Wie werden Modeunternehmen das Thema Nachhaltigkeit dieses Jahr angehen? Was wird die Modebranche priorisieren? Wir haben zwei der wichtigsten Modetrends 2022 analysiert: Kreislaufwirtschaft und Virtual Reality.
Modelabels nehmen sich der Kreislaufwirtschaft an
Circular Fashion war 2021 eines der zentralen Themen und wird es vermutlich auch in diesem Jahr bleiben. Sei es der Weiterverkauf, die Reparatur oder das Recycling, immer mehr Modeunternehmen setzen auf die Kreislaufwirtschaft. Ist das nun das lang ersehnte Degrowth-Mindset, das wir so dringend benötigen?
Reparatur als Pilotprojekt oder fester Bestandteil des Businessmodells
Reparieren geht über konsumieren! Immer mehr Unternehmen bieten Käufer*innen einen Reparaturdienst ihrer bereits gekauften Artikel an. So auch der Online-Riese Zalando, der Ende 2021 mit „Care & Repair“ sein Pilotprojekt in Berlin startete. Über die Plattform von Save Your Wardrobe können Kund*innen die Reparatur von nun an ganz bequem online buchen.
Ähnliche Pläne haben auch Ganni und Sojo, die sich im Namen der Nachhaltigkeit zusammengeschlossen haben. Sojo ist ein Unternehmen, das Konsumierende mit Näher*innen und Schneider*innen in ihrer Nähe verbindet. Unterstützt wird die App von Depop-Gründer Simon Beckerman, dem es ein Anliegen ist, Reparatur- und Änderungsdienste zugänglicher und erschwinglicher zu machen.
Bei anderen Unternehmen ist die Reparatur bereits seit Jahren fester Bestandteil des Businessmodells. Die schwedische Denim-Marke Nudie Jeans verfügt beispielsweise über ein Netzwerk von Partnern und Reparaturwerkstätten auf der ganzen Welt, in denen Kund*innen ihre Jeans reparieren lassen können. Und in Deutschland bietet die Outdoor-Marke Vaude neben ihrem hauseigenen Reparaturservice sogar Reparaturanleitungen und Ersatzteile an.
Shared Economy: Besitztum war gestern
Machen wir uns nichts vor: Besitztum wird vermutlich immer eine große Rolle spielen. Dennoch entscheiden sich immer mehr Menschen dazu, bestimmte Dinge im Alltag zu mieten, anstatt sie zu kaufen. Bei dem einen ist es das Fahrrad, bei der anderen der Inhalt ihres Kleiderschranks.
Einer Studie zufolge wird der globale Online-Bekleidungsverleihmarkt bis zum Jahr 2023 voraussichtlich mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von fast elf Prozent wachsen und einen Wert von 1,96 Milliarden US-Dollar erreichen. Zum Vergleich: 2018 waren es etwa 1,18 Milliarden US-Dollar.
Neben den mittlerweile zahlreichen Mietplattformen wagen auch einige Modemarken den Sprung in die Welt der Shared Economy. Burberry etwa möchte in Zukunft den Verleih seiner Kleidung und Accessoires über eine Partnerschaft mit My Wardrobe HQ (eine von Großbritanniens führenden Mode-Vermietungsplattformen) anbieten. Ab 41 Pfund die Woche können Kund*innen dann Trenchcoats, Handtaschen und Schals für eine Mietdauer von vier Tagen bis zwei Wochen ausleihen. Ein Konzept, mit dem die niederländische Denim-Brand Mud Jeans bereits seit Jahren gut fährt. Letztes Jahr wurden in den ersten sechs Monaten über 3.500 Mietverträge für Jeanshosen abgeschlossen.
Doch auch wenn sich offenbar einiges in Sachen Kreislaufwirtschaft tut: Für viele ist der Modeverleih ein recht unsicheres Terrain – sowohl auf Kund*innen- als auch auf Unternehmensseite. Verständlich. Schließlich gehen mit der Neuerung einige Fragen einher: Welche logistischen Aspekte sind zu beachten? Welche Versicherungen müssen abgeschlossen werden? Wie lukrativ ist das System für Modemarken?
