Immer wieder begegnen wir folgenden Aussagen, sei es auf Social Media oder gar in Zeitungsartikeln. Doch was stimmt davon wirklich?
1. Wenn wir aufhören, Fast Fashion zu kaufen, werden Arbeitsplätze im Globalen Süden wegfallen.
Wenn wir alle gleichzeitig aufhören würden, Fast Fashion zu kaufen, könnte es in den Produktionsländern tatsächlich zu einer wirtschaftlichen Katastrophe kommen, aber dieses Szenario ist unrealistisch. Es braucht sehr viel Zeit und Geduld, um das Verhalten der Industrie und der Menschen zu verändern.
Bei diesem Mythos geht es vor allem darum, die Qualität der Jobs zu hinterfragen. Welche Art von Arbeitsplätzen würden denn wegfallen? Oftmals werden Textilarbeiter*innen im Globalen Süden schlecht bezahlt und erhalten nur selten einen existenzsichernden Lohn. Die Rana-Plaza-Katastrophe zeigte 2013, wie schlecht es um die Arbeitskonditionen steht. Bei dem Unfall kamen mehr als 1.100 Menschen ums Leben, hunderte weitere wurden verletzt. Während den Lockdown-Monaten wurden Tausende Beschäftigte fristlos entlassen, andere mussten trotz Krankheit und ohne Hygienemaßnahmen weiterarbeiten. Auch heute noch schulden (Ultra-) Fast-Fashion-Brands Textilarbeiter*innen Beträge in Millionenhöhe. Warum sollten wir ein solches System akzeptieren, statt versuchen, es zu ändern?
Es geht nicht darum, Jobs im Globalen Süden abzuziehen und alle Fabriken zu schließen. Es geht vielmehr darum, dass die Menschen unter besseren Bedingungen arbeiten können. Deshalb müssen Unternehmen die entsprechende Verantwortung übernehmen und zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie diese Voraussetzungen nicht bieten können. Arbeitsplätze im Globalen Süden sind wichtig und essenziell, damit Wertschöpfung vor Ort entstehen kann. Ausbeutung schafft dies allerdings nicht, sondern hinterlässt die Menschen weiterhin in Armut.
2. Fast Fashion zu kaufen ist okay, denn ich kann meine Kleidung später spenden.
Manche Leute benutzen diese Ausrede, um ihren Konsum zu rechtfertigen. Ich kann problemlos weitershoppen, denn die Kleidung, die mir nicht mehr gefällt, spende ich einfach? Es ist leider nicht ganz so einfach. Nur etwa zehn Prozent der gespendeten Kleidung wird an Bedürftige weitergegeben oder in Secondhandläden weiterverkauft. Fast die Hälfte der Secondhandkleidung, die wir in Deutschland aussortieren, wird ins Ausland exportiert – oftmals in den Globalen Süden. Letzteres ist besonders problematisch, da die Flut an Secondhandkleidung lokale Märkte und Handwerkskunst zerstört und so zahlreiche Arbeitsplätze gefährdet.
Chile gilt beispielsweise als Zentrum für gebrauchte und unverkaufte Kleidung, die in China oder Bangladesch hergestellt und durch Europa, Asien oder die Vereinigten Staaten transportiert wird, bevor sie in Chile ankommt, wo sie dann in ganz Lateinamerika weiterverkauft wird. Etwa 59.000 Tonnen Kleidung kommen jedes Jahr im Hafen von Iquique in der Freizone Alto Hospicio im Norden Chiles an. Kleiderhändler aus der 1.800 Kilometer südlich gelegenen Hauptstadt Santiago kaufen einen Teil davon, während vieles in andere lateinamerikanische Länder geschmuggelt wird. Aber: Knapp 39.000 Tonnen Kleidung, die nicht verkauft werden können, landen auf Müllhalden in der Wüste.
3. Um nachhaltiger zu sein, sollten wir unsere Fast-Fashion-Garderobe schnell loswerden.
Bitte nicht! Denn die nachhaltigste Kleidung ist die, die wir bereits besitzen. Es wäre also kontraproduktiv, Kleidung, die wir mögen und regelmäßig tragen, wegzugeben, zu verkaufen oder gar zu entsorgen – auch wenn es Fast Fashion ist. Denn je länger wir Kleidung tragen, desto weniger CO₂ verbrauchen wir. Schätzungen zufolge reduzieren sich die CO₂-Emissionen um rund 24 Prozent, wenn wir die Lebensdauer unseres Kleidungsstückes von einem Jahr auf zwei Jahre verlängern. Trage deine Fast-Fashion-Kleidung also ruhigen Gewissens weiter, und reduziere so Textilabfall.
