Vor einigen Wochen war es so weit und ein paar Teile mussten meinen Kleiderschrank verlassen. So wanderten die aussortierten Stücke in drei große Tüten. Die kleinste Tüte schenkte ich einer Freundin, der Inhalt der etwas größeren Tüte sollte auf Vinted verkauft und die größte Tüte gespendet werden. Zwei Monate später habe ich die Teile endlich fotografiert, um sie anschließend für 15 Euro anzubieten und für 6,50 Euro zu verkaufen. Irgendwann verliere ich die Geduld und packe den Verkaufsstapel kurzerhand in die Spendentüte.
Da steht er nun, ein prall gefüllter blauer Sack. Und niemand will ihn haben. Die verschiedenen Annahmestellen, die ich abtelefoniert habe, suchen händeringend nach warmer Winterkleidung für Herren. Dem Secondhandladen ein paar Straßen weiter ist meine aussortierte Kleidung nicht marktfähig, also trendy genug für die Berliner Hipster-Kund*innenschaft. Nun bin ich mehr als versucht, den Kleidersack in den nächsten Altkleidercontainer zu werfen – wäre nicht das erste Mal, dass nachhaltiger Anspruch und Realität weit auseinanderliegen. Endstation: lineare Wirtschaft. Oder, um den Lebenszyklus eines Kleidungsstücks auf einen einprägsamen Dreiklang herunterzubrechen: produzieren, kaufen, wegwerfen. Große Modeunternehmen würden mir inzwischen entschieden widersprechen, schließlich gibt es ja Recycling.
Recycling oder auch die Kunst der Wiederverwendung
Recycling bedeutet zunächst nichts anderes, als verwendete Dinge in anderer Form weiterhin nutzbar zu machen. „Die Kunst der Wiederverwendung“, heißt das dann bei Levi’s oder „Let’s close the loop“ bei H&M. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Ist es leider auch. Aber mal von Anfang an.
Alle fünf Minuten werden weltweit eine Million neue Kleidungsstücke hergestellt. In Deutschland ist die Textil- und Bekleidungsindustrie die zweitgrößte Konsumgüterbranche. Nach dem Shoppen bleibt in Deutschland 40 Prozent der gekauften Kleidung ungetragen im Schrank liegen. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gibt an, dass jeder in Deutschland lebende Mensch pro Jahr 16 Kleidungsstücke in die Altkleidercontainer gibt – das entspricht einem Kleiderberg von rund 1,1 Millionen Tonnen gespendeter Textilien pro Jahr. Von diesen Spenden gehen nur etwa zehn Prozent an Bedürftige und Secondhandläden. Fast die Hälfte wird ins Ausland verschifft und durchschnittlich 15 Prozent werden recycelt, meistens als Füllmaterial oder Putzlappen.
Warum Recycling von Misch- und Naturfasern nur bedingt möglich ist
Das Problem mit der Kunst der Wiederverwendung ist, dass die Modeindustrie hauptsächlich eine Kunststoff verarbeitende Industrie ist. So bestehen 65 Prozent des weltweiten Fasermarkts aus synthetischen Polymerfasern, also Chemiefasern, die auf Erdöl oder Erdgas basieren und nicht biologisch abbaubar sind. Das Aufkommen der Fast Fashion, also das schnelle und günstige Produzieren und Konsumieren von Kleidung, begründet den Anstieg der Chemiefasern. Oftmals werden den günstigen Chemiefasern Naturfasern beigemischt, damit das Kleidungsstück strapazierfähiger ist. Wenn wir also Kleidung aussortieren, dann sortieren wir in der Regel sogenannte Mischfasern aus.
Und genau hier liegt die Krux: In den Altkleidercontainern landet nicht nur zunehmend qualitativ schlechtere Kleidung, die nicht mehr an andere Menschen weitergegeben werden kann – das meiste davon ist auch gar nicht recycelfähig. Nach derzeitigem Stand ist es zwar möglich, Mischfasern zu recyceln, allerdings nur im Labor. In der Praxis sind Mischfasern also Abfall.
