Wie nachhaltig sind Cradle-to-Cradle-Produkte?

Wie funktioniert Cradle to Cradle, was steckt hinter dem Siegel und welche Kritik sollte erwähnt werden?

Collage: In einer Lupe hält jemand Erde, darüber steht „Cradle to Cradle“

„Cradle to Cradle ist die Zukunft“

Bei Cradle to Cradle ist es wichtig, zwischen dem Siegel und dem Konzept zu unterscheiden. Cradle to Cradle ist ein sehr komplexes Thema und beachtet viele verschiedene Details. Demnach ist es gar nicht möglich, in folgender Bewertung auf alle Aspekte einzugehen.

Das Konzept

Cradle to Cradle als Konzept beschreibt ein Kreislauf-Prinzip, das Ende der 1990er Jahre von Braungart und McDonough entwickelt wurde. Kern des Konzeptes ist es, Verbrauchsgüter in einen biologischen Nährstoffkreislauf und Gebrauchsgüter in einen technischen Kreislauf zu führen.

Das heißt, dass sich Verbrauchsgüter durch Umweltverträglichkeit und/oder Kompostierbarkeit auszeichnen, weil sie eben in dem oben genannten biologischen Nährstoffkreislauf geführt werden sollen. Gebrauchsgüter sind Materialien, die als Primärrohstoff langfristig nur noch begrenzt zur Verfügung stehen werden, wie Kunststoffe oder Metalle. Diese sollen dann dem Konzept nach in dem oben genannten technischen Kreislauf verwertet werden. Die Produktionsprozesse, die den Rahmen bilden, sollen „öko-effizient“ sein.

Das Siegel

Cradle to Cradle ist aber auch ein kommerzielles Siegel. Je nach Zertifizierungsstufe (Basic, Bronze, Silber, Gold oder Platin) muss eine bestimmte Anzahl dieser Kriterien erfüllt sein:

  • Material: Materialien müssen gesund sein – für Mensch und Umwelt.
  • Kreislauffähigkeit: Eine Kreislaufwirtschaft muss durch regenerative Produkte und Prozessdesign ermöglicht werden.
  • Erneuerbare Energien und CO2-Management: Saubere Luft muss geschützt, erneuerbare Energien gefördert und schädliche Emissionen reduziert werden.
  • Wasseraufbereitung: Sauberes Wasser und gesunde Böden müssen gefördert werden.
  • Soziale Standards: Menschenrechte müssen geachtet werden und das Unternehmen muss zu einer gerechten Gesellschaft beitragen.

Das klingt erstmal super – die Zertifizierung wird weltweit gefeiert. Fashion for Good stellt sogar ein mehrere detaillierte Ratgeber zur Verfügung. Modeunternehmen wie Mud Jeans, Wolford und C&A küren sich mit dem Siegel.

Doch: Wie es bei Siegeln üblich ist, kosten sie Geld. Es braucht eine zusätzliche Arbeitskraft im Unternehmen, die sich mit der Koordination der Auditierung auseinandersetzt. Das muss ein Unternehmen sich erstmal leisten können. Außerdem ist es wichtig, Textilsiegel immer zu hinterfragen. Im Fashion Changers Magazin erklären wir, welche Fragen ihr euch beispielsweise stellen könnt.

Wie sinnvoll ist Cradle to Cradle?

Schwierigkeiten sehen wir in der Umsetzung des Cradle-to-Cradle-Kreislaufes in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Cradle-to-Cradle-Textilien sollen beispielsweise kompostierbar sein, aber das funktioniert nicht im normalen Bio-Müll, sondern in speziellen Verwertungsanlagen. Textilien benötigen bestimmte Bedingungen, um sich abzubauen. Diese sind in der Regel nicht in der Natur zu finden.

Wie anwendbar ist das also auf die enorm schnelllebige Industrie? Werden Konsumierende wirklich zu einem bestimmten Laden zurückgehen, wenn ihr Cradle-to-Cradle-Hemd abgetragen ist, damit es dieser bestimmte Laden in deren Verwertungsanlage zurück in den Kreislauf führt? Vielleicht ist dieser Gedanke aktuell noch unrealistisch für viele Menschen. Diese Art von Kreislauf wäre vermutlich nur mit einem massiven Rückgang unseres Konsums sowie einer Veränderung der Wertschätzung für Textilien implementierbar. Denn aktuell basiert die Textil- und Bekleidungsindustrie auf einer linearen Kreislaufwirtschaft sowie Überproduktion und Überkonsum.

Textiltechnologisch gesehen wird es noch komplexer. Cradle to Cradle setzt voraus, dass das Textil zu 100 Prozent in einen biologischen Nährstoffkreislauf geführt werden kann. Also wird beispielsweise auf Polyestergarne in den Nähten verzichtet. Ein einfaches Baumwollgarn ist aber nicht immer so strapazierfähig wie ein Polyestergarn. Wie nachhaltig ist es also wirklich, ein T-Shirt herzustellen, bei dem das Nähgarn schneller reißt, weil es aus Baumwolle anstatt aus Polyester ist?

