Circularity und Co.: Wie entstehen Buzzwords und Nachhaltigkeitstrends?

Die Zukunft ist grün. Das versprechen die zahlreichen Presseschreiben der Unternehmen, wenn sie ein neues, vermeintlich nachhaltiges Produkt oder Programm verkünden. Ein eigener Secondhandshop, eine millionenschwere Investition in einen Recycler, Naturfasern aus regenerativer Landwirtschaft. Haben wir es hier mit einem Trend zu tun oder werden diese Wirtschaftszweige tatsächlich die Branche verändern?

In diesem Deep Dive zum Thema Nachhaltigkeit und Trends gibt es Input von: 

Take-Aways
  • Nachhaltigkeitstrends wie Circularity und Recommerce lenken von der eigentlichen Problematik ab: Die Modebranche produziert weiterhin zu viel.
  • Innovative und scheinbar nachhaltige Textilien werden zu schnell in den Markt eingeführt und von anderen Marken reproduziert, auch in der Fair-Fashion-Branche.
  • Das Zukunftsinstitut spricht beim Thema Nachhaltigkeit von einem Megatrend. Megatrends verändern nicht nur einzelne Segmente oder Bereiche des sozialen Lebens oder der Wirtschaft, sondern formen ganze Gesellschaften um.

Gibt man bei Google „Nachhaltigkeit und Trend” ein, erscheinen knapp 75 Millionen Suchergebnisse – beim Begriff „Sustainability Trends” sind es sogar um die 389 Millionen. Unter den ersten deutschsprachigen Ergebnissen findet sich auch der Artikel des Zukunftsinstituts „Der wichtigste Megatrend unserer Zeit”. Der Teaser spricht über Neo-Ökologie als Megatrend, „der die 2020er prägen wird wie kein anderer.” Zudem heißt es in dem Artikel, Umweltbewusstsein würde vom individuellen Lifestyle zur gesellschaftlichen Bewegung werden und Nachhaltigkeit vom Konsumtrend zum Wirtschaftsfaktor

Vom Konsumtrend zum Wirtschaftsfaktor. Vom Wirtschaftsfaktor zur neuen Norm. So sollte es im Idealfall sein. Das Zukunftsinstitut spricht davon, dass Megatrends langfristige, globale Veränderungen mit außerordentlichem Impact beinhalten: „Megatrends verändern nicht nur einzelne Segmente oder Bereiche des sozialen Lebens oder der Wirtschaft, sondern formen ganze Gesellschaften um.”

Dass Nachhaltigkeit auch in der Modebranche ein Megatrend ist, zeigen die zahlreichen Bemühungen der Unternehmen wie etwa die Skalierung von Recyclingprogrammen, Recommerce-Plattformen und Materialentwicklungen. Sogar Ultra-Fast-Fashion-Giganten wie Shein und Boohoo reden über Zirkularität und Nachhaltigkeit im Alltag. Das clevere Marketing der Unternehmen zahlt sich aus – ökofaire Mode wird immer beliebter: Der Hashtag #sustainablefashion hat auf TikTok mehr als 3,2 Milliarden Views und wird auf Instagram knapp 17 Millionen Mal erwähnt. 

Dennoch entsteht der Eindruck, dass die Modebranche Nachhaltigkeit am Rande betrachtet, und nicht holistisch. Es scheint ein „Trend” zu sein, der zwar gekommen ist, um zu bleiben, von der Branche dennoch nicht freiwillig angenommen und oftmals als lästig empfunden wird, weil er an bestimmte gesetzliche Auflagen gebunden ist. Immerhin müssen Unternehmen hier Zeit, Personal, Geld und andere Ressourcen aufbringen, um nachhaltiger zu wirtschaften. Viele sind dazu nicht bereit. Und so wird der Begriff #sustainablefashion oft verwässert und reproduziert, ohne das eigentliche Geschäftsmodell nachhaltig zu verändern.

Dass Nachhaltigkeit zwischen Trend und Verkaufsargument hin- und her schwankt und nicht ernsthaft von der Branche angenommen wird, zeigen auch rezente Greenwashing-Skandale sowie neueste Studien und Berichte. In manchen Artikeln wird Greenwashing sogar als Trend aufgezählt, neben Klimapositivität und erneuerbarer Energie. 

