Schwarze Menschen als Trend?
Schwarze Menschen sind ein Trend. Zumindest laut der Elle Germany, die in ihrer November-Ausgabe (Anm. de Red.: Es handelt sich um den Novembe 2020) unter dem Titel „Back to Black“ Schwarze Models aufgelistet hat. Autsch. Doch gleichzeitig fühlt es sich so an, wenn man einen Blick auf aktuelle Fashion Plakate wirft, oder? Schwarze Menschen werden drapiert auf den Plakaten, Ads und vermutlich auch in deinem Social-Media-Feed erscheinen. Alles paletti, würde frau meinen. Schwarze Menschen sind doch allgegenwärtig! Doch wage mit mir eine präzisere Analyse.
In der Praxis werden schwindelerregend wenige Schwarze Menschen oder, um diese Perspektive etwas zu erweitern, BIPOC, ein Akronym für Black Indigenous People of Color, auf der exekutiven Ebene in den Medienhäusern besetzt. Auch in den Redaktionen herrscht eine fast schon versiegelte homogene Party, die primär aus weißen Männern und, in den Fashion-Redaktionen, aus weißen Frauen besteht. Vier bis fünf Prozent der Journalist*innen beim Hörfunk und Fernsehen haben einen Migrationsvordergrund. Im Printbereich sieht es mit knapp zwei Prozent noch desaströser aus. Diese Homogenität wirkt sich auf die Darstellungsform von Schwarzen Menschen aus. Zu unserem Nachteil.
Das homogene Konzept von Feminität
Groß, extrem schlank und überwiegend weiß – das beschreibt das dominierende Schönheitsideal des globalen Nordens. Obwohl die Globalisierung das Potenzial hätte, eurozentrische Perspektiven aufzubrechen, nutzt die Modeindustrie die internationale Verknüpfung primär für günstige Produktionsstätten.
„Doch, super viele Schwarze Menschen sind doch in der Werbung zu sehen“, lautete das Statement einer Bekannten. Das ist sehr subjektiv, denn auf der Makroebene zeigt sich, dass Schwarze Menschen weiterhin nur einen winzigen Prozentsatz der Models ausmachen, die in Kampagnen, Editorials und auf dem Laufsteg zu sehen sind. Weniger als 10 Prozent der 146 Modedesigner*innen, die bei den großen Herbstmessen 2018 für die New York Fashion Week auftraten, waren Schwarz und nur 1.173 der insgesamt 7.608 Models.
Das ist nur ein kleiner Ausschnitt davon, wie systematisch Marginalisierung von Schwarzen Menschen, ihrer ästhetischen Sensibilität und ihres Körpers entsteht. Doch was macht es mit jungen Schwarzen Frauen, wenn sie durch Magazine blättern, die Tipps bieten, die nicht für ihre Haarstruktur vorgesehen sind und Make-up empfehlen, welches nicht in ihrer Farbpalette produziert wird? Exakt: Es ist so richtig beschissen.
Die Propaganda der Schönheitsindustrie
Die mangelnde Repräsentation hat einen psychologischen Einfluss auf die Personen, die nicht in den mehrheitlich weißen Modemedien porträtiert werden. Denn seien wir mal ehrlich: Unsere Wahrnehmung beruht größtenteils auf visuellen Prozessen. Das bedeutet, was wir in Film, Fernsehen, Zeitschriften und in den sozialen Netzwerken sehen, determiniert das Haar- und Schönheitsideal unserer Gesellschaft.
Unser Hirn ist recht simpel, zumindest in dieser Hinsicht. Wenn du wiederholt ein und demselben Bild ausgesetzt wirst, das glattes, seidiges Haar mit Schönheit, Beliebtheit und Wohlstand verknüpft, dann ist das ein gesellschaftlich-normatives Verständnis von Attraktivität. Du bist nicht frei von dieser Gehirnwäsche und deiner daraus resultierenden visuellen Selektion von: finde ich schön, finde ich nicht schön. Es ist die Propaganda der Schönheitsindustrie. Die mangelnde Sichtbarkeit ist leider nicht das einzige Problem, sondern auch die nicht existente Partizipation.
Die Oligarchen des Geschmacks
Katapultiere dich kurz in die Schulzeit zurück. Die Schulglocke läutet, die Pubertierenden manövrieren sich in Massen auf den Schulhof. Kleine und größere Trauben bilden sich, dirigiert und diktiert von den coolen Kids. Eine exklusive Elite, eingehüllt in verschwenderisch-exquisiter Garderobe. Ähnliche Mechanismen nutzen Fashion-Medien. Das, und die Philosophie des Berghain-Türstehers: Du kommst hier nicht hinein.
Eine Oligarchie des Gustos. Sie deklarieren den Unerleuchteten über Jahrzehnte, was frau zu tragen hat, was sie lieben, hassen, langweilig, faszinierend und gar ästhetisch finden sollte. Da die Partizipationsmöglichkeiten durch eine strukturell errichtete Vetternwirtschaft dominiert wird, gelangen vermeintlich Fremde kaum hinein. Lediglich das gute Vitamin B ist die Eintrittskarte in diese verborgene Sphäre. Das Resultat ist, dass sich die Gemeinschaft nicht evolutioniert. Anstelle dessen reproduzieren sie Rassismen mit einem leichten kolonialistischen Touch, was unter anderem in Blackfacing-Skandalen endet.
Reproduktion von Rassismen
Letztes Jahr verkaufte Gucci seinen 890 Dollar teuren, schwarzen Frauen-Pullover mit Sturmhaube. So weit, so gut. Das Kleidungsstück konnte über die untere Gesichtshälfte des*der Trägers*Trägerin gezogen werden. Der Pullover enthielt leuchtend rote Lippen als Ausschnitt für den Mund. Eine karikaturistische Darstellungsform, die in der US-amerikanischen Kolonialzeit beliebt war. Weiße Menschen imitieren ihre Sklav*innen, indem sie sich schwarz anmalten, ihre Lippen in einem knalligen Rot exzessiv übermalten und dabei Stereotype übertrieben inszenierten.
