es keine null beziehungsweise 100 Prozent gibt. Wissenschaftlich sind solche Zahlen kaum möglich. Um Angaben zu belegen, sollten Unternehmen sich auf Primär- und Sekundärdaten stützen. Primärdaten sind die Daten, die man selbst erhebt – in der eigenen Lieferkette oder von direkten Vertragspartnern. Diese Daten werden in der Regel durch Beobachtungen, Experimente, Befragungen oder Interviews erhoben und sind unverändert oder unverarbeitet. Sekundärdaten sind wissenschaftlich erhobene Daten von externen Quellen, die für eine andere Fragestellung oder Untersuchung gesammelt und veröffentlicht wurden, doch vergleichbar mit den eigenen Primärdaten. Diese Daten können aus wissenschaftlichen Artikeln, Studien, Umfragen, Regierungsberichten, Unternehmensdatenbanken oder anderen Informationsquellen stammen.
Obwohl es schwierig ist, Primärdaten zu erheben, sollte man sie unbedingt verwenden, wenn man sie hat. Wissenschaftlich erhobene Sekundärdaten sind aber ebenfalls wichtig. Um verifizierbare Informationen zu erhalten, sollte man sich immer auf wissenschaftliche Quellen beziehen und nicht auf unsichere Quellen wie Onlinemagazine oder gar die Boulevardpresse zurückgreifen.
Es ist zudem wichtig, eine Referenz für Informationen bereitzustellen, um Transparenz zu gewährleisten. Bei Vergleichen sollte man sicherstellen, dass die beiden Produkte wirklich vergleichbar sind. Vage Aussagen wie ,nachhaltig’, ,öko’, ,grün’ oder ,fair’ sollten vermieden werden, es sei denn, man hat klar definierte Indikatoren für diese Begriffe.”
- Im Vereinigten Königreich gibt es seit August 2021 einen Green Claims Code und eine dazugehörige Richtlinie, die leicht verständlich ist und auch für Personen ohne technischen Hintergrund geeignet ist.
- Die Changing Markets Foundation bietet auf ihrer Website viele Informationen zu verschiedenen Branchen, wie Mode, Lebensmittel, Elektronik und mehr.
- Eine weitere hilfreiche Ressource ist die Website greenwash.com, die Beispiele für Greenwashing auflistet und Orientierung bietet.
- Der Anti-Greenwashing-Newsletter, The Crisps, von Tanita Hecking und Lavinia Muth beschäftigt sich intensiv mit der Schnittstelle von CSR und Kommunikation. Anhand von konkreten Beispielen geben sie einen Überblick darüber, wie man über knifflige Nachhaltigkeitsthemen in der Mode spricht und schreibt.
Tanita, welche Herausforderungen kommen auf Unternehmen zu, wenn sie bestimmte Begriffe in ihrer Außenkommunikation nicht mehr verwenden beziehungsweise neue Begriffe verwenden müssen?
Tanita Hecking: „In Bezug auf die SEO-Optimierung wird es schwierig, wenn man bestimmte Begriffe nicht mehr verwenden kann. Man muss alle Metadaten, Bildbeschreibungen und andere Inhalte überprüfen und anpassen. Es ist eine Herausforderung, den verlorenen Traffic auszugleichen und die Positionierung der Marke zu erhalten. Wer sich nur durch Nachhaltigkeit positioniert und seine ganze SEO-Strategie auf Begriffe wie ,nachhaltige Mode’, ,klimaneutral’ etc. ausgelegt hat, wird es jetzt schwer haben. Wer jedoch seine anderen Fokusthemen gut bespielt, kann mehr Zeit investieren, um die Begriffe nach uns nach anzupassen und den verlorenen Traffic auszugleichen. Also wieder: Nachhaltigkeit nie als alleinigen Fokus der Brand und Kommunikation verwenden, sondern weitere Fokusthemen herausarbeiten und für die Kommunikation verwenden.”
Ein häufig genanntes Beispiel für gute Nachhaltigkeitskommunikation ist Patagonia, da sie sowohl positive als auch negative Aspekte ihrer Nachhaltigkeitsbemühungen teilen. Wie steht ihr dazu?
