Bei einer Umfrage des Londoner Nachrichtendienstes Retail Week wurden 1.000 britische Verbraucher*innen danach befragt, was Nachhaltigkeit für sie bedeutet und welche Einzelhändler ihrer Meinung am nachhaltigsten agieren. Das Ergebnis: H&M, Nike, Primark und Amazon. Verkehrte Welt. Wie kann dieser Eindruck entstehen, wo doch eigentlich eben jene Unternehmen als große Umweltschänder gelten?
Die Verkündung des Ergebnisses brachte die Emotionen in den sozialen Medien zum Kochen: Verblüffung, Wut, Hoffnungslosigkeit. Manch eine*r behauptete sogar, die Studie sei manipuliert und von H&M und Co. bezahlt worden. Andere wagten zu fragen: Sind die wahren Gewinner der Nachhaltigkeitsbewegung etwa nicht die Fair Fashion Brands, sondern die Fast Fashion Labels?
Nachhaltigkeitskommunikation: Alles eine Frage der Investition?
Nachhaltigkeitskommunikation gewinnt bei Fast Fashion Brands immer mehr an Bedeutung: sei es Asos, Primark oder C&A. Sie alle teilen in den sozialen Medien oder auf eigenen Blogs Alltagstipps für ein nachhaltigeres Leben; erklären, wie mensch Kleidung richtig pflegt und werben mit recycelten Tüten. Und auch Recommerce oder das Reparieren und Tauschen von Kleidung, wird auf einmal von den großen Modeketten gefördert.
Nachhaltigkeit ist zum Aushängeschild geworden – bei nahezu jedem Fast-Fashion-Unternehmen. Ende 2020 kündigte Asos eine „Circular Collection“ an – also eine Bekleidungslinie, die angeblich weniger Abfall erzeugt und einfacher zu recyceln ist. Und das war noch nicht alles: Gemeinsam mit dem Center for Sustainable Fashion (CSF) in London möchte Asos ein eigenes Bildungsprogramm zum Thema zirkuläre Designprinzipien entwickeln.
Auch Zalando wirbt mit einer großen Auswahl an nachhaltigen Marken und zertifizierten Produkten – das Shoppen wird sogar durch einen Nachhaltigkeitsfilter erleichtert. Zudem verleiht der Konzern jährlich einen Nachhaltigkeitspreis, um Designer*innen mit einer starken Nachhaltigkeitsagenda zu feiern und zu belohnen.
Kommen wir zu Primark, dem Umweltschänder schlechthin. Aber tatsächlich hat die weltweite Kette im letzten Jahr „Primark Cares“ gelauncht, eine Kampagne mit Influencer*innen zur Unterstützung der Textilbeschäftigten und zum Schutz der Umwelt. Bei der diesjährigen Londoner Repair Week im März, die das Reparieren von Gegenständen als Möglichkeit zur Verlängerung ihrer Lebensdauer fördert, war Primark sogar einer der Hauptsponsoren. Auf seiner Webseite erklärt das Label, warum es (angeblich) kein Greenwashing betreibt und wie es möglich ist, „nachhaltige” Mode so günstig anzubieten. (Und ja, die Anführungszeichen müssen hier sein, aber dazu später mehr.)
Boohoo versucht ebenfalls, sich als ethisch bewusste Marke darzustellen. Auf Social Media klärt es zum Thema Kleiderpflege auf und teilt sogenannte „Upcycle Hacks” – also Tipps und Tricks, wie wir Kleidung, die uns eigentlich nicht mehr gefällt oder passt, anders tragen können. Um seine neue Öko-Linie „Ready for the Future“ zu promoten, werden Follower*innen dazu motiviert, sich einen Wecker zu stellen, um kürzer zu duschen und öfter zu Fuß zu gehen, statt mit dem Auto zu fahren.
Vor einigen Tagen dann der Supergau: Reality-TV-Star Kourtney Kardashian wird zur Nachhaltigkeitsbotschafterin vom Ultra-Fast-Fashion-Händler Boohoo. Eine gemeinsame Kollektion ist auch schon geplant. Kourtney sei besorgt gewesen, über die negativen Auswirkungen der Fast-Fashion-Industrie und Boohoo erklärte sich bereit, nachhaltigere Praktiken umzusetzen. Das Online-Medium WWD hat berichtet, dass Kourtneys Kollektion exklusiv auf der Webseite von Boohoo erhältlich sein wird und aus 41 Styles besteht – alle aus recyceltem Polyester und recycelter Baumwolle. Die Preise würden zwischen 6 und 100 US-Dollar liegen.