Wenn das Fast-Fashion-Unternehmen H&M, das seit 2013 aussortierte Kleidung und Textilien in den Ladengeschäften sammelt, schreibt, dass es 2019 40 Prozent mehr aussortierte Kleidung und Textilien gesammelt hat als im Vorjahr, nämlich 29.005 Tonnen, dann sagt das noch gar nichts über die Recycelfähigkeit aus, sondern ist in erster Linie beispielhaft für Überproduktion und Überkonsum.
Aber wenn ein gut erhaltenes und auf den ersten Blick sortenreines Kleidungsstück aus Baumwolle gesammelt wird, dann kann es doch problemlos recycelt werden, oder? Wenn die Materialinformationen aufgeschlüsselt vorliegen, die Fäden beispielsweise nicht aus Polyester sind und Sortierer und Recycler gut zusammenarbeiten, ja, dann ist es durchaus möglich, das Baumwoll-Teil im mechanischen Verfahren zu recyceln. Dies geht jedoch in der Regel mit einer Qualitätsminderung einher, da die Fasern im Prozess verkürzt werden und somit nicht unendlich oft recycelt werden können.
Der Blick aufs Etikett lohnt sich
Wie kann es also sein, dass immer mehr Unternehmen behaupten, recycelte Kollektionen anzubieten? Ein Blick aufs Etikett verrät: Die Kleidungsstücke sind oft nur zu Teilen recycelt. Zwar gibt es im Bereich Materialtrennung immer mehr Forschung, aber wenn ein Produkt nicht in all seinen Zutaten sortenrein konzipiert wurde, sodass es in all seine Einzelteile zerlegt werden kann, dann ist ein Produkt nicht zu 100 Prozent recycelt.
Das Outdoor-Brand Bleed aus Helmbrechts bietet neben Naturmaterialien auch viele Produkte aus synthetischen Fasern an, wie es oft bei wetterfester Kleidung im Outdoor- und Sportbereich der Fall ist. Dabei achtet das Label darauf, dass alle Zutaten sortenrein sind: von den Reißverschlüssen, über das Innenfutter bis zur Membran. So kann ein 100 Prozent sortenreines Kleidungsstück aus Polyester nach dem Gebrauch zu 100 Prozent wieder recycelt werden. Dafür setzt Bleed eine vollständig recycelbare Membran aus Polyester (PES) von SYMPATEX® ein, einem Anbieter für nachhaltige Funktionstextilien.
Effizientes Recycling setzt zirkuläres Design und Transparenz voraus
Recycling kann also effizient und sinnvoll sein, wenn es gute Partnerschaften zwischen Label, Sortierer und Recycler gibt – und wenn genaue Informationen über die Materialien zur Verfügung gestellt werden. Was oft vergessen wird: Kleidung wird in den Sortieranlagen zumeist händisch sortiert. Effizientes Recycling braucht eine intelligente Sortierung, damit die Kleidung nicht nur auf Qualität und Trends, sondern auch auf die Zutaten eines Kleidungsstücks überprüft werden kann. Letzteres wird schon deswegen erschwert, weil fünf bis 15 Prozent der Zutaten eines Kleidungsstücks gar nicht deklariert werden müssen.
Die unabhängige Denkfabrik und Beratungseinrichtung für Klimathemen adelphi sagt, dass Recycling nur ein kleiner Teil der Lösung ist. Adelphi hat Anfang 2019 einen Report zu Kreislaufwirtschaft im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit veröffentlicht und sich dabei auch die Modeindustrie angeschaut. Im Bericht wird deutlich, dass Recycling allein kein Ansatz für kreislauffähige Mode ist. Denn was nach dem Gebrauch mit einem Kleidungsstück passiert, ist in der Idee von Recycling nicht angelegt. Recycling sammelt keine Informationen über den weiteren Weg eines Kleidungsstücks.