Außerdem können wir noch weitergehen und uns überlegen, mit wie viel Chemie wir ein Baumwollgarn behandeln müssen, damit es vergleichsweise strapazierfähig ist wie ein Polyestergarn. Ist das prozesstechnologisch sinnvoll? Wenn die Qualität der Kleidung nachlässt, dann entspricht die Qualität des Rohmaterials möglicherweise nicht dem Standard: Die Kleidung kann daher nicht wiederverwendet werden im Sinne einer Kreislaufwirtschaft.

Auch Anna-Laura Kummer und Madeleine Darya Alizadeh erklären im Fashion Changers Magazin, dass es nicht immer leicht sei, eine gute Baumwollalternative zu finden. Es gäbe Einschränkungen, die nicht zuletzt mit einer großen Wissenslücke in der Modeindustrie selbst zusammenhängen. Dennoch: Die Branche entwickelt sich stetig weiter – immer mehr Labels schaffen den Sprung und stellen qualitativ hochwertige Produkte her, ohne Polyester. Es ist also durchaus möglich ein Kleidungsstück herzustellen im Sinne des Cradle to Cradle.

„RECYCELTE POLYESTERFASERN IN DER BEKLEIDUNGSINDUSTRIE“

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Fazit: Ein Anfang

Cradle to Cradle als Konzept ist durchaus sinnvoll: Es zwingt Unternehmen dazu, sich schon während des Designprozesses Gedanken um die Entsorgung und Kreislauffähigkeit der verwendeten Materialien zu machen und gegebenenfalls Prozesstechnologien zu überdenken. Es ist wichtig, dass Unternehmen auf regenerative Energiequellen umstellen und ganzheitlich Produktionsprozesse und ihr Ressourcenmanagement neu denken.

Allgemein sollte ein T-Shirt aber nicht gekauft werden, weil es kompostierbar ist und ein grünes Siegel hat, sondern weil mensch es wirklich braucht. Ein T-Shirt sollte lange tragbar sein und nicht als kompostierbares Wegwerfprodukt gesehen werden.

Genau da spricht der Ansatz, den Braungart und McDounough vertreten, dagegen: „Inmitten des vielen Geredes über die Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks bieten wir eine Vision. Was wäre, wenn die Menschen Produkte und Systeme entwerfen würden, denen die Fülle an menschlicher Kreativität, Kultur und Produktivität zum Ausdruck käme? Die so intelligent und sicher sind, dass unsere Spezies einen großen ökologischen Fußabdruck hinterlässt, an dem sich alle Lebewesen erfreuen, statt über in zu lamentieren?“ (Braungart/McDonough, Cradle to Cradle, Februar 2014, S. 33)

Das klingt toll und nach Weltrettung, aber es ist eben nur ein Konzept zur Weltrettung, das vor allem von seiner ganzheitlichen Umsetzung lebt. Es ist ein Konzept, das gewisse Strukturen benötigt. Diese müssen wir erstmal schaffen. Industrien müssen gezwungen sein, komplett neu zu denken und zu agieren, damit wir Cradle to Cradle wirklich als „die Zukunft” bezeichnen können.

Wenn ihr euch intensiver mit der Cradle-to-Cradle-Thematik befassen wollt, können wir euch das Buch von McDonough und Braungart „Cradle to Cradle“ empfehlen, sowie eine Studie vom GIZ zum Thema „Kreislaufwirtschaft“ und einen passenden Artikel im Fashion Changers Magazin.

Dieser Artikel wurde 2019 erstmalig von Franziska Uhl geschrieben. Aktualisierung: 2021

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3 Antworten auf „Wie nachhaltig sind Cradle-to-Cradle-Produkte?“

Hallo,
vielen Dank für diesen interessanten Artikel bzw. die Kritik an C2C. Ich schreibe meinen Bachelor zu dem Thema und bin überrascht über die Aussage, dass Textilien nicht in den Kompost gegeben werden dürften, wenn sie als biologisch abbaubar deklariert wären. Weil sie spezielle Anforderungen bräuchten. Ich habe die Bücher von Braungart gelesen und habe darüber keine Informationen gefunden. Darf ich fragen, wie Sie zu dieser These kommen? Das wäre wirklich sehr interessant für mich zu erfahren.
Vielen Dank und viele Grüße

Hi Kati,
vielen Dank für deinen Kommentar. Es gibt verschiedene Kompostierungsverfahren und nicht alle eignen sich gleichermaßen. Ich empfehle dir den Artikel „Der ‚gute‘ Konsum – ist Cradle to Cradle die Lösung?“ zu lesen. Da wird noch mal genauer erklärt, warum generell davon abgeraten wird, Kleidung (oder andere Cradle-to-Cradle-Produkte) im Hausmüll zu entsorgen. Es wird empfohlen, diese lieber direkt beim Hersteller oder Händler abzugeben, damit sie im Kreislauf bleiben.
Warum „biologisch abbaubar“ nicht gleich „kompostierfähig“ bedeutet, erklären wir zum Beispiel in diesem Artikel.
Viel Erfolg bei deiner Bachelorarbeit. 🙂
Liebe Grüße
Medina