Als alternative Art des Wirtschaftens geht die Gemeinwohl-Ökonomie über die Profitmaximierung hinaus und legt den Fokus auf das gesellschaftliche Wohl. Unternehmen sollen so soziale und ökologische Verantwortung aktiv in ihre Geschäftsmodelle integrieren. Doch wie funktioniert dieses Konzept genau? Welche Rolle spielt die Gemeinwohl-Ökonomie in der Modebranche und worin unterscheidet sie sich von Unternehmenzertifikaten wie B Corp?
- Gemeinwohl-Ökonomie als Bewegung: Die Gemeinwohl-Ökonomie, die auf dem Buch von Christian Felber basiert, ist mehr als nur ein Standard. Sie stellt eine Bewegung dar, die Menschen unterschiedlichster Qualifikationen und Interessen anzieht und zusammenbringt. Dieser umfassende Ansatz, der nicht nur auf die bloße Zertifizierung von Produkten abzielt, hat das Potenzial, weitreichenden gesellschaftlichen und politischen Einfluss zu nehmen. In der Gemeinwohl-Bilanzierung werden 20 verschiedene Bereiche analysiert und bewertet, die von ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit, Arbeitsplatzqualität über faire Geschäftspraktiken bis hin zu Kund*innenbeziehungen, gesellschaftlichem Engagement, Transparenz und Mitbestimmung reichen. Diese Aspekte bilden gemeinsam ein detailliertes Bild des Beitrags eines Unternehmens zum Gemeinwohl und verdeutlichen die vielschichtigen Dimensionen, die in diesem Modell berücksichtigt werden.
- Transparenz: Die Gemeinwohl-Ökonomie bietet durch die vollständige Veröffentlichung ihrer Berichte, die externe Prüfung durch Dritte und die kritische Rolle der Auditor*innen ein hohes Maß an Transparenz und Glaubwürdigkeit. Diese Mechanismen erschweren das Betreiben von „Social Washing“, da sie eine genaue Überprüfung und Bestätigung der in den Berichten enthaltenen Informationen ermöglichen und dadurch sicherstellen, dass die dargestellten Nachhaltigkeitsbemühungen der Unternehmen authentisch und nachvollziehbar sind.
- Sich zertifizieren lassen: Unternehmen und Einzelunternehmer*innen sollten zunächst ihre Motivation klar definieren, da dies den gesamten Prozess leitet und bei der Planung hilft. Der Beitritt zu Gemeinwohl-Netzwerken und der Austausch mit ähnlich ausgerichteten Unternehmen können wertvolle Unterstützung bieten und helfen, erste Hürden zu überwinden. Die Gemeinwohl-Bilanzierung wird generell empfohlen, da sie Struktur für nachhaltige Geschäftspraktiken bietet, doch Unternehmen sollten auch den finanziellen und zeitlichen Aufwand des Prozesses in ihre Überlegungen einbeziehen.
- Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu B Corp: Die Gemeinwohl-Ökonomie und B Corp teilen grundlegende Werte und Ziele bezüglich Nachhaltigkeit und werteorientierter Geschäftsführung. Trotz dieser gemeinsamen Ausrichtung unterscheiden sich beide Systeme in ihrer Systematik und Bewertungsmethodik. Während B Corp besonders im angelsächsischen Raum verbreitet ist, ist die Gemeinwohl-Ökonomie eher in der DACH-Region stärker vertreten. Ein bedeutender Unterschied ist auch, dass B Corp eine Satzungsänderung erfordert, was ein formal rechtliches Engagement für soziale und ökologische Verantwortung darstellt und daher nicht für jedes Unternehmen passend sein mag.
In diesem Deep Dive zum Thema Gemeinwohl-Ökonomie gibt es Input von:
- Jörn Wiedemann, Referent und Berater beim Verein Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e. V.