Offensiv und aggressiv: Was macht die Fast-Fashion-Kommunikation anders?
Fast Fashion-Unternehmen versuchen mit allen Mitteln, mit der Nachhaltigkeitsbewegung mitzuhalten. Doch kaum eine andere Marke verkauft „bewussten Konsum” besser als der schwedische Fast-Fashion-Konzern H&M. Schon seit Jahren wird hier massiv in die Nachhaltigkeitskommunikation investiert. 2013 wurde unter anderem die H&M Foundation gegründet – eine globale Non-Profit-Organisation, deren Mission es ist, eine positive und nachhaltige Veränderung in der Modebranche voranzutreiben.
H&Ms Nachhaltigkeitsvision und -strategie beinhaltet den Wandel hin zu zirkulärer und klimafreundlicher Mode sowie die Förderung von Fairness und Gleichberechtigung innerhalb des Unternehmens. Und die Liste geht noch weiter: Das Label gilt als einer der größten Abnehmer von Bio-Baumwolle und größten Nutzer von recycelter Baumwolle weltweit, entwirft „Conscious Collections” und PETA-zertifizierte vegane Kleidung, sammelt alte Kleidung und investiert Millionen in Recyclingtechnologien wie Worn Again, TreeToTextile und Renewcell.
„Für die H&M Group ist Nachhaltigkeit ein integraler Bestandteil unserer Geschäftstätigkeit”, erklärte Adam Karlsson, CFO der H&M Group, in einer Pressemitteilung im Februar 2021. Zur H&M Group gehören die Brands H&M, COS, Weekday, Monki, Arket, &otherstories und H&M Home. Somit genießt das Unternehmen eine enorme Macht am Markt.
H&M war eines der ersten Fast-Fashion-Labels, das Nachhaltigkeitskommunikation ernst genommen hat – Sustainability ist mittlerweile fester Bestandteil seines Brandings. Auf seiner Webseite heißt es sogar, dass „Nachhaltigkeit tief in der DNA verwurzelt” sei und H&M die Chance bietet „eine nachhaltigere Modezukunft zu gestalten”. Wem es diese Chance bieten will, sei mal dahin gestellt. Viel wichtiger ist die Frage: Können Fast-Fashion-Unternehmen wirklich nachhaltig sein? Schauen wir mal ins Kleingedruckte.
Nachhaltig ja, aber…?
Kleiderpflege- und Nachhaltigkeitstipps für den Alltag, Sponsoring von Nachhaltigkeitsinitiativen und Investments in Recyclingunternehmen – alles schön und gut (und wichtig), aber das reicht nicht aus. Vor allem nicht, wenn das ursprüngliche Geschäftsmodell nicht drastisch verändert wird.
Boohoos „Ready for the Future“-Sortiment umfasst knapp 500 Produkte aus recyceltem Polyester. Das Onlinemagazin Vice fand im Rahmen seiner Recherche jedoch heraus, dass Boohoo pro Woche um die 770 neuen Produkte im Onlineshop launcht – das sind 116 neue Produkte pro Tag. Die „Ready for the Future“-Kollektion und die begleitenden Kleiderpflegetipps sind also nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Genauso wie die vermeintlich nachhaltige Kollektion mit Kourtney Kardashian.
Nicht zu vergessen, dass das Unternehmen immer wieder heftige Gegenreaktionen erlebt, weil es Arbeits- und Menschenrechte verletzt und seinen Beschäftigten nicht einmal den Mindestlohn zahlt.
Primark wirbt damit, nur noch Papiertüten anzubieten, ist Mitglied der Ethical Trading Initiative und hat damit begonnen, seine Klimaauswirkungen zu untersuchen, indem es die Treibhausgasemissionen von seinen eigenen Betrieben und von Teilen seiner Lieferkette misst und darüber berichtet. Doch am Ende steht sein Businessmodell diesen Nachhaltigkeitsclaims im Weg. Letztlich basiert Primark nach wie vor darauf, riesige Mengen an kurzlebigen, qualitativ schlechten Fast-Fashion-Produkten herzustellen und den Konsum bis in die Unendlichkeit anzukurbeln.
Im Fashion Transparency Index erhielt Primark eine Punktzahl von 31 (von 40). Damit offenbart es unzureichende Richtlinien und Schutzmaßnahmen, um Lieferanten und Arbeitnehmer*innen in seiner Lieferkette zu schützen – und das während der Pandemie. Über vieles andere wird geschwiegen. Das Unternehmen hat nur minimale Initiativen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen veröffentlicht, die über die Energieeffizienz in Geschäften hinausgehen und sich auch kein Reduzierungsziel gesetzt.