Das US-amerikanische Beratungsunternehmen Bain & Co. stellte zur Veranschaulichung eine hypothetische nachhaltige Luxusmarke auf und kam bei seiner Analyse zu dem Ergebnis: Bis 2030 würde der Verkauf von Secondhandkleidung etwa 20 Prozent des Umsatzes ausmachen, die Vermietung brächte hingegen nur knappe 10 Prozent Gewinn. Und auch das US-amerikanische Secondhandunternehmen Thredup geht davon aus, dass Menschen bis 2030 im Durchschnitt etwa 18 Prozent ihrer Bekleidungsausgaben für den Wiederverkauf ausgeben werden, während die Kleider-Miete nur etwa ein Prozent ausmacht. Es stellt sich somit die Frage, inwieweit Modemarken dieses Businessmodell wirklich in ihre zukünftigen Pläne integrieren wollen.
Recycle, recycle, recycle
Schätzungen zufolge bestehen derzeit weniger als zehn Prozent des globalen Textilmarktes aus recycelten Materialien. Unsere Gastautorin Sarah Maria Schmidt hat das Problem in ihrem Artikel über nachhaltiges Elastan veranschaulicht: „Im Allgemeinen stellen Fasermischungen Recyclingunternehmen vor große Herausforderungen. Das gilt hauptsächlich, wenn die Materialkreisläufe, das heißt der biologische und der technische Kreislauf, untrennbar miteinander verbunden werden. Dies betrifft zum Beispiel auch Stoffe aus Baumwolle und Polyester. Materialien aus dem biologischen Kreislauf – die Baumwolle in unserem Beispiel – sind biologisch abbaubar und sogar kompostierbar: Sie werden idealerweise wieder zu Erde und Nährstoffen für Pflanzen und Mikroorganismen.”
Im technischen Kreislauf treten allerdings Probleme auf. Dort sollen Materialien wie Metalle oder synthetische Stoffe (z. B. Polyester) so oft recycelt werden, bis irgendwann keine neuen Rohstoffe mehr gewonnen werden müssen. Das Problem: Recycling funktioniert dann am besten, wenn Produkte sortenrein sind, sprich, wenn sie aus einem einzigen Material bestehen. „Die Beimischung von Elastan in einen Stoff sorgt also für Probleme in beiden Kreisläufen. Oftmals reicht bereits ein Prozent Faseranteil an Elastan aus, damit das Bekleidungsteil von den Recyclingstationen abgelehnt wird”, folgert unsere Autorin.
Wir sehen also: Innovation ist gefragt. In Australien baut BlockTexx eine Textilrecyclinganlage für Polyester-Baumwoll-Mischungen, mit dem Ziel, bis Ende 2022 jährlich 10.000 Tonnen Stoff zu recyceln. Noch umfangreicher angelegt ist die schwedische Textilrecyclinganlage Renewcell – eines der ersten großindustriellen Unternehmen, das Altkleidung in einem umweltfreundlichen chemischen Recyclingverfahren in neue Textilien verwandelt.
Dabei verwendet es eine patentierte Technologie, um Kleidung zu einem Zellstoff zu zerkleinern, der zu einer Faser verarbeitet und anschließend zu Fäden verwebt wird. Die Europäische Investitionsbank hat im Juni 2021 mit Renewcell ein Darlehen in Höhe von bis zu 30 Millionen Euro unterzeichnet. Kein Wunder: Die Anlage arbeitet bereits mit großen Modemarken wie Levi’s und H&M und wird voraussichtlich eine Kapazität von etwa 60.000 Tonnen Zellstoff pro Jahr zur Verfügung stellen.
Projekte wie diese werden mittlerweile weltweit entwickelt. Das US-amerikanische Textilrecycling-Start-up Evrnu skaliert aktuell seine Technologie, um die Qualität recycelter Fasern zu verbessern, damit sie immer wieder verwendet werden können. Ziel ist es, die Lebensdauer recycelter Fasern zu verlängern.
Ein weiteres, groß angelegtes Pilotprojekt ist Circular Fashion Partnership in Bangladesch, geführt von der Global Fashion Agenda. Circular Fashion Partnership zielt darauf ab, Textilabfälle, die während der Produktion entstehen, zu sammeln und später erneut in den Kreislauf einzuführen. Die Partnerschaft soll auf Länder wie Vietnam und Indonesien ausgedehnt werden – ein Plan, der längst überfällig ist, wenn wir bedenken, dass der Großteil der Textilien im globalen Süden hergestellt wird.