- Simon Veith, Fotograf, der sich auf nachhaltige Fotografie spezialisiert hat und zudem eine Gemeinwohl-Bilanzierung besitzt
Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ist ein vielschichtiges Wirtschaftskonzept, das über die reine Profitmaximierung hinausgeht und sich stattdessen auf das Wohl der gesamten Gesellschaft fokussiert. Dieses Modell, das von Christian Felber als Alternative zum herkömmlichen Wirtschaftssystem initiiert wurde, betont die Bedeutung von Nachhaltigkeit, sozialer Verantwortung und ethischen Geschäftspraktiken. Felbers Buch „Die Gemeinwohl-Ökonomie“ (erstmals im Jahr 2010 veröffentlicht, mit aktualisierter Auflage aus dem Jahr 2018), dient als Grundlage und Inspiration für die GWÖ-Bewegung. Diese Bewegung strebt danach, die Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie in der realen Wirtschaftswelt zu implementieren und weiterzuverbreiten, um einen umfassenden Wandel in der Unternehmensführung anzustoßen.
Laut dem Verein Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e. V. stellt die sogenannte Gemeinwohl-Matrix ein Werkzeug dar, das unternehmerische Beiträge zum Gemeinwohl quantifizierbar macht und sich in Organisationen für deren Entwicklung einsetzen lässt. Sie besteht aus Spalten mit Kernwerten zur Förderung erfolgreicher Beziehungen und Zeilen, die die fünf Hauptkontaktgruppen einer Organisation abbilden.
Zu den Kernwerten gehören:
- Menschenwürde
- Solidarität und Gerechtigkeit
- Ökologische Nachhaltigkeit
- Transparenz und Mitentscheidung
Zu den Hauptkontaktgruppen gehören:
- Lieferanten
- Eigentümer*innen und Finanzparter*innen
- Mitarbeitende
- Kund*innen und andere Unternehmen
- Gesellschaftliches Umfeld
Für die Bewertung von Unternehmen im Rahmen der Gemeinwohl-Ökonomie wird ein differenziertes Punktesystem, bekannt als die Gemeinwohl-Bilanz, eingesetzt. Dieses System dient als Alternative zu herkömmlichen, wachstumsbasierten Bewertungsmodellen wie dem Bruttosozialprodukt. Mit diesem System können Unternehmen bis zu 1.000 Punkte für gemeinwohlfördernde Aktivitäten sammeln, während für schädliche Praktiken Punkte abgezogen werden. Die Bewertung erfolgt alle zwei Jahre durch eine externe Prüfung.
Die Beurteilung umfasst verschiedene Stakeholdergruppen – von Herstellern und Lieferanten über das Personal und die Kund*innen bis hin zur Unternehmensleitung, Finanzpartnern und der breiteren Gesellschaft. Berücksichtigt werden dabei Aspekte wie nachhaltige Produktionsverfahren, erschwingliche Preise und gerechte Bezahlung. In der GWÖ wird beispielsweise empfohlen, dass das höchste Gehalt in einem Unternehmen nur das Drei- bis Fünfzehnfache des niedrigsten Gehalts betragen sollte – ein deutlicher Gegensatz zu aktuellen Wirtschaftsstrukturen, bei denen die Lohnunterschiede wesentlich größer sein können.
Die Gemeinwohl-Ökonomie integriert neben ökonomischen auch politische und soziale Aspekte. Unternehmen werden angehalten, über ihren eigenen finanziellen Gewinn hinaus Verantwortung für die Umwelt, die Menschen und das soziale Miteinander zu übernehmen. Um dies zu fördern, sieht die GWÖ verschiedene Anreize für Unternehmen mit hoher Gemeinwohl-Bilanz vor, darunter steuerliche Vorteile, günstigere Kredite, spezielle Förderprogramme und bevorzugte Behandlung bei öffentlichen Ausschreibungen.
Gut zu wissen: In der Regel wird bei der Gemeinwohl-Ökonomie der Begriff „bilanziert” verwendet. Unternehmen, die den Prozess der Gemeinwohl-Bilanzierung durchlaufen haben und entsprechend den Kriterien der GWÖ bewertet wurden, werden als „gemeinwohl-bilanziert” bezeichnet. Dies reflektiert den Prozess der Bewertung und Dokumentation ihrer Geschäftspraktiken gemäß den Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie. Der Begriff „zertifiziert” wird manchmal auch verwendet, ist aber weniger gebräuchlich in diesem Kontext.
Wer kann sich bilanzieren lassen?
Um zu verstehen, wer von der Gemeinwohl-Bilanzierung profitieren kann, ist es wichtig, die Kriterien und den Geltungsbereich dieses Systems zu betrachten. Die Bilanzierung richtet sich an Unternehmen, Einzelunternehmer*innen und Organisationen verschiedenster Art und Größe, die sich aktiv für soziale und ökologische Verantwortung einsetzen möchten.
