B Corp: Kann ein Zertifikat für Unternehmen einen Systemwandel schaffen?

Social Business, Purpose-, Impact- oder Gemeinwohl-Unternehmen – das sind nur einige Begriffe, die vermehrt im Zusammenhang mit Social Entrepreneurship auftauchen. Das B Corp-Siegel zertifiziert verantwortungsbewusste Unternehmen. Darüber hinaus will die Bewegung die Zukunft des Wirtschaftens verändern. Kann das wirklich durch ein Zertifikat für Unternehmen gelingen?

B Corp: Zertifikat für Unternehmen.

Angesichts der Krisenpermanenz ist es nur folgerichtig, dass sich Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst werden und ihr Geschäftsmodell anpassen. Aber woran erkennt man eigentlich Sozialunternehmen? In Anlehnung an die Definition der Europäischen Kommission beschreibt das Netzwerk SEND (Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V.) den Zweck von Sozialunternehmen darin, Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen durch unternehmerische und innovative Mittel zu finden, die Sinn- über Gewinnmaximierung stellen. Hier soll ein Zertifikat für Unternehmen helfen. 

B Corp, also Benefit Corporation, nennt die 2006 gegründete NGO B Lab Unternehmen mit einem Mehrwert für Gesellschaft und Umwelt. Inzwischen gibt es rund 6.100 Unternehmen mit dem B Corps-Zertifikat in 89 Ländern. In Deutschland gibt es bisher 40 zertifizierte B Corps, nur eine Handvoll davon aus der Modebranche. Im Einklang mit gesetzlichen Standards werden Unternehmensprozesse und -strategien im Hinblick auf Unternehmensführung, Mitarbeitende, Gesellschaft, Umwelt und Kundschaft bewertet. Dabei setzt B Corp nicht auf den klassischen Shareholder-, sondern Stakeholder-Ansatz, der alle Interessengruppen, die von den Aktivitäten eines Unternehmens direkt oder indirekt betroffen sind, in die Bewertung einschließt. Damit unterscheidet sich B Corp klar von Zertifikaten nur für Produkte.

B Corp-Glossar:
  • Die gemeinnützige Organisation „B Lab“ zertifiziert Unternehmen, die ökologisch-sozial wirtschaften.
  • Das „B Impact Assessment“ ist ein frei verfügbares Bewertungssystem, mit dem Unternehmen ihre Auswirkungen in fünf Kategorien – Unternehmensführung, Mitarbeitende, Community, Umwelt und Kunden – messen.
  • B Corps unterzeichnen die „Declaration of Interdependence“ und ändern ihre Satzung, um die Berücksichtigung aller Stakeholder festzulegen, die von den Geschäftsaktivitäten direkt oder indirekt betroffen sind.
  • B Corps veröffentlichen ihre „Impact Performance“ auf der B Lab-Webseite.
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Wer trägt das B Corp-Zertifikat für Unternehmen?

Zu Beginn der sogenannten „B Corp-Bewegung“ haben besonders kleine Unternehmen ihren Impact zertifizieren lassen. Inzwischen gehören neben Unternehmen wie Patagonia, Sympatex, Ecoalf, Vinokilo und Wildling Shoes auch multinationale Unternehmen, wie die Nestlé-Tochter Nespresso, zur B Corp-Familie. Eine Entscheidung, die auch aus den eigenen Reihen viel Kritik erntete: Können im Kapitalismus agierende Konzerne überhaupt sozialverträglich sein? Ja, sagt Annika Wohlert, Community und Communications Managerin bei B Lab Deutschland. Ein echter Systemwandel – also ein integrativeres, regenerativeres und gerechteres Wirtschaftssystem zu schaffen, wie B Lab es selbst beschreibt – funktioniere nur, wenn man auch große Unternehmen mitnehme. Wohlert ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass B Corps sich auf eine Reise machen und ein Commitment abgeben, an sich zu arbeiten, indem sie beispielsweise ihre Satzung ändern müssen: „Wir wollen uns – anders als vielleicht andere Zertifikate – nicht nur mit dem Ist-Zustand beschäftigen, sondern die Zukunft besser gestalten und das System verändern.”

Nespresso selbst habe acht Jahre am Zertifizierungsprozess gearbeitet. Am Ende hat das Unternehmen mit 84,3 Punkten die Mindestpunktzahl von 80 von 200 Punkten für das Zertifikat erreicht. 2024 bessert B Corp seine Standards nach – ein Moment, der zeigen wird, „ob wir die Veränderung sehen werden, die wir sehen wollen”, so Wohlert. „Ein Unternehmen wie Nespresso, kann sich aus Marken- und Imagegründen nicht erlauben, diese Neuzertifizierung nicht zu schaffen.”

Ein Balanceakt zwischen CSR und Marketing

Siegel sind kein Muss, sondern bewerten und validieren bestehende Geschäftsmodelle und werden von Marketingabteilungen häufig für ein grünes Image genutzt und kommunikativ aufgeladen. Bei der öffentlich einsehbaren Impact Performance der B Corps fällt auf, dass multinationale Unternehmen ähnliche Punktzahlen wie kleine nachhaltige Unternehmen erreichen, obwohl der Impact alles andere als vergleichbar ist. Eine unglückliche Außendarstellung, die die aufwändigen Zertifizierungsanforderungen schmälert. Auf die anhaltende Kritik, dass die Zertifizierung bestimmte Unternehmen besser darstellt als sie eigentlich sind, reagiert B Corp, indem Unternehmen ab 2024 in allen geprüften Bereichen Mindeststandards erfüllen müssen. Wünschenswert wäre auch, wenn die Organisation Unternehmen, insbesondere Konzernen, das Versprechen abnimmt, sich bei einer Rezertifizierung nicht nur dann verbessern zu müssen, wenn sie die Mindestpunktzahl von 80 Punkten unterschreiten – das ist bisher auch im neuen Standard nicht vorgesehen.

Systemwandel durch ein Zertifikat für Unternehmen?

Bisher gibt es keinen Beleg dafür, dass ein Zertifikat einen Systemwandel hervorbringen kann, was sicherlich daran liegt, dass die meisten Siegel produktbezogen sind. Dies nimmt sich das B Global Network in der „Theory of Change” jedoch zur Mission: B Corps sollen politische Veränderungen beeinflussen – daher gilt das Zertifikat für Unternehmen und nicht nur für Produkte. Eine Verpflichtung gibt es dafür nicht.

Mit der Interdependence Coalition (IC), einem Zusammenschluss von B Lab Europe und The Good Lobby, setzen sich mehr als 100 Unternehmen auf europäischer Ebene dafür ein, dass Unternehmen in der EU dazu verpflichtet werden, bei ihren Entscheidungen die Interessen aller Stakeholder des Unternehmens – einschließlich Gesellschaft und Umwelt – zu berücksichtigen. Auch für ein effektiveres EU-Lieferkettengesetz macht sich die Koalition stark. Zu den IC-Mitgliedern zählen auch einige zertifizierte B Corps, die sich somit freiwillig aktiv über den individuellen Transformationsprozess hinaus für ein gerechteres Wirtschaftssystem einsetzen und die B Corp-Vision über das Zertifikat hinaus leben. Nespresso ist nicht dabei.

 


Dieser Artikel erschien erstmals auf Englisch im Green Knowledge Magazin (Ausgabe: 01/2023). Für das Fashion Changers Magazin wurde der Original-Artikel an einigen Stellen überarbeitet.

 

Titelbild:  ©pexels

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