Und auch in Sachen Polyester tut sich was: Die niederländische NGO Fashion for Good startete Ende 2021 das Projekt „Full Circle Textiles Project – Polyester” mit dem Ziel, vielversprechende Technologien im chemischen Polyester-Recycling auszubauen und damit auch Finanzierungen und Abnahmeverpflichtungen in der Modeindustrie zu fördern. Neues Polyester beansprucht aktuell etwa 52 Prozent des globalen Fasermarktes. Partnerunternehmen des Projektes sind unter anderem Adidas, C&A und Zalando. Das Projekt wird voraussichtlich 18 Monate dauern.
Natürlich investieren auch Fair Fashion Brands vermehrt in innovative Technologien. Armedangels hat in Zusammenarbeit mit Circular.Fashion und dem FairWertung e.V. ein Closed-Loop-Projekt gestartet, bei dem verschiedene kreislauffähige Textilprodukte mit einer circularity.ID® ausgestattet werden. Die circularity.ID® ist ein NFC-Tag (eine Art Speicherchip), das via Smartphone gescannt wird und daraufhin sämtliche Informationen rund ums Produktionsland, die Stoffzusammensetzung und wichtige Pflegehinweise preisgibt. Das Wichtigste bei diesem Projekt: Die circularity.ID® zeigt Kund*innen, welche Möglichkeiten es gibt, wenn das Produkt nicht mehr nutzbar ist. Dabei werden Textilsammelstellen und Recycler in ganz Deutschland mobilisiert, um Systeme für Alttextilsortierung, Wiederverkauf und Recycling zu testen. Ein spannendes Projekt, über das wir euch natürlich künftig weiter auf dem Laufenden halten.
Feststeht: Recyceln ist wichtig. Aber können wir uns auch der Krise heraus recyceln?
Secondhand wird immer beliebter
Wir haben es schon einige Male bei uns im Magazin erwähnt: Der Secondhandmarkt boomt. Wenn es nach der Vogue France geht, ist Secondhand sogar die „Zukunft der Mode”. Der Markt wird im kommenden Jahr also noch weiter wachsen. Neben klassischen Resale-Plattformen springen jetzt auch immer mehr Modemarken an Bord und entdecken den Secondhandmarkt für sich. Kering hat beispielsweise 178 Millionen Euro in Vestiaire Collective investiert. Die Plattform zählt aktuell elf Millionen aktive Mitglieder – tausende von neuen Artikeln werden pro Woche gelistet. Das italienische Luxuslabel Gucci (das zu der Kering Group gehört) startete 2020 einen Onlineshop mit dem US-amerikanischen Secondhandunternehmen The RealReal.
Im Oktober 2021 hat Valentino sein neues Projekt bekannt gegeben: Valentino Vintage. Das Projekt ist in zwei Phasen gegliedert. In der ersten Phase müssen Menschen ein Foto der Valentino-Artikel senden, die sie über das Unternehmen weiterverkaufen möchten. In der zweiten Phase werden die Artikel im Geschäft begutachtet. Aktuell unterbreitet Valentino ein Angebot zum Rückkauf der Artikel gegen einen Einkaufsgutschein, der in allen teilnehmenden Filialen gültig ist.
Wenn einer es vormacht, ziehen die anderen schnell nach: Auch Modemarken wie Levi’s, COS und Patagonia haben eigene Resale-Geschäfte gestartet. Und auch das Denim-Label Diesel hat im Sommer 2021 ein sogenanntes Rückkaufprogramm gestartet. Knapp 900 Jeans wurden bei dieser Aktion gesammelt und wiederaufbereitet. Nun werden sie online und in ausgewählten Geschäften weiterverkauft. Holistische Nachhaltigkeitsstrategie oder doch nur Teil einer clever verpackten Marketingstrategie? Es bleibt abzuwarten, wie sich der Trend entwickelt.
Die Modewelt wird virtuell
Im neuen Jahr geht’s nicht nur rund, auch digitale Mode wird für Fashion-Labels immer interessanter und lukrativer. Neben digitalen Modehäusern wie The Fabricant, setzen nun auch konventionelle Unternehmen vermehrt auf die virtuelle Welt. Balenciaga nutzt bereits Video Gaming als bereicherndes Verkaufsinstrument und designt jetzt auch Mode für Avatare. Wirklich wahr. Die virtuelle Welt bietet aber mittlerweile viel mehr als 3-D-Sneaker.