Recycling kann also nur zirkulär sein, wenn der Designprozess zirkulär ist und ein Modelabel einen entsprechenden Rücknahmeprozess anbietet, damit das Kleidungsstück am Ende in der richtigen Sortier- und Recyclinganlage landet. Doch die Rücknahme von Kleidung gestaltet sich aktuell noch als schwierig, da der Einzelhandel dafür oft keine Systeme hat. Somit liegt Kreislauffähigkeit derzeit noch in den Händen von Labels und Kund*innen. Um im großen Stil Faserrecycling betreiben zu können, brauchen wir zentrale Rücknahmestellen.
Solche Schnittstellen zwischen Labels, Handel, Kund*innen, Sortierer und Recycler will Circular Fashion schaffen. Das Berliner Unternehmen berät Labels nicht nur zu kreislauffähigem Design und recycelfähigen Materialien, sondern arbeitet an einem Datenstandard, der Materialien über eine sogenannte Circularity ID ausliest (das kann ein QR-Code sein, aber auch ein unsichtbarer, eingenähter Faden in der Naht), der Sortierer dabei unterstützen soll, den besten Recycler zu finden. Einen solchen Produktpass hat Circular Fashion für die „redeZIGN for circularity“-Kollektion von Zalando entwickelt.
Zalando selbst hat sich mit der Nachhaltigkeitsinitiative Fashion For Good zusammengeschlossen, um gemeinsam eine Open-Source-Plattform aufzubauen, die eine Infrastruktur für die Entsorgung von Textilabfällen schafft. Hier sollen sich Sortier- und Recyclingbetriebe digital vernetzen, um Textilien effizient weiterzuverwerten.
Auch die H&M Foundation investiert in Recycling: So hat das Hong Kong Research Institute for Textile and Apparel im Auftrag des schwedischen Modekonzerns im Jahr 2020 erstmalig ein Verfahren entwickelt, das erfolgreich Mischgewebe, Baumwoll- und Polyesterfasern trennt. Außerdem investiert das Unternehmen mittlerweile auch in recycelte Materialien, wie die vielversprechende Innovation Infinna. Die Faser ähnelt einer Baumwollfaser, ist biologisch abbaubar und frei von Mikroplastik. Zudem soll ein erneutes Recycling der daraus hergestellten Kleidungsstücke möglich sein.
Da Recyclingrohstoffe nicht günstiger als Neu-Rohstoffe sind und Recycling noch nicht profitabel ist, ist es kein Wunder, dass große Unternehmen kleinere Fair-Fashion-Labels überholen, die hier schon seit Jahren im Kleinen Pionierarbeit leisten. Deshalb ist es wichtig, dass auch kleinere Unternehmen mit großer Expertise den Anschluss nicht verlieren und sich mit Innovations-Hubs zusammentun, in denen verschiedene Produktionsstätten zusammenarbeiten, um so das Investitionsrisiko zu senken.
Warum der Lösungsansatz nicht reicht
Gute Recyclingsysteme sind ein wichtiger Schritt hin zu einer ressourceneffizienten Modebranche. Das Grundproblem kann es jedoch nicht lösen. Denn die Massen an Kleidung, die aktuell produziert werden, können gar nicht in der Form und Schnelligkeit recycelt werden, sodass Recycling vollständig alte Materialströme ablösen würde. Hinzu kommt, dass günstig produzierte Kleidung aufgrund der schlechten Qualität gar nicht erst recycelfähig ist. Recycling hat also zum jetzigen Zeitpunkt immer einen Endpunkt und wenn Fast-Fashion-Unternehmen nicht hochwertiger und sortenrein produzieren, wird auch keine Sammelbox der Welt dabei helfen, den Teufelskreis der linearen Wirtschaft zu durchbrechen.
Titelbild: Braxton Apana via Unsplash
Dieser Artikel erschien erstmalig auf Englisch im Green Knowledge Magazin (Ausgabe: Januar 2022).