Bei Asos sieht es nicht besser aus. Zwar verwendet man dort einige umweltfreundliche Materialien, es gibt aber keine Beweise dafür, dass bei der Herstellung Textilabfälle minimiert oder Initiativen zur Wasserreduzierung umgesetzt werden.
Die Konsequenzen: Abmahnung von H&M
Wir sehen also: Communication is key, wenn man ein bestimmtes Image erzeugen möchte. Am Ende zählen aber die realen Taten und Fakten. Bei H&M schaltete sich 2019 die norwegische Verbraucher*innenbehörde ein, um die „Conscious-Kollektion” anzufechten. Ihr Vorwurf: Das Unternehmen könne „nicht klar oder spezifisch genug“ darstellen, dass die Kollektion „nachhaltiger“ sei als andere Produkte, die es verkauft.
Untersuchungen wie diese fallen unter das Marketing Control Act in Norwegen: Marketing darf keine „falschen oder anderweitig irreführenden Darstellungen enthalten”, die die Nachfrage nach oder das Angebot von Waren beeinflussen würden. Wenn Marken ihre Kund*innen in irgendeiner Weise irreführen, ist dies nach geltendem norwegischem Recht illegal.
„Wir möchten betonen, dass wir die Behauptungen von H&M für irreführend halten – nicht für falsch“, erklärt Elisabeth Lier Haugseth, Generaldirektorin der Verbraucher*innenzentrale. „Nach dem norwegischen Marketinggesetz müssen Angaben zu den Haupteigenschaften eines Produkts für den Verbraucher leicht zugänglich und verständlich sein. Die Behauptung, ein Produkt sei ,nachhaltig`, wenn nicht sofort klar ist, was genau an dem Produkt ,nachhaltig` ist, ist meistens irreführend.“ Die Verbraucher*innenzentrale weist außerdem darauf hin, dass die CA in Norwegen befugt ist, Sanktionen gegen Marken zu verhängen, die trotz Warnung weiterhin gegen das Marketing Control Act verstoßen.
Changing Markets fand unterdessen heraus, dass die Conscious Collection von H&M einen höheren Anteil an fossilen Kunststoffen aufweist als die nicht als nachhaltig ausgewiesene Hauptkollektion. Im Verhältnis: Die vermeintlich nachhaltige Kollektion besteht aus bis zu 72 Prozent Polyester, die konventionelle Kollektion „nur” bis zu 65 Prozent.
Unterdessen hat Asos die Kategorie „Nachhaltig“ von seiner Website entfernt, und das inmitten von Greenwashing-Untersuchungen, die von der Competition and Markets Authority (CMA) im UK eingeleitet wurden. Auch Boohoo wird aktuell von der CMA untersucht.
Wie kommt H&M also auf die Idee, zwischen beiden Kollektionen zu unterscheiden? Die „bewusst-nachhaltige” Kollektion besteht zu 50 Prozent aus recyceltem Polyester oder bis zu 20 Prozent aus Bio-Baumwolle. Hier werden also sehr unterschiedliche Materialien in die gleiche Kategorie mit dem Label „Nachhaltigkeit” gesteckt, obwohl es enorme Unterschiede gibt.
Es wird nicht erklärt, wie und wo recycelt wird oder warum viele der Kleidungsstücke aus Mischfasern bestehen, die ja eigentlich als schwer (und manchmal unmöglich) recycelbar gelten. Zudem wird nicht kommuniziert, wie der CO2-Fußabdruck dieser Produkte im Vergleich zu anderen konventionellen Produkten steht. Vor allem aber: Es fehlt die eigentliche Definition des Begriffs „nachhaltig“. Von Transparenz kann nicht die Rede sein.
Eine Frage der Interpretation
Bei Zara sieht es leider ganz ähnlich aus. Auch dort veröffentlichte man 2019 neue Nachhaltigkeitsziele, hielt diese aber bewusst vage. Es heißt, dass Inditex, die Muttergesellschaft von Zara, bis 2025 nur Baumwolle, Leinen und Polyester verwenden will, die „biologisch, nachhaltiger oder recycelt“ ist. Doch – wie bei den anderen Fast-Fashion-Marken – wird nicht weiter erklärt, was diese Begriffe in dem Zusammenhang bedeuten. Es gibt weder eine Definition noch einen Industriestandard von oder für Nachhaltigkeit und genau das wird in vollen Zügen ausgenutzt.