Lavinia Muth: „Ich persönlich sehe die enorme Fokussierung auf Umweltschutz und das Auslassen anderer wichtiger Themen kritisch. Man kann hier sogar kolonialistische Muster erkennen, da es um die ,Rettung’ der Erde durch ein privates Unternehmen geht. Es geht nicht darum, den Planeten zu retten – das ist völlig überzogen und arrogant als Mensch und als Unternehmen, aber auch als Organisation und Regierung. In diesem Sinn kann man die Motive des Unternehmens hinterfragen. Dennoch können Unternehmen von Patagonias Ansätzen lernen und sich inspirieren lassen.
Tanita Hecking: „Es wäre wünschenswert, wenn Marken alle relevanten Bereiche ansprechen und nicht nur auf einen Bereich fokussieren. Ein Beispiel hierfür ist die Material Science Company Pangaia, die zwar viel über ihre Materialien spricht, aber andere Themen vernachlässigt.”
Lavinia Muth: „Kein Unternehmen ist perfekt, aber es gibt einige, die in verschiedenen Aspekten gut abschneiden wie zum Beispiel Mela, die transparent über Produktlabels, Zertifizierungen, Löhne und Lieferketten kommunizieren. Obwohl sie in Bezug auf Umweltaussagen und Klimaschutzmaßnahmen noch zurückhaltend sind, arbeiten sie daran, ihre Lieferketten und Emissionen zu verbessern. Unternehmen sollten sich bemühen, alle relevanten Aspekte ihrer Geschäftspraktiken transparent und ehrlich zu kommunizieren, um Vertrauen bei den Konsumierenden aufzubauen und nachhaltige Veränderungen zu fördern.”
Apropos Weiterbildung: Ihr habt auch einen Newsletter, The Crisps. Wen oder was wollt ihr damit erreichen?
Tanita Hecking: „Unser Newsletter richtet sich an Personen, die in Kommunikations- und Marketingabteilungen arbeiten und über das Nachhaltigkeitsengagement ihrer Unternehmen sprechen möchten. Unser Ziel ist es, diese Personen zu befähigen, indem wir ihnen helfen, zu verstehen, was sie tun können und worauf sie achten müssen. Niemand erwartet, dass jemand, der Kommunikation studiert hat oder aus dem Bereich kommt, jeden Aspekt der textilen Produktion kennt. Es ist jedoch wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und ein solides Grundwissen zu erwerben. Nur so können Nachhaltigkeitskonzepte auf der Grundlage von Daten und Informationen, die von den Nachhaltigkeitsteams bereitgestellt werden, entwickelt werden. Die Teams sollten dann gemeinsam prüfen, ob die Konzepte korrekt sind. Unser erstes großes Ziel ist es, die Menschen dazu zu bringen, sich intensiver mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen und nicht nur darüber zu sprechen. Wer nichts in Bezug auf Nachhaltigkeit unternimmt, sollte auch nichts darüber kommunizieren.”
Vielen Dank für das spannende Gespräch, Lavinia Muth und Tanita Hecking.
Über Lavinia Muth
Lavinia Muth ist Referentin, Mentorin und Beraterin für ethische Geschäftspraktiken und soziale Gerechtigkeit mit 15 Jahren Erfahrung in internationalen Projekten mit Schwerpunkt auf Textilien und solidarischer Landwirtschaft. Bevor sie sich 2022 selbständig machte, leitete sie die Nachhaltigkeitsaktivitäten der deutschen Modemarke ARMEDANGELS. Sie ist intrinsisch gegen fancy Marketing, ist aber ziemlich gut darin, Greenwashing zu erkennen. Außerdem ist Lavinia Teil unseres Fashion Changers Collective und berät Gründer*innen und Unternehmen zu Themen wie Lieferkettentransparenz, Rückverfolgbarkeit und Textilstandards.
Über Tanita Hecking
Tanita Hecking ist studierte Modejournalistin und freiberufliche Content-Beraterin und berät und schreibt für Mode-, Beauty- und Lifestyle-Companies. Sie ist seit mehr als 7 Jahren im Content- und Kommunikationsgeschäft tätig – davon 4,5 Jahre bei Deutschlands führender Content-Marketing-Agentur muehlhausmoers. Neben der Gründung ihres eigenen Unternehmens ist sie seit 2022 Head of Content bei Fashion Revolution Deutschland.
Titelbild: Ron Lach via Pexels