Das Wichtigste dabei ist: auf Mikroplastik zu achten! Mikroplastik befindet sich mittlerweile quasi überall – in unseren Meeren, an Land, in der Luft, in unseren Körpern. Es kann direkt in die Umwelt gelangen oder beim Abbau größerer Plastikteile entstehen. Auch das Tragen und Waschen von Textilien aus synthetischen (Kunststoff-) Fasern trägt dazu bei, dass es in der Umwelt landet. In diesem Artikel erklären wir euch, wie ihr Mikroplastik beim Waschen filtert (z. B. durch den GuppyFriend Waschbeutel).
4. Die Modebranche ist die zweitschmutzigste Industrie der Welt.
Ein Mythos, der seit Jahren herumschwirrt und immer wieder aufkommt, aber immer weniger. Doch stimmt es wirklich, dass die Modeindustrie die zweitschmutzigste Industrie der Welt ist?
In der Textil- und Bekleidungsindustrie spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle: Polyester wird beispielsweise aus Erdöl hergestellt, Naturmaterialien werden auf Feldern in der ganzen Welt angepflanzt. Hinzu kommen die unzähligen Fabriken, Einkaufshäuser und Lagerstätten, die mit Elektrizität versorgt werden müssen. Auch der Transport ist wichtig: Unsere Kleidung legt tausende Kilometer zurück, bevor sie in unserem Kleiderschrank landet. In der Modebranche kommen also viele verschiedene Industrien zusammen, weshalb es nicht immer einfach ist, einzuordnen, wie groß die CO₂-Emissionen tatsächlich sind. Unsere Autorin Phoebe hat in diesem Artikel einige Studien zusammengefasst, die unterschiedliche CO₂-Emissionen auflisten und so zwischen 3 und 10 Prozent variieren.
Auch ist nicht immer ganz klar, wie die jeweiligen Studien den Begriff „schmutzig“ definieren. Was genau meinen wir, wenn wir sagen, die Modebranche sei die zweitschmutzigste Industrie der Welt, beziehungsweise die zweitschmutzigste Industrie nach der Ölindustrie? Wird hier die Belastung der Umwelt mit Schadstoffen gemeint? Oder eher die Tatsache, dass die Industrie irreversibel Ressourcen verbraucht? Vielleicht sogar beides?
Wenn es beispielsweise um den Verbrauch und die Verschmutzung von Wasser geht, liegt die Modebranche weit vorn. Die Textil- und Bekleidungsindustrie ist für etwa 20 Prozent des weltweiten, industriellen Wasserverbrauchs verantwortlich. Außerdem ist die Produktion unglaublich giftig – von der Verarbeitung der Fasern über das Färben bis hin zum Gerben des Leders. Laut einem Bericht aus dem Jahr 2012 werden schätzungsweise 20 Prozent des weltweiten Abwassers durch Färbe- und Veredelungsprozesse in der Modebranche verursacht. Auf welchem Platz sie damit jedoch liegt, ist unklar.
Zum Vergleich: Auf die Landwirtschaft zum Beispiel entfallen weltweit etwa 70 Prozent der Wasserentnahmen. Auch Wasserverschmutzung spielt hier eine wichtige Rolle. Die landwirtschaftlichen Betriebe leiten große Mengen an Agrochemikalien, organischen Stoffen, Arzneimittelrückständen, Sedimenten und Salzwasser in die Gewässer ab. In der Europäischen Union sind 38 Prozent der Gewässer von landwirtschaftlicher Verschmutzung betroffen. In den Vereinigten Staaten ist Landwirtschaft die Hauptursache der Verschmutzung von Flüssen und Bächen.
Wenn es um CO₂-Emissionen geht, so scheint die Textil- und Bekleidungsindustrie einer Studie aus dem Jahr 2021 zufolge auf Platz drei zu stehen: Sie beteiligt sich mit etwa fünf Prozent an den globalen CO₂-Emissionen. Den dritten Platz teilt sich die Branche mit der Kategorie „Schnelllebige Konsumgüter“, die beispielsweise Kosmetika und Zahnbürsten beinhaltet. Größere CO₂-Emittenten sind nur die Branchen „Konstruktion“ und Lebensmittel, die sich mit jeweils zehn und 25 Prozent an globalen CO₂-Emissionen beteiligen. In der Studie wird auch erklärt, dass ein Großteil der CO₂-Emissionen in der Modebranche aus der Verwendung von zwei Ressourcen stammt: Steinkohle zur Energiegewinnung und Erdöl zur Produktion von Polyester.
Wir sehen, dass es nicht so einfach ist, einzelne Industrien zu kategorisieren. Denn je nach Kriterien werden sie unterschiedlich eingestuft. So kann es manchmal vorkommen, dass das Bild verfälscht wird. Die Textil- und Modeindustrie ist eine der weltweit schmutzigsten Industrien, doch nicht unbedingt die zweitschmutzigste.
Titelbild: Masha Kotliarenko via Unsplash