Eindeutige Daten sind Mangelware
Lange galt die Textil- und Bekleidungsindustrie (nach der Erdölindustrie) als zweitschmutzigste Branche der Welt – bis sich diese Tatsache als Fake News herausstellte. Die Branche ist sehr wohl sehr schmutzig, doch es ist nicht einfach einzelne Industrien so pauschal zu kategorisieren. Hierbei gilt es viele verschiedene Faktoren zu beachten wie beispielsweise Wasserverschmutzung und CO2-Emissionen. Je nach Studie kommt es hier zu verschiedenen Resultaten.
Was uns zu einem verbreiteten Problem bringt: Die Diskussionen über die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Mode ist durchsetzt mit vagen Behauptungen und nicht nachvollziehbaren Statistiken. Der Mangel an aussagekräftigen Daten ist ein enormes Hindernis bei der Bestimmung der Klimabilanz der Modebranche und dem Bestreben, die Bedingungen für Millionen von Textilarbeiter*innen zu verbessern. Undurchsichtige Arbeitspraktiken und verwässerte Definitionen von Nachhaltigkeit bieten Unternehmen einen Deckmantel für Greenwashing und hochkarätiges Marketing, das nicht von echten Bemühungen zur Verbesserung begleitet wird.
Die Studie „Great Green Washing Machine Part 1” von EcoAge erklärt, dass einige der Nachhaltigkeitsbehauptungen der untersuchten Modelabels selektiv genutzt werden und keiner wissenschaftlich fundierten t oder unabhängigen Aufsicht unterliegen. Die Autor*innen Veronica Bates Kassatly und Dorothee Baumann-Pauly kritisieren, dass Nachhaltigkeit oft mit Umweltauswirkungen verwechselt wird – wobei auch diese nicht genau berechnet werden.
Die Wissenschaftlerin meinen zudem, das Konzept der Nachhaltigkeit sei zu einem „elitären Konzept“ geworden, das von den Interessen des Globalen Nordens geprägt ist. Interessen des Globalen Südens sind kaum vertreten – und das, obwohl es sich um die weltweit vom Klimawandel am stärksten gefährdeten Gesellschaften handelt.
Nachhaltigkeit muss holistisch gedacht werden
Wir alle wissen: Sustainability sells, auch in dieser unehrlichen Form. Diese Hypothese wird wissenschaftlich gestützt. Eine Studie der Verbraucherverkäufe zwischen 2013 und 2018 durch Forschende des Stern Center for Sustainable Business der New York University ergab, dass Produkte, die als „nachhaltig“ hervorgehoben wurden, sich deutlich schneller verkaufen.
Dabei werden bei der Frage, was Nachhaltigkeit bedeutet, schädliche Auswirkungen bei der Verwendung und Entsorgung der Kleidungsstücke oftmals komplett ignoriert. Welches große Unternehmen spricht über seine überschüssigen Lagerbestände? Die Branche ist offensichtlich nicht bereit, Nachhaltigkeit ganzheitlich anzugehen und greift auf Rosinenpickerei zurück, um die Agenda zu erfüllen. Letztlich schadet es dem Ökosystem damit mehr, als dass es diesem nützt.
Nachhaltigkeitskommunikation ohne neues Geschäftsmodell ist nichts als „blah blah blah”
Die steigende Zahl an Unternehmensinitiativen signalisiert, dass das Thema Nachhaltigkeit ganz weit oben auf der Modeagenda steht. Die Ziele der Unternehmen zu erreichen, wird im Einzelhandel jedoch eine schwere Herausforderung bleiben. Expert*innen meinen, es sei schwierig, (wenn nicht gar unmöglich), die Klimaziele zu erreichen, solange das wachstumsorientierte Geschäftsmodell der Fast Fashion-Branche aufrechterhalten wird. Oder, um es mit den Worten Greta Thunbergs zu sagen: „Es ist ein Haufen blah blah blah.”
Was bedeutet das? Große Marken können niemals echte Ansprüche auf Zirkularität erheben, solange sie weiterhin Millionen von Kleidungsstücken pro Jahr ohne Anzeichen einer Verlangsamung herauspumpen – ganz gleich, ob sie versuchen, nebenbei einen kleinen Prozentsatz gebrauchter Kleidungsstücke zu sammeln, weiterzuverkaufen oder zu recyceln.
Was denkt ihr? Wann geht die Nachhaltigkeitskommunikation von großen Brands zu weit?
Titelbild: Yasin Aribuga via Unsplash
Artikel erstmal erschienen im April 2022. Aktualisierung im September 2022.