Jörn Wiedemann, Referent und Berater beim Verein Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e. V., gibt Unternehmen den Rat, sich intensiv mit ihrer Motivation für die Erstellung eines Gemeinwohl-Berichtes auseinanderzusetzen. „Sobald die Motivation klar ist, ist es vorteilhaft, ein Team aus Mitarbeitenden zusammenzustellen, um gemeinsam am Gemeinwohl-Bericht zu arbeiten. Hierbei haben wir festgestellt, dass dies eine positive Wirkung auf das Arbeitsklima und die Mitarbeiter*innenbindung hat”, erklärt Wiedemann. Weiterhin betont er, dass der erste Schritt für manche Unternehmen darin bestehen könnte, sich der Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland anzuschließen. Der Verein bietet zahlreiche Möglichkeiten zur Information und zum Austausch mit anderen Unternehmen, die ähnliche Ziele verfolgen.
Der Bilanzierungsprozess in der Gemeinwohl-Ökonomie erfolgt in mehreren Schritten:
- Selbstbewertung: Unternehmen führen zunächst eine Selbstbewertung durch, indem sie ihre Geschäftspraktiken anhand der Gemeinwohl-Matrix analysieren. Dies beinhaltet die Bewertung ihres Beitrags zu verschiedenen Aspekten wie Menschenwürde, Solidarität, ökologischer Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung.
- Gemeinwohl-Bericht erstellen: Bei der Erstellung eines Gemeinwohl-Berichts folgen Unternehmen festgelegten Richtlinien, die sich aus ihrer Selbstbewertung ergeben. Der Bericht muss umfassend und transparent sein und detailliert aufzeigen, wie das Unternehmen in Bezug auf die Kriterien der Gemeinwohl-Matrix abschneidet. Dies umfasst Bereiche wie ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Arbeitsplatzqualität. Unternehmen sind verpflichtet, sowohl ihre Erfolge als auch Herausforderungen klar darzulegen, um ein vollständiges Bild ihrer Auswirkungen und Bemühungen im Hinblick auf das Gemeinwohl zu vermitteln. Dadurch soll eine ehrliche und umfassende Darstellung ihrer Leistungen und Herausforderungen sichergestellt werden.
- Externe Auditierung: Der Gemeinwohl-Bericht wird von externen Auditor*innen überprüft, um sicherzustellen, dass die Angaben des Unternehmens korrekt und glaubwürdig sind.
- Bilanzierung: Nach erfolgreicher Prüfung und Bestätigung der im Bericht gemachten Angaben erhalten die Unternehmen die Gemeinwohl-Bilanzierung, für die es mehrere Anlaufstellen in der DACH-Region gibt. (Mehr Informationen dazu in den weiterführenden Links.)
- Regelmäßige Überprüfung: Die Bilanzierung ist zeitlich befristet und muss in regelmäßigen Abständen erneuert werden. Unternehmen werden ermutigt, kontinuierlich an der Verbesserung ihrer Praktiken zu arbeiten und sich erneut zu bewerten, um ihre Bilanzierung aufrechtzuerhalten.
So läuft die Bilanzierung in der Praxis ab
Im Rahmen der Gemeinwohl-Ökonomie ist das Outlet-Konzept Suslet, das sich auf den Verkauf nachhaltiger Mode spezialisiert, ein Beispiel für die praktische Umsetzung der GWÖ-Prinzipien. Suslet konzentriert sich besonders darauf, Überproduktionen und Restposten anzubieten. Ebenso hat sich Vaude, ein führender Hersteller in der Outdoor-Bekleidungsbranche, der Bewegung angeschlossen. Beide Unternehmen unterziehen sich regelmäßigen Bewertungen ihrer Geschäftspraktiken im Hinblick auf soziale und ökologische Kriterien, die durch die GWÖ-Bilanzierung dokumentiert und verifiziert werden. Diese Ansätze illustrieren, wie die Gemeinwohl-Ökonomie theoretische Konzepte in messbare und praktische Aktionen umwandelt, die traditionelle Unternehmensziele übertreffen und einen substantiellen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Vaude erreichte im Geschäftsjahr 2016-2017 beispielsweise eine Bilanzsumme von 631 Punkten auf einer Skala von (Minimum) -3.600 bis (Maximum) +1.000.