In einer groß angelegten Untersuchung von Websites und verschiedener Unternehmen aus der Bekleidungs-, Kosmetik- und Haushaltsgeräteindustrie kamen die Europäische Kommission und die nationalen Verbraucher*innenschutzbehörden zu dem Schluss, dass die grünen Behauptungen in 42 Prozent der Fälle übertrieben, falsch oder irreführend seien und möglicherweise als unlautere Geschäftspraktiken gemäß den EU-Vorschriften gelten könnten. In 37 Prozent der Fälle enthielten die Online-Aussagen vage und allgemeine Claims und Buzzwords wie „bewusst“, „umweltfreundlich“ oder „nachhaltig“, die darauf abzielen, Konsumierenden den unbegründeten Eindruck zu vermitteln, dass ein Produkt keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt habe. Darüber hinaus hatten die untersuchten Unternehmen in 59 Prozent der Fälle keine leicht zugänglichen Beweise zur Untermauerung ihrer Behauptung vorgelegt.

Eine neue Studie der NGO Stand.earth fand außerdem heraus, dass die Modebranche das Ziel, die Emissionen bis 2030 zu reduzieren, weiterhin verfehlt. Nicht nur das: Die Emissionen haben sich bei den untersuchten Brands – unter anderem Nike, Kering, H&M und Inditex – im Gegensatz zum Vorjahr sogar erhöht, obwohl sich die meisten dazu verpflichtet haben, ihre Emissionen zu reduzieren.

Was sind Nachhaltigkeitstrends und wie werden sie gesetzt?

Die zivile Bevölkerung hat das Ende der Freiwilligkeit eingefordert und das Thema Nachhaltigkeit maßgeblich auf die politische Agenda gesetzt. Vor allem die letzten zwei Jahre gelten als eine Art globale Zeitenwende, in der Modepolitik gemacht wurde und Unternehmen in Zukunft via Gesetzgebung zur Rechenschaft gezogen werden können und sollen. Nachdem die Petition für ein deutsches Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz über 170.000 Unterschriften erhielt, wurde das Gesetz letztes Jahr gestimmt und tritt nun im Januar 2023 in Kraft. Auch auf Seiten der EU tut sich aktuell viel: Die EU-Institutionen diskutieren unter anderem das EU-Lieferkettengesetz, die EU-Verordnung gegen Entwaldung sowie die EU-Textilstrategie. Unterdessen läuft auch eine europäische Bürger*inneninitiative, die sich für existenzsichernde Löhne in der Textil- und Bekleidungsindustrie einsetzt. 

Weltweit werden zahlreiche andere Gesetzgebungen gefordert oder diskutiert. Der Fashion Act New York fordert Modeunternehmen zum Beispiel auf, sich an standardisierte Umwelt- und Sozial-Due-Diligence-Richtlinien zu halten. Aktivist*innen hoffen, dass der Act nächstes Jahr verabschiedet wird. In Kalifornien wurde indessen der Garment Worker Protection Act gestimmt, der das sogenannte Stücklohnsystem abschafft, nach dem Textilarbeiter*innen pro Kleidungsstück bezahlt werden, anstelle eines Mindest- oder Existenzlohns. Auch das uigurische Zwangsarbeitsverhütungsgesetz wurde im Dezember 2021 von US-Präsident Biden unterzeichnet, nachdem die Zivilbevölkerung immer lauter wurde und von der Regierung verlangt hatte, den Import von Produkten, die im Zusammenhang mit uigurischer Zwangsarbeit stehen, zu verbieten. 

Die Greenwashing-Skandale scheinen demnach, wenn mensch so will, auch etwas Positives zu haben. Konsumierende und Expert*innen fordern gleichermaßen bessere und einheitlichere Daten und mehr staatliche Aufsicht über Nachhaltigkeits-Claims sowie gründlichere und differenziertere Lebenszyklusanalysen von Produkten.

Warum können Nachhaltigkeitstrends kontraproduktiv sein?

Circularity als Trend? Dieses Thema haben wir unter anderem Anfang des Jahres in unserem Artikel Fashion Business Trends 2022: von der Kreislaufwirtschaft in den digitalen Space” behandelt. Immer mehr Modeunternehmen schaffen Rücknahmeprogramme für ihre Kleidung, widmen sich Reparaturdiensten oder investieren in Recycler. 

Auch Shopify, eine E-Commerce-Plattform, definiert Nachhaltigkeit als einen Trend im E-Commerce-Bereich. Einer der Hauptgründe: Kund*innen wird das Thema immer wichtiger. Das geht aus aktuellen Studien hervor. Die Beratungsfirma PWC meint, Aspekte der Nachhaltigkeit beeinflussen das Einkaufsverhalten immer stärker. Deutsche Konsumierende seien bereit, mehr Geld für eine umweltfreundliche Lieferung zu bezahlen. Auch im Hinblick auf die Produktauswahl fließen Kriterien der Nachhaltigkeit in die Kaufentscheidung ein: Knapp 41 Prozent der europäischen Konsumierenden bevorzugen beispielsweise Produkte mit weniger Verpackung und vermeiden Plastik, wo es möglich ist. Ein Drittel der Befragten kauft lieber Produkte mit umweltfreundlicher Verpackung als in Plastik gehüllte Artikel und ebenso viele wählen Produkte, deren Herkunft sich zurückverfolgen lässt.

