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Die Europäische Kommission hat am 30. März 2022 ihre Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien veröffentlicht, mit dem Ziel, den Sektor nachhaltiger zu gestalten. Textilien sollen demnach qualitativ hochwertiger werden – Wiederverwendung, Reparatur und Recycling sind bevorzugt. Wegwerfprodukte (sprich: Fast Fashion) und Textilabfälle gilt es zu minimieren.
Was ist die EU-Textilstrategie?
Die Textilstrategie ist Teil eines viel umfassenderen Pakets, das bis zu 16 neue Gesetzgebungsmaßnahmen und andere politische Maßnahmen umfasst, die sich direkt auf die textile Wertschöpfungskette auswirken werden. Die Verordnung hat einen enormen Ehrgeiz und würde eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen Institutionen und Unternehmen erfordern. Vor allem, wenn wir bedenken, dass der EU-Textil- und Bekleidungssektor aus über 160.000 Unternehmen besteht und mehr als 1,5 Millionen Menschen beschäftigt. Im Jahr 2019 erwirtschaftete die Industrie einen Umsatz von etwa 162 Milliarden Euro, Tendenz steigend.
Während es mehrere Jahre dauern wird, bis der aktuelle Rahmen in konkrete Vorschriften umgesetzt wird, müssen Marken und Einzelhändler jetzt darauf achten, wie sie sich an die Änderungen anpassen können. Die Gesetzgebung würde für alle Textilien gelten, die in der EU verkauft werden – also auch für Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU. Somit könnten sie weltweit enorme Auswirkungen haben, da etwa drei Viertel der in der EU konsumierten Kleidung und Heimtextilien aus anderen Ländern importiert werden.
Welche Maßnahmen sieht die EU-Textilstrategie vor?
In der Strategie werden Maßnahmen für den gesamten Lebenszyklus von Textilien vorgeschlagen, inklusive Vorschläge beim ökologischen und digitalen Wandel. Sie befasst sich damit, wie Textilien designt, konsumiert und verwendet werden.
Zirkuläres Design wird bevorzugt
Es sollen neue Anforderungen an das Design von Textilien beschlossen werden, um diese nachhaltiger zu gestalten.
- Es werden verpflichtende Mindestwerte für die Verwendung recycelter Fasern in Textilien festgelegt. Ziel ist es, dass die Produkte länger nutzbar sind und leichter repariert und recycelt werden können.
- Außerdem wird die Vernichtung nicht verkaufter Waren unter bestimmten Bedingungen verboten – dies gilt auch für Retouren.
- Ein digitaler Produktpass soll klare und verständliche Informationen zur Kreislauffähigkeit und anderen Umweltaspekten bieten.
- Maßnahmen zur Bekämpfung der Freisetzung von Mikroplastik werden aufgesetzt. Neben der Produktgestaltung betreffen die Maßnahmen die Herstellungsverfahren, Vorwäsche in Fabriken, Produktkennzeichnung und Förderung innovativer Materialien.
- Im Rahmen der 2023 anstehenden Überarbeitung der Abfallrahmenrichtlinie, stehen harmonisierte EU-Vorschriften zur erweiterten Herstellerverantwortung bei Textilien an, sowie wirtschaftliche Anreize zur nachhaltigeren Gestaltung von Produkten (sprich: Steuervorteile).
- Es soll ein gemeinsamer Fahrplan für den Übergang im Textilökosystem entwickelt werden, um das weitere Vorgehen festzulegen und konkrete Schritte zur Verwirklichung der in der Textilstrategie für 2030 angestrebten Ziele zu unternehmen.
Greenwashing wird verboten
Greenwashing soll verboten und die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken geändert werden.
- Die Liste der Produkteigenschaften, über die der Händler nicht irreführen darf, wird erweitert. Dazu gehören unter anderem: Eigenschaften zur Lebensdauer und Recycelfähigkeit; allgemeine, vage Aussagen über die Umwelteigenschaften; Kennzeichnung mit einem freiwilligen Nachhaltigkeitssiegel.
- Es sind strengere Vorschriften zum Verbraucher*innenschutz vorgesehen. Laut EU sollten Verbraucher*innen besser über die Lebensdauer, Reparatur und Recycelfähigkeit eines Produktes aufgeklärt werden.
Export von Textilabfällen wird reguliert
Gemäß dem Vorschlag der Kommission für neue EU-Vorschriften zur Verbringung von Abfällen wird der Transport von Textilabfällen in Nicht-OECD-Länder nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt sein.
Fehlt da nicht noch etwas?
Die EU-Textilstrategie ist ein Meilenstein für die bisher noch weitgehend unregulierte Textilbranche, keine Frage. NGOs sind jedoch alarmiert, dass der mit Spannung erwartete Text wichtige Menschenrechtsaspekte in seinem Fokus vernachlässigt. Expert*innen kritisieren, dass der Beruf der Textilarbeiter*innen als „ungelernt“ eingestuft wird, sprich: Der Wert der Arbeitskräfte der Branche wird nicht anerkannt.
Delphine Williot von Fashion Revolution erklärt: „Ohne Bemühungen zur Gewährleistung von Gewerkschaftsfreiheit und Tarifverhandlungen, die letztlich zu fairen Löhnen für die Menschen führen, die unsere Kleidung herstellen, werden die textilen Wertschöpfungsketten der EU nicht wirklich nachhaltig sein.“
Zudem wird das Thema der unternehmerischen Einkaufs- und Handelspraktiken nicht angesprochen. Marken nutzen die ungleichen Machtverhältnisse zwischen ihnen und ihren Lieferanten, um beispielsweise Produktionskosten und Einkaufspreise so niedrig wie möglich zu halten.
Laut Sergi Corbalán, Geschäftsführer bei Fair Trade Advocacy Office, würden diese Einkaufspraktiken die Margen einer Fabrik drücken und ihnen wenig bis gar keinen Raum lassen, um in nachhaltige Produktions- oder Arbeitsbedingungen zu investieren. So kann kein sicheres Arbeitsumfeld geschaffen werden, existenzsichernde Löhne sind so ebenfalls nicht möglich.
Mathieu Rama von RREUSE (einem internationalen Netzwerk, das Sozialunternehmen repräsentiert, die in den Bereichen Wiederverwendung, Reparatur und Recycling tätig sind) kritisiert außerdem Folgendes: „Die Kommission verpflichtet sich nicht zu einem besseren Umfeld für Sozialunternehmen, die in der Sammlung, Sortierung, Wiederverwendung und dem Weiterverkauf von Textilien tätig sind. Anleitungen und Ermutigungen für die Mitgliedstaaten werden in dieser Hinsicht nicht ausreichen.“
Nachdem der Richtlinienvorschlag für das EU-Lieferkettengesetz die soziale Komponente weitgehend außer Acht gelassen hat, wäre der Vorschlag für die EU-Textilstrategie der richtige Zeitpunkt gewesen, diese auszubauen. Nachhaltigkeit wird auch hier nicht holistisch gedacht, denn zirkuläre Geschäftsmodelle lösen nicht die Ausbeutung von Arbeiter*innen und Landwirt*innen.
Titelbild: Altin Ferreira via Unsplah
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