Die Bilanzierungen im Rahmen der Gemeinwohl-Ökonomie sind öffentlich einsehbar. Dies ist ein zentraler Bestandteil des Konzepts, der Transparenz und Nachvollziehbarkeit gewährleisten soll. So können Interessierte beispielsweise die Bilanz eines Unternehmens wie Vaude einsehen und verstehen, in welchen Bereichen Verbesserungen möglich oder notwendig sind. (Anm. d. Red.: Das Zertifikat von Vaude ist abgelaufen. Auf Anfrage wurde uns bestätigt, dass der Auditprozess aktuell läuft, um das Zertifikat wieder zu verlängern.)
Gut zu wissen: Unternehmen können auch mit negativen Punktwerten eine Bilanzierung erhalten. Die Gemeinwohl-Bilanz misst sowohl positive als auch negative Beiträge zu verschiedenen Aspekten wie sozialer Gerechtigkeit, Umweltschutz und unternehmensinterner Demokratie. Negative Punkte in bestimmten Bereichen zeigen auf, wo Verbesserungspotenzial besteht. Die Bilanzierung bedeutet nicht, dass ein Unternehmen in allen Bereichen perfekt ist, sondern dass es sich aktiv mit diesen Themen auseinandersetzt und an Verbesserungen arbeitet. Die Veröffentlichung der Bilanz erlaubt es, diese Entwicklung über die Zeit zu verfolgen und zu bewerten.
Auch Kleinstunternehmen und Selbstständige können den Weg der Gemeinwohl-Ökonomie beschreiten. So hat sich der Modefotograf Simon Veith im Jahr 2023 für die GWÖ-Bilanzierung entschieden, um seine Verpflichtung zu nachhaltiger Fotografie und sozialer Verantwortung zu unterstreichen. In seiner Arbeit nutzt Veith beispielsweise grünes Webhosting, bezieht Ökostrom und führt seine Finanzen über die GLS Bank. Bei der Ausrüstung bevorzugt er Regionalität und Gebrauchtware; unvermeidbare Emissionen werden kompensiert, indem er für jeden Auftrag 100 Bäume pflanzt.
„Die Bilanzierung ist eine Gelegenheit, mein Engagement für Nachhaltigkeit konkret umzusetzen und transparent darzustellen. Als jemand, der bereits seit 2016 als nachhaltiger Fotograf tätig ist, erschien mir die Bilanzierung als der nächste sinnvolle Schritt“, so Veith. Er wurde von der KölnBusiness Wirtschaftsförderung als Teil eines Pilotprojekts gefördert, was ihm sehr geholfen hätte. „Der Prozess wurde in einer Peergruppe durchgeführt. Wir waren fünf Selbstständige und kleine Unternehmen aus Köln, die in monatlichen Workshops von zwei erfahrenen Berater*innen unterstützt wurden.“ Die Bilanzierung umfasste eine Analyse seiner Arbeitsmethoden in 20 verschiedenen Bereichen. „Dieser Prozess ermöglichte mir, meine Ansätze zum Umweltschutz, zur sozialen Verantwortung und zur Transparenz zu überdenken und in einigen Bereichen weiter zu verfeinern.“
Die 20 verschiedenen Bereiche in der Gemeinwohl-Bilanzierung umfassen eine breite Palette von Aspekten wie ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Arbeitsplatzqualität, faire Geschäftspraktiken, Kund*innenbeziehungen, gesellschaftliches Engagement, Transparenz und Mitbestimmung, die zusammen ein umfassendes Bild des Beitrags eines Unternehmens zum Gemeinwohl ergeben.
Wenn es um die Gemeinwohl-Ökonomie geht, merke Veith oft, dass die meisten seiner Kund*innen bereits davon gehört haben und diese Art und Weise des Wirtschaftens schätzen. „Aber es kommt auch vor, dass ich die Gemeinwohl-Ökonomie und die Bilanzierung erklären muss. Wir haben also noch Aufklärungsarbeit vor uns, um es zur Norm zu machen. Die Bilanzierung hilft hoffentlich, meine Arbeit in der Branche langfristig noch stärker zu honorieren und neue Kund*innen anzuziehen.”