Von Secondhandläden in jeder Stadt bis hin zu Online-Secondhandhändlern ist es einfacher als je zuvor, an gebrauchte Kleidung zu kommen. Auch die beliebtesten Marken beteiligen sich an dem Trend. Doris Schoger, Beraterin und Gründerin der Unternehmensberatung Rebound Stuff, erklärt in unserem Interview, dass Secondhand vor allem durch die Digitalisierung und Globalisierung zu einem weltweiten Trend geworden ist. Dank der mittlerweile zahlreichen Onlineplattformen kann Secondhandware in kürzester Zeit über Landesgrenzen hinweg gekauft und verkauft werden. 

Schoger sieht außerdem zwei Gründe, warum aus dem Secondhandtrend ein „seriöser Wirtschaftszweig” wird. Zum einen wird das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger und Secondhand ist eine der nachhaltigsten Shopping-Alternativen, da nicht neu produziert werden muss und das genutzt wird, was bereits existiert. Zum anderen sei ein großer Hype um Vintagekleidung entstanden. 

Kreislaufwirtschaft als Trend

Im Jahr 2013 stürzte die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch ein, bei dem über 1.000 Arbeiter*innen starben. Diese Tragödie, zusammen mit anderen Ereignissen der letzten Jahre, die einige fragwürdige Methoden in der Modebranche in den Vordergrund gerückt haben, haben bei vielen Unternehmen zum Umdenken angeregt. Seit 2014 hat sich der rigorose Wandel zur Unterstützung nachhaltigerer, ethischer und zirkulärer Systeme verzehnfacht und ist in zahlreichen Branchen omnipräsent, wenn es darum geht, wie wir als Gesellschaft nachhaltiger handeln können. 

Im diesjährigen Bericht „Fashion Accountability Report” der US-amerikanischen NGO Remake wird die Kreislaufwirtschaft zwar für gut befunden, wenn sie von den Unternehmen holistisch gedacht wird. Andererseits wird sie auch kritisiert, da sie einen „besorgniserregenden und schnell wachsenden Trend” darstelle. Es heißt, es gebe inzwischen weit verbreitete Beweise dafür, dass Unternehmen die Zirkularität zum Greenwashing nutzen. (Anm. d. Red.: Die Passagen aus dem „Fashion Accountability Report” von Remake wurden aus dem Englischen übersetzt.)

Laut Remake sei das Versprechen der Zirkularität – je mehr gebrauchte Kleidung wir kaufen, desto weniger neue Kleidung wird produziert – weit von unserer gegenwärtigen Realität entfernt. In Wahrheit wird sogar mehr produziert und konsumiert als jemals zuvor. Der Bericht erfasst keine Daten, die zeigen, dass entweder der Gesamtverbrauch des Globalen Nordens oder der Verbrauch von Kleidung und Schuhen auf nationaler Ebene zurückgeht.

Tatsächlich steigt die weltweite Neufaserproduktion weiter an: Allein im Jahr 2020 stieg sie laut Textile Exchange um weitere drei Millionen Tonnen, selbst während der Pandemie. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch Greenpeace im Bericht „Freiwillige Selbstverpflichtung – Ein Mode-Märchen über grüne Fast-Fashion“. Hier werden Rücknahmeprogramme von Altkleidung – im Sinne der Kreislaufwirtschaft – ebenfalls als Trend bezeichnet. Überschattet werden solche Initiativen jedoch von Überproduktion und -konsum. Ohne eine reelle Entschleunigung von Warenströmen sei Kreislaufwirtschaft ein Wunschziel.

Recommerce und Reparatur als positive Trends

Der Wiederverkauf sowie Reparatur- und Upcycling-Services seien laut Remake positive Trends”. Doch in der jetzigen Form seien diese Zirkularitätsinitiativen im Großen und Ganzen nicht mehr als Greenwashing-Kampagnen. Kein großes Unternehmen in dem Bericht konnte nachweisen, dass seine Produktion neuer Kleidungsstücke zurückgeht. Resale-Programme ersetzen aktuell also nicht die lineare Produktion, sondern existieren einfach neben dem konventionellen (Fast-) Fashion-System. Die Umweltauswirkungen der Modebranche steigen und die Arbeits- und Menschenrechte rücken weiterhin in den Hintergrund. Die zentrale Bedeutung existenzsichernder Löhne und sicherer Arbeitsplätze und -bedingungen bei der Verwirklichung klimaresistenter Lieferketten werden weiterhin größtenteils ignoriert. 

