Große Labels wie Zara, Adidas, Nike, H&M, aber auch Luxusmarken wie Hermès, Kering oder LVMH zeigen aktuell Solidarität mit dem Menschen in der Ukraine, indem sie den Verkauf ihrer Waren in Russland stoppen – wenn auch vorerst nur vorübergehend. Russland ist mit einem Anteil von drei Prozent an den Verkäufen des Luxussegments beteiligt. Es handelt sich also um keinen signifikanten, aber doch spürbaren Verlust für viele westliche Modemarken. Aber reicht dieses Opfer, um ein Zeichen zu setzen und Druck auf die Regierung in Russland auszuüben? Wie wir wissen, ist Russland einer der wichtigsten Erdöl- und Erdgas-Lieferanten weltweit. Stellt sich also die Frage, ob und wo sich russisches Öl oder Gas auch in unserer Kleidung versteckt und wofür es in der Modebranche benötigt wird.
Die Marktmacht von erdölbasierten Materialien
Wenn es um den Angriffskrieg geht, denken die wenigsten vermutlich an die Materialien unserer Kleidungsstücke. Fakt ist aber, dass es sich bei den gängigen Materialien wie Polyester, Elastan, Nylon oder Polyacryl um Chemiefasern auf Erdölbasis handelt. Schätzungsweise 69 Prozent unserer Kleidungsstücke werden aus erdöl- oder erdgasbasierten Fasern gefertigt. Davon ist Polyester seit dem Jahr 2000 die dominierende Faser mit einem Anteil von aktuell 56 Prozent. Die Bekleidungsindustrie beansprucht in etwa 1,35 Prozent des weltweit verbrauchten Rohöls und ist damit der drittgrößte Verbraucher von Plastik mit einem Anteil von 15 Prozent.
Spannend ist jetzt natürlich die Frage, wie viel des verbrauchten Erdöls in der Textilindustrie aus Russland stammt. Auch wenn sich diese Frage nicht genau beantworten lässt, lassen sich zumindest Schätzungen vornehmen: Wenn wir davon ausgehen, dass Russland einen Anteil von zwölf Prozent am weltweiten Handel mit Erdöl hat, könnte dies auch der Anteil des aus Russland verwendeten Erdöls in der Textilindustrie darstellen. Im Beispiel bedeutet das: Ich habe fünf Sporthosen aus Polyester. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Polyester für ein Bein meiner Sporthosen mit in Russland gefördertem Erdöl hergestellt wurde.
Neben der eher offensichtlichen Verwendung von Erdöl als Material gibt es aber auch weniger offensichtliche Verwendungsgebiete für fossile Energieträger: die Produktion und Logistik, insbesondere in asiatischen und europäischen Ländern, in denen sehr viel Kleidung produziert wird, beispielsweise.
Produktion und Logistik als indirekte Förderer der russischen Wirtschaft
Die Produktion eines Kleidungsstückes umfasst eine lange Lieferkette und viele Produktionsschritte. Egal, ob ein Faden aus erdölbasierter oder einer natürlichen Faser besteht – er muss versponnen, gewebt, gefärbt, zugeschnitten, vernäht, geprüft und verpackt werden. Viele dieser Produktionsschritte finden in verschiedenen Fabriken und teilweise in verschiedenen Ländern statt. Die Fabriken benötigen Elektrizität, um ihre Maschinen zu betreiben. Diese Energie kann aus fossilen oder regenerativen Quellen stammen (das ist von Land zu Land sehr unterschiedlich).
Viele asiatische, aber auch europäische Produktionsländer nutzen einen Energiemix mit einem sehr hohen Anteil an fossilen Energieträgern und sind daher auf die Importe von russischem Öl oder Gas angewiesen. Die meisten Waren und Güter exportiert Russland nach China. Allein im Jahr 2020 betrugen die Exporte 49 Billionen US-Dollar. Im selben Jahr betrug die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern in China über 84 Prozent. Um den Energiehunger der Industrie zu stillen, importierte es Antriebsstoffe sowie Erdöl und -produkte im Wert von 339 Milliarden US-Dollar.
Diese fossilen Energieträger werden weltweit für Strom-, Wärmeerzeugung oder als Treibstoff benötigt und sind damit unablässig für das Funktionieren der Logistik und den Transport innerhalb der Lieferketten, auch im textilen Bereich. Als einer der größten Exporteure für Erdöl und Erdgas und petrochemische Produkte ist Russland also maßgeblich in die meisten Schritte der Lieferkette involviert.
Zusätzlich ist Russland in energiepolitische Projekte in Asien verwickelt und baut durch Projekte wie den Bau des großen Roppur Atomkraftwerks in Bangladesh eine starke wirtschaftliche Bindung auf. Das Roppur Nuclear Power Plant soll planmäßig nächstes Jahr in Betrieb genommen werden und wird zu 90 Prozent von Russland finanziert.