Er würde die GWÖ-Bilanzierung anderen Unternehmen, unabhängig von ihrer Größe, empfehlen. Sie biete eine klare Struktur, um soziale und ökologische Verantwortung zu übernehmen und nachhaltige Geschäftspraktiken zu fördern. „Das stärkt nicht nur das Unternehmensimage, sondern trägt auch dazu bei, eine bessere Welt zu schaffen”, sagt Veith. „Allerdings würde ich Unternehmen, die finanziell in Schwierigkeiten stecken, raten, die Option sorgfältig zu prüfen, da der Aufwand beträchtlich sein kann. Aber wenn es die Umstände erlauben, ist es definitiv ein Schritt in die richtige Richtung.”
Die Kosten für eine GWÖ-Bilanzierung können variieren und hängen von verschiedenen Faktoren ab, wie der Größe und Komplexität des Unternehmens, dem Umfang der benötigten Beratung und Auditierung sowie der Region, in der das Unternehmen ansässig ist. Im Allgemeinen setzt sich die Gebühr für eine GWÖ-Bilanzierung aus Beratungskosten, Kosten für die Erstellung des Berichts und den Gebühren für das Audit zusammen.
Für kleinere Unternehmen und Start-ups sind die Kosten in der Regel niedriger als für größere Konzerne, da der Aufwand für die Bilanzierung und das Audit bei kleineren Unternehmen geringer ist. Einige regionale GWÖ-Organisationen (mehr Informationen dazu in den weiterführenden Links) bieten zudem spezielle Konditionen oder Unterstützung für kleinere Unternehmen oder bestimmte Branchen an.
Es ist empfehlenswert, direkt bei der zuständigen GWÖ-Organisation in Ihrer Region oder bei akkreditierten GWÖ-Berater*innen eine genaue Kostenschätzung anzufragen, um ein klares Bild von den zu erwartenden Ausgaben zu erhalten.
Kann die Gemeinwohl-Ökonomie einen Systemwandel hervorrufen?
In einer Zeit, in der nachhaltige und ethische Geschäftsmodelle zunehmend Beachtung finden, stellt sich die Frage, ob dieses Konzept lediglich vereinzelt von Unternehmen angewendet wird oder ob es das Potenzial hat, die gesamte Wirtschaftslandschaft grundlegend zu verändern. „Die Gemeinwohl-Ökonomie geht weit über die Funktion einer Organisation für Zertifizierung oder Berichtsstandards hinaus, wie es beispielsweise der Deutsche Nachhaltigkeitskodex, die Global Reporting Initiative oder der Grüne Knopf tun“, erläutert Jörn Wiedemann von der Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland.
Sie sei vielmehr eine Bewegung, die Menschen mit verschiedensten Qualifikationen und Interessen zusammenbringt. „Unser Ansatz, wirtschaftliche Aktivitäten auf Basis von Werten und nachhaltiger Orientierung zu gestalten, statt reiner Gewinnmaximierung, zielt nicht nur darauf ab, Nachhaltigkeitsprinzipien in Unternehmen zu integrieren. Unser Ziel ist es auch, gesellschaftliche Diskussionen zu fördern und politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Ich bin davon überzeugt, dass ein tiefgreifender Wandel in der Wirtschaftswelt beginnen wird, sobald Nachhaltigkeitsberichte weit verbreitet und etabliert sind. Konsumierende werden dann die deutlichen Unterschiede in der Qualität solcher Berichte erkennen“, fährt er fort. Ein umfassender Wandel erfordere allerdings noch Zeit. Es müssen sich sowohl gesellschaftliche Dynamiken als auch der politische Wille in eine neue Richtung entwickeln. „Derzeit setzen viele Akteure noch darauf, dass ein ‚Weiter wie bisher‘, ergänzt durch ein wenig Nachhaltigkeit, ausreichend ist.“
Weltweit sind derzeit über 1.100 Unternehmen Gemeinwohl-bilanziert. In Deutschland befindet sich mit 781 bilanzierten Unternehmen der Großteil dieser Bewegung. In Österreich sind 257 Unternehmen und in der Schweiz 30 Unternehmen bilanziert.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit B Corp
Ein Vergleich der GWÖ mit B Corp, einem weiteren Modell für verantwortungsbewusstes Wirtschaften, bietet interessante Einblicke. Jörn Wiedemann erklärt: „Sowohl die Gemeinwohl-Ökonomie als auch B Corp verfolgen ähnliche Werte und Ziele. Wenn es darum geht, eine Nachhaltigkeitsstrategie auf Wertebasis zu entwickeln, empfehle ich unseren Kund*innen stets diese beiden Systeme als optimale Lösungen.” Er fügt hinzu, dass Unterschiede hauptsächlich in der Methodik und der Bewertung spezifischer Aspekte liegen. B Corp sei besonders im englischsprachigen Raum verbreitet und genießt dort eine größere Bekanntheit als die GWÖ. Ein markanter Unterschied zwischen den beiden sei auch, dass die B-Corp-Zertifizierung eine Änderung der Unternehmenssatzung erfordert, was das Engagement für soziale und ökologische Verantwortlichkeit auf einer formellen Ebene verstärkt.