Obwohl es durchaus viele Anzeichen dafür gibt, dass die Zukunft der Mode zirkulär und klimaneutral sein wird, bleibt abzuwarten, ob diese grünere Industrie auf neuen Arten extremer Ausbeutung (dem sogenannten „grünen“ Kapitalismus) oder auf Gerechtigkeit, Gleichheit und demokratischer Teilhabe aufgebaut wird. Laut Remake ist es noch nicht zu spät, auf Letzteres hinzusteuern.Durch die Kombination von kollektivem Handeln, starken Richtlinien und verbindlichen Verpflichtungen mit unabhängigen Rechenschaftsinstrumenten wie diesem zeigt der Remake Fashion Accountability Report 2022, dass es einen klaren Weg gibt, Mode in eine Kraft des Guten zu verwandeln.”

 „Man kann über die Definition des Begriffes streiten, aber bei Nachhaltigkeit würde ich von keinem Trend sprechen, da dies impliziert, dass das Thema irgendwann wieder vorbei ist”, erklärt Maike Gossen, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin. Nachhaltigkeit ist gekommen, um zu bleiben und wird nicht mehr verschwinden. Aber es wird immer wieder Entwicklungen geben, die mal mehr, mal weniger populär sind. Auch aus Konsumierenden-Perspektive ist das Thema spannend. Lange Zeit galt Minimalismus als trendy oder das Decluttering von Marie Kondo.”

Modejournalistin und Kommunikationsberaterin Lisa Wagner findet den Begriff Trend in diesem Zusammenhang auch eher schwierig. „Entwicklungstendenz würde besser passen, denn Nachhaltigkeit ist eine Entwicklung. Jedoch sind die wenigsten Kreislaufsysteme in der Mode aktuell wirklich zu Ende gedacht. Dass selbst Fast-Fashion-Giganten nun auf Resale setzen, ändert nichts an der Tatsache, dass ihr Geschäftsmodell auf riesigen Massen unnötiger Ware beruht. Das ist die Sache mit den Trends: Sie lassen sich gut verkaufen. Woraufhin jede*r etwas vom Erfolg abhaben will und mit auf den Zug aufspringt. Und so entstehen die ganzen Buzzwords.

Einige Marken wählen einen ganz anderen Weg und distanzieren sich bewusst von Schlagwörtern wie „nachhaltig”. So zum Beispiel die Outdoor-Marke Patagonia und das österreichische Fair-Fashion-Label Dariadéh. Beide Unternehmen verstehen sich als Teil des Problems und verwenden das Wort „nachhaltig” nicht mehr für die eigene Brand Identity. Das Wort wäre dermaßen verwässert, dass es an Bedeutung verloren habe. Beide Labels gaben zu verstehen: Solange Unternehmen Ressourcen verbrauchen und Emissionen produzieren, könne man nicht von Nachhaltigkeit sprechen.

Warum wir bei Trendmaterialien aufpassen sollten

Seit einigen Jahren schon werden klassische Modetrends – Schnitte, Looks, Farben – auch durch innovative und vermeintlich nachhaltige Textilien ergänzt. Sei es veganes Leder aus Pilzen, Ananas und Apfel, Fasern aus recycelten PET-Flaschen oder CO2-positive Baumwolle aus dem Labor, der menschlichen Kreativität und Innovationskraft sind hier fast keine Grenzen gesetzt. Doch wie so oft, werden auch neue Textilien in den Markt eingeführt, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Sind diese Art von Fasern eine wirklich umweltfreundliche Alternative zu dem, was die Branche bereits produziert? 

Aktuell werden Trends vor allem durch technologische Entwicklungen wie neue Fasern und deren Verarbeitung bestimmt, die dann etwa den Verzicht auf Rohstoffe wie Erdöl, sowie biologisch abbaubare Stoffe möglich macht”, erklärt Modedesignerin Anne Toppius. „Hier geht es darum, konventionelle Beschaffung immer wieder zu überdenken, ressourcenschonender zu werden bei gleichbleibender oder verbesserter Qualität und Tragbarkeit. Gerade in der Sport- und Outdoorbekleidung ist der Anspruch, die wasserabweisenden, schnell trocknenden Eigenschaften von Poly-Materialien durch nachhaltige Alternativen zu erhalten.”