Russlands als größter Exporteur von Düngemitteln
Obwohl der Großteil der Russland-Exporte sich auf Erdöl und Erdgas bezieht, gibt es auch andere essenzielle Rohstoffe, die die Modeindustrie aus Russland bezieht: An siebter Stelle steht Dünger, welcher für den Anbau von Lebensmitteln aber auch den Anbau von Baumwolle und anderen Naturfasern benötigt wird. Damit zählt Russland zum weltweit größten Exporteur von Dünger, knapp vor China. Der Anbau von konventioneller oder genveränderter Baumwolle erfordert einen massiven Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden, Insektiziden und Fungiziden. Die größten Baumwollproduzenten der Welt sind China, Indien, USA, Brasilien und Pakistan (in der Reihenfolge).
Zu den größten Importeuren von in Russland produzierten Düngemitteln zählen unter anderen China, Indien, USA und Brasilien – sie sind somit die größten baumwollproduzierenden Länder. Dementsprechend ist es wahrscheinlich, dass auch für Kleidung, insbesondere aus konventioneller Baumwolle, indirekt Geld nach Russland für den Dünger fließt. Das zeigt auf den ersten Blick eine Korrelation, aber noch keine Kausalität. All das sind Faktoren, die wir als Konsument*innen nicht wirklich beeinflussen können. Doch wie groß ist unser Einfluss überhaupt?
Finanzieren wir mit unserer Kleidung den Krieg?
Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir mit unserer Kleidung die russische Wirtschaft unterstützen. Dies findet vor allem indirekt statt, durch den Einsatz von Dünger im Baumwollanbau, die Verstromung von fossilen Energieträgern oder den Transport der Güter per Schiff, Flugzeug oder Auto oder unter Umständen auch den Kauf von neuen Polyesterprodukten. Ob wir damit auch direkt den Krieg finanzieren, lässt sich nicht eindeutig beantworten – die Frage erlaubt aber viel Raum für Spekulation. Auf den ersten Blick erscheint es eher unwahrscheinlich, denn schließlich finanziert Russland den Krieg in Rubel, Soldaten werden in Rubel bezahlt und es gibt vorerst ausreichend Rüstungsfabriken im Inland, um den Krieg fortführen zu können.
Wichtig für den weiteren Verlauf ist aber zu beobachten, wie Russland in Zukunft an Zulieferteile aus dem Westen für Panzer und Flugzeuge kommt, welche es nur schwer oder gar nicht selbst herstellen kann. Der Export dieser Zulieferteile wurde von westlichen Ländern zwar gestoppt, es ist jedoch möglich, dass Russland sie durch Länder wie China oder Indien bezieht. Dafür benötigt es Devisen. Devisen, die das Land in der Vergangenheit (und unter Umständen auch weiterhin) durch sein indirektes Mitwirken an der Bekleidungsindustrie erhalten hat. Hier den Einfluss Russlands künftig einzuschränken, ist in einer globalisierten und mit Russlands starken Partnerschaften in Asien sehr unwahrscheinlich.
Was können wir als Konsumierende machen?
All diese Erkenntnisse wirken zunächst sehr ernüchternd, bedeuten aber keinesfalls, dass die Modeindustrie ihre Herkunftsländer für das benötigte Erdöl und Erdgas vollständig ersetzen soll. Das ist aufgrund der schieren Menge und Bindung vieler Länder an Russland schon allein kaum möglich. Trotzdem: Viele weitere große Erdöl und Erdgasexporteure wie zum Beispiel Qatar oder Venezuela sind aufgrund der Missachtung von Menschenrechten, Korruption oder autokratischen Regierungen bestenfalls ein ungeliebter Kompromiss. Das Ziel für Unternehmen sollte also die konsequente Verringerung in der Nutzung von fossilen Rohstoffen sein – und das schnellstmöglich.
Wichtig ist es jetzt, Synergien zu nutzen, die Produktion von neuem Polyester massiv einzuschränken, weniger Kleidung zu produzieren und den Umstieg auf biologisch angebaute Baumwolle anzustreben. Das verringert nicht nur die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen, sondern schützt zusätzlich das Klima. Wir, die Konsument*innen können dies durch eine veränderte Nachfrage nach Recyclingpolyester oder Bio-Baumwolle für Sportkleidung, nach weniger und dafür nachhaltig (und bestenfalls fair) hergestellter Kleidung unterstützen. Ebenfalls können wir Mietsysteme für Kleidung unterstützen oder (zumindest für eine Weile) keine neue Kleidung kaufen. Die Synergien zwischen mehr Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz und unseren Möglichkeiten autokratischen Regierungen Einhalt zu Gebieten sind nicht zu unterschätzen.
Titelbild: Shayan Rti via Unsplash