Das ist eine Vorgehensweise, die ursprünglich aus dem Theater des 18. und 19. Jahrhunderts stammt. Prada und Gucci holten die kolonialistischen Bilder aus der Mottenkiste. Oh, und sie wiederholten es in ihrer „Pradamalia“-Kollektion. An einer Tasche baumelte eine rassistische Karikatur. Weiter geht es mit H&M und dem Schwarzen Jungen, der einen Pulli trug mit dem glorreichen Titel „Coolest Monkey in the Jungle“ und einem Schwarzen Jugendlichen, der das Klischee erhielt „Unemployed“ zu sein, was eine gewagte Prognose ist.
Antisemitismus in der Modebranche
Doch auch antisemitische Symbole werden von der Modeindustrie reproduziert. Das spanische Fast-Fashion-Label Zara verkaufte eine gestreifte Bluse mit einem gelben Stern, welches verdächtig an die Sträflingskleidung aus der Zeit des Nationalsozialismus erinnerte. Die deutsche Modekette C&A vertrieb Kinderpullover mit der Frakturschrift „Devision“, welches 1A auf die Neonaziszene zurückzuführen war.
Mit der strukturellen Exklusion der Modeindustrie wurde eine perfekte Infrastruktur zur Reproduktion von Rassismen geschaffen. Modemedien sind da nicht besser. Wann hast du zuletzt eine Schwarze Frau auf dem Cover eines Magazins gesehen? Selbst in der problematischen Ausgabe der Elle, die sich in ihrem gesamten Heft des „Black is Back“-Phänomens verschrieb, hatte sich die Redaktion für ein weißes Model auf dem Cover entschieden, welches allerdings in einer schwarz-weißen Fotografie dargestellt wurde. Black ist nicht back. Wir waren schon immer da. Nur haben wir einen kleinen Workaround geschaffen.
Was ist die Lösung?
Warum sollte ich als Schwarze Frau Modemedien konsumieren, wenn sie Rassismen reproduzieren und es keinerlei Repräsentation oder Sichtbarkeit gibt? Denn die Krux der mangelnden Darstellung zeigt mir glasklar: Das hier ist nicht für dich konzipiert, Lady.
Doch dann kam das Internet. Das Gatekeeper-Prinzip dieser homogenen Fashion-Monotonie wurde obsolet. Nun kann ich einer nigerianischen Modedesignerin auf Instagram folgen, das Portfolio einer Schwarzen, schwedischen Fotografin auf Eyeem abchecken oder den Blog einer Londoner Stylistin begleiten. Menschen wie ich können mit geringeren Hürden mediale Alternativen konzipieren und dieses sehr eingefärbte System erweitern. Einer hungrigen Nische leckere Häppchen servieren, quasi.
Wir brauchen Safe Spaces
Doch ist die Fraktionierung der Modemedien-Industrie die Lösung? Jein. Es braucht Safe Spaces. Orte, an denen Schwarze Menschen sich austauschen können, ohne alltags-rassistischen Gegebenheiten ausgesetzt zu werden. Das beginnt schon mit „positivem“ Rassismus, wenn ich auf einer hyper-inklusiven Veranstaltung stehe und mein Gegenüber mir versichert: „Ich mag deine Afrohaare!“ Diese Konnotation, die mir zeigt: Ich registriere die Problematik und ich möchte diese mit übertriebener Euphorie auflösen.
Das Ansprechen der Problematik ist teilweise die Problematik, aber das ist noch einmal eine ganz andere Thematik. Die Konjunktur der nachhaltigen Modeszene bietet das Potenzial Mode und die Berichterstattung zu redefinieren. Damit meine ich nicht nur die Aspekte der rapiden Lebenszyklen von Bekleidungsstücken oder die Natur sowie die Tierwelt. Nein, allen voran die Frauen in den Fabriken, aber auch eine neue Infrastruktur für Partizipation. Denn aktuell gibt es sehr wenige Schwarze, nachhaltige Fashion-Bloggerinnen. Das ist ziemlich schade, denn unsere Lehren aus der Historie der Modeindustrie lauten: Exklusion ist schmerzhaft, reproduziert Rassismen und seien wir mal ganz ehrlich, es ist verdammt langweilig ein und dieselbe Perspektive zu konsumieren.
Lass uns die Modeindustrie neu definieren!
Wenn du es bis hierhin geschafft hast diese immense Analyse zu lesen, dann danke ich dir und appelliere an dich: Lass uns die Modeindustrie redefinieren. Diversität ist kein Trend. Es ist unsere Lebensrealität. Du kannst schon bei dir selbst anfangen: Wie divers ist dein Freund*innen- und Beschäftigungskreis? Dümpelst du in einem immer gleichen Habitus umher? Wie könntest du deinen mentalen Input expandieren? Erweitere deinen Horizont, schreib Frauen, Männer und Personen an, die eine andere Lebensrealität haben, buch eine BIPoC-Freelancer*in, tausche dich aus und noch wichtiger: co-kreiere. Lasst uns die Modebranche wirklich nachhaltig verändern. Nicht nur umweltpolitisch, sondern auch integrativer.
Dieser Artikel erschien erstmalig 2020 und wurde im Rahmen der ehemaligen Content-Partner*innenschaft mit Rosa Mag veröffentlicht, dem deutschsprachigen Online-Lifestyle-Magazin von und für Schwarze Frauen.
Titelbild: Flaunter via Unsplash