Im Fashion Revolution Transparency Index steht zum Beispiel, dass fast die Hälfte der untersuchten Marken (46 Prozent) Ziele zu nachhaltigen Materialien veröffentlicht, aber nur 37 Prozent stellen Informationen darüber bereit, was ein nachhaltiges Material ausmacht.

Marken verwenden vage Marketingbegriffe wie „veganes” oder „pflanzliches Leder“, um Materialien mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften und Zusammensetzungen zu beschreiben. Business of Fashion berichtete Ende Oktober dieses Jahres zum Beispiel über die neuen Sneaker der Marke Pangaia, die aus Vegea bestehen, einer aufstrebenden Lederalternative aus Weintrauben, die unter anderem auch von Marken wie Ganni und H&M verwendet wird. Was zunächst nach einer bahnbrechenden – und umweltfreundlichen – Innovation klingt, wird schnell zum Verhängnis. Im Kleingedruckten erklärt Pangaia nämlich, dass der Schuh knapp 30 Prozent Plastik enthält und sich Vegea nur schwer recyceln lässt. 

Innovationen, vor allem im Materialbereich, werden schnell zu Trends. Sie werden oftmals schnell und immer wieder reproduziert und wenig bis gar nicht hinterfragt – sei es von Unternehmen selbst oder Journalist*innen und Politiker*innen. Immerhin geht Pangaia transparent mit der Materialzusammensetzung von Vegea um. Chief Innovation Officer Amanda Parkes erklärt im Interview mit Business of Fashion, dass das Unternehmen sich dessen bewusst ist, dass die Lederalternative nicht perfekt ist und dies auch auf seiner Webseite kommuniziert. Die Textillandschaft ist inzwischen so verwirrend geworden, dass die Nonprofit-Organisation Textile Exchange Brands empfohlen hat, Materialien, die nicht aus Tierhäuten stammen, nicht mehr als „Leder“ zu bezeichnen. 

Das investigative Medien-Start-up Flip und ZEIT Online fanden erst kürzlich gemeinsam heraus, dass das recycelte Ozeanplastik von Adidas in Verbindung mit Kinderarbeit stehen könnte, und deckte auch den Greenwashing-Skandal des Rucksackherstellers GOT Bag auf. Letztere warb damit, dass er die ersten Rucksäcke aus Meeresplastik produziert und damit die Ozeane sauberer macht. Die Rechercheergebnisse von Flip und ZEIT Online zeigten jedoch, dass der Rucksack gar nicht zu 100 Prozent Meeresplastik besteht. Wissenschaftler*innen bezweifeln sogar, dass eine solche Recyclingaktion (zu wie viel Prozent auch immer) überhaupt einen Mehrwert für die Ozeane haben kann. Zudem wurden auch die PET-Flaschen, die Küstennähe gesammelt wurden, als „Ozeanplastik” gezählt . Es handelt sich hier also ganz klar um Verbraucher*innentäuschung. 

Während die Industrie also mit einer weitreichenden Abrechnung über Greenwashing konfrontiert wird, gibt es immer noch keine standardisierte Methode zur Messung der Nachhaltigkeit oder gar eine klare Definition dessen, was der Begriff wirklich bedeutet. Materialien sind hierbei ein besonders heikles Thema. Brauchen wir wirklich immer neue Materialien, um in ein paar Jahren festzustellen, dass sie eigentlich doch nicht besser sind als Polyester? Sollte die Branche die Zeit nicht lieber investieren, um wirklich umweltfreundliche Textilien zu erforschen, statt ständig neue, nicht komplett durchdachte Materialien auf den Markt zu bringen?

Jenseits von Buzzwords und Versprechungen

Resale und Reparaturdienste sind keine neuen Konzepte, doch die Art und Weise, wie sie aktuell von der Modebranche für Marketingzwecke genutzt werden ist gleichzeitig faszinierend und – wie die NGO Remake es beschreibt – besorgniserregend. Faszinierend, weil die meisten Unternehmen scheinbar an einem Strang ziehen und besorgniserregend, weil sich die Modebranche dadurch nicht positiv – und langfristig – zu ändern scheint. Gleiches gilt für andere Komponenten der Kreislaufwirtschaft, wie Recycling, sowie Materialinnovationen. All dies sind durchaus Megatrends, die unsere Gesellschaft neu formen, aber in welche Richtung dies aktuell passiert, bleibt noch unklar.

Titelbild: Daniel Olah / Unsplash

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