Bislang haben sich weltweit über 7.600 Unternehmen in 92 Ländern und 161 Industrien das B-Corp-Zertifikat erarbeitet. In Deutschland sind derzeit mehr als 50 Unternehmen als B Corps zertifiziert, darunter auch Modeunternehmen wie Sympatex (Hersteller der umweltfreundlichen, wasserdichten und winddichten Sympatex–Membran her) und die Schuhmarke Wildling.
Social-Washing, adé?
In der Diskussion um die Glaubwürdigkeit und Authentizität der Gemeinwohl-Ökonomie stellt sich die Frage, ob dieses System anfällig für Greenwashing oder Social Washing ist oder als robust und widerstandsfähig gegen solche Praktiken gilt. Jörn Wiedemann gibt dazu eine klare Einschätzung: „Die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering. Ein wichtiger Grund dafür ist die Pflicht zur vollständigen Veröffentlichung der Gemeinwohl-Berichte. Diese Transparenz ermöglicht es allen Interessierten, die Angaben der Unternehmen zu überprüfen und sie sowohl mit der Realität als auch mit Berichten anderer Unternehmen derselben Branche zu vergleichen. Zudem werden alle unsere Gemeinwohl-Berichte von unabhängigen Dritten geprüft. Als Auditor für Gemeinwohl-Bilanzen erlebe ich selbst, wie im Auditprozess etwaige Unstimmigkeiten oder Beschönigungen aufgedeckt werden. Dies wird auch dadurch unterstützt, dass wir nicht nur Fragen stellen, sondern diese stets durch konkrete, glaubwürdig zu belegende Indikatoren untermauern.”
Obwohl die GWÖ und B Corp jeweils ihre eigenen Stärken aufweisen, ist es für eine umfassende Analyse wichtig, die Wirksamkeit und Integrität dieser Modelle kritisch zu hinterfragen. Bei B Corp, wo Unternehmen wie Nespresso trotz ihrer Zugehörigkeit zu größeren Konzernen wie Nestlé zertifiziert werden können, werden Bedenken hinsichtlich der Tiefe und Authentizität der Bewertungskriterien laut. Der Fall Nespresso, der 84,3 Punkte erreichte und damit die Schwelle für die B-Corp-Zertifizierung überschritt (man kann bis zu 200 Punkte erreichen, ab 80 Punkten wird man zertifiziert), wirft beispielsweise Fragen über die tatsächliche Umsetzung von Nachhaltigkeitspraktiken auf. Nespresso wird vor allem für seine Aluminium-Einwegkaffeekapseln kritisiert, die zwar als scheinbar recycelbar gelten, dennoch aber zum größten Teil auf Mülldeponien landen.
Nestlé steht regelmäßig in der Kritik für seine Wasserprivatisierung, insbesondere beim Abpumpen von Grundwasser, was lokale Ökosysteme und Gemeinschaften beeinträchtigt. Der Konzern ist auch wegen der Umweltauswirkungen seiner Produktion, wie etwa hoher CO2-Emissionen und Plastikabfall, umstritten. Zusätzlich gibt es Bedenken hinsichtlich der Arbeitsbedingungen in Nestlés Fabriken und Plantagen sowie der Verwendung von Palmöl, das mit Entwaldung und negativen Auswirkungen auf die Artenvielfalt in Verbindung gebracht wird. Es ist wichtig, zu betrachten, inwieweit die Zertifizierungen die realen Praktiken des gesamten Konzerns widerspiegeln und nicht nur die isolierten Bemühungen einer Tochtergesellschaft.