Das Metaversum kommt
Modemarken sehen das aufkommende „Metaversum“, in dem Menschen arbeiten, spielen, Kontakte knüpfen und einkaufen, als Chance, sich intensiver und kreativer mit ihrer Kund*innenschaft auseinanderzusetzen. Das zeigt zum Beispiel das Luxuslabel Gucci, das während der Lockdowns in Europa einen virtuellen Einzelhandel ausprobierte. In Zusammenarbeit mit Powerfront, einer US-amerikanischen E-Commerce- und Contentmanagement-Plattform, organisierte die Marke virtuelle Live-Shopping-Events, bei denen Kund*innen via Kamera neue Produkte vorgestellt bekamen. Die Idee: das Ladenerlebnis so genau wie möglich nachbilden. Bei dem Experiment fand Gucci heraus, dass Käufer*innen sich mit den Produkten länger via Kamera auseinandersetzten als auf der Webseite des Onlineshops.
Ein weiterer Trend der virtuellen Modewelt: digitale Influencer*innen. Im März 2020 kreierte die deutsche Sportbekleidungsmarke Puma die virtuelle Influencerin Maya für den Südostasien-Markt, um dort den neuen Future Rider Sneaker zu promoten. Und damit ist sie nicht die Einzige: Pradas neue Muse Candy ist ein computergenerierter Avatar, der geschaffen wurde, um für eine Duftkollektion zu werben. Vielleicht sehen wir Candy im März auf der virtuellen Fashion Week?
3-D-Samples gegen Textilabfall
Auch beim Thema digitale Prototypen tut sich derzeit einiges – digitale Samples werden jetzt immer zugänglicher. PVH, ein US-amerikanisches Bekleidungsunternehmen (zu dem auch Marken wie Tommy Hilfiger und Calvin Klein gehören) stellt sein 3-D-Design-Start-up namens Stitch 3D nun auch außerhalb des Konzerns zur Verfügung. Das Ziel: Textilabfall und Kosten reduzieren, die mit physischen Mustern und Designs verbunden sind. Befürworter*innen sind deshalb der Meinung, die virtuelle Modewelt könne die Kreislaufwirtschaft voranbringen.
Die virtuelle Realität birgt außerdem eine Transformation von eindimensionalen, linearen Räumen in multidimensionale, erfahrungs- und kollaborative Welten. Fragen, die bei diesem Modetrend sicherlich noch aufkommen werden: Wie alltagstauglich ist digitale Mode? Für wen ist sie gedacht? Versteckt sich dahinter vielleicht eine Welt, die nur wenigen Menschen zuteilwird oder hat die virtuelle Modewelt Potenzial, Zufluchtsort für jede*n von uns zu werden? Kann die virtuelle Modewelt zugänglicher, inklusiver und diverser sein als die reale? Wir werden es sehen.
Modetrends 2022: Der soziale Faktor fehlt
Beim Aufbau einer gerechteren und nachhaltigeren Textil- und Bekleidungsindustrie steht eines bereits fest: Alte Wege werden keine neuen Türen öffnen – darüber sind sich die meisten Modeunternehmen einig.
Viele Fragen bleiben jedoch nach wie vor unbeantwortet. Wird die Modebranche es schaffen, dieses Jahr greifbare Fortschritte und Emissionen zu reduzieren? Werden innovative Materialien wie Pilzleder und Algenschaum die Modeproduktion nachhaltiger gestalten? Kann eine virtuelle Modewelt zur kulturellen Nachhaltigkeit beitragen? Und die vielleicht wichtigste Frage: Wird 2022 das Jahr sein, in dem Unternehmen anfangen, Textilbeschäftigten einen fairen Existenzlohn zu zahlen? In Sachen Trends wird der soziale Faktor bis dato schließlich weitgehend außer Acht gelassen. Mein persönlicher Trend für das kommende Jahr lautet daher: Veränderung – Mode als Beitrag zum kulturellen, sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Wohlstand. Das wäre etwas, das sich sehen lässt.
Was sind eure liebsten Modetrends 2022?
Titelbild: Kerry Murphy (PR, The Fabricant)