Die Gemeinwohl-Ökonomie hingegen bietet eine breitere Bewertungsspanne und die Möglichkeit von Minuspunktzahlen, was eine differenziertere Betrachtung der Unternehmenspraktiken ermöglicht. Bisher sind im Kontext der GWÖ keine Skandale oder öffentlichkeitswirksame Fälle von Greenwashing oder Social Washing bekannt geworden, was auf die Effektivität ihrer strengen Bewertungsmethodik hindeuten könnte. Dennoch ist es entscheidend, die Effektivität der unabhängigen Überprüfungen weiterhin kritisch zu beleuchten. Es ist notwendig, sowohl die Berichte als auch die zugrunde liegenden Prozesse genau zu untersuchen, um zu verstehen, wie die Bewertungen zustande kommen und ob sie eine ganzheitliche Betrachtung der Unternehmenspraktiken ermöglichen.
Zukunftsweisend und verantwortungsvoll
Die Gemeinwohl-Ökonomie stellt einen wirkungsvollen Ansatz dar, um mehr Unternehmensverantwortung zu fördern. Mit ihrer umfassenden Bewertungsmatrix, die sowohl positive als auch negative Beiträge zu sozialen und ökologischen Aspekten berücksichtigt, ermöglicht die GWÖ eine durchaus tiefgehende und differenzierte Betrachtung von Unternehmenspraktiken. Besonders bemerkenswert ist, dass im Rahmen der GWÖ bisher keine größeren Skandale aufgetreten sind, was die Effektivität ihres Bewertungssystems im Hinblick auf die Verhinderung von Greenwashing und Social Washing unterstreichen könnte.
Darüber hinaus gewinnt das Konzept zunehmend an Popularität, auch über die Grenzen der deutschsprachigen Länder hinaus. In Ländern wie Frankreich, wo es als „Économie du Bien Commun” bekannt ist, findet die Bewegung immer mehr Anklang. Dies deutet darauf hin, dass ein wachsendes Bewusstsein für die Bedeutung von sozialer und ökologischer Verantwortung in der Wirtschaft besteht und dass die GWÖ als ein effektives Modell zur Förderung dieses Wandels angesehen wird.
Weiterführende Links
Für ein vertieftes Verständnis der Gemeinwohl-Ökonomie empfehlen wir als weiterführende Lektüre das Buch „Die Gemeinwohl-Ökonomie“ von Christian Felber. Dieses Werk, erstmals im Jahr 2010 veröffentlicht und 2018 aktualisiert, dient als grundlegende Inspiration und theoretische Basis für die Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie.
Die gemeinnützige Stiftung Gemeinwohl-Ökonomie NRW hat einen Leitfaden für Unternehmen veröffentlicht. Der Verein Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e. V stellt Good Practices zur Verfügung. Und hier findet ihr das Arbeitsbuch zur Gemeinwohl-Bilanz.
Für die Bilanzierung nach der Gemeinwohl-Ökonomie gibt es in der DACH-Region mehrere Anlaufstellen. Zu diesen gehören sowohl regionale Büros des Gemeinwohl-Ökonomie-Vereins als auch unabhängige Berater*innen und Auditor*innen, die speziell für die GWÖ-Bilanzierung ausgebildet und akkreditiert sind. Hier sind einige Beispiele:
- GWÖ-Regionalgruppen in Deutschland: Verschiedene Städte und Regionen in Deutschland haben eigene GWÖ-Gruppen, die Unternehmen bei der Bilanzierung unterstützen.
- GWÖ Österreich: In Österreich gibt es mehrere regionale Anlaufstellen, die Teil des österreichischen Netzwerks der Gemeinwohl-Ökonomie sind.
- GWÖ Schweiz: Auch in der Schweiz gibt es regionale Vertretungen der GWÖ, die Unternehmen im Bilanzierungsprozess beraten.
- Unabhängige Beratungsunternehmen: Es gibt spezialisierte Beratungsunternehmen, die sich auf die Gemeinwohl-Bilanzierung fokussieren.
- Akkreditierte Auditor*innen: Einzelne Auditor*innen, die speziell für die Durchführung von GWÖ-Audits ausgebildet und akkreditiert sind, bieten ihre Dienstleistungen in der DACH-Region an.